„Ich krich vom Amt“. Diese ungewöhnliche Aufschrift auf einem T-Shirt regte vor mehr als 20 Jahren viele Menschen auf. Denn der Träger des Kleidungsstücks, Arno Dübel, gehörte nicht zum akademischen Prekariat. In diesem Milieu hätten solche selbstironischen Slogans auf Kleidungsstücken kein besonderes Aufsehen erregt. Dübel hatte eine Malerlehre abgebrochen und auch später immer wieder deutlich gemacht, dass für ihn Lohnarbeit um jeden Preis kein erstrebenswertes Ziel für sein Leben war. Das machte er sogar in Talkshows deutlich und brachte es so zu großer medialer Bekanntheit. Denn er war durchaus …
… schlagfertig und traf bei vielen Menschen, die in einer ähnlichen Läge waren, einen Nerv. „Ich will niemandem den Job wegnehmen. Ich stell mich hinten an“, war einer seiner Sprüche, mit denen er gerade auch Erwerbslose in Wut versetzte.
Arno Dübel und der Sozialchauvinismus in Deutschland
Die Hassbriefe und Mails, die Dübel erhalten hat, wurden in dem in der Edition Assemblage erschienenen Buch „Faul, frech, dreist“ von Britta Steinwachs und Christian Baron analysiert.
Es handelt sich um ein Dokument des deutschen Sozialchauvinismus, der von der Bild-Zeitung massiv befördert wurde. Es gehört zur Vorgeschichte der Einführung von Hartz IV. Indem Dübel betonte, dass Lohnarbeit um jeden Preis nicht sein Lebensziel ist, sorgte er für Hass bei der Bild und deren Stammpublikum.
Dübel verkörperte hier einen „Arbeitslosen“, der sich dem Leistungsdiskurs bewusst entzieht, um es sich in der „sozialen Hängematte“ gemütlich zu machen. „Grund für die große mediale Aufmerksamkeit war jedoch nicht die professionelle Vermarktung eines typischen „Arbeitslosen“-Schicksals, sondern die Überzeichnung von Grundhaltungen, die die (Vor-)Urteilsstruktur der Bild-Leserinnen und -leser bedienen“, schreiben Baron und Steinwachs in der Einleitung
In diesem Zusammenhang werden Leserinnen- und Leserkommentare zur Berichterstattung über den von Bild als „Deutschlands frechster Arbeitsloser“ charakterisierten Arno Dübel untersucht. Die Analyse wirft auch ein Bild auf die Funktionsweise des Sozialchauvinismus bei Menschen, die selbst gesellschaftlich benachteiligt sind.
Einige der Briefeschreiber sahen sich veranlasst, besonders zu erwähnten, dass sie auch erwerbslos seien, sich aber jeden Tag um Arbeit bemühten und dafür viele Opfer auf sich nähmen. Sie fühlten sich daher von Dübel persönlich angegriffen. Das führte sogar zu Vernichtungsfantasien.
Einige der „Hater“ schrieben offen, wenn es nach ihnen ginge, würde Dübel unter einer Brücke ausgesetzt und könnte dort umkommen. Nur um Dübels Hund, den er bei seinen Talk-Showauftritten bei sich hatte, würden sie sich kümmern, schreiben sie. In solchen, in großer Zahl teilweise mit Namen und Adresse verbreiteten Hassbotschaften zeigt sich ein Sozialchauvinismus von Menschen, denen es selber dreckig geht im Kapitalismus, die aber dafür nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse verantwortlich machen, sondern ihren Hass und ihre Wut gegen Menschen richten, die sich den Zumutungen des Kapitalismus im Rahmen ihrer Möglichkeiten verweigern.
Man kann davon ausgehen, dass nicht wenige dieser konformistischen Rebellen heute zum Wählerkreis der AfD gehören, die schließlich auch gegen Erwerbslose hetzt, deren Ziel nicht Lohnarbeit um jeden Preis ist.
Im Rahme der gesamten Kampagne wurde kaum erwähnt, dass Dübel seit langen eine Lungenkrankheit hatte, an der er kürzlich auch in einem Hamburger Pflegeheim gestorben ist – im Alter von 67 Jahren. Zuletzt wurde gemeldet, dass seine Leiche verschwunden sei. Mehrere Medien zitierten einen Sprecher der Hamburger Friedhöfe mit den Worten, so etwas habe er seit 25 Jahren nicht erlebt.
Der Sozialchauvinismus und die Abwertung armer Menschen begleiteten Dübel bis an sein Lebensende. Noch immer wird in einigen Nachrufen daran erinnert, dass er „auf Kosten“ des Staats lebte.
Das wurde wohl von einem Wikipedia-Eintrag abgeschrieben, auf dem diese stigmatisierende Formel ebenfalls zu finden ist. Ansonsten werden jetzt häufig die wenig glücklich verlaufenen Auftritte von Dübel in verschiedenen TV-Shows und sein missglückter Versuch, als Sänger zu reüssieren, mit Häme erwähnt.
Von Florida-Rolf über Henrico Frank bis zu Michael Fielsch
Damit ereilte Dübel das Schicksal vieler Erwerbsloser, die sich an die Öffentlichkeit trauen, ohne immer zu beteuern, dass ihr höchstes Ziel Lohnarbeit um jeden Preis ist. Erinnert sei an die Kampagne gegen einen Erwerbslosen, der als „Florida-Rolf“durch die Medien gezerrt wurde. Er hatte in den Augen der Bild und deren Klientel die Frechheit besessen, sein Leben als Erwerbsloser in Florida statt in Deutschland zu verbringen. Das kostete nicht mehr Geld, aber in den Augen der konservativen Medien wurde er da schon zum Drückeberger an der deutschen Arbeitsfront.
Nach der Kampagne wurde sogar das Gesetz geändert, damit ein Bezug von Arbeitslosengeld außerhalb der EU nicht mehr möglich ist. Manche erinnern sich vielleicht noch an Henrico Frank, der dem Kurzzeit-SPD-Hoffnungsträger Kurt Beck über den Weg lief und von dem Politiker den unerbetenen Rat erhielt, sich zu rasieren, dann würde er Arbeit bekommen. Auch Frank war nicht der demütige Protagonist für Arbeit um jeden Preis und wurde dafür öffentlich angegriffen.
Auch der „leidenschaftliche Hartz-IV-Empfänger“ Michael Fielsch wurde zur Zielscheibe einer Bild-Kampagne, weil er in einer Talkshow offensiv die Position vertrat, dass ein Mensch auch ohne Lohnarbeit leben können muss und Rechte hat.
Mit Lohnarbeit soll man leben können, ohne auch
Für viele Erwerbslosenaktivisten und Kämpfer gegen ein reaktionäres deutsches Arbeitsethos, der seinen schlechtesten Ausdruck in der Deutschen Arbeitsfront hatte, sind Menschen wie Arno Dübel, Henrico Frank, Florida-Rolf oder Michael Fielsch hingegen Menschen mit Zivilcourage. „Deutschlands frechster Arbeitsloser“ ist für sie ein Ehrentitel und keine Beleidigung.(Peter Nowak)