Stimmen gegen Krieg, Geschichtsvergessenheit und die neue deutsche Normalität
Gerald Grüneklee, Clemens Heni, Peter Nowak: „Nie wieder Krieg ohne uns. Deutschland und die Ukraine“, Edition Critic, Berlin 2022, 174 Seiten, ISBN 978-3-946193-38-8, 20 Euro
An Gegenwind sind Grüneklee, Heni und Nowak gewöhnt: Zuerst einmal und sowieso als Linke in einer nach rechts driftenden, neoliberal zugerichteten Gesellschaft, aber spätestens seit der Corona-Pandemie auch innerhalb der Linken, da sie sich vehement gegen die staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung wandten. Gerne wurden und werden sie deswegen als Corona-Schwurbler etikettiert, was ihnen aber nicht gerecht wird, denn anders als die real existierenden esoterischen und sonstigen Wirrköpfe, die in der Anti-Maßnahmen-Bewegung in großer Zahl vertreten waren, haben sie von Anfang an ernsthaft argumentiert. Nun können wir ihre Argumente stark oder schwach, überzeugend oder widerleglich finden, aber wenn wir sie einfach mit dem Totschlagwort „Geschwurbel“ aus dem Bereich des Diskussionswürdigen verbannen, müssen wir uns ganz zu Recht den Vorwurf der Denkfaulheit und Ignoranz gefallen lassen. Das nur am Rande.
Nun haben sich die drei Autoren erneut zusammengetan und bereits im Sommer 2022, wenige Monate nachdem der seit Jahren schwelende Krieg in der Ukraine durch den russischen Angriff am 24. Februar eine neue Dimension angenommen hatte, ein Buch gegen diesen Krieg herausgebracht. Es gliedert sich in drei durch das gemeinsame Vorwort nur lose verklammerte Teile. Jeder Autor hat einen eigenen Beitrag beigesteuert, und das ist auch sinnvoll, denn jeder hat nicht nur seine eigene politische Position, sondern auch seinen eigenen Stil.
Den Aufschlag macht Gerald Grüneklee mit einem ruhigen und nachdenklichen Essay. Seine zugängliche Sprache macht beim Lesen Freude, seine antimilitaristische Haltung ist klar, seine Überzeugungen gründen auf Geschichtswissen und Beobachtung der Gegenwart. Ausdrücklich bezieht er sich übrigens auf graswurzelrevolutionäre Traditionen und Publikationen wie „Keine Frau, keinen Mann, keinen Pfennig für Staat und Krieg!“. (1)
Anders als Grüneklees in sich geschlossen wirkender Text besteht Henis Beitrag aus einer Reihe zorniger, oft fragmentarisch anmutender Interventionen. Ursprünglich als tagesaktuelle Blogposts konzipiert und für die Buchveröffentlichung leicht überarbeitet, können sie ihren Augenblickscharakter nicht verbergen. Habitus und Stil der Texte sind teils schwer erträglich, die Argumente ersticken bisweilen in Polemik und Sarkasmus; was die Lektüre des Kapitels dennoch lohnt, ist, wie hier vor allem der antisemitische, in geringerem Maße auch der antifeministische Charakter des Kriegsdiskurses entlarvt wird.
Peter Nowak wiederum schöpft nicht nur aus seinem profunden und vielseitigen Wissen, sondern auch aus den sozialen Bewegungen und dem Dialog mit antimilitaristischen Aktiven. In gewohnt kämpferischen Kommentaren und rasanten Polemiken prangert er die Kriegstreiberei der Regierenden und ihrer Medien, aber auch der „NATO-Linken“ an, wendet sich gegen die allgegenwärtige, vor Antisemitismus und Russenhass strotzende Kriegspropaganda und weist an zahlreichen Beispielen nach, wie faschistische Bewegungen und Traditionen in der Ukraine seit Jahren einen ungeheuren Aufschwung erleben, dies im hegemonialen Diskurs in Deutschland jedoch systematisch totgeschwiegen wird – sind solche Fakten doch störend bei der Idealisierung der Ukraine als dem Land, das „unsere westlichen Werte“ verteidigt.
Natürlich gäbe es vieles zu kritisieren an einem offenkundig in Eile zusammengezimmerten Buch. Redundanzen und Widersprüche ließen sich aufzeigen, über Schlampereien oder Ausfälle wäre zu klagen. Aber darauf hat die Rezensentin keine Lust, sondern empfiehlt das Buch zur kritischen Lektüre, denn es ist eine Fundgrube von Sachwissen und Argumenten für die Diskussionen und Auseinandersetzungen, die wir tagtäglich zu führen haben, wollen wir uns dem Kriegsgeschrei nicht explizit anschließen oder wenigstens in „lautstarkem Schweigen“ beugen. Es bleibt das Verdienst der Autoren, dass sie in einer Zeit, in der Pazifist*innen als Lumpen beschimpft werden und mit überwältigendem finanziellem und medialem Aufwand daran gearbeitet wird, den Krieg in der Ukraine zu einem Weltkrieg zu eskalieren, laut und deutlich ihre Stimmen erhoben und gegen Krieg und Faschismus angeschrieben haben.
Julia Berger
Anmerkung:
1) Vgl.: Graswurzelrevolution Nr. 117/118 Sonderheft Sozialgeschichte des Antimilitarismus, Hamburg 1987
Rezension aus: Graswurzelrevolution Nr. 477, März 2023, www.graswurzel.net