Angriffe auf Bürgergeldbezieher von SPD bis AfD: Gemeint sind alle Lohnabhängigen. Warum das so ist – und was die Antwort sein sollte. Ein Kommentar.

Vorstoß für Bürgergeld-Streichung: Dauerkampagne gegen arme Menschen

Es wäre also eine neue Kampagne nötig, die sich der langfristigen Aufgabe stellt, das Sanktionsregime zu Fall zu bringen. Mit diesem Selbstbewusstsein, könnte man auch Bündnispartner gewinnen. Dabei sollte man auch den Zusammenhang mit der massiven Militarisierung Deutschlands herstellen. Ein Land, das nach den Erklärungen von Bundesverteidigungsministers wieder kriegsfähig werden will und sich seine Einflusszone in der Ukraine etwas kosten lässt, bezweckt mit den Krieg gegen die Armen zweierlei: Mehr Gelder fließen in die Rüstung, die Rüstungskonzerne steigern ihre Gewinne, aber die Armen müssen den Gürtel enger schnallen

Die „sozialen Hängematten“ wurden in den letzten Tagen politisch und medial wieder eifrig bemüht. Dort sollen sich nicht etwa steuervermeidende Konzerne tummeln, sondern Bürgergeldbezieher, die nicht jede Lohnarbeit um jeden Preis annehmen wollen. Die würden es in der sozialen Hängematte bequem machen, aus der sie unbedingt verscheucht werden müssen, wenn es nach Politikern von …

„Vorstoß für Bürgergeld-Streichung: Dauerkampagne gegen arme Menschen“ weiterlesen
Die Kampagne gegen selbstbewusste Arme zeigt die Funktionsweise des Sozialchauvinismus in Deutschland.

Solidarität mit Arno Dübel

Für viele Erwerbslosenaktivist*innen sind Arno Dübel, Henrico Frank, Florida-Rolf oder Michael Fielsch Menschen mit Zivilcourage. Deutschlands frechster Arbeitsloser ist für sie ein Lob und keine Beleidigung. Es ist ein Angriff gegen einen reaktionären deutschen Arbeitsethos, der seinen schlechtesten Ausdruck in der Deutschen Arbeitsfront hatte. In diesem Sinne sollten wir Arno Dübel als eines Menschen gedenken, der deutlich machte, dass man nicht nur mit Lohnarbeit, sondern auch ohne leben können muss.

„Ich krich vom Amt“. Diese ungewöhnliche Aufschrift auf einem T-Shirt regte vor über 20 Jahren viele Menschen auf. Denn der Träger des Kleidungsstücks Arno Dübel gehörte nicht zum akademischen Prekariat. Dort hätten solche ironischen Slogans auf Kleidungsstücken kein besonderes Aufsehen erregt. Dübel hatte eine Malerlehre abgebrochen und auch später immer wieder deutlich gemacht, dass für ihn Lohnarbeit um jeden Preis kein erstrebenswertes Ziel für sein Leben war. Das äußerte er sogar in …

„Solidarität mit Arno Dübel“ weiterlesen
Nachruf: Arno Dübel wurde durch eine Bild-Kampagne zur Hassfigur. Sein Vergehen: Er wollte nicht um jeden Preis Lohnarbeit. Nun ist offenbar seine Leiche verschwunden.

Arno Dübel: Warum „Deutschlands frechster Arbeitsloser“ für manche ein Ehrentitel war

Damit ereilte Dübel das Schicksal vieler Erwerbsloser, die sich an die Öffentlichkeit trauen, ohne immer zu beteuern, dass ihr höchstes Ziel Lohnarbeit um jeden Preis ist. Erinnert sei an die Kampagne gegen einen Erwerbslosen, der als "Florida-Rolf" durch die Medien gezerrt wurde. Er hatte in den Augen der Bild und deren Klientel die Frechheit besessen, sein Leben als Erwerbsloser in Florida statt in Deutschland zu verbringen. Das kostete nicht mehr Geld, aber in den Augen der konservativen Medien wurde er da schon zum Drückeberger an der deutschen Arbeitsfront. Für viele Erwerbslosenaktivisten und Kämpfer gegen ein reaktionäres deutsches Arbeitsethos, der seinen schlechtesten Ausdruck in der Deutschen Arbeitsfront hatte, sind Menschen wie Arno Dübel, Henrico Frank, Florida-Rolf oder Michael Fielsch hingegen Menschen mit Zivilcourage.

„Ich krich vom Amt“. Diese ungewöhnliche Aufschrift auf einem T-Shirt regte vor mehr als 20 Jahren viele Menschen auf. Denn der Träger des Kleidungsstücks, Arno Dübel, gehörte nicht zum akademischen Prekariat. In diesem Milieu hätten solche selbstironischen Slogans auf Kleidungsstücken kein besonderes Aufsehen erregt. Dübel hatte eine Malerlehre abgebrochen und auch später immer wieder deutlich gemacht, dass für ihn Lohnarbeit um jeden Preis kein erstrebenswertes Ziel für sein Leben war. Das machte er sogar in Talkshows deutlich und brachte es so zu großer medialer Bekanntheit. Denn er war durchaus …

„Arno Dübel: Warum „Deutschlands frechster Arbeitsloser“ für manche ein Ehrentitel war“ weiterlesen
Arno Dübel, »Deutschlands frechster Arbeitsloser«, ist tot

Malochen ist nicht alles

In Talkshows des Jahres 2001 sagte Arno Dübel, er fühle sich auch ohne Job gut. »Bild« startete daraufhin eine Kampagne gegen ihn. Jetzt ist er gestorben. Gesellschaft, in der Menschen unter immer mieseren Bedingungen malochen sollten, solle es auch das Recht geben, die Annahme von Bullshit-Jobs zu verweigern.

Ich krich vom Amt« – diese ungewöhnliche Aufschrift auf dem T-Shirt eines Mannes empörte vor mehr als 20 Jahren viele Deutsche. Der Träger des Kleidungsstücks war erwerbslos und teilte in Talk-Shows selbstbewusst mit, es sei nicht sein höchstes Ziel, wieder zu schuften. »Ich will niemandem den Job wegnehmen. Ich stell mich hinten an«, war einer der Sprüche, mit denen er sein Publikum provozierte. In der Folge ernannte »Bild« ihn in einer Artikelserie zum »frechsten Arbeitslosen Deutschlands«.Die Hassbriefe und Mails, die Dübel danach erreichten, analysierten …

„Malochen ist nicht alles“ weiterlesen
Einige Deutsche fühlen sich durch den Ukraine-Krieg endlich befreit. Auch wenn sie betonen, wie grausam er ist. So können sie guten Gewissens "Nie wieder Russland" schreien.

Panzerrohr auf russische Botschaft: Deutscher Geschichtsrevisionismus marschiert

Merkwürdigerweise kritisieren viele Antifaschisten nur die Querfrontansätze auf Seiten der Friedensbewegung. Das ist völlig berechtigt, aber da fragt man sich, warum nicht auch die proukrainische Querfront ebenso kritisch unter die Lupe genommen wird. "Bald wird es nicht mehr die Rote Armee sein, die Auschwitz befreit hat, sondern das Asow-Bataillon" bringt die französische Schriftstellerin Marie Rotkopf sie Umdeutung der Geschichte auf den Punkt. Sie hat den klugen Satz in dem von ihr neu herausgegebenen und kommentierten Schrift "Deutschland über alles geschrieben, den der französische Soziologe 1915 während des Ersten Weltkriegs verfasst hat und der hierzulande kaum bekannt ist. Verlag Matthes & Seitz diese fast 110 Jahre alte Deutschlandkritik wiederaufgelegt hat. Noch erfreulicher sind die klugen Gedanken, die sich Marie Rotkopf über Durkheims Schrift und seine Aktualität gemacht hat. Vor 20 Jahren wäre der schmale Band bei deutschlandkritischen Linken ein Bestseller geworden. Doch einige von ihnen tragen jetzt lieber "Nie wieder Russland"-Plakate.

„Wenn Sie zur Veranstaltung wollen, gehen Sie nach rechts!“ Diese Ansage machte die Polizei am Samstag nach 14 Uhr an die Menschen, die zur Friedenskundgebung am Brandenburger Tor wollten. Wegen des großen Andrangs waren der Pariser Platz und auch die dortige S- und U-Bahn gesperrt, so dass die Menschen über mehrere Ecken den noch mit Zäunen abgegrenzten Kundgebungsort erreichten. „Hoffentlich müssen nicht so weit nach rechts gehen, dass wir am AfD-Stand landen“, sagte ein junger Mann lachend. Er nahm Bezug auf die Debatte, die sich in den letzten Tagen intensiviert hat. Da hatte man gelegentlich den Eindruck, dass man mit Tausenden

„Panzerrohr auf russische Botschaft: Deutscher Geschichtsrevisionismus marschiert“ weiterlesen
Von unterschiedlicher Seite werden Spaltungstendenzen in der Linkspartei befördert. Dabei gibt es in der Auseinandersetzung keine wirklich linke Seite. Das ist verheerend, wie der Blick nach Italien zeigt.

Linkskonservative gegen Linksliberale

Im Buch "Die Selbstgerechten" geht es nicht um Klassenkampf, sondern um die Werte der ehrlich schaffenden Arbeiter. Es könnte schon sehr wohlwollend als sozialdemokratischer Populismus bezeichnet werden, Linkskonservatismus trifft es aber auch, keinesfalls aber traditionslinks. Wenn aber die entschiedensten Wagenkrecht-Kritiker gerade den Linkskonservatismus und Traditionslinke gleichsetzen, verwischen sie bewusst diesen Unterschied. Sie wollen damit auch keine Partei, die noch klassisch linke Positionen zur Klassenpolitik oder auch den Antimilitarismus vertritt.

„Kommt jetzt die Wagenknecht-Partei?“, heizte das Boulevardblatt Bild Anfang Oktober den „Krimi um mögliche Abspaltung“ von der bestehenden Linkspartei an. Doch auch hinter der Bezahlschranke bleibt es bei Geraune, wie eine mögliche Spaltung aussehen könnte. Die Bild hat dabei noch angebliche Umfragen beigesteuert, die einer Wagenknecht-Partei mindestens …

„Linkskonservative gegen Linksliberale“ weiterlesen
Redaktion Corona-Monitor (Hg.): Corona und Gesellschaft. Soziale Kämpfe in der Pandemie. Mandelbaum-Verlag, 280 S., br., 18 €.

Und nie vergessen

Der vorliegende Band ist eine Mischung aus wissenschaftlichen und aktivistischen Beiträgen. Daran mitgewirkt haben verschiedene emanzipatorische Zusammenschlüsse von Wissenschaftler*innen, darunter die Assoziation für Kritische Gesellschaftsforschung, das Institut für Protest- und Bewegungsforschung und das Netzwerk Kritische Bewegungsforschung.

Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik war die Verachtung der Armen so salonfähig wie in der aktuellen Pandemie«, schreibt Christian Baron in der Wochenzeitung »Freitag«. Doch wie passt ein solcher Befund damit zusammen, dass wohl selten in der Geschichte der Bundesrepublik – auch von Politiker*innen aller Parteien – so oft das Wort Solidarität verwendet wurde wie in Pandemiezeiten? Mit dieser Frage beschäftigt sich der kürzlich im Mandelbaum-Verlag erschienene Sammelband …

„Und nie vergessen“ weiterlesen
Impfen nicht nur gegen Corona sondern auch gegen das Virus der autoritären Staatlichkeit

„Ist eine Impfpflicht sinnvoll?“

In der Taz schrieb der Journalist Jörg Wimalasena den Aufruf „Linke, bleibt autoritätsautoritätsskeptisch“ als Antwort auf Trojanow. Auch der Sozialwissenschaftler Joachim Hirsch sieht es als Aufgabe einer linken Kritik, die Sinnhaftigkeit der in der Pandemie getroffenen Maßnahmen und deren Auswirkungen kritisch zu hinterfragen. „Das theoretische Rüstzeug dazu war eigentlich vorhanden, aber offensichtlich in Vergessenheit geraten“, so seine Diagnose. Wir brauchen mehr solcher Diskussionen und Debatten,  nicht nur in kleinen Zirkeln, sondern auch in Talk-Shows, in den Medien und auf öffentlichen Plätze

Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki hatte Mitte Dezember mit Abgeordneten seiner Fraktion einen Antrag gegen die Impfpflicht in den Bundestag lanciert. Die Abgeordnetengruppe fordert stattdessen  mehr Aufklärung der Bevölkerung und niedrigschwellige Impfangebote. Eine solche Position war noch vor wenigen Monaten bei fast allen politischen Parteien Konsens. Vor den Bundestagswahlen wurde von fast allen Politiker*innen mit ganz wenigen Ausnahmen betont, dass eine Impfpflicht schon aus rechtlichen Gründen in Deutschland  nicht möglich ist. Trotzdem wurden Kubicki und seine Abgeordnetenkolleg*innen  von einigen gleich …

„„Ist eine Impfpflicht sinnvoll?““ weiterlesen
Weder der harte Kern der Impfgegner noch diejenigen, die am lautesten Ungeimpfte verurteilen, sind mehrheitlich arm. Bildungsbürgerliche Klischees dominieren

Impfdebatte, Solidarität und Klassenkampf

Wie Christian Baron kritisiert, klagt heute der gutturalisierte Mittelstand über die Entsolidarisierung der Gesellschaft – und meint damit nicht das kaputtgesparte Gesundheitssystem, sondern die Impfverweigerer. Mit diesen unterschiedlichen Begriffen von Solidarität in der Pandemie befasst sich auch das Buch "Corona und Gesellschaft", das kürzlich im Mandelbaum-Verlag erschienen ist und sich mit sozialen Kämpfen in Corona-Zeiten befasst.

Jetzt wird es wohl als großer Sieg in der Öffentlichkeitsarbeit für die Impfkampagne dargestellt, dass sich der Fußballspieler Joshua Kimmich nach einer Corona-Infektion doch noch impfen lässt. Die Frage bleibt da natürlich, ob sich Kimmich der Logik guter Argumente, der eigenen Erfahrung mit dem Virus oder dem Druck von Teilen der Öffentlichkeit und des Vereins gebeugt hat. Doch gäbe es auch so viel Lob, wenn nicht ein bekannter Fußballspieler, sondern ein unbekannter ….

„Impfdebatte, Solidarität und Klassenkampf“ weiterlesen
Die Wahlschlappe bei der EU und die Verluste der Linkspartei vor allem in Ostdeutschland sorgen in der Partei für Diskussionen

Welche Arbeiter wenden sich von den Linken ab?

In ganz Europa und auch darüber hinaus ist zu beobachten, dass mit dem Verschwinden der fordistischen Klassenformationen - die darauf basierten, dass eine mehr oder weniger weitgehend in den Staat integrierte Arbeiterklasse von Gewerkschaften vertreten und in unterschiedlichen Formationen der Sozialdemokratie repräsentiert wurde - auch das eben genannte Arrangement brüchig geworden ist.

Verdächtig ruhig war es in der Linkspartei nach dem schlechten Abschneiden der Partei bei der Europawahl. Vielleicht war die Stille auch der Einsicht geschuldet, dass ein interner Streit über die Ursachen des schlechten Wahlergebnisses die Krise nur verschärften würde.Schließlich ist ja schon lange bekannt, dass die Linke….

„Welche Arbeiter wenden sich von den Linken ab?“ weiterlesen

Linkspartei: Nicht Wagenknecht war das Problem

Aber die Zwänge der Realpolitik ... Zum Rücktritt der Fraktionsvorsitzenden

Insbesondere antifaschistisches Engagement, Klima- und Umweltschutzaktivismus umfasst mitunter Aktionsformen des friedlichen zivilen Ungehorsams wie Blockaden oder Besetzungen. Diese sind legitim und eine LINKE darf niemals zu ihrer weiteren Kriminalisierung beitragen.“Das ist ein Passus aus einem Offenen Brief, den zahlreiche Mitglieder, Mandatsträger, aber auch Sympathisanten der Linkspartei geschrieben haben. Er rief die Mitglieder der Linksparteifraktion im Brandenburger Landtag dazu auf,…

„Linkspartei: Nicht Wagenknecht war das Problem“ weiterlesen

WIRD DIE RECHTE STARK, WEIL DIE LINKE DIE ARBEITER VERACHTET?

Eine Kritik am liberalen Antirassismus ist ebenso notwendig, wie die Zurückweisung der Schimäre von der Verteidigung eines national begrenzten Sozialstaats.

Von Peter Nowak

Nun hat mit der AfD auch in Deutschland eine rechtspopulistische, in Teilen auch faschistische Partei im Parlament Einzug gehalten. Und nun wird auch hier verstärkt eine Diskussion geführt, die in vielen anderen europäischen Ländern schon länger diskutiert wird: Warum gelingt es den Rechten, in Teilen der Arbeiter_innenklasse Wähler_innen zu gewinnen? Dabei handelt es sich meistens um Regionen, in denen fordistische Industriezweige und damit auch eine ganze Arbeiterkultur verschwunden sind. So hat der Front National in Frankreich…

„WIRD DIE RECHTE STARK, WEIL DIE LINKE DIE ARBEITER VERACHTET?“ weiterlesen

#unten – Kummerkasten jetzt auch für sozial Diskriminierte?

Die Debatte über Verarmung und soziale Ausgrenzung, von der nun auch häufiger Akademiker betroffen sind, ist ein guter Anfang. Die Frage ist, welchen Effekt sie haben wird

Die Debatte über Verarmung und soziale Ausgrenzung, von der nun auch häufiger Akademiker betroffen sind, ist ein guter Anfang. Die Frage ist, welchen Effekt sie haben wird

Nach #MeToo und #MeTwo, wo sich von Sexismus und Rassismus Betroffene zu Wort meldeten, hat die linksliberale Wochenzeitung Freitag kürzlich mit dem Hashtag #unten ein Forum für soziale Diskriminierung eröffnet [1]. Das ausgerechnet eine Wochenzeitung, die sich vor allem kulturellen Melangen widmet, diese Initiative startete, ist nur auf den ersten Blick überraschend.

Schon längst sind auch prekäre Akademiker von sozialer Ausgrenzung und auch von Armut betroffen und das ist auch ein wichtiger Grund, warum Armut im Spätkapitalismus in der letzten Zeit zum großen Thema in Medien und Öffentlichkeit geworden ist. Genau wie hohe Mieten wird die real existierende Armut erst dann zum Problem, wenn sie eben nicht nur die trifft, denen in der Öffentlichkeit dann gern die Schuld für ihre soziale Lage zugesprochen wird.

Dann gibt es noch einen biographischen Grund für die Kampagne. Der Journalist Christian Baron [2] hat das Feuilleton des Neuen Deutschland verlassen und in der Wochenzeitung Freitag einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Baron hat mit seinen vieldiskutierten Buch Pöbel, Proleten, Parasiten [3] (vgl. Wird die Rechte stark, weil die Linke die Arbeiter verachtet? [4]) auch mit biographischen Zugängen die Armut in Deutschland zum Thema gemacht.

Auch die Soziologin Britta Steinwachs, die ebenfalls #unten initiierte [5], beschäftigt sich seit Jahren damit, wie Armut in Deutschland produziert wird und was das bei den Betroffenen auslöst [6].

Klassenpolitische Dimension von #unten?

Steinwachs stellte diese Frage am Anfang: „#unten – Warum gibt es noch keine klassenpolitische Ergänzung zu #MeToo und #MeTwo?“ Die Frage ist einerseits berechtigt und andererseits irritierend. Es ist natürlich völlig richtig zu fragen, warum die sozialen Diskriminierungserfahrungen nicht ebenso Gegenstand von öffentlichem Interesse sind wie Rassismus- und Sexismuserfahrungen. Die Reaktionen der Freitag-Leserinnen und Leser bestätigten die Notwendigkeit einer solchen Initiative. Hier nur eine von zahlreichen Zuschriften an den Freitag.

Sehr geehrte Redaktion des Freitag,
haben Sie vielen Dank für die Artikel. Selbst bin ich von zwei Seiten im Thema. Ich arbeite als Honorarkraft im ambulant betreuten Wohnen und habe mit armen Menschen zu tun. Ich kenne ziemlich gut, was Christian Baron und Britta Steinwachs beschreiben. Auch die Scham. Und die Hoffnungen. Selbst habe ich mit Ende 40 nicht mehr weitermachen können wie bisher. Ich habe Soziale Arbeit studiert und bin dabei auch politisiert worden.

Jetzt habe ich nach zwei Jahren das Bewerbungen-Schreiben aufgegeben. Das wird nichts mehr, ich bin inzwischen 57 Jahre alt. Es kostet total viel Kraft, die Ursachen für das Scheitern nicht bei mir zu suchen. Ich erfahre die Abwertung: „Wer arbeiten will, findet Arbeit.“ Ich bin überzeugt, dass ich nicht allein bin mit „meinem“ Problem. Nicht im Hilfesystem. Knapp drüber, und aus Scham bloß nicht reinrutschen (und nicht drüber reden).

Leserbrief an den Freitag

Es schrieben auch Menschen, die durch #unten ihre Scham überwunden haben und die Briefe oder Mails mit vollständigen Namen zeichneten, weil ihnen jetzt bewusst geworden hat, dass ihre soziale Situation nicht ihr individuelles Problem ist. Das Problem ist vielmehr ein auf Profit orientiertes System, dass diese Armut produziert. Hier stellt sich dann die Frage, folgt auf #unten eine klassenkämpferische Initiative oder ist es ein Ersatz dafür?

Da müssen an #unten die gleichen kritischen Fragen gestellt werden wie an MeToo – „Kummerkasten von Mittelstandsfrauen oder neues feministisches Kampffeld“ [7] lautete hier eine Frage. Und MeTwo könnte zu einer Erweiterung und Stärkung von antirassistischer Praxis beitragen. #unten könnte der Anfang einer klassenkämpferischen Intervention sein.

Dann wären die Erzählungen der Betroffenen ein Anfang – ähnlich wie vor mehr als 150 Jahren in der frühen Arbeiterbewegung, als auch Berichte über das elende Leben der Arbeiter den Anstoß zur Organisierung gaben, wie Patrick Eiden-Offe in seinem Buch „Die Poesie der Klasse“ [8] für die Zeit des Vormärz gut herausgearbeitet hat.

Wie wird mit den Erfahrungen von Armutsbetroffenen umgegangen?

Und da sind wir bei der angedeuteten Irritation, wenn die Soziologin Britta Steinwachs von der klassenpolitischen Dimension von #unten schreibt. Denn die wäre dann ja der nächste Schritt – aber nicht mit #unten identisch. Hier geht es zunächst um das aufklärerische Benennen der Situation, das Bewusstsein schafft.

Das kann eben darin bestehen, dass man begreift, dass man nicht selbt schuld an der schlechten sozialen Situation ist. Doch damit #unten eine klassenpolitische Dimension bekommt, müsste der nächste Schritt erfolgen. Es müsste eine Form der praktischen Organisierung geben und ein Bewusstsein, dass Armut und Reichtum zwei Seiten einer Medaille im Kapitalismus sind. Bert Brecht hat diesen Zusammenhang in der ihm eigenen Prägnanz so zusammengefasst [9]:

Reicher Mann und armer Mann
standen da und sahn sich an.
Und der Arme sagte bleich:
»Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.

Bert Brecht

Dass sich auch die arme und reiche Frau gegenüberstehen könnten, braucht wohl keiner weiteren Erläuterung. Doch wenn dieser Erkenntnisschritt nicht gegangen wird, bleibt es beim Räsonieren über Armut, das, worauf die Publizistin Mely Kiyak mit Recht hinwies [10], so neu nicht ist.

Neu ist aber, dass nicht auf Armutskonferenzen oder „Runden Tischen gegen Armut“, sondern auch im Wochenblatt des linken Bürgertums über Armut diskutiert wird. Dafür muss sich der Freitag nicht rechtfertigen. Es ist natürlich positiv, wenn eben prekäre Akademiker über Armut reden. Das wäre nur dann zu kritisieren, wenn sie nur über ihre Arbeit debattieren wurden und wenn sie die jahrzehntelange Arbeit von Armutskonferenzen, Runden Tischen der Betroffenen etc. einfach ignoriert würden.

Noch ist nicht klar, wie bei in den von #unten angestoßenen Diskussionen die jahrelange Arbeit dieser Armutsbetroffenen einfließt. Noch ist die Kampagne zu neu, um da ein klares Urteil zu bilden.

Es fällt aber tatsächlich auf, dass darauf in den bisher publizierten Beiträgen kaum Bezug genommen wird. Man wird die weitere Debatte beobachten müssen, um sich ein Urteil bilden zu können. Es gibt aber für die Initiatoren von #unten nicht die Ausrede, die Ergebnisse der jahrelangen Arbeit von Armut Betroffener seien kaum bekannt.

Tatsächlich gab es oft wenig Resonanz auf Pressekonferenzen, wo sie ihre Arbeit und ihre Forderungen darstellten. Doch es gibt Studien über Armut und ihre Auswirkungen unter Anderem von Anne Allex zu Frauen in Armut und prekärer Beschäftigung [11]. Das ist nur eins von zahlreichen Beispielen.

Was folgt auf #unten?

Ob #unten also tatsächlich der Beginn einer neuen klassenkämpferischen Organisierung wird oder ein weiteres Beispiel für das „Räsonieren über Armut“ wird sich praktisch erweisen.

Doch es zeigte sich bereits, dass solche Initiativen bei den Betroffenen durchaus auf Resonanz stoßen und auch die Probleme einer Gesellschaft im Spätkapitalismus zeigt, in dem die Menschen oft so voneinander isoliert sind, dass sie solche Anstöße zur Kommunikation brauchen.

Peter Nowak

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4232205
https://www.heise.de/tp/features/unten-Kummerkasten-jetzt-auch-fuer-sozial-Diskriminierte-4232205.html

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/armut-spricht
[2] http://www.christian-baron.com
[3] https://www.eulenspiegel.com/verlage/das-neue-berlin/titel/kein-herz-fuer-arbeiter.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Wird-die-Rechte-stark-weil-die-Linke-die-Arbeiter-verachtet-3452409.html
[5] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/sag-mir-wo-du-herkommst
[6] http://www.sebastian-friedrich.net/das-maerchen-vom-boesen-armen-die-soziologin-britta-steinwachs-lueftet-den-ideologischen-schleier-des-privatfernsehens/
[7] https://www.heise.de/tp/features/Metoo-Kummerkasten-von-Mittelstandsfrauen-oder-neues-feministisches-Kampffeld-4153174.html
[8] https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/die-poesie-der-klasse.html
[9] https://www.zitate-online.de/sprueche/kuenstler-literaten/18900/reicher-mann-und-armer-mannstanden-da-und.html
[10] https://www.zeit.de/kultur/2018-11/armut-unten-hashtag-klassengesellschaft-chancengleichheit
[11] https://www.rosalux.de/dokumentation/id/13725/frauen-in-armut-und-prekaerer-beschaeftigung/

Emanzipatorischer Klassenkampf

Die Klischees von Arbieter_innenbewegung und Bionadenbourgeoisie. Identitäten, 68 und die Verklärung der real existierenden Unterschicht

Oft trifft die Kritik an der liberalen tageszeitung ins grünschwarze. Doch wenn der Kulturredakteur des „Neuen Deutschlands“ Christian Baron der taz „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ vorwirft,… „Emanzipatorischer Klassenkampf“ weiterlesen

„Erklärung 2018“ – der rechte Resonanzboden ist größer geworden

Aber auch das linksliberale Milieu ist nach rechts offener geworden

Die Erklärung hat nur zwei Zeilen und sorgt doch für viel Aufsehen.

„„Erklärung 2018“ – der rechte Resonanzboden ist größer geworden“ weiterlesen