Kontext: Eine Zensur findet statt

KONTEXT:Wochenzeitung

Ausgabe 392 Medien
Eine Zensur findet statt

Drei PublizistInnen erklärten sich kurz nach dem Verbot der anarchischen Plattform „linksunten.indymedia“ im Sommer 2017 solidarisch mit dem Medium. Gut ein Jahr später bekommen sie Post vom LKA Berlin. Die Betroffenen sprechen von Ermittlungen gegen die Pressefreiheit.
Ihnen wird zwar die Gelegenheit eingeräumt, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Sie wissen aber gar nicht, was die Vorwürfe sind: „Sie werden beschuldigt, folgende Straftat begangen zu haben: Verstoß Vereinsgesetz“, heißt es in dem Schreiben, das sich an Blogger Achim Schill, Journalist Peter Nowak und PolitikwissenschaftlerIn Detlef Georgia Schulze richtet, „Tatörtlichkeit: Internet, Ihr Artikel vom 31. 8. 2017 systemundcrashundtatbeilinksunten.blogsport.eu/“. Das LKA Berlin ermittelt. Konkreter werden die Anschuldigungen nicht. Doch das Vereinsgesetz umfasst eine Fülle von Paragraphen, die verletzt werden könnten, und der angegebene Link führt nicht zu einem Artikel, sondern ins Leere („Die Website, die du gesucht hast, existiert nicht, aber du kannst sie jetzt erstellen!).

„Wir betreiben eine Seite, die so ähnlich heißt“, erklärt Peter Nowak, der regelmäßig Beiträge für im linken Spektrum zu verortende Medien wie „Telepolis“, „konkret“ und „neues deutschland“ verfasst, im Gespräch mit Kontext. Auf „systemcrashundtatbeilinksunten“ rufen die drei vage Beschuldigten in einem Text vom 31.8.2017 alle AutorInnen, die unter Klarnamen oder mit „nicht-konspirativen Pseudonymen“ Beiträge auf der kurz zuvor verbotenen Online-Plattform „linksunten.indymedia“ publiziert haben, dazu auf, ihre Texte erneut der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. „Solidarisch zu sein, heißt: sich dem Verbot zu widersetzen“, ist der Aufruf überschrieben.

Nowak, Schill und Schulze schlussfolgern, dass dieser Artikel der Anlass für die Ermittlungen sein muss, und schreiben in einer öffentlichen Stellungnahme: „1. Der Text stammt tatsächlich von uns. 2. Wir halten den Text nach wie vor für politisch richtig und außerdem für juristisch legal.“ Denn bei der dauerhaften Abschaltung von „linksunten.indymedia“ handle es sich um ein rechtswidriges Medienverbot. Und: „Im übrigen bestreiten wir, daß wir überhaupt das Vereinsgesetz verletzt haben, was wir hier aber nicht genauer ausführen wollen, da es uns nicht in erster Linie darum geht, unseren eigenen Kopf zu retten, sondern die juristische Legalität und politische Berechtigung und Nützlichkeit des Mediums „linksunten.indymedia zu verteidigen.“

Verbot durch die Hintertür

Unstrittig ist, dass auf der Plattform „linksunten“, die auch von Linksradikalen und Autonomen genutzt wurde, strafrechtlich relevante Inhalte veröffentlicht wurden. Von Bekennerschreiben, über Aufrufe zur Gewalt, von Bauanleitungen für Molotow-Cocktails, bis hin zu Morddrohungen gegen rechte Politiker. Jeder hatte die Möglichkeit, dort anonym Artikel zu veröffentlichen und die Moderation schritt so gut wie nie ein. Und dennoch gibt es erhebliche Zweifel daran, ob das Vorgehen des Bundesinnenministeriums rechtmäßig war: Mit Verfügung vom 14. Oktober 2017 wurde „linksunten.indymedia“ verboten. Allerdings nicht als Medium, sondern als angeblicher Verein, dessen „Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider“ laufe und sich „gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ richte.

Ein „linksunten e.V.“ existiert allerdings nicht und es gibt keine Satzung, in der Ziele und Absichten der Mitglieder definiert wären. Es ist dem Bundesinnenministerium aber grundsätzlich möglich, und ein beispielsweise zur Strafverfolgung im Rocker-Milieu gern angewendeter Kniff, rund um eine Gruppe einen Verein zu konstruieren, um anschließend gegen ihn vorzugehen. Der Medienanwalt Stephan Dirks fasst das in einem Blogbeitrag folgendermaßen zusammen: „Wenn mehrere Personen irgendwas zusammen machen, dann kann der Innenminister denen das auch verbieten.“ Damit soll ermöglicht werden, dass organisierte Strukturen auch dann belangt werden können, wenn sie sich nicht formell in ein Vereinsregister eintragen lassen.

Im Fall von „linksunten.indymedia“ kritisieren jedoch unter anderem die „Reporter ohne Grenzen“, weltweit engagiert für Pressefreiheit, dass „durch die Hintertür des Vereinsrechts“ ein „trotz allem journalistisches Online-Portal“ komplett verboten werde, was eine „rechtsstaatlich gefährliche Entwicklung“ darstelle. Denn neben eindeutig rechtswidrigen Inhalten auf „linksunten.indymedia“ gab es dort auch Beiträge zu lesen, die die Frage aufwerfen, ob sich die Plattform als Medium auf presserechtliche Freiheiten berufen kann.

So sieht es die vornehmlich von Juristen betriebene Bürgerrechtsbewegung „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ (GFF), die in einer umfangreichen Analyse zu dem Befund gelangt, dass das Verbot von linksunten.indymedia „rechtsstaatlichen Anforderungen nicht gerecht“ werde, und die sich zum Fall „wegen dessen zentraler Bedeutung für die zukünftige Freiheit der Medien“ äußert. Demnach hätte „der Staat zunächst weniger einschneidende Maßnahmen ergreifen müssen“, etwa „Unterlassungs- und Sperrverfügungen nach Maßgabe des Rundfunkstaatsvertrags gegen konkrete rechtswidrige Inhalte“. Das pauschale Verbot des gesamten Mediums, führt die GFF aus, verletze hingegen nach Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Medienfreiheit. So heißt es in einem Urteil von 2009: „Die Praxis, die zukünftigen Veröffentlichungen eines ganzen Periodikums zu verbieten, überschreitet jedes Maß einer ’notwendigen‘ Beschneidung [der Meinungsfreiheit] in einer demokratischen Gesellschaft.“

Klage gegen Verbot: noch kein Verhandlungstermin

Journalist Nowak spricht sich gegenüber Kontext generell gegen Zensur aus, er würde „auch keine rechtsextremen Medien verbieten wollen, da sich Positionen so nur in den Untergrund verlagern“. Statt einer Verfügung des Innenministeriums, die auf Behauptungen und Unterstellungen basiere, erwarte er sich als „Minimalkompromiss“, wenn ein Medienverbot im Raum stehe, „ein ordentliches Verfahren mit der Möglichkeit, Gegenbeweise einzubringen“. So sei „linksunten.indymedia“ nie allein auf die militante, nicht einmal auf die linksradikale Szene beschränkt gewesen, sondern habe einem sehr heterogenen Spektrum die Chance eröffnet, Gegenöffentlichkeit herzustellen.

Entstanden sind die weltweit über 150 redaktionell unabhängigen „Indymedia“-Seiten aus der globalisierungskritischen Bewegung, kurz vor der Jahrtausendwende. Einen ersten Ableger des transnationalen Netzwerks, das laut Nowak „mit Echtzeitberichterstattung Pionierarbeit für den Online-Journalismus“ geleistet habe, gibt es in Deutschland seit 2001. Grund für die Gründung war die Ansicht, dass kapitalismuskritische Analysen in traditionellen Medien zu kurz kämen und dass allen die Möglichkeit gegeben werden solle, die eigenen Positionen ohne redaktionellen Filter mitzuteilen. „Dieses Prinzip finden wir gut“, sagt Nowak über sich und seine Gleichgesinnten, „und deswegen haben wir mitgemacht.“

Die Berichterstattung auf den „Indymedia“-Portalen ist gewollt subjektiv, oftmals sind Berichte über Veranstaltungen distanzlos, manchmal ersetzt Dogmatismus belastbare Fakten. Andere Texte wiederum, etwa Dossiers über rechtsextreme Netzwerke, sind sehr gut recherchiert und mit journalistischer Sorgfalt veröffentlicht. „Viele, die bei Indymedia als Medienaktivisten angefangen haben“, sagt Nowak, „schreiben heute für professionelle Redaktionen.“ 2008 gründete sich schließlich „linksunten.indymedia“, zunächst geplant als regionaler Ableger für Süddeutschland. Deutschlandweit bevorzugten allerdings viele AktivistInnen und Autonome die benutzerInnenfreundlichere Bedienoberfläche; zwischen 2010 und 2012 wurde „linksunten“ sogar intensiver genutzt als das für Gesamtdeutschland vorgesehene Portal.

Allerdings, betont Nowak, habe „linksunten“, ebenso wie das gesamte „Indymedia“-Netzwerk, in den vergangenen Jahren einen erheblichen Bedeutungsverlust hinnehmen müssen. Deswegen komme das Verbot zu einem verwunderlichen Zeitpunkt. Der Journalist vermutet dahinter Symbolpolitik als Reaktion auf den G20-Gipfel in Hamburg. Gegen die Verbotsverfügung haben die Anwälte der mutmaßlichen Betreiber von „linksunten“ bereits im April dieses Jahres eine 156 Seiten umfassende Klagebegründung beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingereicht. Der Auftakt der mündlichen Verhandlung war zwischenzeitlich auf den 15. Januar 2019 datiert, wurde allerdings verschoben, ohne einen Ersatztermin mitzuteilen – „wegen der großen Komplexität der Sache und vorrangiger anderer Verfahren“, wie die taz berichtet. Nowak findet die lange Wartezeit „völlig unbefriedigend“, denn auch wenn „linksunten“ Recht gegeben werde, „existiert das Medium seit über einem Jahr nicht mehr und das Innenministerium konnte die Pressefreiheit per Verfügung aushebeln“.

Wenn nun aufgrund einer Solidaritätserklärung gegen ihn und die KollegInnen Achim Schill und Detlef Georgia Schulze Anklage erhoben werden sollte, ist er gespannt, wie das begründet werden soll.

Transparenz-Hinweis: Peter Nowak verfasste für Kontext die Beiträge „Nulltarif ist keine Utopie“ (Ausgabe 363), „Lieber tot als zurück“ (Ausgabe 376) und „Kranke Arbeit“ (Ausgabe 385).

https://www.kontextwochenzeitung.de/medien/392/eine-zensur-findet-statt-5377.html