Rezensionen des Buches:

Wochenzeitung: Freitag:

Was das Virus auslöst

Literatur „Corona und die Demokratie. Eine linke Kritik“ warnt eindringlich vor den gesellschaftlichen Folgen der Pandemie-Politik.

Wochenzeitung: René Schlott Ausgabe 30/2020

An einer Brücke in Potsdam stadtauswärts befand sich vor einigen Wochen der Schriftzug „Das Virus ist der Kapitalismus“. So könnte auch der Titel des Buches der drei Publizisten Gerald Grüneklee, Clemens Heni und Peter Nowak lauten, die sich dezidiert mit einer linken Kritik an den von Bund und Ländern seit März 2020 verordneten Corona-Maßnahmen zu Wort melden. Ihre Sprache: klar und deutlich, ihr Urteil: unmissverständlich und schonungslos, ihre These: schockierend, denn unsere Gesellschaft zeige, ausgelöst durch die disziplinierenden Maßnahmen zur Corona-Eindämmung, alarmierende Tendenzen eines „präventiven Sicherheitsstaats“ und einer „autoritären Formierung“, ja einer „Selbstfaschisierung“, ihre Botschaft: endlich aufwachen und die Krise zu einem wahren Wandel nutzen.Den Band eröffnet ein wortgewaltiger Essay von Rebecca Niazi-Shahabi. In kürzester Zeit sei ein „totalitäres Gedankengebäude“ errichtet worden, so die Autorin, das trotz seiner zeitlichen Begrenzung großen gesellschaftlichen Schaden angerichtet habe, denn für die menschliche „Psyche gibt es kein Vorübergehend“: „Wer einmal psychisch bereit ist, für sein nacktes Überleben alles in die Tonne zu hauen, was sein Menschsein ausmacht, der wird es wieder tun“. Und Niazi-Shahabi wird noch deutlicher, wenn sie die Ambivalenzen anspricht, die sich aus einer vermeintlich hehren Absicht entwickeln können: „Denn das Schlimme am Totalitarismus ist ja nicht, dass Böse Böses vorhaben, sondern dass das Gutgemeinte maßlos ausgedehnt wird, bis es schließlich alles andere in der Gesellschaft verschlingt. Der oder die ‚total Gute‘ ist auch deswegen so gefährlich, weil die total Guten bis zum letzten Moment glauben, sie seien auf der richtigen Seite.“

Empathielose Würstchen

Die auf Niazi-Shahabi folgenden Beiträge der drei Herausgeber haben alle eine eigenständige Form: Gerald Grüneklee liefert mit seinem anregenden Essay, der auf tagebuchartige Notizen währen der Corona-Krise zurückgeht, den einzigen Originalbeitrag, während Clemens Heni die Beiträge seines Blogs wiedergibt und Peter Nowak thematisch einschlägige Zeitungsartikel und Interviews aus eigener Feder versammelt. Mit dem Wiederabdruck bereits an andere

Dennoch handelt es sich wegen seines frühen Erscheinungsdatums um eine Pionierleistung. Allerdings wäre es besser gewesen, wenn die drei Teile nicht einfach unverbunden nebeneinanderstehen würden und von mehr als einem achtseitigen Vorwort zusammengehalten worden wären. Darin stecken die drei Autoren ihr Feld zunächst klar ab, nehmen für sich eine „dezidiert linke Position“ in Anspruch und distanzieren sich sowohl von Pandemieleugnern („Wir sehen die Gefahr des Virus und jeder Tod ist tragisch.“) als auch von rechten Vereinnahmungsversuchen, was in Zeiten, in denen alle KritikerInnen der Corona-Einschränkungen gerne in einen, nämlich den „rechten“, Topf geworfen werden, leider notwendig ist. An Deutlichkeit lassen die Autoren es dabei nicht mangeln, wenn sie Björn Höcke einen „Faschisten“ und die Bild-Zeitung ein „Hetzblatt“ nennen. Auch ihre GesinnungsgenossInnen aus dem linken Lager müssen sich heftige Kritik gefallen lassen, wobei dessen von Clemens Heni konstatierter „endgültiger Niedergang“ schon allzu oft prophezeit wurde. Auch Henis Publikumsbeschimpfung der Mehrheit der Deutschen als „empathielose Würstchen“, die dort, „wo sich das Hirn befinden sollte, eher einen Hohlraum haben“, ist alles andere als zielführend und zeugt selbst von Empathielosigkeit. Denn gesellschaftliche Kritik ist kein Selbstzweck und darf nicht ausschließlich der Selbstvergewisserung dienen, sondern sollte im besten Falle die Menschen erreichen und nicht beleidigen.

Das Buch ist aus einem „Impuls der Empörung und der Wut“ entstanden. Heftige Emotionen sind natürlich keine gute Grundlage für eine sachlich-nüchterne Aufarbeitung der letzten Wochen mit ihren massiven Grundrechts- und Freiheitseinschränkungen, aber für eine Streitschrift, die einer laufenden Debatte neue Impulse verleihen soll, sind sie nicht die schlechtesten Ausgangsbedingungen. Mit besonderer Verve widmet sich Grüneklee den Widersprüchen der Corona-Politik, denn sie sind keine Lappalien eines überforderten Entscheidungsapparats, sondern offenbaren die Willkür mancher Maßnahmen. Wieso etwa konnten Tausende deutsche Touristen aus dem Ausland zurückgeholt und Erntehelfer für den deutschen Spargel eingeflogen werden, aber Mitte April nur 47 unbegleitete Kinder und Jugendliche aus Moria gerettet werden? Zuvor war es noch nicht einmal möglich, in Deutschland zu demonstrieren, um auf deren Schicksal jenseits jeder Gesundheitsversorgung aufmerksam zu machen, während hierzulande Tausende Krankenhausbetten leer standen, von denen jedes mit einer staatlichen Bonuszahlung von 560 Euro pro Tag alimentiert wurde. Grüneklee macht auch auf das Schicksal weiterer benachteiligter gesellschaftlicher Gruppen in diesem Land während der Corona-Krise aufmerksam: von Armut betroffene Kinder und Familien, alte Menschen, psychisch Erkrankte, Gefangene, freie Kulturschaffende und Obdachlose.

Wie muss auf diese Menschen wohl das Foto gewirkt haben, das auf der Umschlaginnenseite des Bandes zu sehen ist? Der Fotograf Matthias Coers hat es an dem an der Spree gelegenen Luxus-Wohnkomplex Living Levels in Berlin aufgenommen, von dessen Dach wochenlang die Laufschrift „#stayathome“ in die Nacht strahlte. Das Bild führt die soziale Spaltung des Landes vor Augen, die die Pandemie in aller Brutalität offengelegt hat und die durch die Eindämmungsmaßnahmen nach Überzeugung der Autoren weiter vertieft werden wird. Denn soziale Distanzierung muss man sich leisten können, wie ein Blick nach Neukölln, Göttingen und Rheda-Wiedenbrück offenbart. Und das Primat der Politik gebührt auch weiterhin der Wirtschaft.

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/was-das-virus-ausloest


Kultur und Politik – Maurice Schuhmann

My Corona: Die Mottenkiste und die Schockstarre

Corona und die Demokratie

Im Dezember 2019 begann in Deutschland die Medien über eine neue, sich schnell verbreitende Krankheit, die in China ihren Ursprung hatte, zu berichten – Corona. Auf das anfängliche Abtun als eine „normale Grippe“ folgte die Assoziation mit der „spanischen Grippe“, einer der größten Pandemien des 20. Jahrhunderts – mit den entsprechenden Ängsten verknüpft. Die Corona-Pandemie sorgt(e) für den größten Stillstand in Deutschland seit dem Ende des II. Weltrieges. In einem bis dato nicht gekannten Ausmass wurden demokratische Grundrechte – ohne großen Widerstand – zu Gunsten des Infektionsschutzes eingeschränkt – Lockdown, Schulschließungen, Einschränkung des Versammlungsrechts und Maskenpflicht. Clemens Heni schreibt polemisch: „Als ‚Experten‘ geadelte ‚Virulogen‘ leisten sich derzeit täglich Übersprungshandlungen und schüren eine Panik, die weit über die fanatische Hetze gegen Sympathisant*innen der RAF im Herbst 1977 hinausgehen.“ (77). 

Parlamentarisch kam nur wenig Protest bzw. war dieser relativ leise. Die FDP krammte in der geistesgeschichtlichen Mottenkiste und bemühte Karl Popper („Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“) und auch die linken Parteien kläfften etwas, aber im großen und ganzen gab es parlamentarisch – bis auf den rechten Rand – eine gewisse Einheit. Auch die außerparlamentarische Linke verfiel (anfangs) in eine Schockstarre. Gegen jene Schockstarre anzuschreiben benennen die Autoren als Beweggründe, diese Streitschrift zu verfassen: „Wir Autoren haben diese Schriften nicht zuletzt zusammengetragen aus dem Impuls der Empörung und der Wut über das, was sich in den letzten Wochen abspielte, in der Welt, in Deutschland, nicht zuletzt aber in der Linken. Herz und Verstand betrachten wir immer als Dinge, die zusammengehöre. Nun ist das Herz noch übrig geblieben, das schier überquillt vor Sorge, vor Mitleid. Mitfühlen mit den Risikiogruppen, die dabei gar nicht nach ihrer Meinung gefragt werden. Risikogruppen sind die neuen Kolonialisierten. [sic!]

Der Verstand ist dabei auf der Strecke geblieben.“ (15). 

In mehreren aufeinander aufbauenden Kapiteln, die jeweils von einem aus ihrer Runde verfasst wurden, werden unterschiedliche Facetten beleuchtet. Dabei fällt auf, dass der letzte Teil – eine Sammlung von Blog- und Zeitungsbeiträgen von Peter Nowak – aus der Rolle tanzt. Dieser Teil wirkt wie ein Anhang zum restlichen Text. Gemeinsam ist ihnen, was Gerald Grünklee eingangs schreibt: „Mir machen andere Dinge mehr Sorgen als das Virus selbst.“ (20). So thematisiert er eine Reihe von Folgen der Eindämmungspolitik von Corona und stellt wichtige Fragen: „Was genau ist es denn, was die Menschen nun dermaßen vor dem Coronavirus ängstigt? Warum wird jetzt staatlicherseits und auch individuell reagiert, wie reagiert wird? Weil die Bedrohung neuartig ist? Weil wir gegen alles andere schon abgestumpft sind?“ (22f.). Mehrere darin geäußerte Annahmen und Argumente können mittlerweile – vor dem aktuellen Forschungsstand – als widerlegt gelten. So schreibt z.B. Grünklee: „Sie [die Studie von 2012 bezüglich einer Pandemie] beinhaltet eine Risikoanalyse zum Bevölkerungsschutz. Darin wird exakt das Szenario von Corona beschrieben.“ (18). Die hier benannte Studie existiert zwar, geht aber von einer völlig anderen Sterblichkeits- und Übertragungsrate aus. Inwiefern einzelne Argumentationslinien unter Berücksichtigung der neuen Fakten bzw. das derzeit als gesichert-geltenden Wissen partiell in sich zusammenbrechen, möchte ich hier nicht beurteilen. 

Die hier angeführte Studie geistert bis heute als Argumentationsgrundlage in den Kreisen der Verschwörungstheoretiker umher, von denn sich die drei Autoren mehrfach klar und sehr deutlich abgrenzen. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf die Spekulationen über den Einfluß von Bill Gates auf die WHO dank seiner Spenden. Auch hier bewegt man sich gefährlich nahe an Verschwörungstheorien und übersieht die längst publizierten und seriösen Analysen über den Anteil der Spendengelder auf die WHO, die nüchterner ausfallen, als es auf den ersten Blick scheint. Auch fällt eine sehr vereinfachte, pauschalierende und populistische anmutende Medienschelte auf. Clemens Heni schreibt u.a.: „Auch viele ‚Linke‘ wie Autorinnen der linken Version der Jungen Freiheit (Jungle World) outen sich jetzt als Deutsche…“ (95f.). Hier würde man sich – gerade vor dem Hintergrund der Biographien der Autoren – eine differenziertere Blickweise wünschen.

Einen Fakt ist, dass im ersten Teil von Gerald Grünklee bei der Aufzählung von „Opfern“ des Lockdowns sehr gut in die Wunde gegroffen wird. Hier zeigt sich, inwiefern eine Abwägung des Schutzes von unterschiedlichen Gruppen stiefmütterlich behandelt wurde. Naturwissenschaftlich – konkret virologische Erkenntnisse – wurden absolut gesetzt und als Legitimation und Massstab für den Bevölkerungsschutz genommen, während sozialpsychologische und soziologische Erkenntnisse wie der Zusammenhang von Isolation und vermehrter Gewalt gegen Frauen und Kinder ignoriert bzw. zu spät in die Überlegungen eingezogen. Dies wird auch von Grünklee auf den Punkt gebracht: „Die einzige Wissenschaft, die zählt, das einzige Welterklärungsmodell [Gesundheitspolitik], das zählt. Jurist_innen, Pädagog_innen, Soziolog_innen, Philosoph_innen, Biolog_innen (außer solchen, die sich mit Viren beschäftigen): obsolet.)“ (56). 

Die partielle Fokussierung auf die These „Das Coronavirus erzählt von der Verletzlichkeit des Menschen unter dem Kapitalismus, von seiner Abhängigkeit von einem barbarischen, ausbeuterischen Wirtschaftssystem, das alle Bereiche des Lebens durchzieht – so auch das Gesundheitswesens und die sozialen Beziehungen des Menschen“ (25) halte ich hingegen für schwach. Hier fehlt mir ein nachvollziehbarer Argumentationsstrang – auch wenn fraglos die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens eine Perversion darstellt. 

Ein anderer Aspekt ist die Furcht vor dem Erstarken eines „autoritären Staates“. So zitiert Grünklee seinen Co-Autoren Clemens Heni mit den Worten: „Angst zu schüren, um das als Legitimation des Abbaus von Menschen- und Freiheitsrechten zu benutzen, war schon immer ein Hauptingredienz von Faschismus“ (37). Die Antwort der Autoren darauf ist aber nicht das Pochen auf das Grundgesetz bzw. dessen Einhaltung, d.h. sie brechen damit erfrischend aus dem systemimmanenten Protest aus und wehren sich gegen die rechten Vereinnahmungsversuche von Protesten gegen die Corona-Beschränkungen. 

„Die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug“ heißt es in Hegels Rechtsphilosophie. Hegel wollte damit ausdrücken, dass sich Erkenntnisse erst mit Verzögerung in Wissen niederschlagen. Die Stellungnahme der drei Autoren beruht z.T. auf tagesaktuellen Ereignissen und dem damaligen Wissen, was teilweise als überholt zu gelten hat – z.B. die von Grünklee als fehlend beklagten öffentlich-wahrgenommenen Wissenschaftsdebatten (vgl. S. 21). Manche geäußerte Befürchtungen dürften mittlerweile ausgeräumt sein und neue Aspekte, die einer kritischen Beeuchtung harren, kamen stattdessen hinzu. So geht es längst nicht mehr nur um Risikogruppen, sondern auch um die „Normalbevölkerung“, die an gesundheitlichen Langzeitfolgen von dieser Erkrankung zu leiden droht, und auch Kinder und Jugendliche erlagen auf Corona zurückführbaren Symptomen. Kommentierung seitens der linken und linksradikalen Szene wie z.B. der viral gelaufenen Erkläung des Crimethink-Kollektivs finden (leider) auch keine Berücksichtigung in der Analyse. Manche Formulierung stößt mir bitter auf – sei es, wenn die Autoren von Risikogruppen als „Kolonialisierten“ (15) oder vom „Gesundheitsfaschismus“ (125) schreiben.

Dennoch ist dieser Band ein wichtiger Beitrag zur linken Debatte um den adäquaten Umgang mit einem, durch eine die Bekämpfung einer Pandemie gerechtfertigten (zweitweiligen?) Abbau von Grundrechten. Man sollte es als Zeitdokument und Mahnruf rezipieren – weniger als endgültige Analyse. Die geäußerte Kritik enthält einie, sehr wichtige Facetten, die zum (Nach- und Weiter-)Denken anregen. Darin liegt eine Stärke des Bandes – trotz aller oben genannten Kritik. 

Maurice Schuhmann

Gerald Grüneklee / Clemens Heni / Peter Nowak: Corona und die Demokratie. Eine linke Kritik. Mit einem Geleitwort von Rebecca Niazi-Shahabi, Edition Critic Berlin Mai 2020, 190 Seiten, Preis: 14 Euro, ISBN: 9783946193333.

Cilip – Bürgerrechte und Polizei von Christian Meyer

Peter Nowak sieht „bei vielen Befürworter*innen als auch Gegner*innen des Corona-Notstands irrationale Denkweisen“. Die Unzufriedenheit mit den „größten Freiheits- und Grundrechtsbeschränkungen“ seit 1945 und „das Versagen der Linken […], die weitgehend die Staatspropaganda“ und „Corona-Massenpanik“ mitmache, teilt der Journalist mit dem Sozialpädagogen und Antiquar Gerald Grüneklee und dem Politikwissenschaftler Clemens Heni. Um die Grundrechte aus einer dezidiert linken Position heraus zu verteidigen und dem Mangel an Diskurs etwas entgegenzusetzen, sei kurzfristig das vorliegende Buch entstanden und die Texte „auch als Dokumente des Moments zu lesen“.

Grüneklees Beiträge schwanken zwischen Tagebuch, Feuilleton und politischer Agitation. Er beklagt die hohe Akzeptanz gegenüber polizeilichen Maßnahmen und spricht von einer „autoritäre(n) Formierung“ der Gesellschaft. Die Gefahr durch das Virus selbst wird kleingeredet, messbare Übersterblichkeit ignoriert. Dafür geht er auf Risikogruppen ein, die besonders von den Maßnahmen betroffen sind (Frauen, Obdachlose, Lohnabhängige…). Das Primat staatlichen Handelns sei dabei „weiterhin die Wirtschaft, nicht die Gesundheit“.

Auch Heni reflektiert in tagebuchartigen, sozialwissenschaftlich gefärbten Texten die Pandemie. Nach ihm geht es jedoch „nicht um die Rettung des Kapitalismus, sondern um den Staat“ an sich. Beim Thema Gesichtsmaske spricht Heni von „Selbstfaschisierung“ und versteigt sich schließlich über Burka/Maske-Analogien zu antimuslimischem Rassismus („Man kann schon jetzt ohnehin verschleierte Musliminnen sehen, die innerlich lachend den Mundschutz tragen, der ist billiger als eine Burka und hat ganz ähnliche Effekte: die Demütigung der Frauen, die Entwürdigung eines Menschen, das Degradieren zu einem Stück Fleisch mit Stoff drum herum, wie ein Roboter.“).

Nowak steuert schließlich weitere Artikel bei, welche die Situation kaleidoskopartig, sehr konkret und mit Einsprengseln einer internationalen Perspektive behandeln. Er rezipiert viele Stimmen der gesellschaftlichen Linken und unterzieht sie einer bewertenden Einordnung. So werde der Corona-Notstand als Präzedenzfall für einen Klimanotstand geradezu begrüßt. Man müsse sich fragen, „warum Menschen, die oft links und antiautoritär sozialisiert sind, diese autoritäre Politik der Anweisungen so klaglos hinnehmen“. Besonders interessant ist auch ein Text, der das Entstehen der „Hygiene-Demonstrationen“ und deren Entwicklung aus persönlicher Perspektive darstellt. Autoritäre Staatlichkeit ist für Nowak „keine Verschwörung, sondern eine Konsequenz kapitalistischer Politik“.

Mit unterschiedlichem Fokus lässt das Buch die letzten Monate drei Mal Revue passieren. Das Anliegen ist zunächst legitim und staatliche Autorität, Subjektkonstituierung und kapitalistische Wirtschaftsweise sind ein gutes Analysedreieck um Einverstandensein und Verschwörungstheorie gleichsam hinter sich zu lassen. Leider sind die Kritiken oft sehr oberflächlich und die Paradoxie der Situation wird umgangen, indem eine „Gesundheitsdikatur“ (Heni) imaginiert wird. Immerhin zeigt das Buch klare Kante gegen rechts und stellt in Teilen einen Diskussionsbeitrag dar, an dem man sich reiben kann.

Grüneklee, Gerald; Heni, Clemens; Nowak, PeterCorona und die Demokratie. Eine linke Kritik, Berlin (Edition Critic) 2020

Amazon-Leser*innenrezension

4,0 von 5 Sternen „Die wahre Seuche heißt Kapitalismus“

Corona bestimmt nun seit einiger Zeit unseren Alltag und die Berichterstattung in den Medien. Corona hat zu teilweise schwerwiegenden Einschränkungen unseres Alltages geführt. Zum Schutz der Gesundheit, heißt es von offizieller Seite. Corona ist also allgegenwärtig und dient als Grund oder Alibi Maßnahmen und eine Politik zu rechtfertigen und umzusetzen, deren Umsetzung früher so nicht möglich oder zumindest nicht denkbar gewesen wäre.

Das Buch „Corona und die Demokratie“ soll eine linke Kritik liefern und ist das erste Buch, das ich in Händen halte und sich mit der Corona-Krise, den staatlichen Maßnahmen und dem autoritären Gesundheitsmanagement (also der Antwort dieser Gesellschaft auf eine nicht zu leugnende Krankheit wie Corona) beschäftigt. Drei Autoren (Gerald Grüneklee, Clemens Heni und Peter Nowak) haben ihre Gedanken in den Monaten März und April 2020 niedergeschrieben. Die Autoren verstehen ihre Texte als „Aufforderung zum Selberdenken, zum Nachdenken, zum Weiterdenken“ (S. 15), es sind „Dokumente des Moments“ (S. 17).

Die drei Beiträge sind unterschiedlich. Der interessanteste ist sicherlich der von Peter Nowak, der „schwächste“ der von Clemens Heni.

Während alle drei Autoren vom „Abbau von Menschen- und Freiheitsrechten“ (u.a. S. 37) schreiben, der durch die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie erzeugt und gerechtfertigt wird, schreibt lediglich Nowak konkreter auf unseren Alltag bezogen. Die Lohnarbeit, ihre Bedingungen und die Auswirkungen auf uns, sind in allen drei Beiträgen – wie auch sonst in den Medien – weitestgehend ausgeklammert. Grüneklee schreibt über die Auswirkungen für verschiedene Menschengruppen (z.B. Obdachlose, Kulturschaffende, Alte, Arme) und über „in den Weltmarktfabriken Tätige“ (S. 33). Was aber ist mit den anderen Fabriken und den Orten der Produktion/ Lohnarbeit in Europa, in Deutschland? Grüneklee schreibt über die „Zeit der Entschleunigung“: war es aber eine solche Zeit für die Kassierer/innen in den Supermärkten, für die Lohnabhängigen in der Logistikbranche und im Versandhandel, für die Beschäftigten im Gesundheitswesen, für die Kurzarbeiter/innen und die Arbeitslosgewordenen? Viele, auch in Büros mußten mehr und zu anderen Zeiten arbeiten. Was galt das „Arbeitszeitgesetz“? Und so mancher Vorgesetzte verschwand einfach im sicheren Homeoffice. Bei vielen keine Spur von „Entschleunigung“, im Gegenteil: Mehrarbeit, Konflikte mit Vorgesetzten und Kolleginnen, fehlender Gesundheitsschutz, neue „Flexibilität“, Sorge um die eigene Gesundheit … Dies war und ist auch eine Seite der Coronazeit, von der allerdings keiner der Autoren schreibt. Ganz zu schweigen von den prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen der ErntehelferInnen weltweit oder denen der FleischarbeiterInnen.

Güneklee erwähnt die „angenehmen Seiten“ des Lockdown: „deutlich weniger Autoverkehr“, „Flugverkehr: kaum noch vorhanden“ (alle auf S. 19). „Das Straßenleben ist relaxt, die Menschen haben Zeit füreinander, und sie genießen dies.“ (S. 19) Das mag eine Seite der Medaille sein, zumindest für einige Menschen. Das Einkaufen wurde noch mehr zum Krampf, viele mußten ihre Arbeit selbst organisieren, um überhaupt weiter arbeiten zu können. Das hieß oft Arbeiten zu blöden Zeiten, unter unangehmen Bedingungen …

Grüneklee schreibt auch darüber, daß es kaum Widerspruch und Widerstand gegen die Einschränkungen und Maßnahmen der Regierungen gegeben hätte. Das stimmt so aber nicht. Es gab Mitte März 2020 Streiks in Italien u.a. bei Fiat-Chrysler in Pomigliano, bei Electrolux, in der Stahlindustrie oder bei Hitachi. Diese Streiks richteten sich gegen fehlende Schutzmaßnahmen, dagegen, daß die Regierung den Großteil des gesellschaftlichen Lebens einschränkte (die Menschen sollten zu Hause bleiben, etc.), aber in den Fabriken und an vielen Arbeitsplätzen durften bzw. mußten die Arbeiter/innen weiterhin dicht gedrängt an Produktionsstraßen arbeiten, damit die Profite nicht geschmälert werden. Mitte Mai 2020 gab es wilde Streiks der Bus- und Tramfahrer/innen im belgischen Brüssel gegen die „Rückkehr zum Normalbetrieb“. Weltweit gab es in den vergangenen Wochen Streiks ähnlicher Art und aus ähnlichen Anlässen: mangelnde Sicherheitsvorkehrungen bzw. fehlender Gesundheitsschutz, coronabedingte Kündigungen, nicht ausgezahlte Löhne, vermehrte Auspressung … Auch in Deutschland gab es spontane Aktionen von Saisonarbeiter/innen: u.a. gab es einen spontanen Streik bei SpargelRitter Bornheim gegen unbeheizte Unterkünfte, mangelnde Sicherheitsmaßnahmen und nicht ausgezahlte Löhne.

Richtig schreibt Nowak, daß es keine Beweise gibt, daß „Einschränkungen zielführend sind“ (S. 146), die neuen „Hotspots“ in Deutschland liegen allesamt außerhalb des öffentlichen Raums: Schlachthöfe, Logistikzentren, Alters- und Pflegeheime … Einzelfälle oder hat das System? Von eben diesen sozialen Erscheinungen sprechen die VerschwörungstheoretikerInnen ebenso wenig wie die Politik oder das Kapital Maßnahmen ergreifen werden, welche diese Probleme und ihre Ursachen dauerhaft beseitigen werden. Die miserablen Arbeitsbedingungen bzw. Wohnverhältnisse in den Pflegeheimen sowie der Saison- und FleischarbeiterInnen sind seit langem bekannt. Wäre Wille zum Handeln dagewesen … Zeit ist reichlich verstrichen.

Die schönen Dinge im Leben (Konzerte, Kneipen, Museen, Sport, Spielplätze, etc.) waren und sind beschränkt oder verboten, aber die Arbeit dicht bei dicht, das Fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht. Nun gibt es Hunderte Neuinfektionen in Deutschland: in Schlachthöfen (u.a. Tönnies), Logistikzentren, Alters- und Pflegeheimen. Im Osten der Tschechei gab es massenhafte Coronaausbrüche in einem Bergwerk. Doch sind die Arbeitsbedingungen in anderen Teilen der Lebensmittelindustrie besser als in den Schlachthöfen und Fleischfabriken?

Mir fehlt auch etwas die weitergehende Kritik und Perspektive. Grüneklee schreibt zwar: „Es ist Zeit zum Umsteigen: Nächste Haltestelle ‚Alles absagen‘. Schluss machen mit Kapital, Lohnarbeit, Knechtschaft, Kleinfamilie, Vereinzelung. Schluss mit der Gesellschaft des Spektakels (…) Nach der großen Absage – oder besser parallel dazu – gilt es, die Aneignung voranzutreiben. Den Staat delegitimieren, sich selbst ermächtigen, ein wirkliches Gemeinwesen (im Sinne von gemein = allgemein, uns allen gemeinsam gehörend) aufbauen und stärken.“ (…) Utopisch? Na und. Kein Grund , nicht darüber nachzudenken.“ (S. 72/73). Sympathische Ideen, aber etwas konkreter wäre schon schön, zumal der Platz vorhanden gewesen wäre.

Kritisiert wird zurecht die „unkritisch begleitete Expertokratie“ (S. 21) von Virologen wie Drosten. Die „Expertokratie“ z.B. der PolitikerInnen hingegen wird nicht kritisert. Im Gegenteil: Heni z.B. fordert, daß „unterschiedliche Expert*innen angehört und bei den Entscheidungen beteiligt werden“ (S. 101). Also eine linke „Expertokratie“? Wäre es generell nicht wichtiger, das vorhandene Wissen über das Virus offenzulegen und mit allen AkteurInnen des gesellschaftlichen Lebens abzustimmen und gemeinsam Lösungen zu finden, also auch mit den konkret von Maßnahmen und Infektionsgefahr Betroffenen: mit den BewohnerInnen von Einrichtungen, den KollegInnen auf Arbeit, etc.? Heni sehnt die Zeiten herbei, „wenn das Parlament wieder eine substantielle Rolle spielen wird“ (S. 93) und findet kein Wort der Kritik, daß eben dieses Parlament ein Ausdruck unserer Machtlosigkeit ist, ein Ort der Entmündigung. Richtigerweise wird die Entmündigung älterer Menschen in den Heimen kritisiert, welche aus Gründen des „Gesundheitsschutzes“ nahezu in „Isolationshaft“ gehalten werden. Dabei ist die Einsamkeit für viele von ihnen viel gefährlicher als daß eine reale Gefahr für die Ansteckung besteht.

Geäußert wird der Wunsch nach Gesellschaftsveränderung, aber nicht wie und durch wen dies geschehen kann. Ist es eine individuelle Frage oder eine soziale? Wichtig wäre auch die Frage zu stellen: was macht all das (Corona und die getroffenen Maßnahmen) mit uns?

Corona sei daran schuld, daß Millionen Menschen ihre Jobs verloren haben. Diese als Fakt angepriesene Meinung hätten die Autoren kritisch hinterfragen müssen. Bereits Ende 2019 verlor die Wirtschaft weltweit „an Fahrt“, die Zahlen des Wirtschaftswachstums belegen dies. Nun muß Corona auch dafür herhalten. Viele Chefs nutzen die Coronakrise auch, um zu überprüfen, welche Stellen überflüssig sind (Stichwort „massive Durchsetzung des digitalen Kapitalismus“ (S. 163)).

Ein wenig ähnelt all die Coronakrise einem „Leben im Kriegszustand“ (S. 66). Dazu passt auch der „nationale Konsens“ (S. 182), der heraufbeschworen wurde, die angebliche „Solidarität“, von der gesprochen wurde und die fast nirgendwo anzutreffen war. Alle sitzen im gleichen Boot und jeder hat für sich die Kinderbetreuung zu organisieren, ebenso die flexiblen Arbeitszeiten, die Einkäufe unter den neuen noch verkrampfteren Bedingungen … und einige Unternehmen erhalten erhalten Hilfe vom Staat. Das nennt sich „Solidarität“. Die einen werden arbeitslos, gehen in Kurzarbeit, müssen unbezahlten Urlaub zur Kinderbetreuung nehmen, höhere Preise für Obst, Gemüse und Lebensmittel zahlen und die anderen werden vom Staat „gestützt“ und profitiern von der „Krise“.

Wegen Corona wird in vielen Ländern das öffentliche Leben stillgelegt, es werden Sofortmaßnahmen ergriffen. Wo sind diese Maßnahmen angesichts des Klimawandels, der Zunahme psychischer Erkrankungen oder der Flüchtlingskatastrophe? „Die Grippewelle 2017/2018 forderte allein in Deutschland 25.000 Opfer. 40.0000 Menschen sterben in Deutschland jährlich durch multiresistente Keime im Krankenhaus. Dieses Jahr starben global laut der Internetseite Worldometer (Stichtag 29.4.) bereits 4,2 Millionen Menschen durch übertragbare Krankheiten, 2,7 Millionen Menschen an Krebs, 1,6 Millionen Menschen durch das Rauchen, über 800.000 Menschen durch Alkohol, es gab 440.000 Verkehrstote.“ (S. 22) Diese Probleme brauchen keinen Lockdown, sehr wohl aber Aufmerksamkeit und wirksame Maßnahmen zur Vermeidung von Leiden und Tod. Doch außer öffentlichkeitswirksamen Erkenntnissen folgen kaum Taten.

Vergessen sollten wir nicht: Der Ausnahmezustand ist für immer mehr Menschen in weiten Teilen der Welt der Normalzustand: sei es der Mangel an sauberem Wasser, sei es der Mangel an ausreichender und gesunder Nahrung, sei es aufgrund von jahrzehntelangen militärischen Konflikten wie z.B. in Afghanistan oder im Irak, sei es aufgrund des Klimawandels und daraus folgender Dürrekatastrophen und Überschwemmungen … Der Corona-Ausnahmezustand hat uns auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und uns die Grenzen unserer Freiheit bzw. das Wesen unserer Freiheit vor Augen geführt: unsere Freiheit zu Coronazeiten besteht weiterhin darin unsere Arbeitskraft zu verkaufen, sofern Nachfrage besteht, und zu konsumieren. Die Freiheit des Kapitals ist es, unsere Arbeitskraft auszubeuten und Profite zu erzielen. Sind nicht viele unserer auch von den drei Autoren gelobten Freiheiten Narrenfreiheiten für uns? Die Pressefreiheit gilt auch für uns. Und wie können wir sie nutzen? Die großen Medien nutzen die Pressefreiheit: d.h. sie verkaufen uns ihre Meinung als Information. Zurecht kritisieren die Autoren, daß die Nachrichten in den letzten Wochen fast nur aus Coronanachrichten bestanden. Wann aber wird über unseren Alltag berichtet oder etwa über die brennenden Textilfabriken in Bangladesh?

Peter Nowak äußert folgenden Gedanken, über den es sich lohnt nachzudenken: „Es geht um die Entglobalisierung der Weltwirtschaft, darum, dass sich die einzelnen kapitalistischen Zentren wieder ökonomisch autarker werden, es geht um die Einschränkung der Rechte von Millionen ohne Umwege, es geht darum, die Menschen noch weiter zu isolieren und zu vereinzeln, indem ihnen alle Möglichkeiten verschlossen werden, sich zu versammeln.“ (S. 139) Auch die Ausweitung des Homeoffice führt zu mehr Vereinzelung und verhindert, „dass Lohnabhängige an ihren Arbeitsplätzen zusammenkommen, sich organisieren und vielleicht auch für Verbesserungen ihrer Arbeitsverhältnisse kämpfen“ (S. 163). Gleichzeitig wurde das Virus z.B. genutzt, um Ladenöffnungszeiten und den Datenschutz (Corona-App, Adressabgabe in Restaurants, etc.) in Frage zu stellen. Das Virus wird also als „ein Mittel“ betrachtet, „um eine Gesellschaft zu verändern“ (S. 153). Und Nowak bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt, daß es „weder einen Grund gibt, den Corona-Virus zu verharmlosen, noch den Notstand zu verteidigen“ (S. 157). Eine weltweite „Gesundheitsdiktatur“, in welcher zwar das Virus ein Thema ist, aber nicht die bisherigen gesellschaftlichen Probleme und ihre Ursachen: ob Tuberkulose in Brasilien, Aids und Hepatitis in der Ukraine oder Südafrika, die Flucht von Millionen Menschen vor Hunger, Krieg und sozialem Elend, …

Zwei historische Vergleiche geben Anlaß zum Nachdenken: Als vor über 50 Jahren die Notstandsgesetze verabschiedet wurden, gingen in der BRD viele Menschen auf die Straße und protestierten dagegen. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es „statt social distancing Revolution“ (S. 183). Damals forderte die Spanische Grippe weltweit Millionen Opfer, dennoch demonstrierten und streikten die Menschen damals für andere gesellschaftliche Verhältnisse. Und im Jahr 2020 angesichts der bestehenden Maßnahmen?

Im Buch ist auch ein interessantes Interview mit Helmut Dahmer abgedruckt, in dem er auf die Frage „Halten Sie die Hoffnung auf mehr Solidarität durch die Coronakrise für illusionär?“ wie folgt antwortet: „Galt bis gestern noch, jedermann solle sich als Ich-AG im Überlebenskampf behaupten, wird plötzlich wieder zur Solidarität aufgerufen. Eine illusionäre Gemeinschaftlichkeit wird beschworen, besungen und beklatscht, um darüber hinwegzutäuschen, dass die Position in der Einkommenspyramide über Leben und Tod entscheidet. Wieder einmal heißt es, alle säßen in einem Boot, nur ist es für die einen das Schlauchboot, für die andern die Hochseejacht, und Rettungswesten sind knapp. Das ist die Normalität im Ausnahmezustand. Auch für die Zeit danach aber ist nur eines sicher: Nach Corona ist vor Corona.“ (S. 190). Dahmer spricht davon, daß „die Pandemien unserer Tage als Naturkatastrophen getarnte Sozialkatastrophen“ (S. 190) seien. Da mag schon etwas dran sein, wenn mensch die Bilder aus den kaputt gesparten Kliniken sieht, die Zahl der Coronainfektionen in den Fleischfabriken sowie die dortigen Arbeitsbedingungen und die Wohnverhältnisse der Fleischarbeiter/innen sieht, die Einsamkeit und Isolation der älteren Menschen in den Heimen bedenkt … Menschengemachte Verhältnisse … Es sind Ergebnisse der Politik und der Profitorientierung, also Folgen der kapitalistischen Verfasstheit dieser Gesellschaft. Soziale Fragen, die soziale Frage. Für wenige Momente rücken diese Probleme in den Fokus der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, es wird sich empört, es werden Verbesserungen angekündigt. Am Ende wird sich allerdings nichts von alleine ändern. Dazu werden die betroffenen Menschen handeln und Druck aufbauen müssen, dazu wird es sozialer Bewegungen bedürfen.

Das Buch ist ein guter Einstieg in die Materie, aber nicht das Ultimum. Das ist sicher auch schwierig bei einer Materie und Situation, die so sehr im Fluß ist und bei der es jeden Tag neue Entwicklungen, Meldungen, etc. gibt.

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