Nationale Revision: aus Kein Zustand

„Bald wird es nicht mehr die Rote Armee sein, die Auschwitz befreit hat, sondern das Asow-Bataillon“

Marie Rotkopf in: „Die deutsche Mentalität und der Krieg“

Es wäre an der Zeit, dass die Linke auch bei der Beurteilung der Situation in der Ukraine ihre Nationalismuskritik schärfen würde. Dann würden sie den Mythos vom einheitlich kämpfenden ukrainischen Volk nicht ständig wiederholen.

So wird in der taz eine Ärztin porträtiert, die darüber klagt, dass es in Charkiw, einer Stadt in der Ostukraine, von russischen Kollaborateuren wimmelt, die sie bei den ukrainischen Behörden anzeigt. Auf die Idee, dass es sich vielleicht um Bewohner*innen handelt, die mit dem außenpolitischen Schwenk Richtung EU nach den Maidan-Unruhen von 2014 nicht einverstanden sind, kommt sie und die Korrespondentin nicht. Wer nicht mitmarschiert im nationalen Kollektiv wird kurzerhand zum Feind erklärt. Das scheint auch die Leipziger Linksparteipolitikerin Juliane Nagel nicht zu stören, die im Interview mit dem Neuen Deutschland über einen Besuch bei dem Teil der ukrainischen Linken berichtete, der sich auf den Boden der Verhältnisse nach dem Maidan-Umsturz stellt. Alle Parteien, die das nicht machten, sind verboten, darunter eine große bürgerliche Partei, die bei Wahlen durchaus gewinnen könnte. Auch die Sozialistische und die Kommunistische Partei sind in der heutigen Ukraine verboten, sie sind sozialkonservativ und von einem emanzipatorischen Ansatz aus zu kritisieren. Das sollte aber nicht daran hindern, die Aufhebung des Verbots dieser Parteien zu fordern. Darüber gibt es aber bei Nagel keine klare Aussage. Dafür spricht sie von jenen „orthodoxen Hammer- und Sichel-Parteien“, die in der Ukraine so verhasst seien. Dabei kommt ihr nicht der Gedanke, dass sich in solchen Parteien auch die Befreier*innen der Ukraine vom Nationalsozialismus und besonders des Vernichtungslagers Auschwitz organisiert haben. 

Es war immer bekannt, dass ukrainische Soldaten innerhalb der Roten Armee Auschwitz befreiten. Ihnen sollte auch heute noch unser Gedenken gehören. Wir sollten aber auch nicht vergessen, dass die prodeutschen ukrainischen Nationalist*innen nicht nur wichtige Hilfsdienste bei der Vernichtung der Juden geleistet haben. In vielen Gegenden der Ukraine haben sie auch das Mordprogramm an den Juden vorantrieben. Hier sollte es eine differenzierte Erinnerung geben. 

Damit muss einem Geschichtsrevisionismus vorgebeugt werden, wie er in dem vorangestellten Zitat gut zusammengefasst ist. „Bald wird es nicht mehr die Rote Armee sein, die Auschwitz befreit hat, sondern das Asow-Bataillon“ bringt die Umdeutung der Geschichte auf den Punkt. Marie Rotkopf hat den Satz in der von ihr neu herausgegebenen und kommentierten Schrift „Deutschland über alles“ geschrieben. Verfasst hatte den Text der französische Soziologe Emile Durkheim 1915 während des Ersten Weltkriegs angesichts der brutalen Kriegsführung der deutschen Wehrmacht.

 Peter Nowak

geboren 1960 in Fulda/Hessen. Freier Journalist und Publizist, u.a. auf der Plattform Telepolis und in der Berliner „Tageszeitung“.

https://keinzustand.at/peter-nowak/nationale-revision/