Berliner Mieteraktivist und Journalist wegen eines Aufklebers in Handschellen gelegt
VONDETLEF GEORGIA SCHULZE 16.12.2023
theorie als praxis
Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.mehr über diesen blog
Der Berliner Mieteraktivist und Journalist Peter Nowak (u.a. nd, taz und Telepolis) teilte am Mittwoch mit, er sei am Vortag (Dienstag, den 12.12.2023) in der Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain Opfer von Polizeigewalt geworden.
Im einzelnen teilt Nowak mit: Er habe gegen 11:20 Uhr den Zuruf, „Machen Sie den Aufkleber sofort ab“, vernommen. Er habe darauf nicht reagiert – anscheinend, da sich weder die rufende Person als Polizei identifizierte noch Herr Nowak in irgendeiner Weise als Adressat (z.B. „Sie da in der x-farbenen Jacke.“) spezifiziert wurde.
Daß es sich um Polizei handelte, habe sich dann allerdings kurz darauf herausgestellt:
„Ich hörte […] plötzlich laute Schritte hinter mir und wurde in der Höhe des DM-Marktes Rigaer Straße/Vogtstraße mit Gewalt gegen die Häuserwand gedrückt. Ein Mann verbog mir die Hände und legte mir Handfesseln an. Die Spuren sind auch noch mehrere Stunden danach zu sehen […]. Er trat gegen mein Schienbein, zog die Handfesseln so eng, dass sie schmerzten. Zu der Zeit hatte er mir schon meine Einkaufstasche weggerissen und auch meine Gürteltasche abgenommen und einem anderen Polizisten gegeben, der neben ihm stand und deutlich weniger exponiert in der Angelegenheit war […]. Beide Polizisten haben mich zu keinem Zeitpunkt aufgefordert, stehen zu bleiben und meinen Ausweis zu zeigen. Sie hatten den Ausweis allerdings mit meiner Gürteltasche an sich genommen. Polizist B zeigte ihn ziemlich am Anfang Polizist A.“
Herr Nowak gibt des weiteren an, sodann in die „Polizeiwache in der Wedekindstraße“ und schließlich zum LKA-Gebäude am Tempelhofer Damm verbracht worden zu sein. Erst gegen 14:00 Uhr sei er wieder freigelassen worden.
Polizei-Pressestelle schweigt
Die Berliner Polizei-Pressestelle antwortete bisher auf die ihr am Mittwoch um 16:34 Uhr gestellten Fragen nicht. Ich fragte:
„1. Können Sie den Vorgang im Grundsatz und hinsichtlich der von Herrn Nowak genannten Details bestätigen?
2. Handelte es sich tatsächlich um Polizeikräfte? Welche dienstliche Stellung haben die drei Personen, insbesondere die ‚junge Frau in Zivil‘?
3. Gestehen Sie zu, daß das Vorgehen rechtswidrig war oder beanspruchen Sie eine Rechtsgrundlage für das Vorgehen? – Falls letzteres:
a) Durch welche Norm fühlte sich Polizist A. befugt, Herrn Nowak aufzufordern, irgendwo einen Aufkleber zu entfernen?
b) Warum hat Polizist A. Herrn Nowak von hinten angegriffen? – Hätte es nicht (abgesehen von allem anderen) drei Personen ohne weiteres möglich und zumutbar sein müßten, Herrn Nowak zu dem in Rede stehenden Aufkleber in zivilisierterer Weise zu befragen?
c) Durch welche Norm fühlte sich Polizist A. befugt, Herrn Nowak seine Bauchtasche und seinen Einkaufsbeutel abzunehmen und erstere (anscheinend nach dem Personalausweis) zu durchsuchen? – Wäre es nicht, sofern überhaupt Anlaß zu polizeilichem Eingreifen bestand, allenfalls rechtmäßig gewesen, Herrn Nowak zunächst zu fragen, ob er sich ausweisen könne?
d) Warum wurde Herr Nowak nach Inaugenscheinnahme des Personalausweises nicht freigelassen und was soll die Rechtsgrundlage des weiteren Festhaltens gewesen sein?
4. Zu welchem Zweck waren die drei Personen ursprünglich in der Rigaer Straße unterwegs? Zufällig oder observierten sie Herrn Nowak?
5. Wird zu dem Vorgang ein oder werden zu dem Vorgang mehrere Ermittlungsverfahren geführt und ist die Staatsanwaltschaft darüber informiert?
6. Wird die Polizeipräsidentin meine Anfrage zum Anlaß für dienstrechtliche Ermittlung nehmen?“
Uralte Daten über erkennungsdienstliche Maßnahmen im Computersystem der Berliner Polizei Rechtswidrigkeit der aktuellen ED-Behandlung?
Auf eine weitere Merkwürdigkeit wies Nowak am Mittwoch hin: Zu allem Überfluß sei er – obwohl er seinen (gültigen) Personalausweis dabei hatte und die Polizisten ihn sich ansahen, im Landeskriminalamt erkennungsdienstlich behandelt worden:
„Schuhe musste ich ausziehen, wurde noch mal gründlich durchsucht und dann ging es nach ca. 10 Minuten in die Abteilung zum Fotografieren gleich in fünf verschiedenen Positionen. Anschließend wurden Länge und Gewicht gemessen. Dann wurden die Fingerabdrücke sämtlicher Finger und die Abdrücke der Handflächen abgenommen, dass volle Programm der ED-Behandlung.“
Schließlich schreibt Herr Nowak noch:
„Ein Polizist beim LKA sagte nach Blick auf meine Daten im Computer: Das letzte Mal sei ich im Jahr 2000 und dann wohl mal Anfang der 1990er Jahre ED-behandelt worden.“
Ein Mitarbeiter der Berliner Datenschutzbeauftragten antwortete auf die der dortigen Pressestelle aus diesem Anlaß gestellte Frage,
„Wäre es Ihres Erachtens rechtlich zulässig eine Person, der nicht mehr vorgeworfen wird, als auf einen unspezifischen Zuruf, ‚Machen Sie den Aufkleber sofort ab‘, nicht reagiert zu haben und die ihren gültigen und echten Personalausweis mit sich führt, den sich die Polizei auch ansieht, anschließend noch ED-Maßnahmen zu unterziehen?“
das Folgende:
„Die Zulässigkeit von erkennungsdienstlichen Maßnahmen beurteilt sich zunächst nach dem Polizeirecht oder dem Strafprozessrecht (§ 23 ASOG bzw. § 81b StPO). Unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten sind die dortigen Hürden im Allgemeinen strenger zu lesen, wenn die Person bereits identifiziert ist. Weitere erkennungsdienstliche Maßnahmen sind aber auch bei bekannten Personen insbesondere bei dem Verdacht auf eine Straftat nicht von vornherein ausgeschlossen.“
Klar ist jedenfalls, „eine Person, der nicht mehr vorgeworfen wird, als auf einen unspezifischen Zuruf, ‚Machen Sie den Aufkleber sofort ab‘, nicht reagiert zu haben“, ist keiner Straftat verdächtig. Denn es stellt keine Straftat dar, auf einen unspezifischen Zuruf, „Machen Sie den Aufkleber sofort ab“, nicht zu reagieren.
Nehmen wir dagegen an, Nowak werde irgendeiner Straftat beschuldigt, ohne daß ihm dies am Mittwoch mitgeteilt wurde (oder ohne daß er dies in seiner Pressemitteilung erwähnte), so müssen wir uns die von der Datenschutzbeauftragten genannten §§ 23 Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) und 81b Strafprozeßordnung (StPO) ansehen, um die Rechtslage zu verstehen. (Das Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz ist das Berliner Landespolizeigesetz.)
§ 23 Absatz 1 ASOG bestimmt:
„Die Polizei kann erkennungsdienstliche Maßnahmen vornehmen, wenn
1. eine nach § 21 zulässige Identitätsfeststellung auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich ist,
2. das zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist, weil die betroffene Person verdächtig ist, eine Straftat begangen zu haben, und wegen der Art oder Begehensweise der Tat die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten besteht.“
(https://gesetze.berlin.de/perma?d=jlr-ASOGBE2006pP23)
Nummer 1 der genannten Norm kommt als Rechtsgrundlage für die ED-Behandlung Nowaks nicht in Betracht. Denn die Identität von Herrn Nowak konnte und wurde dadurch problemlos festgestellt werden, daß sein Gesicht mit seinem Personalausweis, den er mit sich führte und den sich die Polizisten ansahen, verglichen wurde.
Bliebe also Nummer 2:
„zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist, weil die betroffene Person verdächtig ist, eine Straftat begangen zu haben, und wegen der Art oder Begehensweise der Tat die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten besteht“.
Also, Liebe Berliner Polizei-Pressestelle:
- Wird Kollege Nowak verdächtigt, eine Straftat begangen zu haben?
- Soll „wegen der Art oder Begehensweise der Tat die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten“ bestehen?
- Und welchen Beitrag zur „vorbeugenden Bekämpfung“ solcher Straftaten sollte es leisten, Herrn Nowak erkennungsdienstlich zu behandeln? Worin soll insbesondere die von § 23 Absatz 1 ASOG verlangte ‚Erforderlichkeit‘ der ED-Behandlung bestanden haben?
Alternativ kommt – wie schon gesagt – noch § 81b StPO als Rechtsgrundlage in Betracht. Dessen Absatz 1 lautet:
„Soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__81b.html)
Also noch einmal die Frage: Wird Herr Nowak einer Straftat beschuldigt? Und falls ja, worin soll die vom Gesetz geforderte ‚Notwendigkeit‘ (also nicht irgendwie Nützlichkeit, Bequemlichkeit oder ähnliches) „für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes“ bestanden haben?
RECHTSWIDRIGKEIT VON URALTEN ED-DATEN IM COMPUTERSYSTEM DER BERLINER POLIZEI?
Des weiteren fragte ich die Berliner Datenschutzbeauftragte:
„Ist Ihres Erachtens rechtlich zulässig, daß sich noch Daten zu ED-Maßnahmen aus dem Jahre 2000 und von Anfang der 1990er im Computersystem der Berliner Polizei befinden? – Nach welcher Norm bemißt sich Ihres Erachtens die rechtlich zulässige Dauer der Speicherung solcher Daten?“
Die Antwort, die ich auf diese Fragen erhielt, lautet:
„Für die genannten Datenkategorien bestehen bei den Polizeibehörden Pflichten zur Prüfung von möglichen Löschungen. Diese Löschprüffristen für Dateien der Polizei Berlin ergeben sich aus § 48 ASOG und der entsprechenden Prüffristenverordnung. Die Löschprüffrist für Erwachsene beträgt in der Regel zehn Jahre. Die Fristen beginnen für alle bereits gespeicherten Daten einer Person in der Regel immer dann von vorn, wenn neue Speicheranlässe anfallen, die Person also erneut polizeilich aktenkundig wird. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass Daten über die genannten Zeiträume hinaus aufbewahrt wurden, wenn zwischendurch neue Vorgänge gesetzt wurden.“
§ 48 Absatz 2 Satz 1 ASOG lautet:
„In Dateien gespeicherte personenbezogene Daten sind zu löschen und die dazugehörigen Unterlagen sind zu vernichten, wenn
1. ihre Speicherung unzulässig ist,
2. bei der nach bestimmten Fristen vorzunehmenden Überprüfung oder aus Anlass einer Einzelfallbearbeitung festgestellt wird, dass ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur Erfüllung der in ihrer Zuständigkeit liegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich ist.“
(https://gesetze.berlin.de/perma?d=jlr-ASOGBE2006pP48)
Die „entsprechenden Prüffristenverordnung“ gibt es dort: https://gesetze.berlin.de/perma?d=jlr-PolPr%C3%BcfFrVBErahmen.
Wenn wir unterstellen, daß zumindest die erkennungsdienstliche Behandlung Nowaks im Jahre 2000 sowie Anfang der 90er Jahre rechtmäßig waren, kommt es hier also auf Nummer 2 („dass ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur Erfüllung der in ihrer Zuständigkeit liegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich ist“) an.
Also, liebe Berliner Polizei-Pressestelle: Wofür sollen die uralt-ED-Daten über Herrn Nowak noch „erforderlich“ sein?
MieterInnen-Demonstration am Samstag den 16.12.
Ohne daß sich Nowak dazu bekennt, irgendwo den Aufkleber, der den Polizeiangriff auslöste, angebracht zu haben, schreibt er, es gehe „um einen schwarzweißen kreisrunden Aufkleber mit einer Schachfigur in der Mitte und dem Slogan: ‚Wem gehört der Laskerkiez?‘.“ Der Aufkleber werde von einer Stadtteilinitiative verbreitet, die im Süden Friedrichshains gegen die Errichtung von Luxusneubauten aktiv sei. Die Initiative veranstaltet am Samstag, 16.12. eine Demonstration gegen Gentrifizierung im Laskerkiez. Beginn ist um 18:00 Uhr in der Persiusstraße 11 in der Nähe des S-Bahnhof Ostkreuz (https://laskerkiez.noblogs.org/post/2023/11/29/demonstration-ueberall-bueros-nirgendwo-sozialer-raum/).
Bleibt die Frage: Wurde der Aufkleber, der die Polizeigewalt auslöste, mittlerweile entfernt?
https://blogs.taz.de/theorie-praxis/der-schutzmann-als-putzmann/