Muss die Linke die EU verteidigen?

Vor der Europawahl wächst der Druck, damit sich die Linke endgültig überflüssig macht

Überraschend war eher die Begründung. Da wird der Labor Party unter Corbyn nicht nur Antisemitismus, sondern auch Rassismus vorgeworfen. Der Vorwurf ist in sich nicht stimmig. Die dezidiert antizionistische Positionierung Corbyns könnte man aus einer gewissen Perspektive in die Nähe des Antisemitismus rücken [2]. Aber was soll dann der Vorwurf des Rassismus?

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Sozialstaatssimulation und Flüchtlingsabwehr

Mit Klausuren bereiten sich SPD und CDU/CSU auf die nächsten Wahlkämpfe vor

Hartz IV heißt jetzt Bürgergeld, einige „sinn- und unwürdige Sanktionen“ sollen abgeschafft werden, insgesamt sollen die Sanktionen aber nicht verschwinden. Einführen will man eine Kindergrundsicherung und der Mindestlohn soll auf 12 Euro angehoben werden. Das sind einige Kernpunkte…

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Sind eigentlich alles Populisten?

Der Europaparteitag der FDP zeigte noch einmal deutlich, dass es sich beim Streit zwischen vermeintlichen Populisten und ihren Kritikern um Scheingefechte handelt

Der Europawahlkampf wird noch mehr in der Form nationaler Wahlkämpfe inszeniert, die auf einen Richtungskampf zwischen Populismus versus Demokratie ausgerichtet werden. Damit soll jede grundsätzliche Alternative zum Kapitalismus ausgeblendet und eine Schimäre aufgebaut werden, die durchaus wirkungsmächtig ist. Schon sind viele Linke bereit, das liberale Feigenblatt für angeblich antipopulistische bürgerliche Demokraten zu geben. Wie wenig der angebliche Antipopulismus trägt, zeigte sich…

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Mobilmachung für den Cyberwar

Mit völlig übertriebenen Bedrohungsszenarien soll eine Gefahr suggeriert werden. Vergessen scheint, dass Hacking und Leaking auch Mittel der Subversion gegen die Macht sein können - Ein Kommentar

„Hackerangriff mit Opfern in Berlin“ [1], Dieser Angriff gilt der ganzen Gesellschaft [2] oder „Ein schwerer Anschlag auf die Demokratie“ [3]. Solche Überschriften in den aktuellen Medien lassen nicht zufällig an einen Terrorangriff mit Toten und Verletzten denken. Es wird mobil gemacht für die Verschärfung im Cyberkrieg.

So rückt auch mal wieder ins Bewusstsein, dass….

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Sarrazin und SPD: Der 3. Trennungsversuch

Egal, wie er ausgeht, die SPD hat den Schaden

„Warum die SPD einen Thilo Sarrazin in ihren Reihen nicht dulden kann“, lautete das Plädoyer von Sigmar Gabriel [1] für einen schnellen Rausschmiss des Bankdirektors in Ruhestand und Hobby-Eugenikers Thilo Sarrazin aus der Partei. Es ist acht Jahre alt, stammt vom September 2010.

Gabriel ist als Parteichef schon längst Geschichte und Sarrazin noch immer Parteimitglied. Nachdem auch die jetzige Parteivorsitzende Nahles schon mal mit einem Rausschmiss von Sarrazin gescheitert ist, startet sie nun den dritten Anlauf. Eine Kommission hat nämlich in einem nicht öffentlichen Bericht die nicht sehr überraschende Entdeckung gemacht, dass auch Sarrazins neuestes Buch Feindliche Übernahme [2] nicht den Grundsätzen der SPD entspricht.

Dort vertritt der Autor die Thesen, dass eine Einwanderung aus islamischen Staaten eine Gefahr sei und gestoppt werden müsse. Damit füge er nach Meinung der Verfasser des Gutachtens der SPD Schaden zu.

Was sagen die Buschkowskys der SPD dazu?

Doch das dürften nicht alle SPD-Genossen so sehen. Der Typus Heinz Buschkowsky, gegen den auch schon Ausschlussanträge gestellt wurden [3] ist dort schließlich an der Basis zahlreich vertreten. Der hat wie der ehemalige Neuköllner Bürgermeister seinen Sarrazin im Bücherregal, würde sicher nicht alle seine Formulierungen unterschreiben, ist aber davon überzeugt, dass Sarrazin eher zur SPD gehört als der Islam zu Deutschland. Wenn Buschkowsky Sarrazin kritisiert, hört sich das so an [4]: „Das ist eine These, lieber Thilo, der ich nicht beitreten möchte.“

Noch ist nicht klar, wie der 3. Ausschlussversuch ausgeht. Doch klar ist, die SPD hat schon jetzt den Schaden. Zunächst erinnert sie die Öffentlichkeit daran, dass der Autor von Büchern wie „Deutschland schafft sich ab“ und eben „Feindlicher Übernahme“ noch SPD-Mitglied ist. Darauf legt Sarrazin auch viel Wert, denn seine Aufmerksamkeit bekommt er dadurch, dass er eben als rechter Stichwortgeber fungiert und nicht bei der AfD, sondern in der SPD ist. So jemand wird schnell mit dem Begriff Querdenker belegt und das ist dann noch als Lob gemeint. So titelt das Hamburger Abendblatt und nicht etwa die Junge Freiheit: „Ein Rauswurf des Querdenkers macht die SPD zu einer Sekte der Rechtgläubigen“ [5].

Es ist nicht die einzige Pressereaktion, die die SPD nicht etwa dafür kritisiert, dass sie es noch immer nicht geschafft hat, Sarrazin los zu werden, sondern dass sie es zum dritten Mal versucht. Die Presseschau zeigt, der Mann hat in der bürgerlichen Presselandschaft seine Fans. Die ihm nicht so wohlgesonnen sind, kritisieren die SPD, dass die ihm wieder Aufmerksamkeit und neue Leser beschert. Sarrazin hat die von ihm erwartete Rolle schon eingenommen und sieht den Ausschlussantrag als Angriff auf die parteiinterne Meinungsfreiheit.

In den 1970er Jahren reichte es bereits [6], einen Aufruf für Frieden und Abrüstung zu unterzeichnen, unter dem auch DKP-Mitglieder standen, um bereits beim ersten Mal aus der SPD ausgeschlossen [7] zu werden.

Auch die AfD will wieder ausschließen

Auch die AFD will wieder mal bekannte Rechte ausschließen. Es handelt sich um die ultrarechte Juristin Doris von Sayn-Wittgenstein [8], die sogar fast in den Parteivorstand gewählt worden wäre und Landesvorsitzende der AfD Schleswig-Holstein war.

Sie soll 2014 für einen revanchistischen, von einer verurteilten Holocaustleugnerin mit gegründeten Verein geworben haben. Doch der Hintergrund des Ausschlusses sind persönliche Intrigen und Machtkämpfe, die es bei der AfD immer wieder gibt. So dürfte das Verfahren wie das von Björn Höcke eingestellt werden. In den 1970er Jahren haben manche gewitzelt, Linksintellektuelle könnten sich mit einen Parteiausschlußverfahren ehrenhalber aus der SPD ihre politische Biographie interessanter gestalten. Das könnte von rechts auch Schule machen.

Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.zeit.de/2010/38/SPD-Sigmar-Gabriel/komplettansicht
[2] https://www.zeit.de/2018/36/feindliche-uebernahme-thilo-sarrazin-islam-buch
[3] https://www.tagesspiegel.de/berlin/ex-buergermeister-von-neukoelln-buschkowsky-ausschluss-aus-der-spd-nahezu-ausgeschlossen/23136408.html
[4] http://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Buschkowsky-knoepft-sich-Sarrazin-vor-Vergleich-mit-Trump
[5] https://www.focus.de/politik/deutschland/so-kommentiert-deutschland-spd-will-parteiausschluss-von-thilo-sarrazin-ankuendigung-von-ausschlussversuch-ist-fuer-sarrazin-verfruehtes-weihnachtsgeschenk_id_10082077.html
[6] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40859265.html
[7] https://www.tagesspiegel.de/politik/spd-ausschlussverfahren-sarrazin-bleibt-nur-links-gehts-raus/4153102.html
[8] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/doris-von-sayn-wittgenstein-afd-spitze-will-politikern-aus-partei-ausschliessen-a-1244190.html

Nach Merz: Viel Lärm um nichts bei CDU und SPD

Hoffnungen, die mit dem Kandidaten Friedrich Merz verbunden wurden, übersehen wesentliche Probleme beider Parteien

Der Bedeutungsverlust der politischen Parteien kann von niemandem mehr bestritten werden. Doch je deutlicher das wird, desto mehr versuchen die Parteien mit Showelementen die Aufmerksamkeit der verdrossenen Bevölkerung auf sich zu lenken. Die USA haben es schon lange vorgemacht, wie man mit einer Show, die sich Vorwahlen nennt, Gelder und Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Die CDU hat nun eine Art Vorwahlen hinter sich und heraus kam AKK. Schon in dem Kürzel wird die Beliebigkeit deutlich, die hinter einer Charaktermaske steckt, die für alles und nichts steht. Es soll hier auch nicht weiter verwendet werden, weil damit einer Banalisierung von Herrschaftsverhältnissen Vorschub geleistet wird. Genau wie der erste grüne Außenminister Joseph Fischer bleibt, heißt die neue CDU-Vorsitzende hier Kramp-Karrenbauer. In ihrer Beliebigkeit ähneln sich die alte und die neue CDU-Vorsitzende. Mit ihrer Beliebigkeit und ihrem Opportunismus sind sie die idealen Verwalter des aktuellen Spätkapitalismus.

Kein Zurück in die 1980er Jahren

Da mögen in der Union sich manche Altkonservative noch mal Inspiration vom Kandidaten Friedrich Merz versprochen haben. Sie erhoffen sich von ihm ein Zurück in das Westdeutschland der 1980er Jahre, als die Union noch Wahlergebnisse über 40 % einheimste. Doch Merz hätte damit nur scheitern können, weil sich weder der Stand des Kapitalismus noch die Gesellschaft zurückdrehen lassen.

Da entschied sich die knappe Mehrheit der Union dann doch für die unverbindliche Kramp-Karrrenbauer, weil sie wegen ihrer Biegsamkeit nicht so hart scheitern kann wie ein Friedrich Merz. Hatten sich bis vor der Wahl alle Kandidaten selbst übertroffen in Eigenlob, welch gute Show sie in den letzen Wochen in der Partei geboten haben, so wurden aus Partnern wieder Konkurrenten, kaum waren die Stimmen ausgezählt.

Vor allem die Ostverbände der Union mosern, weil sie sich von Friedrich Merz mehr Rückenwind bei den Wahlen versprochen hätten. Dann sind sie auch noch bei der Wahl des Generalsekretärs leer ausgegangen. Aber das ganze Gejammer der rechten CDUler aus dem Osten, viele sind selbst Westimporte, wurde von der Mehrheit der Delegierten überhört, weil Umfragen zeigen, dass in den Großstädten Kramp-Karrenbauer beliebter als Merz war.

Und warum im Osten ausgerechnet der westdeutsche Ultrakapitalist Merz der Union Stimmen gebracht hatte, bleibt das Geheimnis seiner Fans. Auf diesen Widerspruch wies der linksliberale Publizist Albrecht von Lucke in einer Diskussionsrunde [1] im Deutschlandfunk hin unter der Fragestellung „Wohin steuert Annegret-Kramp-Karrenbauer die CDU?“. Doch er problematisiert nicht, was die Merz-Fans im Osten eigentlich umtreibt.

Sie träumen von einer Union, die die Oberhoheit über den rechten Stammtischen hat. Sie trauern Zeiten nach, als im Wendeherbst 1989 rechte Demonstranten gegen Linke und Nichtdeutsche hetzten und gleichzeitig Helmut Kohl hochleben ließen [2]. Dass auch Exponenten des Wendeherbstes 1989, die sich gegen die Ultrarechten heute positionieren, den Anteil der Rechten vor 19 Jahren kleinreden wollen, zeigt ein Interview [3] des DDR-Oppositionellen Martin Böttger in der taz.

Frage: Sie haben die Friedliche Revolution 1989 mitgestaltet. Es gibt Stimmen, die sagen, dass damals schon Rechtsextreme Anteil am Sturz der SED-Herrschaft hatten. Zu Recht?
Dafür hätte ich gerne Belege. Ich kenne auch keine solchen Akteure. Die, die ich kenne, kamen aus dem linken Milieu.

Martin Böttger, Interview mit der taz

Als ihm der Verfasser die vermissten Belege mit Quellen zusandte, kam keine Reaktion. Daraus kann eigentlich nur der Schluss gezogen werden, dass er sich bloßgestellt fühlt, weil er schon vorher wusste, dass seine Aussagen nicht stimmen. Es wäre zu wünschen, dass eine Initiative junger Menschen aus dem Umfeld der Linkspartei, die sich eine Aufarbeitung der Wendezeit vorgenommen haben, sich auch mit der Frage befasst, welche Rolle die Rechte im Herbst 1989 hatte und wieweit sie auch von Westparteien unterstützt wurde.

Allerdings wird sich erst zeigen, ob ihr merkwürdiger Name Aufschwung Ost [4] und ihre Forderung nach einer „Ossi-Quote“ nicht doch Satire sind. Sollte sich darin ihre Politik erschöpfen, ist ihr Emanzipationsgehalt eher gering. Dabei wäre eine kritische Aufarbeitung der Wendeereignisse ein wichtiges linkes Politfeld.

SPD hoffte vergeblich auf Merz

Auf die SPD wird man darauf, wie bei allen linken Themen, keine Hoffnungen zu setzen brauchen. Sicher wird es zum Wendejubiläum auch aus der SPD die eine oder andere Mäkelei geben. Doch eine grundsätzliche Kritik an der Übernahme der DDR nach dem Modell Kohl, wie sie die SPD 1989 äußerte, wird sie schon deshalb nicht wiederholen, weil sie vom damaligen SPD-Vorsitzenden Lafontaine kam.

Der ist noch immer Sozialdemokrat, aber bekanntlich nicht mehr in der SPD. Mit ihm haben fast alle, die noch klassisch sozialdemokratische Politik machen, das heißt, den Kapitalismus nationalstaatlich einhegen wollen, die Partei verlassen. Einige Nachzügler verließen die Partei erst kürzlich, darunter der Bundestagsabgeordnete Marco Bülow [5] und die sozialdemokratische Gewerkschaftlerin Susanne Neumann [6], die dadurch bekannt wurde, dass sie sich als prekär Beschäftigte noch die Mühe machte, der SPD ihre Politik um die Ohren zu hauen.

Beide wären sicher Bündnispartner der Linken. Dass sie erstmal auf Distanz bleiben, ist deren internen Konflikten geschuldet. Sowohl Bülow als auch Neumann sind in der linksparteiintern umstrittenen Bewegung „Aufstehen“ aktiv. Sollten sich die Wege zwischen der Linken und „Aufstehen“ endgültig trennen, woran in beiden Lagern einige hinarbeiten, könnten beide noch eine Rolle in neuen Formationen spielen.

Die hausgemachte Krise der SPD

Doch die SPD kann weder von dem internen Zwist in der Linken noch von der auch nach dem Parteitag ungeklärten Lage in der CDU profitieren. Ihre Krise ist hausgemacht. Nicht nur immer mehr Wähler fragen sich, wozu die SPD noch gebraucht wird. Auch viele Mitglieder können es nicht wirklich erklären. So begründet [7] die Berliner Juso-Vorsitzende Annika Klose in der sozialistischen Tageszeitung Neues Deutschland, warum es sich lohnt, in der SPD so bleiben, wie folgt:

Die SPD vereinigt Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen und Anschauungen. Ihnen gemeinsam ist die Identifikation mit den sozialdemokratischen Grundwerten „Freiheit, Gleichheit und Solidarität“, welche wichtige Referenzpunkte für linke Politik sind.

Annika Klose, Neues Deutschland

Hundert Jahre nachdem die SPD-Führung in Berlin und anderen Städten auf Menschen, die für Freiheit, Gleichheit und Solidarität auf die Straße gingen, schießen ließ, hätte man sich von einer SPD-Linken ein kritischeres Bild von der eigenen Partei erwartet.

Doch die Jusos von heute sind die Führungsfiguren der Partei in den nächsten Jahren. Daher haben die Jusos von heute gar keine Zeit mehr, sich in jugendlicher Opposition zu üben. Schon wird Kevin Kühnert als möglicher SPD-Vorsitzender gehandelt, wenn vielleicht nach einem desaströsen Ausgang der Europawahlen Nahles gehen muss. Das bringt der SPD genau so wenig eine neue Perspektive, wie für sie die Wahl von Merz auf dem CDU-Vorsitz eine Rettung gewesen wäre.

Nach Außen hätte die SPD etwas Klassenkampf zelebriert. Wie das Verhältnis wirklich steht, hat der DGB-Vorsitzende mit SPD-Parteibuch, Reiner Hoffmann, der Neuen Ruhr Zeitung verraten [8]:

Frage: Ist Merz der Arbeitnehmerschreck, als der er oft dargestellt wird? Er wollte vor 15 Jahren den Kündigungsschutz extrem lockern und die 42-Stunden-Woche einführen.
Ich bin kein schreckhafter Mensch und treffe Friedrich Merz regelmäßig in der „Atlantikbrücke“. Merz hat dazugelernt und weiß, dass die neoliberalen Zeiten der CDU vorbei sind. Wenn er Nachhilfe braucht bei der Mitbestimmung oder bei der Tarifautonomie, dann stehe ich gern zur Verfügung.

DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann, NRZ

Noch einige Streitpunkte

Nun kann die SPD-Führung hoffen, dass die Union bei der Frage um die Strafbarkeit der Werbung für Abtreibung einige Profilierungsmöglichkeiten [9] lässt. Kramp-Karrenbauer hat sich bereits gegen eine Reform des Paragrafen 219a [10] ausgesprochen.

Es wird sich zeigen, ob die SPD zumindest in dieser Frage den Druck einer starken außerparlamentarischen Bewegung [11] nachkommt.

Der UN-Migrationspakt und die Linke des Kapitals

Natürlich sind die SPD wie auch ein Großteil der Linkspartei treue Verteidiger des kürzlich abgenickten UN-Migrationspakts. An diesem Fall zeigt sich das Elend einer Linken, die nur das Wort Migration hört und schon alle, die die diesen Pakt kritisieren, in die rechte Ecke stellen. Damit geht sie den Interessen des Kapitals ebenso auf dem Leim wie der Kampagne der AfD und anderer rechter Kräfte.

Dabei hat der UN-Migrationspakt nichts mit Geflüchteten zu tun. Er soll die Migration im Interesse des Kapitals regulieren. Merkel sagte deutlich, dass damit „illegale Migration“ bekämpft werden soll. Es geht um Migration unter Kontrolle des Staates und im Interesse des Kapitals. Wenn Merkel dann noch erklärt, nicht Schleuser und Schlepper, sondern der Staat müsse entscheiden, wer einwandern darf, hätte es die AfD auch nicht anders ausdrücken könne. Für solch einen Pakt treten Linke in vielen Ländern ein. Der Journalist Pepe Egger hat in der Wochenzeitung Freitag gut begründet, was ihn bei der Debatte um den Migrationspakt nervt [12]:

Ich glaube, ich weiß jetzt, woher mein Puls rührt: Weil wir so etwas wie den UN-Migrationspakt noch bis vor wenigen Jahren kritisiert hätten. Aber von links. Wir hätten die Abschottungspolitik angeprangert, die Militarisierung der Grenzen, die erzwungenen Rückführungen und die Abschiebungen. Wir hätten Allianzen gebildet, nicht die einen gegen die anderen ausgespielt.

Pepe Egger, Wochenzeitung Freitag

Von der SPD erwartet jeder, dass sie im Interesse von Staat und Kapital handelt. Aber gibt es auch außerhalb dieser Partei fast nur noch Linke des Kapitals?

Peter Nowak

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[1] https://www.deutschlandfunk.de/nach-merkel-wohin-steuert-annegret-kramp-karrenbauer-die-cdu.1784.de.html?dram:article_id=435306
[2] https://www.heise.de/tp/features/Der-blinde-Fleck-in-der-Debatte-4180355.html
[3] http://www.taz.de/!5542009/
[4] https://www.facebook.com/pages/category/Political-Organization/Aufbruch-Ost-3291890190836053/
[5] https://www.marco-buelow.de/
[6] https://www.tagesspiegel.de/politik/schlagfertige-gewerkschafterin-fruehere-putzfrau-susanne-neumann-verlaesst-die-spd/23720420.html
[7] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1107021.linke-in-der-spd-es-lohnt-sich-zu-kaempfen.html
[8] https://www.nrz.de/politik/dgb-chef-hoffmann-lehnt-gruenen-plaene-fuer-hartz-iv-ab-id215815093.html
[9] https://www.tagesschau.de/inland/abtreibungen-werbeverbot-koalition-101.html
[10] https://dejure.org/gesetze/StGB/219a.html
[11] https://www.sexuelle-selbstbestimmung.de/
[12] https://www.freitag.de/autoren/pep/grosse-aufregung

Die SPD will weiter strafen

Politiker von SPD und Grünen behaupten, Hartz IV beenden zu wollen. Die meisten von ihnen möchten die bestehende Form der Grundsicherung jedoch lediglich reformieren.

»Weg mit Hartz IV« lautete jahrelang die Parole von Erwerbslosengruppen und sozialen Initiativen. Ausgerechnet Politiker der beiden Parteien, die das meist nur Hartz IV genannte Arbeits­losengeld II (ALG II) einst beschlossen, machen sich diese Forderung nun zu eigen. In den vergangenen Wochen versuchten vor allem Spitzenpolitiker von SPD und Grünen, sich als Kritiker des bestehenden Systems der Grundsicherung zu profilieren. »Die neue Grundsicherung muss ein Bürgergeld sein«, schrieb Andrea Nahles in einem Gastbeitrag für die FAZ. Auf einem ­sozialdemokratischen »Debattencamp« in Berlin hatte die Partei- und Frak­tionsvorsitzende der SPD zuvor bereits behauptet, ihre Partei wolle Hartz IV »hinter sich lassen«.

Wodurch das von ihr geforderte Bürgergeld sich von der bisherigen Form der Grundsicherung unterscheiden würde, sagte Nahles jedoch nicht.

Der sozialdemokratische Bundes­arbeitsminister Hubertus Heil weigert sich indes weiterhin, ein Reformprojekt seines Parteifreunds Michael Müller finanziell zu unterstützen. Der Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters von Berlin sieht vor, dass Langzeit­arbeitslose 1 200 Euro bekommen, wenn sie bereit sind, gemeinnützige Arbeiten zu übernehmen, etwa für Gemeinden den Park zu pflegen. Als langzeit­arbeitslos gilt dem Konzept zufolge, wer ein Jahr oder länger arbeitslos gemeldet ist. Würde Müllers Vorschlag realisiert, könnte einigen Menschen, die ­arbeitslos werden, der Hartz-IV-Bezug erspart bleiben. Wer sich erwerbslos meldet, erhält schließlich zunächst bis zu zwei Jahre Arbeitslosengeld I (ALG I), sofern er in den vorangegangenen Jahren in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden hat. Anders als das ALG II orientiert sich das ALG I nicht am »Existenzminimum«, sondern am vorigen Einkommen des Leistungsbeziehers. Der Bundesarbeitsminister will Erwerbslosen zwar gemäß dem im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vereinbarten Programm »Teilhabe am Arbeitsmarkt« durch die staatliche Bezuschussung von Stellen in der privaten Wirtschaft, in sozialen Einrichtungen oder bei den Kommunen wieder einen Arbeitsplatz ver­mitteln. Das Programm soll aber nur für Erwerbslose gelten, die in den ­vergangenen sieben Jahren mindestens sechs Jahre lang Hartz IV bezogen ­haben.

Sieht man sich genauer an, wie die neuen Hartz-IV-Kritiker argumentieren, wird deutlich, dass die meisten von ­ihnen die Grundsicherung lediglich ­reformieren wollen. Hartz IV soll nicht abgeschafft, sondern den veränderten ökonomischen und politischen Bedingungen angepasst werden. So schrieb der Wirtschaftsjournalist Mark Schieritz in der Wochenzeitung Die Zeit über die »fast 15 Jahre«, die seit der Einführung von Hartz IV vergangen sind: »In diesen 15 Jahren ist in Deutschland ziemlich viel passiert. Statt Massenarbeitslosigkeit herrscht zumindest in einigen Regionen fast Vollbeschäftigung. Die Staatskassen sind nicht mehr leer, sondern quellen über. Die Industriegesellschaft verwandelt sich in eine Digitalgesellschaft. Es gibt eine rechtspopulistische Partei, die die Ängste der Menschen für ihre dunklen Zwecke ausnutzt.« Angesichts dieser Situation, so Schieritz weiter, klinge es »nicht ­un­bedingt nach einer einleuchtenden These«, dass »ausgerechnet bei der Grundsicherung alles beim Alten bleiben soll«.

»Wenn jemand zum zehnten Mal nicht zu einem Termin beim Amt erscheint, sollte das Konsequenzen haben.« Hubertus Heil, Bundesarbeitsminister

Schieritz benennt nicht, welche beabsichtigten Folgen Hartz IV für den ­Arbeitsmarkt hatte. Durch diese neue Form der Grundsicherung nahm die Angst vor Erwerbslosigkeit bei Menschen mit geringen Einkommen stark zu. Viele Geringverdiener nehmen Lohnarbeit zu fast jeder Bedingung an. Mit Hartz IV wurde ein Niedriglohnsektor etabliert – ganz im ­Sinne des deutschen Kapitals, das sich davon eine gute Position in der Weltmarktkonkurrenz verspricht. Eine tiefgreifende Entsolidarisierung bei den Lohnabhängigen, die es rechten Parteien wie der AfD erleichterte, auch unter prekär Beschäftigten und Arbeitslosen Unterstützung zu finden, war die Konsequenz. Dies sind die Veränderungen, die auch den Bundesvorsitzenden der Grünen, Robert Habeck, zu einer zumindest programmatischen Abkehr von Hartz IV veranlasst haben dürften. In einem internen Strategiepapier plädiert Habeck einem Bericht der Zeit zufolge dafür, Hartz IV durch eine »Garantiesicherung« zu ersetzen. Diese soll dem Papier zufolge höher als der Hartz-IV-Regelsatz von 416 Euro ausfallen. Eine konkrete Zahl nennt Habeck jedoch nicht. Sanktionen soll es Habecks Plänen zufolge zukünftig nicht mehr geben. Dass Erwerbslose weiterhin Beratungs- und Weiterbildungsangebote wahrnehmen, will Habeck durch ein System von ­Anreizen und Belohnungen erreichen. Welche Anreize und Belohnungen dies sein könnten, sagte der Grünen-Vorsitzende nicht.

Bundesarbeitsminister Heil lehnt es dagegen ab, die Hartz-IV-Sanktionen vollständig abzuschaffen. »Ich bin dagegen, jede Mitwirkungspflicht auf­zuheben. Wenn jemand zum zehnten Mal nicht zu einem Termin beim Amt erscheint, sollte das Konsequenzen haben«, sagte Heil dem Tagesspiegel. ­Anders der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann: Er sprach sich für eine sanktionsfreie Mindestsicherung aus. Dies beteuerte Hoffmann zumindest bei einem Pressetermin am Donnerstag voriger Woche. In einem am vorvergangenen Samstag in der Berliner Morgenpost erschienenen Interview hatte er auf die Frage, ob es gutgehen könne, wenn die Grünen das Hartz-IV-System reformieren würden, »indem sie Arbeitslose nicht mehr zwingen wollen, ­Arbeit aufzunehmen«, noch geantwortet, dies sei »keine gute Idee«.

Hätte Hoffmann seine Antwort nicht revidiert, wäre er der bisherigen Linie des DGB, Hartz IV konstruktiv zu begleiten, treu geblieben. So saßen in der von SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder eingerichteten »Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt«, die Hartz IV konzipierte, auch Vertreter von DGB-Gewerkschaften. Deren Erwerbslosenausschüsse und einzelne Gewerkschaftsgruppen äußerten immer wieder Kritik an dieser Linie. Die DGB-internen Kritiker wiesen vor allem darauf hin, dass sich durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors, die mit Hartz IV einherging, auch die gewerkschaftlichen Kampfbedingungen verschlechterten. Denn gerade in ­jenem Sektor ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad oft sehr gering. Wer gezwungen ist, Lohnarbeit zu fast ­jedem Preis anzunehmen, beteiligt sich seltener an Streiks.

Der außerparlamentarische Widerstand gegen das Hartz-IV-System war nie besonders groß und ist in den vergangenen Jahren noch kleiner geworden. Einige Jahre lang hatten Erwerbslosengruppen mit Aktionen vor und in den Jobcentern die Institution ins Zentrum ihres Protests gerückt, die für die Sanktionen zuständig ist. Solidarische Aktionen wie die Zahltage, an denen Erwerbslose gemeinsam Jobcenter aufsuchten, um die Bearbeitung von teilweise monatelang ignorierten Anträgen oder die Auszahlung von zurückgehaltenen Geldern zu fordern, sollten der Vereinzelung der Leistungsempfänger entgegenwirken. Solche Aktionen sind selten geworden. Im Oktober 2010 hatte die Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) unter dem Motto »Krach schlagen statt Kohldampf schieben« zu einer bundesweiten Demonstration von Erwerbslosen aufgerufen. Dass man von Lohnarbeit leben können müsse, ohne aber auch, war damals eine der wichtigsten Forderungen. Seit rechte Gruppen wieder vermehrt auf der Straße präsent sind, hört man solche ­Parolen nur noch selten. Gesellschaftliche Durchschlagskraft hatten sie nie. Allenfalls die Forderung nach einem »Sanktionsmoratorium«, die Politiker von SPD, Linkspartei und Grünen sowie Gewerkschafter vor fast zehn Jahren ­erhoben, schaffte es in die »Tagesschau«. Würden die Politiker, die derzeit über eine Reform der Grund­sicherung diskutieren, die Sanktionspraxis der Jobcenter aussetzen, könnten sie dem Hartz-IV-System zumindest ­etwas von seinem Schrecken nehmen.

https://jungle.world/artikel/2018/48/die-spd-will-weiter-strafen

Peter Nowak

»Wegen der SPD-Gegenstimmen gescheitert«

Am 21. November wurde in Halle in letzter Minute die Räumung des linken Hausprojekts Hafenstraße 7, auch bekannt als »Hasi« abgebrochen. Die Jungle World hat mit ­Claudia Werning gesprochen, die sich in der »Hasi« engagiert.

Small Talk von Peter Nowak

Was war der Grund für den Abbruch der Räumung?
Die Polizei hat der Gerichtsvollzieherin keine Vollzugshilfe geleistet, da sich auf dem Gelände Personen befanden, gegen die kein Räumungstitel besteht.

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Zu Diensten

Mehr als ein Sommerlochfüller: In Deutschland wird die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht erwogen.

Nicht zum ersten Mal wird in der Republik über die Einführung eines allgemeinen Dienstjahrs geredet. Meistens wird die Debatte im Sommerloch von Politikern aus der zweiten Reihe gestartet und ist nach wenigen Tagen wieder beendet. Doch in diesem Jahr ist es die als Merkel-Nachfolgerin gehandelte CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer gewesen, die ein allgemeines Dienstjahr gefordert hat, wobei sie auch Geflüchtete miteinbeziehen wollte. »Wenn Flüchtlinge ein solches Jahr absolvieren, freiwillig oder verpflichtend, dient das ihrer Integration in Staat und Gesellschaft«, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe und dem französischen Blatt »Ouest-France«.

Kritik an Kramp-Karrenbauers Plänen kam vor allem aus dem traditionell-bürgerlichen Lager. So wandte sich der FDP-Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle in einem »Tagesspiegel«-Artikel gegen die Dienstpflicht. »Diese Forderung bedient den Eindruck vieler Menschen, dass den Jungen heutzutage viel zuviel geschenkt werde. Man selbst habe für ein vergleichbares Niveau an gesellschaftlichem Wohlstand und gesellschaftlicher Freiheit härter arbeiten müssen. Früher sei der Zusammenhalt in der Gesellschaft größer gewesen. Und geschadet habe der Zwangsdienst ja schließlich auch nicht«, so Kuhle in seinem Plädoyer gegen die Dienstpflicht. Er verwies zudem darauf, dass selbst bei der Bundeswehr eine allgemeine Dienstpflicht sehr kritisch gesehen werde, was Fachleute bestätigten. So erklärte der ehemalige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe (CDU), der die Aussetzung der Wehrpflicht abgelehnt hatte, in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, dass es in der Bundeswehr keine Strukturen für die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht mehr gebe: »Die Bundeswehr hat ganz andere Strukturen. Wir hatten früher – ich war auch ein großer Anhänger der Wehrpflicht – 20.000 Offiziere und Unteroffiziere, die die Wehrpflichtigen ausgebildet haben. Die haben Sie gar nicht mehr, diese Strukturen. Und Sie würden die jetzige neue Bundeswehr endgültig ins Chaos führen, wenn Sie versuchen würden, jetzt wieder Wehrpflichtige draufzupflanzen.«

Aus der Perspektive von kleinen und mittleren Handwerksbetrieben hat sich der FDP-Politiker Marco Buschmann ebenfalls im Deutschlandfunk gegen eine Dienstpflicht ausgesprochen. »Ein Dienstjahr für alle passt ja in Wahrheit überhaupt nicht in die Zeit … Schauen Sie, wir haben Zehntausende von Handwerksbetrieben, die händeringend nach Auszubildenden suchen. Und dann wollen wir jetzt in dieser Generation beginnen, dass die jungen Menschen noch ein Jahr später oder, was weiß ich, wie lange diese Dienstverpflichtung sein soll, in den Arbeitsmarkt, in den Ausbildungsmarkt kommen? Das wäre volkswirtschaftlich ein ganz großer Unsinn.«

Allerdings ist eine Dienstpflicht in Handwerksbetrieben von den Initiatorinnen und Initiatoren der momentanen Debatte nicht intendiert. Vorrangig geht es ihnen um den Pflegebereich, wo bereits heute Personal fehlt. Gleichzeitig wächst die Zahl der Personen, die auf Pflege angewiesen sind. Welche Rolle die Debatte um die Einführung der Dienstpflicht für diesen Bereich spielt, hat Buschmann klar benannt: »Jetzt wird gesagt, wir müssten was für die Pflege tun, indem wir dieses Dienstjahr einführen oder indem wir beispielsweise Flüchtlinge dort einsetzen. Ich glaube, da ist ein ganz großer Haken dran, denn es führt ja kein Weg daran vorbei, dass wir qualifiziertes Personal dort brauchen und nicht Menschen, die nur eine ganz kurze – man könnte auch sagen: Schmalspur-Ausbildung bekommen, und mehr kann man ja gar nicht bei einem kurzen Dienstjahr machen.«

Buschmann verwies darauf, dass der mit der Wehrpflicht abgeschaffte Zivildienst offiziell so hatte gestaltet werden sollen, dass durch ihn keine regulären Arbeitsplätze ersetzt würden. Und er räumte ein, dass der Zivildienst in der Realität ebendiese Rolle als billiger Ersatz für gutbezahlte Arbeitsplätze gespielt habe und dass das allgemein bekannt gewesen sei. Allerdings vergaß Buschmann zu erwähnen, dass vor allem linke Kritiker der Zwangsdienste beständig auf dieses Faktum aufmerksam gemacht hatten. Die Selbstorganisation der Zivildienstleistenden hatte mehrere Streiks gegen deren Verwendung als Billigkonkurrenz zu Lasten der Beschäftigten vor allem im Pflegebereich und in der Sozialarbeit organisiert. Noch im Sommer 1989 sollten etwa 1.000 Zivildienstleistende eine Geldstrafe bezahlen, weil sie sich an einem eintägigen Streik- und Protesttag beteiligt hatten. »Ihre Verhaltensweise ist ein gravierender Verstoß gegen die Ordnung im Zivildienst«, schrieb damals das Kölner Bundesamt für Zivildienst zur Begründung der Geldstrafe.

Bereits in den Jahren 1983 und 1986 waren zahlreiche Zivildienstleistende wegen Teilnahme an Streiks vom Bundesamt mit Geldstrafen belegt worden. Denn sie waren nicht nur billige, sondern auch rechtlose Arbeitskräfte. Sie durften weder streiken noch kündigen. Dieser Aspekt wird in der aktuellen Debatte um die Dienstpflicht in der Regel ausgeblendet. Dabei dürfte gerade hierin der Grund liegen, warum die Einführung einer Dienstpflicht für die CDU sehr attraktiv ist. Schließlich ist im Pflege- und CareBereich nicht nur der Arbeitskräftemangel gravierend. In letzter Zeit hat es in diesem Sektor quer durch die Republik Arbeitskämpfe gegeben, die teilweise Wochen oder sogar Monate andauerten. Dabei ging und geht es nicht nur um die Löhne, sondern auch und vor allem um den Personalschlüssel. Bei ihrem mehrwöchigen Streik im Sommer 2018 im Klinikum Düsseldorf und Essen fand das Personal viel Zustimmung bei Patienten und in der Bevölkerung. Die zentrale Streikparole »Mehr von uns ist besser für alle« leuchtete allgemein ein – wer kann schon ausschließen, dass er/sie mal Krankenhauspatient/in werden könnte? Die Arbeitskämpfe sind zudem bemerkenswert, weil der Pflegebereich aus gewerkschaftlicher Sicht lange Zeit als schwer organisierbar galt.

Dazu hat auch die Vorstellung der entsprechenden Tätigkeiten als Ehrenamt bei vielen der dort Beschäftigten beigetragen. Wo es um Dienst und Ehre geht, kommen gewerkschaftliche Organisierung oder gar Streiks nicht vor. Das Bild der Arbeit als Ehrenamt hat sich jedoch in den letzten Jahren vor allem bei jüngeren Beschäftigten gewandelt, erklärten Rednerinnen und Redner beim diesjährigen Care-Walk, einer Protestaktion von Beschäftigten aus dem Pflegebereich, die im Mai in verschiedenen europäischen Städten Tausende auf die Straße brachte. Mittlerweile sehen viele Beschäftigte im Engagement für mehr Personal und bessere Arbeitsplätze eine Voraussetzung guter Pflege.

Mit den Konzepten einer allgemeinen Dienstpflicht soll das brüchig gewordene Ehrenamt rehabilitiert werden. Die Position der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten, die höhere Löhne und mehr Personal fordern, soll durch die Dienstverpflichtung schlecht bezahlter, weitgehend rechtloser Zivildienerinnen und -diener geschwächt werden. Im Effekt würde das zu einer Dequalifizierung der Arbeit von Hauptamtlichen führen, wie die Publizistin Claudia Pinl, die sich seit Jahren kritisch mit Theorie und Praxis des Ehrenamts beschäftigt, erklärt: »Hauptamtliche Pflegekräfte, ganz überwiegend Frauen, haben diesen Beruf einst gewählt, weil sie mit Menschen zu tun haben wollten. Die Beziehungsarbeit, die sie erwartet hatten, geht jetzt jedoch zunehmend auf ehrenamtliche Kräfte über. Nur diese verfügen über die Zeit, mit Alten, Kranken oder sonstwie Hilfsbedürftigen zu reden, sie beim Einkaufen oder Spazierengehen zu begleiten … So wird die ohnehin belastende Arbeit der Hauptamtlichen zusätzlich entwertet.«

Pinl beobachtet die Werbekampagnen für das Ehrenamt seit Jahren kritisch. So gibt es Ehrenamtstage, Ehrenamtswochen, Ehrenamtspreise, es gab das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit. »Es gibt staatlich geförderte Forschung zum Thema, einen regelmäßig erhobenen ›Freiwilligensurvey‹, eine ›Nationale Engagement-Strategie‹ und 1999 bis 2002 eine Enquetekommission des Deutschen Bundestages ›Bürgerschaftliches Engagement‹. Die Medien bringen fast täglich Berichte über positive Beispiele zivilgesellschaftlichen Tuns«, sagt Pinl. Mit der Dienstpflicht würde das Ehrenamt repressiv durchgesetzt.

Die Reaktionen auf den Vorstoß von Kramp-Karrenbauer zeigen, dass noch umstritten ist, welchen Anteil der Zwang bei der Installation einer Dienstpflicht haben soll. Damit ist keineswegs garantiert, dass Zwangskonzepte vom Tisch sind. Wahrscheinlicher ist, dass sie unter unverfänglichen Bezeichnungen wie sozialer oder Gesellschaftsdienst wiederaufgelegt werden. Das klingt dann weniger nach Pflicht und mehr nach Dienst für die Gemeinschaft, und dafür gibt es in Deutschland traditionell viel Zustimmung.

Das geht auch aus einer repräsentativen Umfrage des ZDF-Politbarometers von Anfang August hervor. Demnach befürworten mehr als zwei Drittel der Wahlberechtigten (68 Prozent) eine allgemeine Dienstpflicht bei der Bundeswehr und im sozialen Bereich. Interessant ist, dass die Dienstpflicht bei Anhängern aller Parteien von rechts bis links mehrheitsfähig ist. Unter Unionsanhängern findet sie mit 77 Prozent die größte Zustimmung, dicht gefolgt von der AfD (72). Bei den Grünen halten 66 Prozent eine allgemeine Dienstpflicht für eine gute Idee, bei der FDP 65 und bei der SPD 62 Prozent. Auch bei der Linken sind noch 52 Prozent für einen Pflichtdienst. Ob für Vaterland, Nation oder Gemeinschaft – dienen wollen die Deutschen noch immer gerne.

aus: Konkret

https://www.konkret-magazin.de/hefte/id-2018/heft-102018/articles/zu-diensten.html

Peter Nowak schrieb in konkret 9/18 über die Gedenkstätte Hohenschönhausen

Der blinde Fleck in der Debatte

Die ersten rechten Großdemos gab es in Ostdeutschland im Wendeherbst 1989

„Plötzlich weiß ich, wie Adolf-Hitler-Wähler aussehen. Es riecht förmlich nach Pogrom. Einer hält beschwörend sein Schild ‚keine Gewalt‘ hoch. Wir antworten mit ‚Nazis raus‘.“ Diese Beschreibung einer rechten Demonstration in Ostdeutschland ist fast 30 Jahre alt [1]. Verfasst wurde sie von Aktivisten der linken DDR-Opposition, veröffentlicht wurde sie am 29. November 1989 im telegraph [2], der auch im Jahr 2018 noch immer eine Publikation für linke Kritik ist.

Die Beschreibung der Demoszenen vor 29 Jahren weist auf einen blinden Fleck in der Debatte um die Frage hin, warum in Ostdeutschland die Rechten so stark sind. Da wird auf die Verantwortung der DDR hingewiesen, aber die Wendemonate im Herbst ’89 und Frühjahr 1990 oft völlig ausgeblendet.

Die Festnahme einer angeblichen rechten Terrorzelle in Chemnitz war nur das jüngste Beispiel. Nun soll nicht behauptet werden, das Erstarken der Rechten sei ein lediglich ostdeutsches oder auch nur deutsches Problem. Schließlich sind in mehreren EU-Ländern die Ultrarechten an der Regierung.

Rechte Ordnungszelle Sachsen

Was aber feststellbar ist: Vor allem Sachsen hat sich innerhalb Deutschlands zur rechten Ordnungszelle entwickelt so wie in der Weimarer Republik Bayern. Und so wie in Bayern hatten staatliche Institutionen eine wesentliche Mitverantwortung dafür. Da wird auf die Verantwortung der DDR hingewiesen, aber die Wendemonate im Herbst 1989 und Frühjahr 1990 werden oft völlig ausgeblendet.

Die Berichte im telegraph und in anderen zeitgenössischen Dokumenten zeigen jedoch: Die ersten rechten Massendemonstrationen nach der Niederlage des NS fanden im Wendeherbst 1989 statt. Organisiert wurden sie nicht von der SED und ihren nahestehenden Organisationen, sondern von einer sich nach Rechts radikalisierenden Bevölkerung, die aus der gegen den autoritären SED-Staat gerichteten Parole „Wir sind das Volk“ den nationalistischen Slogan „Wir sind ein Volk“ machten.

Im telegraph werden die Veränderungen sehr gut beschrieben und auch die Verantwortung der DDR-Verantwortlichen genannt [3]:

Aber es ist nicht mehr die gewohnte Leipziger Demo: überall Deutschlandfahnen, Transparente wie „Wiedervereinigung jetzt“, „Weizsäcker – Präsident aller Deutschen“, „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Während der Ansprachen verdichtet sich das Gefühl, unter die REPs geraten zu sein. Auf die wenigen klaren Absagen an die Wiedervereinigung (SDP, Vereinigte Linke, ein Mensch aus Heidelberg) folgen Pfiffe und der Schlachtruf „Deutschland einig Vaterland“ in Fußballstadionmanier. Selbst als ein Redner notwendige gute Nachbarschaft mit unseren polnischen und tschechischen Freunden fordert, wird er ausgepfiffen – diese Ausländerfeindlichkeit bekam Nahrung durch staatliche Stimmungsmache in der DDR in den letzten Tagen.

Aus telegraph, November 1989

Ja, autoritäre Staatssozialsten nutzten häufig „volksdümmlich“ Nationalismus und auch Antisemitismus, wie sich in der Geschichte des Stalinismus und seiner Nachfolger zeigte. So wurde in der DDR von der SED Stimmung gegen Polen gemacht, als dort die Opposition erstarkte, die wiederum durchaus ebenfalls reaktionäre und klerikale Untertönte hatte.

Doch im Wendeherbst waren nicht die SED und ihre Unterorganisationen die Schrittmacher der Restentwicklung; sondern der BRD-Staat. Die Regierung unter Kohl wollte die „Wir sind ein-Volk-Stimmung“ nutzen für eine schnelle Einverleibung der DDR. Die Grünen waren damals ebenso dagegen wie die SPD mit dem Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine.

Diese Kritiker wurden von der Union in die Nähe des Vaterlandsverrats gerückt. Aber auch ein Großteil der DDR-Opposition war für den Erhalt einer demokratischen DDR und keinesfalls für die Wiedervereinigung. Gegen sie richteten sich die nationalistischen Aufmärsche im Herbst 1989.

Der Runde Tisch, an dem die unterschiedlichen Oppositionsgruppen eine wichtige Rolle spielten, untersagte einen Eingriff der BRD in die Wahlen zur Volkskammer der DDR im März 1990. Doch dieser Beschluss war Makulatur, weil er von sämtlichen Parteien Westdeutschlands ignoriert wurde.

Massenhaft wurden Deutschlandfahnen und Publikationen in die DDR geliefert, die mit nationalistischen Parolen die schnelle Wiedervereinigung propagierten. Linke Kritiker wurden schon im November 1989 als Rote und „Wandlitzkinder“ beschimpft und oft auch tätlich angegriffen.

Neue Rechtspartei mit Unterstützung der CSU

Aber nicht nur auf der Straße wurde die Rechte von der BRD aus unterstützt. Zu dem für die Volkskammerwahlen geschmiedeten Wahlbündnis der Unionsparteien gehört mit der Deutschen Sozialen Union [4] auch eine stramm rechte Partei. Sie wurde bis 1992 von der CSU unterstützt, die mit der DSU die Etablierung einer eigenen Rechtspartei außerhalb Bayerns doch noch umzusetzen hoffte.

Solche Pläne, die sogenannte Vierte Partei [5] rechts von der Union, scheiterten bereits in der Ära Franz Joseph Strauß. Danach war die DSU eine von vielen rechten Kleinparteien, die vor allem in Sachsen in den letzten zwei Jahrzehnten kamen und verschwanden.

Ab und an machten DSU-Mitglieder durch ultrarechte Aktionen beispielsweise gegen die Oder-Neiße-Grenze Schlagzeilen.

Es ist deutsch im Kaltland

Bereits im Herbst 1989 transportierte die rechte Partei „Die Republikaner“ Tonnen an Materialien von Frankfurt/Main in die DDR, wie ein daran beteiligter Kurier später enthüllte. Hier wurden die Grundlagen für die rechte Ordnungszelle Sachsen gelegt, in der antifaschistische Aktivitäten wie beispielsweise gegen die rechten Aufmärsche zum Jahrestag der Dresden-Bombardierung kriminalisiert wurden.

Im Wendeherbst 1989 wurden die Grundlagen für jene rechte Alltagskultur gelegt, die Manja Präkels [6] in Kaltland [7] gut beschreibt. Sie könnte ebenso wie die telegraph-Autoren als Zeitzeuge bei der Aufklärung zur Rolle der BRD bei der Genese einer Rechten in den Wendmonaten beitragen. Schließlich forderten SPD-Politiker kürzlich eine Wahrheits- bzw. eine Aufarbeitungskommission für die Wendezeit.

„Wir sollten aber die Gelegenheit nutzen, im Rahmen einer solchen Kommission nicht nur die Arbeit der Treuhand, sondern die gesamte Nachwendezeit umfassend aufzuarbeiten. 28 Jahre nach dem Sturz des SED-Regimes durch die Friedliche Revolution ist ein guter Zeitpunkt dazu: Die Menschen und Zeitzeugen, die den Übergang der Systeme und seine Auswirkungen miterlebt haben, können sich noch aktiv und lebendig an den Diskussionen beteiligen“, fordert [8] der Chemnitzer SPD-Bundestagsabgeordnete Detlef Müller.

Eine Arbeitsgruppe Rechtsentwicklung und Wendemonate sollte dabei mit an erster Stelle stehen. Wenn die Politik da nicht mitmacht, sollte eine außerparlamentarische Initiative aktiv werden. Das könnte die Fortsetzung der Tagung [9] über 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland [10] im letzten Dezember in Potsdam sein.

Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.antifa-nazis-ddr.de/schoenhuber-pfeift-die-ratten-kommen/
[2] http://telegraph.cc/
[3] http://www.antifa-nazis-ddr.de/schoenhuber-pfeift-die-ratten-kommen/
[4] https://www.dsu-deutschland.de/
[5] https://books.google.de/books?id=sywaxlKl0a0C&hl=de
[6] http://manjapräkels.de/
[7] https://kritisch-lesen.de/rezension/es-ist-deutsch-in-kaltland
[8] https://www.spd-mueller.de/die-aufarbeitung-muss-noch-viel-weiter-gehen/
[9] https://afa-ost.de/
[10] https://www.dampfboot-verlag.de/shop/artikel/30-jahre-antifa-in-ostdeutschland

Ermunterung zum Kampf gegen rechte Ideologien

Das thüringische Bad Blankenburg debattiert über den Umgang mit einem durch einen Neonazi verübten Mord

Am 24. Mai 2001 tötete ein damals 24-jähriger Neonazi im thüringischen Bad Blankenburg den 27-jährigen Epileptiker Axel U. Der wurde in einem anonymen Armengrab bestattet. Doch 17 Jahre später wird in der kleinen Stadt wieder über die Tat geredet und auch die Frage gestellt, warum damals der Täter nicht als solcher bezeichnet wurde.

Auslöser für die Diskussion ist der Film »Das blinde Auge – Ein Todesfall in Thüringen«, den der Erfurter Regisseur Jan Smendek gedreht hat. Am 19. September war der Film erstmals in Bad Blankenburg zu sehen. Etwa 120 Menschen waren in den Fröbelsaal des Rathauses gekommen, darunter viele junge Leute. Sie erfuhren durch den Film erstmals mehr über die Hintergründe des rechten Täters. Sie hörten von den wenigen Bekannten des Opfers, wie sie nach der Tat stigmatisiert und ausgegrenzt worden sind. Über eine Gedenkveranstaltung für Axel U. schrieb die »Ostthüringische Zeitung«, dass sich dort »stadtbekannte Trinker und Asoziale« getroffen hätten.

Eine politische Auseinandersetzung hat damals nicht stattgefunden. Nach der Filmvorführung gab es erstmals in der Stadt eine öffentliche Diskussion über den Umgang der Menschen mit dem Todesfall. Dazu mussten die Interessierten vom Rathaus in die Räume des Bad Blankenburger Kunstkreises umziehen. Der Bürgermeister erklärte, dass die Gefahr bestanden habe, dass auch die AfD und andere rechte Gruppen Anspruch auf Räume im Rathaus anmelden könnten, wenn er dort eine politische Diskussion zugelassen hätte.
Der Regisseur Jan Smendek berichtete, wie er Anfang 2017 bei einer Recherche über durch Rechte verursachte Todesfälle in Thüringen auf Axel U. stieß. Beim Studium der Akten erfuhr er von den Verstrickungen des Neonazi-Täters mit der »Anti-Antifa-Ostthüringen« und dem »Thüringer Heimatschutz«. Mit Silke Streipert saß auch eine Bekannte von Axel U. auf dem Podium, die nach dessen Tod dafür angefeindet wurde, dass sie mit Gleichgesinnten gegen die Neonazis aktiv war. Sie sagte, dass damals viele in der Stadt weggeschaut hatten. Doch sie erwähnte auch, dass sich seitdem in Bad Blankenburg einiges geändert habe. Sie verwies auf zivilgesellschaftliche Initiativen, in denen nicht nur Linke, sondern auch Christen aktiv sind. Zu ihnen gehört auch der Bad Blankenburger Pastor Andreas Kämpf, der sich bei der Diskussion gegen die Ausgrenzung von Geflüchteten wandte und beklagte, dass es solche Tendenzen auch in den Kirchengemeinden gäbe.

Zur Zivilgesellschaft gehört auch das Bürgerbündnis Zivilcourage und Menschenrechte im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt, das Thomas Endter auf dem Podium vertrat. Im Film berichtet er, wie er vor einigen Jahren von Neonazis an seinem Arbeitsplatz bedroht wurde. Er betonte in der Debatte, dass er mit dem Bündnis die bürgerliche Gesellschaft ermuntern wolle, gegen rechte Ideologien aufzustehen. Dabei ist er sich auch mit dem Mitglied der LINKEN im Landtag von Thüringen Rainer Kräuter einig, der viele Jahre in Bad Blankenburg als Polizist gearbeitet hat und beruflich auch mit dem Tod von Axel U. befasst war. Kräuter setzte sich für mehr Transparenz bei Polizei und Justiz ein.

Alle Podiumsteilnehmer waren sich einig, dass der Film es ermöglicht hat, dass in Bad Blankenburg nach 17 Jahren öffentlich über den Todesfall geredet wird. Aus dem Publikum kam der Vorschlag, zum 20. Jahrestag einen Gedenkort in Bad Blankenburg für Axel U. einzurichten. Rainer Kräuter signalisierte Unterstützung.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1101113.ermunterung-zum-kampf-gegen-rechte-ideologien.html

Peter Nowak

Die SPD will Maaßen schlagen, um Seehofer zu treffen

Doch mit ihren Vorwurf, der BfV-Chef sei gegenüber Merkel illoyal, argumentiert sie konservativ und inkonsequent

Scheitert die Bundesregierung am Dienstagabend? Morgen treffen sich die Spitzen von SPD und Union, um vordergründig über die Zukunft des VS-Präsidenten Georg Maaßen zu reden. Führende SPD- Politiker haben in den letzten Tagen den Eindruck erweckt, dass es ihnen wirklich um die Alternative geht, entweder Maaßen geht oder die Koalition platzt.

Nicht nur der Juso-Vorsitzende Keven Kühnert, der sich in seiner zukünftigen Rolle als Schulz-Nachfolger in rasendem Tempo übt und nicht, wie Schröder und Nahles, erst einige Jahre seine linksoppositionelle Jusozeit ausleben kann, stellt die Koalition infrage, falls Maaßen nicht zurücktritt.

Kühnert war bekanntlich Gegner des Bündnisses mit der Union. Das war nun keine linke Position innerhalb der SPD, damit blieb er vielmehr ganz auf der Linie des ehemaligen SPD-Kanzlerkandidaten Schulz. Der hat schließlich nach der verlorenen Bundestagswahl klar den Gang in die Opposition propagiert.

Doch das galt nur, bis die SPD wieder als Mehrheitsbeschafferin gefragt war. Fast alle, die eben noch Schulz für seinen Mut gefeiert hatten, in die Opposition zu gehen, vollzogen die neuesten Wendungen mit, Kühnert aber nicht. Das machte ihn bekannt und mittlerweile agiert er schon, als wäre er bereits Parteivorsitzender. Aber auch Sozialdemokraten, die schneller umschalteten, wagen jetzt im Fall Maaßen den Streit mit dem konservativen Teil des Koalitionspartners.

SPD verteidigt Merkel gegen Maaßen

Denn bei der Auseinandersetzung um Maaßen geht es eben nicht nur um den Posten des VS-Präsidenten. Eigentlich will die SPD Bundesinnenminister Seehofer treffen, der schließlich unmittelbarer Vorgesetzter von Maaßen ist und diesem mehrmals das Vertrauen ausgesprochen hat. Und mit Seehofer will sie auch den konservativen Teil der Union treffen, der große Teile der CSU und auch die Merkel-Kritiker in der Union umfasst.

Es muss offen bleiben, wie stark dieser Flügel in der Union ist. Doch es ist schon bemerkenswert, dass es die SPD und nicht die CDU ist, die Maaßen vorwirft, dass er mit seinen Äußerungen über das „Zeckenbiss-Video“ [1] von den rechten Demonstrationen in Chemnitz Merkel widersprochen und sich damit illoyal ihr gegenüber verhalten hat. Während Merkel von rechten Hetzjagden in Chemnitz sprach, hat Maaßen dem widersprochen.

Nun hat aber auch der SPD-Vorwurf gelinde gesagt, ein Geschmäckle. Denn mit dem Vorwurf der Illoyalität wird aus einem Streit über das Video der Konflikt über ein Dienstverhältnis, und hier propagiert die SPD eher konservatives Beamtenrecht.

Maaßen hätte Merkel nicht widersprechen dürfen, weil sie Bundeskanzlerin ist. Dabei müsste doch die Frage sein, wer von beiden kommt mit ihrer oder seiner Interpretation des Videos der Realität näher. Rechtfertigen die dort gezeigten Szenen, von rechten Hetzjagden zu sprechen, oder wurde das Video durch die Art der Präsentation und dem Titel so zubereitet, dass der Eindrück fälschlicherweise entstehen konnte?

Wenn man diese Frage bejaht, müsste dann nicht jemand wie Maaßen auch in seiner Funktion als VS-Präsident Merkel sogar widersprechen?

Illoyalität gegen Trump wird in Deutschland gefeiert

Oder wäre das auch illoyal? Die SPD-Kritik an der Illoyalität ist auch deshalb problematisch, weil in den USA alle FBI- und CIA-Beamten, die Trump widersprechen, in Deutschland als musterhafte Demokraten hochgelobt werden. Man braucht nur den Streit zwischen dem ehemaligen FBI-Chef Comey und Trump [2] als Beispiel nehmen, um deutlich zu machen, dass der llloyalitätsvorwurf auch nur instrumentell benutzt wird.

Comey war gegen Trump auf jeden Fall wesentlich illoyaler als Maaßen gegen Merkel. Er hat ihm nicht nur bei der Beurteilung eines Videos über einen rechten Aufmarsch widersprochen, sondern ihn als ungeeignet für das Amt als Präsidenten erklärt. Er hat also gegenüber Trump so agiert, wie viele AfD-Politiker gegenüber Merkel. Von Maaßen hingegen sind keine despektierlichen Äußerungen gegenüber Merkel öffentlich bekannt.

Comey wird aber für seine Trump-Schelte in Deutschland von vielen als Hoffnung für die Demokratie gefeiert, die jetzt Maaßen gegenüber Merkel Illoyalität vorwerfen. Wie wenig es bei der Beurteilung der Trump-Kritiker in den USA um die Sache geht, wurde kürzlich anlässlich der Buchveröffentlichung von Bob Woodward [3] über das Chaos im Weißen Haus [4] deutlich.

Da wird im Deutschlandfunk-Interview als Beweis für die Unfähigkeit Trumps angeführt, dass er seine Mitarbeiter doch ernsthaft gefragt habe, warum die USA in der ganzen Welt Truppen stationiert haben. Diese sind dann ob der Frage so konsterniert wie der Journalist des Deutschlandfunk und antworten: „Wir machen das, um den 3. Weltkrieg zu verhindern.“ [5]

Nun wäre doch eigentlich die Frage berechtigt, ob in der Antwort, wenn man sie ernst nimmt, nicht mehr Irrsinn liegt als in der Frage, die sich nicht nur Trump und Millionen Menschen in aller Welt stellen. Die Antwort darauf müsste sehr differenziert ausfallen.

Das ist nur ein weiteres Beispiel, wie wenig es auch vielen Trump-Kritikern um Inhalte geht – genauso wenig wie vielen Maaßen-Kritikern.

Doch ein Kalkül hat die SPD mit ihrer Merkel-Verteidigung gegenüber Maaßen.

Kann die SPD Merkel von Seehofer trennen?

Die SPD setzt darauf, dass nicht nur Grüne und Linke dabei auf ihrer Seite stehen, sondern auch der liberale Flügel der Union. Tatsächlich gab es auch aus der als liberal geltenden CDU von Schleswig-Holstein [6] Stimmen, die Maaßen zum Rücktritt auffordern. Sollten sie in der Union stärker werden, könnte es eng für Maaßen werden.

Dann könnte aber auch die Unionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU wieder infrage gestellt werden. Denn ein auf diese Weise erzwungener Rücktritt von Maaßen wäre auch ein Affront gegen Seehofer und die Mehrheit der CSU kurz von der bayerischen Landtagswahl. Die AfD kann sich dort nichts Besseres wünschen als einen auf diese Weise gestutzten Seehofer.

Aber auch der FDP-Landtagskandidat und ehemalige Fokus-Herausgeber Helmut Markwort [7] sieht in einem Interview [8] mit der rechten Plattform PI-News ein Bündnis aus Teilen der CDU, den Grünen und den Linken, die nicht nur in der Causa Maaßen Merkel den Rücken freihalten. Dabei handelt es sich tatsächlich nicht nur um rechte Propaganda.

Es gibt seit dem Herbst 2015 Merkel-Lob bis in große Teile der Linken, die ihr zugutehalten, sie habe angesichts der Migration ein menschliches Gesicht gezeigt. Dass damit die Flüchtlingsabwehr ebenso verschärft wurde, wird dabei gerne ausgeblendet.

Da die Causa Maaßen nun derart politisch überladen ist, scheint es besonders schwer, am Dienstag eine Übereinkunft zu finden, bei der sich sowohl der Seehofer-Flügel der Union als auch die SPD gegenüber ihrer Klientel als Gewinner feiern lassen können.

Auf diese Schwierigkeit, einen Kompromiss zu finden, wies der Politologe Ulrich von Alemann [9] in einem Deutschlandfunk-Interview [10] hin. Er prognostiziert, dass sich die CSU in dem Streit durchsetzt und die SPD trotzdem in der Regierung bleibt:

Meine Prognose ist, es wird keine wirkliche Lösung dieses Problems geben. Maaßen wird nicht zurücktreten. Die CSU wird triumphieren, weil sie sich durchsetzt. Das wird ihr bei den bayerischen Landtagswahlen allerdings auch nicht viel nützen, wie die Lage da ist. Und sowohl die Kanzlerin ist beschädigt als auch der größere Oppositionspartner, die SPD.

Ulrich von Alemann, Deutschlandfunk

Für ein solches Szenario spricht einiges. Aber vielleicht tritt Maaßen, versehen mit genügend Abfindung, vorher noch selber zurück. Der Koalitionsfriede wäre aber auch dann nur oberflächlich bis zu den bayerischen Landtagswahlen wiederhergestellt.

Denn die zwei Varianten bürgerlicher Herrschaft gehen mitten durch die Union und es ist noch unklar, welche sich durchsetzt. Ein linker Block kann sich solange nicht ausbilden, solange die „Merkel-Linke“ mit der altbekannten Politik des kleineren Übels Erfolg hat.

Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Zeckenbiss-oder-Verfassungsschutz-4163625.html
[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/trump-wehrt-sich-gegen-james-comey-15540478.html
[3] https://www.nzz.ch/international/donald-trump-das-chaos-wird-zur-methode-ld.1420044
[4] https://www.heise.de/tp/news/Betreutes-Regieren-4155559.html
[5] https://www.deutschlandfunkkultur.de/bob-woodward-fear-trump-in-the-white-house-das-weisse-haus.2165.de.html?dram:article_id=427760
[6] https://www.mmnews.de/aktuelle-presse/90078-schleswig-holsteins-bildungsministerin-fordert-ruecktritt-von-maassen
[7] https://www.helmut-markwort.de
[8] http://www.pi-news.net/2018/09/video-pi-news-interview-mit-markwort-ueber-chemnitz-merkel-maassen-afd/
[9] https://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/pw-alemann/
[10] https://www.deutschlandfunk.de/streit-ueber-verfassungsschutzpraesident-maassen-ist.694.de.html?dram:article_id=428135

Chemnitz und die Männerbünde verschiedener Nationalität

Die Ereignisse auf und nach dem Stadtfest werfen auch für Linke neue Fragen auf

Hunderte Bürger ziehen durch Chemnitz und Menschen, die nicht einem bestimmten Bild von Deutschsein entsprechen, müssen sich verstecken. Diese Bilder sorgten für fast schon rituelle Empörungsrituale in Politik und Medien.

Wieder einmal war es eine Stadt in Sachsen, die im Mittelpunkt rechter Aktivitäten stand, und Chemnitz machte dabei nicht zum ersten Mal Schlagzeilen. Wieder einmal beteiligten sich sogenannte besorgte Bürger gemeinsam mit Personen aus der rechten Szene an den Aufmärschen. Vorausgegangen waren Ereignisse auf dem Chemnitzer Volksfest, in deren Folge ein Mann getötet und zwei weitere schwer verletzt wurden. Schnell wurde das Ereignis ethnisch eingeordnet. Mittlerweile wurde gegen zwei Männer mit Migrationshintergrund Haftbefehl erlassen.

Von Rechten und noch Rechteren

Wenige Wochen vor der sächsischen Landtagswahl ist das natürlich Wasser auf die Mühlen der AfD. Die gab sich auf einer Pressekonferenz moderat und distanzierte sich von einer Twitternachricht ihres Bundestagsabgeordneten Markus Frohmaier, der indirekt dazu aufgerufen hat, die Bürger sollen selber die Masseneinwanderung stoppen, wenn der Staat versage. Die AfD distanzierte sich grundsätzlich von jeder Gewalt, nicht aber von Gruppierungen wie Pro Chemnitz[1], die noch rechts von ihr stehen und zu weiteren Protesten aufrufen.

Nur vor der NPD wird in Aufrufen der AfD klar gewarnt. Das Kalkül ist klar. Beide Parteien sind im sächsischen Landtagswahl Konkurrenten und die NPD hatte über mehrere Legislaturperioden Abgeordnete im Landesparlament. Bei der letzten Landtagswahl, als erstmals die AfD antrat und in den sächsischen Landtag einzog, verfehlte die NPD nur knapp das nötige Quorum. Nun will sie sich an die Spitze der Proteste setzen, um die AfD als zu gemäßigt vorzuführen. Die wiederum muss vermeiden, zu offen mit Neonazis gesehen zu werden. Deshalb die Distanzierung von der Gewalt, nicht aber von den Demonstrationen insgesamt. AfD und Pegida rufen[2] zu einer Demo am Samstag in Chemnitz auf.

Damit wird auch deutlich, in Sachsen gibt es auch AfD-Wähler, die noch weiter nach rechts gehen würden, wenn die AfD in ihren Augen zu lasch auftreten würde. Es sind auch linke und liberale Kundgebungen angemeldet, die sich gegen Hass und Hetze wenden. Bei einem großen Teil des liberalen Bürgertums überwiegt die Sorge davor, dass die ständigen rechten Auftritte die Wirtschaft verschrecken könnten. Sehr deutlich wurde das im Deutschlandfunkinterview[3] des FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Müller-Rosentritt[4], der sich explizit als Vertreter einer neuen Generation in Sachsen auf seiner Webseite vorstellt.

Gleich seine erste Antwort ist sehr aufschlussreich:

Zuerst einmal gilt mein Mitgefühl und Beileid den Angehörigen und Freunden des Opfers, und natürlich auch gute Besserung für diejenigen, die jetzt noch im Krankenhaus liegen.

Chemnitz ist eine sehr prosperierende Stadt mit unglaublich viel Industrie. Hier geht es wirklich voran. Wir haben wieder Zuzug mit ganz viel weltoffenen Bürgern. Ein echter „Hidden Champion“ in Deutschland. Und ich würde sagen, von einer neuen Eskalation kann man an der Stelle nicht ausgehen. Die Bürger sind natürlich verunsichert. Viele Bürger haben Wut. Auch die Berichterstattung jetzt wird, glaube ich, der Sachlage überhaupt nicht gerecht, denn ich habe viele Augenzeugen, die dabei gewesen sind, die berichten, dass es nicht nur der rechte Mob war, wie viele berichten, sondern auch spontan ganz viele Bürger, die sich auf der Straße versammelt haben, um einfach ein Zeichen dafür zu setzen, dass sich irgendetwas ändern muss. Wobei ich ganz klar sagen muss: Hetzjagd gegen ausländisch aussehende Bürger oder ganz schlimme rassistische Dinge, das lehne ich auch total ab und das widert mich total an, und ich bin froh, dass es heute in Chemnitz auch eine Gegendemonstration dazu gibt.

Frank Müller-Rosentritt

Da wird ein Interview aus Anlass der Gewalt auf einem Chemnitzer Straßenfest und anschließender rechter Aufmärsche erst einmal zu einer Eloge auf den Wirtschaftsstandort Sachsen gehalten

Wie reagiert darauf die Linke?

Für die Linke ist natürlich weitgehend klar, dass sie gegen die Rechten agiert. Dabei ist auffallend, dass auch explizit nichtlinke Medien wie der Focus Begrifflichkeiten wie „rechter Mob“[5], aus dem Vokabular der Antifabewegung übernommen haben. So wird die Linke oft nicht mehr unterscheidbar von denen, die aus Wirtschaftsgründen Einwanderung wollen.

Auch hier redet der FDP-Mann Klartext:

Aber ich glaube, um die Integrationsbereitschaft der 95 Prozent von Ausländern, die wir ganz dringend brauchen – die Industrie schreit nach Arbeitskräften, die Industrie schreit nach Menschen, die wir wirklich ganz, ganz dringend brauchen -, um die Integration dieser Bürger nicht zu gefährden, brauchen wir eine klare Durchsetzungskraft unserer Justiz und der Polizei für die Prozent der ausländischen Bürger, die sich eben nicht an Gesetze halten. Das gilt für Deutsche genauso wie für Ausländer.

Frank Müller-Rosentritt

Eine Linke sollte doch zweierlei thematisieren. Ja, es ist sinnvoll, wenn die Migranten, die überwiegend auf der Suche nach Arbeit nach Deutschland gekommen sind, auch Jobs bekommen und nicht wegen des Arbeitsverbots zum Nichtstun gezwungen sind. Dann folgen Langeweile und das Agieren in den gleichkulturellen Männercliquen, die dann auf Stadtfesten etc. mit ihren „biodeutschen“ Männerbünden aneinandergeraten und sich auch beim Sexismus und der Belästigung von sexuellen Minderheiten nicht von ihnen unterscheiden.

Die Linke sollte nicht einfach fordern, dass Migranten in Lohnarbeit kommen, sondern dass sie nicht weniger bezahlt bekommen als „Biodeutsche“, also auch keine Konkurrenten beim Lohndumping werden. Und sie sollte die Erkenntnis weiter verbreiten, dass man als Lohnabhängiger nur durch gewerkschaftliche Selbstorganisation Erfolge erzielt. So würden sich die unterschiedlichen Nationalitäten gemeinsam beim Kampf um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen kennen- und akzeptieren lernen und nicht als Männergruppen beim Stadtfest oder anderen Events. Gemeinsame Interesse schaffen gemeinsame Solidarität, wie die gewerkschaftliche Gruppe „Mach meinen Kumpel nicht an“[6] zeigte.

Zudem sollte die Linke gegen die staatliche Zuweisung von Migranten aktiv werden. Wer von ihnen würde schon nach Chemnitz gehen, wenn sie nicht von den Ausländerbehörden dazu gezwungen werden? Wenn dann noch das Verbot dazu kommt, hier zu arbeiten, dann wird auch zum Entstehen jener Männerbündelei mit all ihren regressviven Begleiterscheinungen beigetragen, die weder in ihrer „biodeutscher“ noch in einer anderen ethnischen Zusammensetzung zu verteidigen sind.

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Peter Nowak

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[1] https://pro-chemnitz.de/
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[3] https://www.deutschlandfunk.de/saechsischer-fdp-politiker-zu-chemnitz
-besondere.694.de.html?dram:article_id=426547
[4] https://fmueller-rosentritt.abgeordnete.fdpbt.de/
[5] https://www.focus.de/politik/deutschland/nach-tod-eines-35-jaehrigen-rechter-mob-organisierte-sich-ueber-soziale-medien-chemnitz-krawalle-im-protokoll_id_9480817.html
[6] https://www.gelbehand.de/home/

Kann eine Linke die Politik von Tsipras noch verteidigen?

Die neoliberale Politik der griechischen Regierung sorgt für Streit in der Europäischen Linken

Der Aufruf[1] von Gregor Gysi war so simpel wie vage. „An alle linken und progressiven Kräfte. Einheit herstellen, um neoliberale Politik zu besiegen“, lautete er.

Doch jetzt hat sich die Europäische Linke[2], ein Zusammenschluss unterschiedlicher linker Parteien und Organisationen über die Politik der griechischen Syriza-Regierung zerstritten. Schließlich ist die maßgebliche Regierungspartei Griechenlands Teil dieser Europäischer Linken. Vor einigen Jahren war Alexis Tsipras von Syriza der unumstrittene Star der Europäischen Linken[3].

Schließlich hat er 2015 mit einer Partei links von der Sozialdemokratie die Wahlen in Griechenland gewonnen. Es begannen die wenigen Wochen eines politischen Aufbruchs in Europa. Denn die Syriza-Regierung schien ihr Wahlprogramm zunächst ernst zu nehmen. Sie verwies Vertreter der Troika, die die das wesentlich von Deutschland organisierte Austeritätsdiktat exekutierten, aus dem Land und initiierte einige Reformen.

In vielen Europäischen Ländern setzten sich Menschen für ein Ende oder zumindest für eine Lockerung der Austeritätspolitik ein. Für einige Wochen wurde Tsipras so zum Hoffnungsträger von vielen Menschen, die hofften, in Griechenland werde sich beweisen, dass eine andere Politik möglich ist.

Doch es war maßgeblich die Regierung Merkel-Schäuble, die mit allen Mitteln die Austeritätspolitik umsetzten. Bei der aktuellen Merkelverklärung bis in Teile der Linken und der Grünen solle man sich wieder daran erinnern.

Tsipras und die Mehrheit seiner Partei beugten sich dem Diktat und setzten fortan ziemlich geräuschlos die Politik um, die sie in der Opposition bekämpften (siehe: Alexis Tsipras: Vom Revolutionär zum Konservativen[4]). Wie viele linke Parteien an der Macht hatte auch Tsipras vergessen, warum Syriza gewählt worden waren. Die Verteidigung der eigenen Machtposition war wichtiger. Trotzdem bestand Syriza darauf, weiter Teil der Europäischen Linken zu sein.

Nicht alle waren damit einverstanden. Nun hat die französische Linkspartei die Europäische Linke verlassen, nachdem sie mit ihrer Forderung, Syriza auszuschließen, gescheitert war.

Hat Tsipras seine Ideale verraten?

Die Sprecherin der französischen Linkspartei Sophie Rauszer[5] hat in einem ND-Interview [6]Tsipras Verrat vorgeworfen.

ND: Warum tritt Ihre Partei gerade jetzt aus der Europäischen Linkspartei aus?
Sophie Rauszer: Es galt, Klarheit über unsere Haltung gegenüber der Austeritätspolitik der EU zu schaffen. Weil der griechische Regierungschef Alexis Tsipras seine vor Jahren übernommenen Verpflichtungen verraten hat, haben wir gefordert, seine Partei Syriza aus der Europäischen Linkspartei auszuschließen – die sich im Übrigen in der Griechenlandfrage festgefahren hat. Da dies abgelehnt wurde, haben wir jetzt unsererseits die Konsequenzen gezogen. Ein Jahr vor der nächsten Europawahl war es Zeit für eine solche Klarstellung.
ND: Was werfen Sie Syriza und damit Tsipras vor?
Sophie Rauszer: Sie sind das Synonym für Austerität. Die griechische Regierungskoalition hat das Streikrecht eingeschränkt, hat die Renten gekürzt, hat ganze Bereiche der Wirtschaft privatisiert und unter Wert an China und Deutschland abgetreten.

Interview, Neues Deutschland[7]
Unterstützung bekommt Syriza vom keynesianischen Ökonomen und Politiker der Linkspartei, Axel Troost[8], der sich damit faktisch zum unkritischen Verklärer der Tsipras-Regierung macht.

Schutzschirm über Tsipras und nicht über die Opfer seiner Politik

Korrekterweise erinnert er daran, dass Syriza die Austeritätspolitik zunächst auf den massiven Druck umsetzte. Troost verweist in seiner Erklärung auf die von Gläubigern Griechenlands diktierten Bedingungen und die nach wie vor anhaltende faktische Abhängigkeit der Regierung in Athen. Doch dann wird er zum Apologeten der griechischen Regierung und ihrer Wandlung von linken zu rechten Sozialdemokraten.

Troost konstatiert, es sei der Syriza-geführten Regierung gelungen, einige Weichen Richtung Zukunft zu stellen. So habe Athen am Aufbau eines modernen Staats gearbeitet, was aus linker wie aus rechter Sicht überfällig gewesen sei. Und mit der in der Regierungszeit von Alexis Tsipras erarbeiteten Wachstumsstrategie werde Syriza in den nächsten Wahlkampf ziehen, zeigt sich Troost optimistisch.

Die Spielräume für eine soziale Politik werden langsam wachsen. Der Einsatz war also nicht umsonst.

Axel Troost

Woher Troost dieses optimistische Fazit nimmt, ist nicht ersichtlich. In Griechenland sind die Umfragewerte für Syriza niedrig und die Rechte versucht die Chance zu nutzen, sich wieder an die Macht zu bringen. Auch die Neofaschisten der Goldenen Morgenröte versuchen davon zu profitieren, dass Tsipras und seine Partei nicht mehr als Alternative wahrgenommen werden.

Zum Glück gibt es im linken Spektrum noch Alternativen wie eine Syriza-Abspaltung und die Kommunistische Partei Griechenlands. Es sind aber auch hausgemachte Gründe, die verhindern, dass diese Parteien stärker werden. Statt sich intensiver mit dem Gründen des Scheiterns von Tsipras zu befassen, wird von Troost und anderen in der Linken ein Schutzschirm über ihn und seine Partei gehalten und nicht über die Opfer seiner Politik.

Mit dem Verweis auf den Druck der Troika und der europäischen Regierungen werden die hausgemachten Fehler einfach unter dem Tisch fallen gelassen. Zudem wird die Tatsache verschwiegen, dass Tsipras heute die Politik der rechten Sozialdemokratie durchsetzt.

In der von verschiedenen sozialen Initiativen herausgegebenen Publikation Faktencheck: Europa[9] wird die Bilanz der Syriza-Jahre auf den Punkt gebracht – allerdings ebenfalls die Syriza-Regierung ganz aus der Verantwortung genommen: „Bilanz der Troika-Politik in Griechenland: krasse Verschuldung, krasse Verelendung, krasser Abbau von demokratischen und gewerkschaftlichen Rechten. Konkret geht es neben der sozialen Verelendung auch um den Abbau von Streikrechten und die Durchsetzung von Zwangsräumungen.“

Warum verteidigen Gysi, Troost etc. die Syriza-Regierung?

Natürlich gehen von solchen Statements auch klare politische Signale aus.

Wenn in der Europäischen Linken ein Politiker akzeptiert wird, der wie ein Konservativer agiert, mit dem Unterschied, dass im letzteren Fall der außerparlamentarische Widerstand stärker wäre, dann ist damit die Botschaft verbunden: Wenn wir an der Regierung sind, wird sich auch nicht viel ändern. Wir werden im Zweifel immer an der Seite derer stehen, die grundlegende Veränderungen verhindern.

Das Abwürgen einer starken sozialen Massenbewegung und die Weigerung, eine Politik jenseits der EU überhaupt nur zu überlegen, sind die Kennzeichen von Syriza nach deren Unterwerfung. Dabei hätte sich nach dem erfolgreichen Referendum über ein Nein zum Austeritätsdiktat für einen kurzen Zeitraum die Möglichkeit gegeben, der EU die Stirn zu bieten und auch innenpolitisch einen Bruch mit der bisherigen Politik durchzusetzen.

Dann hätte es auch in anderen EU-Staaten zum Widerstand gegen die Troika kommen können. Doch in der Stunde der Entscheidung zeigte sich, dass Tsipras und seine Syriza Sozialdemokraten waren und als solche agierten. Danach exekutierten sie die Troikapolitik fast reibungslos.

Damit hätte sich Syriza einen Platz unter rechten Sozialdemokraten von Schlage eines Schröder etc. verdient. Dass sie weiterhin von der Linken beschirmt werden, zeigt wie gering die Unterschiedliche zwischen den unterschiedlichen Spielarten der Sozialdemokratie sind.

Dass die französische Linkspartei nun selber den Bruch verzogen hat, heißt noch lange nicht, dass sie nun mit ihrer bisherigen Politik bricht. Es geht um Wahlarithmetik. In manchen Teilen der Wählerschaft der französischen Linken gibt man sich noch kämpferisch, was Syriza auch getan hat, solange sie in der Opposition war.

Für die anstehenden Europawahlen präsentiert sich die Linke zersplittert. Die französische Linkspartei will ein eigenes Bündnis gründen und auch Yanis Varofakis[10] wirbt mit seiner proeuropäischen linksliberalen Diem 21[11] um Wählerunterstützung.

Peter Nowak
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[1] https://www.die-linke.de/start/europaeische-linke/erklaerungen-des-praesidenten/detail/an-alle-linken-und-progressiven-kraefte-europas-einheit-herstellen-um-neoliberale-politik-zu-besieg/
[2] https://www.die-linke.de/start/europaeische-linke/
[3] http://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenland-syriza-soll-vorbild-fuer-europas-linke-werden-a-1014940.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Alexis-Tsipras-Vom-Revolutionaer-zum-Konservativen-3907283.html
[5] https://www.transform-network.net/de/netzwerk/autorinnen/detail/sophie-rauszer/
[6] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1093356.europaeische-linke-der-verrat-von-tsipras.html
[7] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1093356.europaeische-linke-der-verrat-von-tsipras.html
[8] https://www.axel-troost.de/de/article/9836.der-einsatz-war-nicht-umsonst.html
[9] http://faktencheck-europa.de/ankuendigung-faktencheck-europa-nr-4/
[10] https://www.yanisvaroufakis.eu
[11] https://diem25.org/main-de/
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