linksunten verboten Ein Streitgespräch über Meinungsäußerungsfreiheit und Klassenjustiz

Peter Nowak / Achim Schill / Detlef Georgia Schulze

Die Berliner Staatsanwaltschaft hat die drei Berliner AutorInnen Peter No- wak, Achim Schill und Detlef Georgia Schulze vor dem dortigen Landgericht angeklagt. Sie sollen einen vollzieh- bar verbotenen „Verein“ unterstützt und dessen „Kennzeichen“ verwendet haben. Dies kann nach § 20 Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 Vereinsgesetz mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft werden.

„ Anlass der Anklage ist, dass sich die drei bereits 2017 gegen das damals ver­fügte Verbot der linken internet­Zeitung linksunten.indymedia ausgesprochen und diesen Text mit einem Ausschnitt aus der Verbotsverfügung bebildert hatten. In dem Ausschnitt war unter anderen das Logo der Zeitung bzw. der Header der Webseite zu sehen.

Jetzt haben die drei ein Streitge­spräch über ihre Verteidigungsstrategie geführt, dessen Langfassung im revolt magazine erschienen ist. Die RHZ veröf­fentlicht eine Zusammenfassung davon.

Am 3. Mai war der 25. Internationale Tag der Pressefreiheit. Aus diesem Anlass haben wir eine ganze Reihe von – teils kollektiven, teils individuellen – Texten geschrieben und veröffentlicht. Einer da­ von löste eine kleine Kontroverse unter uns aus. In einem der Texte wurden drei radikaldemokratische Juristen zustim­ mend zitiert. Es gelte „liberale Traditio­nen unter historisch veränderten Bedin­gungen aus ihren Verschüttungen auszu­graben“ und Interessengegensätze „nicht durch staatlich inszenierte ‚Abwägung’ aufzuheben, sondern [sie …] ohne inhaltliche Bewertung innerhalb bestimmter formaler Grenzen sich abarbeiten zu las­ sen. [… es] gilt […] die tradierte liberale Unterscheidung von Meinen und Handeln […] wiederzubeleben: Der ‚Wert‘ einer Meinung, eines Kunstwerks, einer poli­tischen Aktivität etc. ist prinzipiell nicht vom Staat, und das heißt eben auch nicht von einem Gericht nachzuwiegen, […].“

Dies reizte Achim zum Widerspruch, da ihm einerseits die Forderung, der Staat solle sich aus gesellschaftlichen und politischen (Klassen)Kämpfen – und seien sie bloß ideologisch­diskursiver Art (sprich: Meinungsäußerungen) – heraus­ halten, „naiv“ erscheint. Denn: sozia­le und politische Interessengegensätze können sich zwar bis zu einem gewissen grad (intellektuell) „abarbeiten“; antago­nistische (Klassen)Interessen sind aber letztlich (historisch) unversöhnlich. Zum anderen erschien ihm die „Trennung“ von Meinen und Handeln nicht ganz so scharf zu sein, wie von den drei zitierten Refe­ renzautoren postuliert, auch wenn die li­berale Rechtstradition aus „linker“ Sicht sympathisch sein mag. Erinnert sei zum Beispiel nur an die Zeiten der RAF, als Intellektuelle als geistige „Brandstifter“ und „Sympathisantensumpf“ bezeichnet wurden (vergleiche den Film Die verlore­ ne Ehre der Katharina Blum nach einer Erzählung von Heinrich Böll).

Die materielle Grundlage des Liberalismus

Was könnte also eine – materialistisch begründete – Strategie zur Verteidigung unserer Meinungsäußerung (in Sachen linksunten) und überhaupt von linken (Rechts)Positionen sein, wenn nicht das dem klassischen Liberalismus und Anar­chismus gemeinsame – aber die Analyse des Staates als Überbau der materiellen gesellschaftlichen Verhältnisse ignorie­rende – Postulat, der Staat solle sich plenamente aus der Gesellschaft heraus­ halten?

Die erste Grundlage dafür kann die bescheidene Einsicht sein, dass mit un­ serer Meinungsäußerung schon gar nicht – und auch bei dem Verbot von links­ unten bzw. dessen Aufhebung nicht – die Überwindung der gesellschaftlichen Antagonismen auf der aktuellen histo­rischen Tagesordnung steht – und dass unterhalb der praktischen Überwindung der gesellschaftlichen Antagonismen sehr viel Meinungsstreit möglich ist, ohne daß sich vorab sagen lässt, welcher Seite der Meinungsstreit als solcher nützt oder schadet.

An dieser Stelle schaltete sich Peter in die Diskussion und gab Folgendes zu bedenken: „Natürlich drückt sich auch in der Justiz das Klasseninteresse des Staates aus, aber nicht so bruchlos, wie es sich bei Achim anhört. Die Gewalten­teilung ist ja mehr als ein Konstrukt, sie funktioniert auch und hat auch Vorteile für den bürgerlichen Staat. Als 2016 der Kon ikt um die Rigaer Straße 94 und die Räumung mehrerer Räume dort, ei­ ne große Solidaritätswelle der Nachbar­ schaft hervorrief, entschied ein Gericht, dass die Räumung rechtswidrig sei. Die Bewohner*innen konnten sie unter gro­ ßen Jubel der Anwohner*innen wieder in Besitz nehmen. Der rechte CDU­Innen­ senator war einerseits der Verlierer, an­ dererseits konnte er sagen, hier hat eben die Justiz entschieden und als Demokrat hat er das zu akzeptieren. Hier wird eben die Funktion der Justiz gerade nicht als blinder Vollstecker von Klasseninteressen deutlich. Die Justiz hat im bürgerlichen Sinne einen Konflikt entschärft, der von der Politik auf die Spitze getrieben wor­ den war. So kann die Justiz gerade, weil sie nicht einfach Kapitalinteressen oder die Interessen der Politik exekutiert, zum bürgerlichen Gesamtinteresse beitragen. Staaten, wo die Politik direkt in die Justiz reinregiert, wie aktuell in der Türkei sind viel instabiler.“

Ist es nötig zu betonen, dass daraus nicht die Schlussfolgerung gezogen wer­ den kann, dass die – instabilen – z.B. tür­ kischen Verhältnisse für linke und andere emanzipatorischen Kräfte besser seien als die – stabilen – z.B. deutschen Ver­ hältnisse, sondern dass vielmehr – wie es Lenin in etwa ausdrückte – eine „breitere, freiere, offenere Form“ der gesellschaftli­ chen Kämpfe für die Ausgebeuteten und Beherrschten „eine riesige Erleichterung im Kampf“ für die Überwindung von Herr­schaft und Ausbeutung bedeutet?

Das Zensurverbot – ein Verbot, zu verbieten

Auf der Grundlage dieser und weiterer Überlegungen haben wir uns auf folgen­ de Elemente einer Verteidigungsstrategie verständigt:

1. Im Gericht sind wir gezwungen, im Rahmen der gesetzlichen Legalität (deren Auslegung aber in aller Regel mehr oder minder stark umstritten ist) zu argumen­ tieren. Vor dem Gericht (d.h.: Außerhalb des Gerichtsgebäudes) können wir aber diese gesetzliche Legalität in einen grö­ßeren politischen und historischen Rah­men stellen.

„drinnen“ das Gegenteil von dem erzäh­len, was wir ‚draußen’ erzählen; sondern, dass wir das, was wir drinnen vertreten, „draußen“ um das ergänzen, was draußen auch in der Tat seinen richtigen Platz hat.

2. Wir haben keinen Verein unter­ stützt und auch kein Vereinskennzeichen verwendet. Denn wir haben uns nicht zu einem Verein, sondern zu einem Medium geäußert und die linksunten­Verbotsver­ fügung des Bundesinnenministeriums bildlich zitiert (was keine Straftat dar­ stellt).

3. Im übrigen ist das Verbot von links­ unten.indymedia selbst rechtswidrig.2Denn für Medien gilt nicht die Schranke des Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz (Ver­ einigungsfreiheit), sondern die – weniger rigide – Schranke des Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz (Meinungsäußerungs­ und Pressefreiheit), die im übrigen ihrerseits wiederum durch die sog. Schranken­ Schranke des Zensurverbotes begrenzt wird. Zensurverbot bedeutet: Verbot der Prävention im publizistischen Bereich3; das heißt: das Verbot, das künftigen Er­ scheinen von (bestimmten oder gar al­len) Medien ganz zu verbieten oder von inhaltlichen Bedingungen abhängig zu machen.

4. Auf diese juristischen Argument können sich auch KommunistInnen ge­ gen das politische Strafrecht und die politische Justiz beziehen – auch wenn sie wissen, dass gesellschaftliche Wi­ dersprüche so sehr eskalieren können, dass das liberale Modell von (abgesehen von Ehren­ und Jugendschutz) absoluter Meinungsäußerungsfreiheit zusammen­ bricht. – Abgesehen davon, dass wir in der BRD von einer solchen Situation weit entfernt sind, wäre auch dann vom bür­ gerlichen Staat noch zu verlangen, dass er den Ausnahmezustand verkündet und sich zum Bruch seiner eigenen Verfas­sungsgesetze zumindest bekennt (statt ihn zu vertuschen).

Peter Nowak / Achim Schill / Detlef Georgia Schulze

aus: DIE ROTE HILFE 3/2019

https://www.rote-hilfe.de/rhz-neue-ausgabe/994-rote-hilfe-zeitung-3-2019

Die Langfassung des Streitge­ sprächs (in Interviewform) behandelt folgende Themen: Meinungsäußerun­ gen versus (andere) Handlungen; Die Realgeschichte der politischen Justiz in Deutschland; Butter bei die Fische: Was sagen wir dem Gericht?; Rechts­ form und Warenformen – Rechtstheorie mit Adorno oder mit Althusser? – und kündigt eine Fortsetzung zum Thema „Keine Meinungsfreiheit für Nazis und RechtspopulistInnen?“ an.