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Peter Nowak
Kurze Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken

Münster: edition assemblage 2013 (Reihe Antifaschistische Politik ); 94 S.; brosch., 9,80 €; ISBN 978-3-942885-16-4

Kaum eine Debatte hat die politische Linke in den vergangenen zwei Jahrzehnten so stark beeinflusst wie der Antisemitismusstreit zwischen Globalisierungskritikern auf der einen sowie Staats‑ und Ideologiekritikern auf der anderen Seite. Im Kern dreht sich der Streit um eine alte Frage: Wie weit muss sich die Linke einer Figur nähern, mit der „das Volk“ als Opfer und Ziel kapitalistischer Ausbeutung verstanden wird, und ab welchem Punkt wird es unbedingt nötig, dieses Volk umgekehrt als willigen Protagonisten und Täter solcher Ideologien zu begreifen, die sich in Rassismus, Sexismus und Antisemitismus äußern? Auf diese Frage ist bis heute kaum eine befriedigende, systematische Antwort gefunden worden. Peter Nowak rekapituliert die Entwicklung dieser Streitfrage vor und nach 1989 und legt dabei besonderes Augenmerk auf die Lagerbildung rund um linke Zeitschriften. Mit viel Feingefühl kombiniert er seine Analyse der Publikationslandschaft mit weiteren geschichtspolitischen Zeitzeugnissen, etwa Repräsentationen deutscher Geschichte im Film oder das Ringen um Gedenkstätten. Schritt für Schritt wird die Herausbildung und Verhärtung der Fronten nachgezeichnet. Anstelle von einfacher Parteinahme für eine Seite arbeitet der Autor konsequent die konkurrierenden Kräfte heraus und erklärt anhand der immanenten Widersprüche des Gegenstands, warum das „Alle unter einem Dach“‑Experiment (45) einiger Linker mehrfach scheitern musste – wobei vor allem eine zentrifugale Dynamik Wirkung entfaltete, denn zumindest in „der ersten Zeit spielte die Diskussion um den Antisemitismus nicht die zentrale Rolle“ (46). Ein Gespräch mit dem Berliner Nahostkonfliktforscher Peter Ullrich steuert im Anschluss daran noch eine theoretische, namentlich diskuranalytische, Perspektive bei: Mit der Figur der „diskursiven Gelegenheitsstrukturen“ (65) bereiten Ullrich und Nowak eine mögliche „Versachlichung der Diskussion“ über den „regressiven Antizionismus“ (79) vor. Insgesamt ergeben Analyse und Gespräch zusammen mit den Exkursen zur DDR, zur Situation im Vereinigten Königreich und zur neuen rechten Israelsolidarität einen sehr zugänglichen, dichten und leider viel zu kurzen Band.

Florian Geisler (FG)
B. A., Politikwissenschaftler, Student, Goethe Universität Frankfurt am Main.

http://www.pw-portal.de/rezension/37292-kurze-geschichte-der-antisemitismusdebatte-in-der-deutschen-linken-42255