An diesem Sonntag enden die EU-Wahlen. Das ist erfreulich für das politische Klima in Deutschland. Denn in den letzten Wochen war rund um die EU-Wahl eine Dauerpropaganda zu hören und zu sehen, in der argumentative Auseinandersetzung durch Feindbestimmung und Ausgrenzung ersetzt wurde. So wurde ständig in Kommentaren und auch in den Nachrichtenmeldungen von „antieuropäischen Parteien“ gesprochen, die gestoppt werden müssten Damit war in Deutschland vornehmlich die AfD gemeint, aber auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Dass nicht auch Parteien links davon ins Visier gerieten, lag einfach daran, dass sie von den Meinungsmachern entweder als gezähmt oder als irrelevant angesehen werden. Wo es in den EU-Staaten noch linke Parteien gab, die …
„Endlich Schluss mit EU-Wahlpropaganda: Welches Europa wollen wir wirklich?“ weiterlesenSchlagwort: Zentrum für politische Schönheit
Deep-Fake-Fail: Ein Video, Olaf Scholz und eine gefährliche Wendung
„Ich wende mich heute an Sie, weil unser Land einer schweren Bedrohung ausgesetzt ist“ – Mit diesem ernsten Satz richtet sich ein Mann an die Bevölkerung, der nicht nur wie Olaf Scholz aussieht, sondern auch dessen Stimme hat. Es handelt sich jedoch um ein Video, das mithilfe Künstlicher Intelligenz vom Zentrum für Politische Schönheit erstellt wurde, um die Kampagne für ein Verbot der AfD zu unterstützen. In dem Video erklärt das Scholz-Double, dass zum Jahrestag des Mords an …
„Deep-Fake-Fail: Ein Video, Olaf Scholz und eine gefährliche Wendung“ weiterlesenAnklage wegen Satireaktion
Der Ton des Aufrufs des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), der im Oktober 2020 durchs Internet geisterte, offenbarte eigentlich deutlich, dass es sich um Satire handelte. Unter dem Titel »Wo sind unsere Waffen?« versprach der vermeintliche Geheimdienst der Bundeswehr Personen, die sich an der Suche nach von der Truppe vermisstem Kriegsgerät beteiligen wollen: »Jetzt mitmachen und 1000 Euro für jeden Hinweis absahnen!« In einem Video wird selbstkritisch eingeräumt: »Seit Jahren klauen …
„Anklage wegen Satireaktion“ weiterlesenBundeswehr undankbar: Anklage gegen staatstragenden Satiriker
Auf den ersten Blick handelte es sich um eine neue Werbemasche der Bundeswehr, die es sich schon länger erlaubt, Zivilbürger auf diese Weise von der Seite anzuquatschen: „Der MAD braucht Deine Hilfe, jetzt mitmachen und 1.000 Euro für jeden Hinweis absahnen.“ Doch die Aufforderung kam im Oktober 2020 von der …
„Bundeswehr undankbar: Anklage gegen staatstragenden Satiriker“ weiterlesenFortsetzung deutscher Außenpolitik unter dem Deckmantel der Kunst
Ein Mann im orangegelben Overall in Handschellen – ähnliche Bilder aus dem extralegalen US-Gefangenenlager im kubanischen Guantanamo sind vor einigen Jahren um die Welt gegangen. Zunächst denkt man, da will jemand darauf hinweisen, dass das Lager noch immer nicht vollständig geschlossen ist, auch wenn aktuell wenig darüber gesprochen und geschrieben wird. Doch auf den zweiten Blick sieht man, dass es sich bei dem Mann in Guantanamo-Kluft um den …
„Fortsetzung deutscher Außenpolitik unter dem Deckmantel der Kunst“ weiterlesenErmittlungen gegen Zentrum für politische Schönheit eingestellt
Auf einmal ging es sehr schnell. Kaum war bekannt geworden, dass die Justiz gegen das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) wegen des Verdacht einer kriminellen Vereinigung ermittelt, wurde das Verfahren auf Druck des Innenministers von Thüringen eingestellt. Durch eine Parlamentsanfrage war bekannt geworden,…
„Ermittlungen gegen Zentrum für politische Schönheit eingestellt“ weiterlesenDiskussion über rechte Geländegewinne
Eine Veranstaltung in Berlin vergaß allerdings, dass Rechten auch immer wieder Räume genommen wurden
In den 1990er Jahren machte der Begriff „national befreite Zone“ die Runde. Es ging um Orte, die Menschen, die nicht ins Weltbild der extrem rechten Bewohner passten, möglichst meiden sollen. Das Dorf Jamel in Mecklenburg-Vorpommern ist heute eine solche „national befreite Zone“.
Eine völkische Dorfgemeinschaft [1] prägt den Ort auch mit ihren Symbolen. „Dorfgemeinschaft Jamel – sozial -national -frei“ steht dort an einer Wand. Die national befreite Zone könnte sich jetzt noch vergrößern. Die Gemeinde hat ein weiteres Grundstück an rechte Investoren verkauft. Dann fehlen dem jährlichen Anti-Rechts-Festival [2] in Jamel die Parkplätze.
Es wird von einem Ehepaar organisiert, das in den Ort gekommen ist, um ihn nicht ganz den Rechten zu überlassen. Für ihre Courage hat es mehrere Preise bekommen. Dass die Rechten und nicht ihre Gegner noch immer Unterstützung von der Gemeinde bekommen, wenn dahinter solvente Investoren stehen, hat bundesweit bisher kaum Resonanz gefunden.
Über den rechten Geländegewinn in Mecklenburg-Vorpommern informierte die Journalistin und wohl beste Kennerin der rechten Szene, Andrea Röpke [3], am Samstag auf der gut besuchten, vom Philosophen Armen Avanessian [4] moderierten Veranstaltung „Rechte Räume“ [5] in der Berliner Volksbühne.
National befreite Zonen wie Jamel waren dabei aber nur ein Thema. Es ging vor allem um ideologische Geländegewinne auch auf Gebieten, wo es gemeinhin nicht vermutet wird.
Rechte Erfolge bei der Stadtrekonstruktion
Der Architekturprofessor Stephan Trüby [6] berichtete darüber, dass die historische Stadtrekonstruktion ein Thema für extrem Rechte ist. So ging die Initiative sowohl für die Rekonstruktion der historischen Innenstadt von Frankfurt/Main [7] als auch den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonskirche von extrem Rechten [8] aus.
Trüby betont allerdings, dass die späteren Akteure nicht aus diesem Spektrum kommen. Deutlich wird hier, dass die Sehnsucht nach einer heilen deutschen Vergangenheit unter Ausblendung der NS-Zeit weite Teile des Bürgertums teilen. Die von Trüby vorgetragenen Thesen erinnern an Debatten einer Linken, die sich in den 1990er Jahren kritisch zur Gestaltung der Neuen Wache in Berlin [9] mit genau den gleichen Argumenten äußerte, die Trüby nun gegen die historische Stadtrekonstruktion vorbringt.
Er bezog sich allerdings nicht auf diese Debatte vor mehr als 25 Jahren. So blieb unklar, ob er davon beeinflusst war. Seine zentrale These, dass es keine rechte Architektur, aber sehr wohl rechte Konzepte für eine nationalistische Stadtentwicklung gibt, dokumentiert Trüby an zahlreichen Beispielen aus dem In- und Ausland.
Der Flügel am Kyffhäuser-Denkmal
Rechte Politiker, nicht nur der AfD, fordern wieder verstärkt, deutsche Denkmäler statt Mahnorte aufzustellen. Auch das zeichnete sich bereits vor mehr als 25 Jahren ab und wurde auch im Zusammenhang mit der Kritik an der Gestaltung der Neuen Wache thematisiert.
Diese Symbolpolitik zeigte Trüby an einem Treffen des völkischen AfD-Flügels, der sich demonstrativ vor dem Kyffhäuserdenkmal ablichten lässt, einer der historisch wirkungsmächtigsten völkischen Mythenorte in Deutschland.
Gefährlicher aber dürfen jene von Trüby gezeigten rechten Orte seins, in denen beispielsweise die faschistische italienische Organisation Casa Pound (https://de-de.facebook.com/casapounditalia/ [10] eine hippe rechte Postmoderne [11] zelebriert. Dort werden Menschen angesprochen, die für den muffigen Kyffhäuser-Kult wohl kaum zu begeistern sind.
Auch die rechte Initiative Kulturraum Land [12] die in den Dörfern „patriotische Zentren“ aufbauen will, könnte Zulauf bekommen. Zu Beginn der Veranstaltung wurde von Armen Avanessian angekündigt, auch die Gegenstrategien sollten nicht zu kurz kommen.
Doch da blieb nach knapp zwei Stunden neben den Jamelner Antirechts-Festival nur die bekannte und kontrovers diskutierte Aktion des Zentrums für politische Schönheit [13] übrig, in unmittelbarer Nachbarschaft von Höcke in Bornhagen ein Holocaust-Denkmal in Miniaturformat [14] nachzubauen.
Die bekannteste Persönlichkeit des Zentrums, Philipp Rucht, erläuterte noch einmal die Aktion, ohne auf die Kritik einzugehen, dass damit auch eine Banalisierung des Holocausts betrieben werde. Sehr anschaulich wurde das Agieren einer rechten Bürgerwehr gezeigt, die die Höcke-Kritiker sofort aus dem Dorf treiben wollten.
Auch auf Namensspielchen, wo aus Björn „Bernd Höcke“ wird [15], ging Rucht ein. Er verwies auf eine weitere Kulturaktion, in der Höcke mit dem Pseudonym Landolf Ladig [16] verbunden wird.
Nach Sprachvergleichen [17] des Münsteraner Sozialwissenschaftlers Andreas Kemper [18] soll Höcke für NPD-nahe Publikationen Artikel verfasst haben, bevor er in der AfD aktiv wurde.
Höckes Dementi wurde selbst von Teilen der AfD nicht geglaubt. Im Ausschlussantrag der AfD unter Frauke Petry wurde auf die Arbeit von Kemper verwiesen. Auch der Leiter des Thüringer Verfassungsschutzes Kramer zitierte aus Artikel von Kemper zu Höcke in der libertären Wochenzeitung Graswurzelrevolution [19] und löste damit einen rechten Shitstorm [20] aus.
Kramer hatte zunächst Kemper nicht als Quelle angegeben, sich für das Versäumnis entschuldigt. Auch Rucht vergaß bei seinem Vortrag in der Volksbühne, die Quelle für seine Ladig-Höcke-Satire zu benennen. Allerdings sind im Internet Kempers Texte verlinkt.
Keine Erwähnung von linken Räumen
Egal, wie man zu den Aktionen des Zentrums für politische Schönheit steht, als Gegenstrategien zur Ausbreitung rechter Räume können sie nicht gelten. Dieser Punkt blieb am Samstag ausgespart, obwohl Armen Avanessian ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass der Punkt nicht zu kurz kommen solle.
Dabei hätte man doch Beispiele aus Berlin nehmen können, wie Rechte ihre Räume auch wieder verloren haben. Das in den früheren 1990er Jahren von Neonazis besetzte Haus in der Lichtenberger Weitlingstraße [21] wäre da ebenso zu nennen wie eine Straße in Oberschöneweide, wo zivilgesellschaftliche Gruppen die Etablierung einer nationalen Zone [22] eindämmten [23].
Peter Nowak
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4205757
https://www.heise.de/tp/features/Diskussion-ueber-rechte-Gelaendegewinne-4205757.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.facebook.com/events/753726978170928
[2] https://www.forstrock.de/
[3] https://www.christoph-links-verlag.de/index.cfm?view=6&autoren_id=289
[4] https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2018/geduld/armen-avanessian-interview-wir-haben-keinen-positiven-zukunftsbegriff-mehr
[5] https://www.volksbuehne.berlin/de/programm/5901/rechte-raeume
[6] https://www.ar.tum.de/aktuell/news-singleview/article/prof-stephan-trueby-wechselt-zur-universitaet-stuttgart/
[7] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/neue-frankfurter-altstadt-durch-rechtsradikalen-initiiert-15531133.html
[8] https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2018/januar/sehnsuchtsort-der-neuen-rechten-die-potsdamer-garnisonkirche
[9] https://theculturetrip.com/europe/germany/articles/k-the-kollwitz-and-berlin-s-neue-wache/
[10] CasaPoundhttps://de-de.facebook.com/casapounditalia/
[11] https://www.antifainfoblatt.de/tags/casa-pound
[12] https://einprozent.de/blog/gegenkultur/kulturraum-land-fleissige-helfer-gesucht/2364
[13] https://www.politicalbeauty.de/
[14] https://www.politicalbeauty.de/mahnmal.html
[15] https://www.koelner-abendblatt.de/artikel/politik/warum-bernd-hoecke-afd-von-manchen-medien-bjoern-genannt-wird-22858186.html
[16] https://www.politicalbeauty.de/landolf/
[17] https://andreaskemper.org/2016/01/09/landolf-ladig-ns-verherrlicher/
[18] https://andreaskemper.org
[19] https://www.graswurzel.net/gwr/
[20] https://www.graswurzel.net/gwr/2018/10/linksextremes-schmierblatt/
[21] http://telegraph.cc/berliner-hausbesetzerinnen-geschichte-das-neo-nazi-haus-weitlingstrasse-122-in-berlin-lichtenberg/
[22] https://www.antifa-berlin.info/sites/default/files/dateien/artikel/Schoeneweide.pdf
[23] http://www.taz.de/!5291945/
„Haunted Landlord“: Entmietete plagen Vermieter
Anders als beim Zentrum für Politische Schönheit steht beim Peng! Kollektiv noch die Message im Mittelpunkt. Aber besser wäre die Selbstorganisierung der Betroffenen
„Als ich nach Hause gekommen bin, tropfte das Wasser von der Decke. Die Feuerwehr sagte, das kennen wir schon.“ „Ich habe 15 Jahre in der Berlichingenstraße gewohnt, dann die Entmietung.“ „Ihre Mieterinnen und Mieter haben 7 Wochen im Winter gefroren, weil sie kein Heizöl gekauft haben.“ „Sie zerstören das Haus, in dem wir gerne leben. Für Luxusbauten? Klingt das nicht absurd?“ „Wir hatten keine Kraft mehr zu kämpfen und verließen unsere Wohnung. Jetzt steht sie leer.“
Das sind einige Zitate von Telefonaten, die bei Hauseigentümern aus verschiedenen Städten in Deutschland eingegangen sind und unter dem Titel Haunted Landlord veröffentlicht wurden. Es ist eine Aktion des Peng! Kollektivs, das mit satirischen Mitteln auf politische Missstände aufmerksam macht. „Peng ist ein explosives Gemisch aus Aktivismus, Hacking und Kunst im Kampf gegen die Barbarei unserer Zeit“, heißt es auf der Homepage des Kollektivs.
Die Aktivisten haben sich teils private, teils geschäftliche Telefonnummern von Vermietern organisiert und eine Software programmiert, die automatisch immer wieder dort anruft und Tonaufnahmen der Geschichten abspielt, die Mieter mit ihnen erlebt haben. „Die Entmieteten kehren zurück, um diejenigen zu plagen, die sie auf die Straße gesetzt haben“, heißt es in einem Schreiben von Peng!, das dazu veröffentlicht werden soll. Eine Woche lang soll die Aktion laufen.
Skandalisierung, aber keine gesellschaftliche Einordnung
Schon in der Vergangenheit hat das Künstlerkollektive mit Aktionen wie „Fluchthelfer“ Diskussionen angestoßen und auch einige immer wieder verärgert. Aber das ist ganz im Sinne des Kollektivs, das sich gegen Rassismus, rechte Hetze und verschiedene soziale Missstände engagiert.
Dabei verzichtet es allerdings auf eine Einordnung der angeprangerten Widerwärtigkeiten in einen gesellschaftlichen Zusammenhang. Das schafft den Politkünstlern immer wieder viel Aufmerksamkeit und ärgert nicht die Falschen. Doch damit bleibt die Kritik auch an der Oberfläche, wie auch die jüngste Aktion „Haunted Landlords“ zeigt.
Sie lebt von einer Personalisierung. Es wird der Eindruck erzeugt, wenn man den Verantwortlichen jetzt mal ganz persönlich sagt, welche Folgen ihre Entmietungspolitik hat, werden sie ihr Verhalten ändern. Das mag in Einzelfällen auch funktionieren und die angesprochenen Vermieter agieren vorsichtiger, sei es, weil sie ein schlechtes Gewissen haben oder weil es für das Geschäft auch nicht besonders vorteilhaft ist, von Peng! namentlich genannt zu werden.
Das mag bei Wohnungs- und Hauseigentümern, die namentlich bekannt sind, einfacher funktionieren als bei Briefkastenfirmen. Denn dann erreichen die Anrufe einfach einen vielleicht prekär Beschäftigten, der für die Briefkastenfirma das Telefon bewacht. Denn Kapitalismus funktioniert nicht so, dass man den Verantwortlichen einfach ins Gewissen redet und alles wird gut … Das zentrale Motiv für die geschilderten Entmietungspraktiken ist nicht die persönliche Gier oder ein moralisch böse handelnder Unternehmer. Es ist die Profitlogik einer kapitalistischen Gesellschaft, die den Rahmen schafft, in denen dann die unterschiedlichen Player agieren.
Es ist zweifellos richtig, dass die Verantwortlichen da nicht nur kapitalistische Sachzwänge exekutieren, sondern für ihr Handeln auch Verantwortung tragen. Ein gutes Beispiel sind die Wohnungseigentümer der Rentnerin Rosemarie F., die zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung im April 2013 gestorben ist. Die Vermieter waren trotz einer Zusage, dass die Miete pünktlich überwiesen ist, nicht bereit, die Kündigung zurückzunehmen. Im Gegenteil, haben sie die Rentnerin noch in den Medien beleidigt.
Das sind keine Einzelfälle, wie die vom Peng! Kollektiv aufgelisteten Entmietungsfälle zeigen. Wenn es auch unwahrscheinlich ist, dass das sich durch die Anrufe tatsächlich einige verändern, so hat die Aktion durchaus einen Sinn, weil sie eine gesellschaftliche Diskussion über Mieterwillkür auslösen. Hier liegt das positive Moment der Aktion. Sie öffnet bei schwachen oppositionellen Kräften Räume, um Unmut und Protest auszurücken.
Peng ist näher am Alltagswiderstand als das Zentrum für politische Schönheit
Wenn sich die Betroffenen gegen die Entmietung wehren, indem sie juristische Klagen führen oder politisch aktiv werden, beispielsweise in Bündnissen wie „Zwangsräumung verhindern“, dann verlassen sie den Opferstatus und lernen auch viel über die Verfasstheit unserer Gesellschaft. Sie nehmen damit auch eine kritische Haltung zu Gesellschaft ein. Sie brauchen dann auch keine Zwischeninstanzen wie das Peng!, das ihnen die Stimme leiht.
Doch in einer Situation, in der diese oppositionellen Gruppen schwach sind, kann das Kunstkollektiv dazu beitragen, dass die Politik der Entmietung als der gesellschaftspolitische Skandal wahrgenommen wird, der er ist. Im Gegensatz zum Zentrum für Politische Schönheit, mit dem das Peng! Kollektiv den Glauben an den liberalen Rechtsstaat und die Macht der Skandalisierung teilt, widmet es sich dem Alltagswiderstand.
Dadurch werden die Anliegen auch nicht durch die Macht der Künstler erdrückt. Das Zentrum organisiert mit immer mehr finanziellen Mitteln und viel logistischem Aufwand seine Aktionen, so dass die politischen Anliegen dahinter verschwinden. Wenn dann Tiger in einem Käfig in Berlins Mitte zu sehen sind, sind die Menschen dadurch mehr beeindruckt als von der Message, dass es um die Rechte von Migranten geht, was dann noch am Rande erwähnt wird.
Bei der aktuellen Aktion des Zentrums, dem Nachbau des Mahnmals der Ermordeten Juden vor dem Haus des AFD-Rechtsaußen Björn Höcke ist der Inszenierungs- und Kunstcharakter noch größer. Viel mehr wird darüber diskutiert, ob das Privatleben der Höcke-Familie beeinträchtigt oder die Shoah-Opfer instrumentalisiert werden, als über die rechten Thesen von Höcke bzw. Landolf Ladig.
Das macht die Gefahr deutlich, dass die politisch motivierten Kunstaktionen die Message erdrücken und ein Eigenleben entwickeln. Was vom künstlerischen Standpunkt aus zu begrüßen ist, kann politisch fatal sein. Das Peng!Kollektiv sollte sich dieser Gefahr bewusst sein.
https://www.heise.de/tp/features/Haunted-Landlord-Entmietete-plagen-Vermieter-3907276.html
Peter Nowak
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3907276
Links in diesem Artikel:
[1] https://hauntedlandlord.de
[2] https://de-de.facebook.com/pengcollective/
[3] https://pen.gg/de/
[4] http://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/mit-fluechtlingen-auf-der-balkanroute-die-fluchthelfer/12645368.html
[5] https://philosophia-perennis.com/2017/09/08/votebuddy-kriminell
[6] https://www.edition-assemblage.de/rosemarie-f-kein-skandal/
[7] http://berlin.zwangsraeumungverhindern.org/
[8] https://www.politicalbeauty.de/
[9] https://www.thueringen24.de/erfurt/article210243713/Petry-Bjoern-Hoecke-schrieb-als-Landolf-Ladig-fuer-die-NPD.html
„Wir waren da, wo wir nicht sein sollten“
Die Organisatoren der Proteste gegen den G20-Gipfel lassen sich durch großen Druck nach dem Riot der letzten Nacht nicht spalten. Allerdings haben manche Ex-Linke schon im Vorfeld des Gipfels für Merkel Partei ergriffen
Das Knattern der Polizeihubschrauber übertönte auf der Pressekonferenz am Samstagvormittag mehrmals die Statements der Redner. So merkte man ganz deutlich,… „„Wir waren da, wo wir nicht sein sollten““ weiterlesen
Künstlerische Selbstjustiz gegen Google
Über das Elitebewusstsein von Hipster-Protesten
„You(Tube, Einf.d.A.) censors inside“ und „Demokratie ist in deinem Land nicht verfügbar #Erdogan# Türkei“ lauteten die Parolen[1], die am Dienstag auf die Google-Zentrale in Hamburg projiziert wurden.
Verantwortlich für den Lichtprotest ist das Künstlerkollektiv Pixelhelfer-Foundation[2], das auf seiner Homepage erklärt, man wollte mit den „Idealen der Freimaurer“ die Prinzipien der französischen Revolution verteidigen.
Unsere Selbstjustiz der Kunst bietet alle Möglichkeiten für eine nachhaltige Veränderung innerhalb der Gesellschaft.Pixelhelper
Mit der Lichtkunst-Aktion an der Google-Zentrale sollte gegen das zu Google gehörende Online-Video-Portal Youtube protestiert werden, das ein ZDF-Interview in der Türkei gelöscht hat, teilt der Lichtkünstler und Pixelhelper-Aktivist Oliver Bienkowski mit. Es ist nicht das erste Mal, dass die Lichtkünstler gegen Zensur, Menschenrechtsverletzungen und Geschichtsrevisionismus in der Türkei protestieren.
Am 31. Mai 2016 machte das Künstlerkollektiv mit einer Aktion am Bundeskanzleramt auf den Umgang der türkischen Politik mit den Genozid an den Armeniern aufmerksam. Auch Zitate des berühmten Böhmermann-Schmähgedichtes, von dem sich der türkische Präsident Erdogan so sehr beleidigt fühlt, dass er noch immer gegen den Moderator klagt, hat Pixelhelper Ende Mai an die türkische Botschaft projiziert, nicht ohne darüber zu informieren, dass die Passagen vom Hamburger Landgericht erlaubt worden seien.
Mit einer ähnlichen Aktion an der Botschaft von Katar in Berlin wurde auf die desaströsen Bedingungen aufmerksam gemacht, mit denen die Stadien und Anlagen für die Fußball-Weltmeisterschaft von einen multinationalen Heer von Lohnabhängigen errichtete werden müssen.
Politisierung der Hipster?
Es handelt sich also um eine durchaus begrüßenswerte Erweiterung der Protestagenda, die hier vorgeführt wird. Sie könnte auch zu einer Politisierung der Hipster beitragen, die eben mit ihren Mitteln und unter ihren Bedingungen politischen Protest versuchen.
Doch, ähnlich wie neuere Kunstprotestaktionen, so z.B. das Zentrum für politische Schönheit[3], kommt auch Pixelhelper mit einem Gestus daher, als hätte man dort den politischen Protest erst erfunden und es hätte davor nichts gegeben.
Unsere Selbstjustiz der Kunst bietet alle Möglichkeiten für eine nachhaltige Veränderung innerhalb der Gesellschaft.Pixelhelper
Der selbstgewisse Ton, der anscheinend von keinem Zweifel angerührt wird, erinnert an Äußerungen von Zentralkomitees der unterschiedlichen kommunistischen Gruppen in der Vergangenheit, nur dass heute, wenn von Revolution die Rede ist, die bürgerliche Demokratie als Ziel gemeint ist. Dabei werden politisch äußerst fragwürdige Analogien gezogen. So wurde beim Lichtprotest an der türkischen Botschaft Erdogan mit Hitler-Bart ausgestattet.
„Pixelhelper reagiert auf die Gefängnisstrafe für Can #Dündar und Erdem #Guel in der Türkei. Eine Lichtprojektion von Adolf #Hitler und #Erdogan steht symbolisch für die schlimmen Verbrechen gegen die Menschenrechte die Erdogans Politik ausmachen“, heißt es zur Begründung. Ist den Verantwortlichen bis heute nicht aufgefallen, dass sie damit die Verbrechen des Nationalsozialismus relativieren, der eben nicht nur einige Intellektuelle und Journalisten ins Gefängnis gebracht hat?
Hier zeigen sich auch die politischen Grenzen der neuen Protestgruppen, die viel von Demokratie und Verteidigung des Humanismus reden, mit „Leidenschaft für eine bessere Welt“ eintreten, aber über Kapitalismus und Unterdrückungsverhältnisse nichts wissen wollen.
Bürgerliches Avantgardebewusstsein
Mit dem Zentrum für politische Schönheit teilen auch die Pixelhelper die Überzeugung, dass nur eine kleine Minderheit die Gesellschaft nachhaltig verändern kann. „Zweifeln Sie niemals daran, dass eine kleine Gruppe ernsthafter und engagierter Menschen die Welt verändern kann. Tatsächlich sind sie die einzigen, die dies vermögen“, wird auf der Homepage prominent die US-Ethnologin Margareth Mead[4] zitiert.
Nun ist es evident, dass kleine Gruppen von Menschen, wichtige Impulse für die Veränderung der Gesellschaft geben können. Dass sie aber die einzigen sein sollen, die das können, zeugt von einem bürgerlichen Elitebewusstsein, das gar nicht davon ausgeht, dass alle Menschen selber Geschichte schreiben und Verhältnisse kritisieren sollen – weil sie dazu angeblich nicht in der Lage sind?
Dieses Bewusstsein einer Elite für das Gute wird wiederholt, wenn Spenden mit dem Satz eingeworben werden: „Seien Sie dabei, wenn eine kleine Gruppe von Menschen eine große Veränderung in der Gesellschaft anstößt.“
Kommunistische Parteien hatten mit ihren Avantgardekonzept noch den Anspruch, eine Revolution voranzutreiben. Heute muss das bürgerliche Avantgardekonzept schon dazu herhalten, um die Menschenrechte zu verteidigen. Wenn die Ziele, die sich Pixelhelper setzt, tatsächlich nur noch die Sache einer kleinen Gruppe sind, dürfte es schlecht um die Verwirklichung aussehen.
http://www.heise.de/tp/artikel/49/49681/1.html
Peter Nowak
Anhang
Links
[1]
https://drive.google.com/drive/folders/0B56kcv_8jha2endLVTRMOWViYzg?usp=sharing
[2]
http://pixelhelper.org/de
[3]
http://politicalbeauty.de
[4]
http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/margaret-mead/
Zurück Flüchtlinge sollen sich den Tigern zum Fraß vorwerfen
Angewandter Humanismus oder Ausdruck eines regressiven Politikverständnisses? Die aktuelle Kunstaktion des Zentrums für Politische Schönheit hinterlässt viele Fragen
Die Nichtregierungsorganisation Ärzte ohne Grenzen nimmt von der EU und ihren Mitgliedstaaten keine finanziellen Mittel mehr [1] an, weil sie nicht teilhaben wollen an einer Politik der Flüchtlingsabwehr, die offizielle EU-Politik ist. „Wir sehen in unseren Projekten jeden Tag, welches Leid die aktuelle EU-Politik verursacht“, begründet Florian Westphal, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Deutschland, die Entscheidung. Er präzisiert:
„Die verheerenden Auswirkungen der EU-Abschottungspolitik für Menschen auf der Flucht, besonders für verletzliche Gruppen wie Schwangere, Kinder und unbegleitete Minderjährige, erleben unsere Teams täglich – in Europa, an dessen Außengrenzen und bis in die Herkunftsländer hinein.“
Mit diesem Schritt reißt eine große NGO der EU, aber auch den Politikern all ihrer Mitgliedstaaten die humanitäre Maske vom Gesicht. Die Reaktionen der Politiker, die alle Bedauern über diesen Schritt heucheln, zeigen, dass die Aktionen getroffen haben.
Suche nach einem Retter des römischen Reiches
Während hier der Mythos der helfenden Politiker entlarvt wird, geht das Zentrum für Politische Schönheit [2] mit seiner neuesten Aktion einen anderen Weg. Hier wird wieder einmal an die Politik appelliert, doch bitte einen humanitären Schritt zu tun und sich zum Retter des „europäischen Reiches“ aufzuspielen. Als erste Adresse für diesen Retter hat sich das Künstlerkolletiv den scheidenden Bundespräsidenten Joachim Gauck ausgesucht.
Um seinem Ego zu schmeicheln, haben sie sogar ein Flugzeug nach ihm benannt [3]. Die „Joachim I“ soll syrische Flüchtlinge, die in Deutschland einen Aufenthaltsstatus bekommen würden, Ende Juni nach Berlin bringen. Dann müssten sie nicht die gefahrvolle und teure Dienstleistung der Schlepper in Anspruch nehmen.
Der Grundgedanke ist richtig. Die Forderung nach sicheren Transitrouten für Geflüchtete wird in der Flüchtlings- und Antirassismusbewegung schon lange erhoben. Doch dort wird sie nicht als Akt eines politischen Retters verstanden, sondern als eine Aufgabe für die außerparlamentarische Bewegung, möglichst länderübergreifend einen gesellschaftlichen Druck zu entwickeln, der solchen Forderungen politisches Gewicht verleiht. Im Zeichen eines europäischen Rechtsrucks ist es nicht einfach, einen solchen Druck zu entwickeln.
Nun stattdessen an edlen Retter zu appellieren, ist aber nur regressiv.
Hinzu kommt noch, dass die Kampagne die komplizierte juristische Lage vereinfacht, damit sie besser passt. Einreisen per Flugzeug sei für Flüchtlinge einfach, wird vermittelt. Der Fokus wird auf den <x>Paragraphen 63::https://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/BJNR195010004.html<x> des Aufenthaltsgesetzes gelegt, der theoretisch von der Bundesrepublik verändert werden könnte. In einem Spiegel-Artikel zum Thema „Warum sie nicht per Flugzeug kommen können“ [4] wird auf eine EU-Richtlinie 2001/51/EG verwiesen, welche die Einreise mit einem Flugzeug untersagt.
Die könnte nun aber nicht in einem Gnadenakt von Gauck außer Kraft gesetzt werden. Da stellt sich doch die Frage, ob diese Zusammenhänge extra weggelassen werden, damit das besser zu einer Kampagne passt, die zu keinem Erfolg führen kann und soll.
Das Kampganen-Konzept unterstellt, dass es nur auf den Willensakt des Einzelnen ankommen würde. Gesellschaftliche Interessen, Klassen- und Machtverhältnisse spielen beim Zentrum für politische Schönheit keine Rolle. Das war bereits bei den früheren Aktionen der Gruppe ein Problem. Allerdings war es in den Aktionen trotz der strikten Regie der Künstler noch immer möglich, politischen Eigensinn einzuschmuggeln, der die zutiefst elitären Staats- und Politikvorstellungen des Künstlerkollektivs etwas entgegenwirkte. So gelang es im letzten Jahr bei der Aktion Die Toten kommen [5], Antirassisten, die sich am Protestmarsch zum Regierungsviertel beteiligten, die Zäune um den Rasen des Bundestags zu stürmen und eine Menge von Gräbern aufzuschütten. Die wurden zusammen mit den Kreuzen zu einem Symbol für die tödliche bundesdeutsche Flüchtlingspolitik.
„Nur im Theater kann man Flüchtlinge den Tigern zum Fraß vorwerfen“
Doch bei der aktuellen Aktion „Flüchtlinge fressen“ ist es kaum möglich, solche Spuren des emanzipatorischen Eigensinns in ein zutiefst regressives Konzept einzuspeisen. Höhepunkt der Aktion ist dieses Mal keine Aktion mit Beteiligung einer gewissen kritischen Öffentlichkeit.
Vielmehr sollen am 28.Juni – wenn sich weder Gauck noch der Papst dazu bereit erklären, den „imperialen Retter des Humanismus“ zu spielen, wie ihn die Ideologen hinter dem Zentrum für politische Schönheit verstehen – Geflüchtete vier Tigern zum Fraß vorgeworfen werden.
Die sind derweil in einer Art römischen Manege vor dem Berliner <x>Gorki-Theater::http://www.gorki.de/<x> in Berlin-Mitte untergebracht und können durch ein Fenster beobachtet werden. Die sibirischen Tiger, die für das Stück aus Libyen stammen sollen, sind die eigentliche künstlerische Intervention des Zentrums für politische Schönheit. Durch sie bekommt die ansonsten zwischen Größenwahn und Belanglosigkeit schwankende Spendenaktion die nötige Aufmerksamkeit.
Im Künstlergespräch im Gorki-Theater betonte der Dramaturg Carl Hegemann [6] in der Kunst könne man Geflüchtete auffordern, sich den Tigern zum Fraß vorzuwerfen. Als politische Aktion wäre das nicht möglich. Damit hat Hegemann erfreulicherweise den Charakter der Aktion klargestellt. Es ist eine besondere Kunstaktion und als solche hat sollte sie auch betrachtet werden.
Nur stellt sich dann die Frage, warum die Aktion nicht in den Feuilletons diskutiert und kritisiert wird und stattdessen auf den Politikseiten Platz findet? Das ist nicht belanglos. Als künstlerische Intervention hat die Aktion durchaus ihren provokativen Charakter und auch einen gewissen politischen Gehalt. #
Wird sie aber als politische Aktion verstanden, müsste ihr durch und durch regressiver Gehalt im Mittelpunkt der Kritik stehen. Eine politische Aktion, die an den einsamen Retter der Zivilisation im Vatikan oder Bundespräsidentenamt appelliert, kennt keine Staatskritik und will sogar noch den bürgerlichen Parlamentarismus zugunsten der edlen Tat des Einzelnen ersetzen.
Bild vom verzweifelten Flüchtling
Genau so problematisch ist das Bild von Geflüchteten, das durchgängig in den Videos und den Erklärungen zur Aktion gezeichnet werden. Es wird das Bild von verzweifelten, dem Tod geweihten Menschen gezeichnet, die nur durch eine Spende für Joachim I noch gerettet werden können. Das ganze wird garniert mit Bildern von Flüchtlingskindern, die sich bei den edlen Rettern bedanken. Damit wird unterschlagen, dass die Geflüchteten politische Subjekte sind, die Entscheidungen für sich treffen, die Grenzen überwinden. Der Höhepunkt der Victimisierung von Geflüchteten ist erreicht, wenn Geflüchtete gesucht werden, die sich freiwillig den Raubtieren zum Fraß vorwerfen.
„Haben Sie einen Flüchtlingshintergrund? Haben sie Angehörige verloren? Sind Sei verzweifelt? Dann sind sie dafür qualifiziert, sich als Futter für die Tiger zu bewerben.“
In den letzten Jahren haben immer wieder Flüchtlinge Suizid verübt, aus Angst vor der Abschiebung oder wegen der schlechten Lebensverhältnisse in den Unterkünften. Alljährlich dokumentiert [7] die Antirassistische Initiative Berlin solche Fälle. In den letzten Jahren haben immer wieder politisch engagierte Geflüchtete ihren Körper zur Waffe gemacht. Sie organisieren Hunger- und Durststreiks. Dadurch hat die Schweizer Publizistin Sabine Hunzinker von diesen politischen Kampfformen erfahren. Sie hat im letzten Jahr dazu das Buch „Protestrecht des Körpers – Einführung zum Hungerstreik in Haft“ herausgegeben [8].
Andere Flüchtlinge drohten vom Dach einer Berliner Unterkunft zu springen, um ihre Räumung zu verhindern. Hier war die Überlegung, den eigenen Körper als Waffe einzusetzen, Teil einer Widerstandsperspektive. Doch Flüchtlinge als politische Subjekte kommen in der Kampagne des Zentrums für politische Schönheit nicht vor.
http://www.heise.de/tp/news/Fluechtlinge-sollen-sich-den-Tigern-zum-Frass-vorwerfen-3241117.html
Peter Nowak
Links:
[1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]
Was macht die Friedensbewegung, wenn Russland in Syrien mit bombt?
Am kommenden Sonntag geht ein Teil der deutschen Friedensbewegung 100 Jahre zurück in die Geschichte. Sie nehmen das Jubiläum der Zimmerwalder Konferenz, als sich vor 100 Jahren in den kleinen Schweizer Ort die versprengten Reste der europäischen Sozialdemokratie trafen, die den Kurs des Burgfriedens ablehnten, zum Anlass, um über die Probleme der heutigen Friedensbewegung zu sprechen[1].
Seit einigen Tagen ist die Situation für die abermals versprengen Reste der aktuellen Friedensbewegung noch schwerer geworden. Seit Russland genau wie die USA und Frankreich ebenfalls in Syrien Ziele bombardiert, müsste zumindest der Teil der Friedensbewegung in Argumentationsschwierigkeiten geraten, der Putin und seine Politik immer als friedlich darstellte und dagegen die kriegerische USA bzw. den US-Imperialismus stellten.
Ein Paradebeispiel war in diesen Kreisen die diplomatische Initiative Russlands, das syrische Giftgas ohne kriegerischen Einsatz zu beseitigen. So sei in letzter Minute ein schon geplantes Eingreifen der USA und anderer Natostaaten in Syrien verhindert worden, so die Sichtweise der Fraktion in der Friedensbewegung, die vielleicht etwas verkürzt als prorussisch bezeichnet werden können. Es ist tatsächlich schwer, einen Begriff für diese Strömung zu finden, die in Teilen der traditionellen Linken ebenso anzutreffen ist wie in der diffusen Mahnwachenbewegung, aber auch in offen rechten Kreisen.
Rückkehr der Geopolitik
Der Begriff der Putinversteher, der sich für diese Strömung eingebürgert hat, ist schon deshalb untauglich, weil er schon die Tatsache, dass jemand die Interessenlage und Beweggründe eines Landes verstehen will, mit einer negativen Konnotation versieht. Am ehesten könnte diese russlandfreundliche Strömung als Neuauflage einer Geopolitik[2] begreifen, die geografische Gegebenheiten zum Gegenstand der Politik machen will. Da wird zum Beispiel eine Verständigung mit Russland mit der notwendigen Kooperation der europäischen Mächte begründet. Die USA wird als nichteuropäische Macht als potentieller Aggressor betrachtet, der eine Kooperation zwischen der EU und Russland hintreiben könnte.
Auch das Konzept der Eurasischen Union, ein Bündnis zwischen europäischen und asiatischen Ländern, zu denen Russland den Schlüssel bieten soll, ist in geopolitischen Kreisen populär. Das Konzept kommt ursprünglich aus der politischen Rechten. Heute beziehen sich auch Menschen und Initiativen darauf, die sich als links verstehen. Doch mit dem emanzipatorischen Anspruch hat es auch heute nichts zu tun. Es geht um Staaten und ihre Regenten und die überhistorischen geografischen Gegebenheiten, die angeblich die Geschichte bestimmen. Kein Platz ist in einem solchen Geopolitikkonzept für die Bewohner der Länder, ihre Wünsche und ihre Kämpfe.
Es ist kein Zufall, dass anlässlich des Geburtstags von Otto von Bismarck, der sich in diesem Jahr am 1. April zum 200. Mal jährte, viel über vermeintlich löbliche Seiten des erzreaktionären Politikers sinniert wird. Dabei wird besonders betont, dass Bismarck nach zahlreichen, von ihm provozierten Kriegen einen Ausgleich mit Russland suchte, woraus Handlungsmöglichkeiten für den gegenwärtigen Ukraine-Konflikt abgeleitet werden.
Hier wird versucht, eine geopolitische Tradition zu kreieren. Auch heute wird sie hauptsächlich in rechtspopulistischen Kreisen gepflegt. So wird auf einer Konferenz des Magazins Compact der französische Geopolitiker Thierry Meyssan auftreten[3], der erst kürzlich aufrief, IS und Moslembürger gemeinsam mit Putin zu bekämpfen. Meyssan ist mit seiner Veröffentlichung zum 11. September zum Star der Verschwörungstheoretiker geworden. Ihm wird aber auch von seinen Kritikern[4] bescheinigt, dass er lange Zeit in Frankreich als Wissenschaftler der Aufklärung galt. Gerade darin aber dürfte sein Erfolg liegen.
Den Anhängern eines solchen Bündnisses geht es nicht um eine Welt ohne Krieg. Ihnen geht es um ein starkes Deutschland bzw. einer deutschbeherrschten EU-Zone, die sich im Bündnis mit Russland gute Voraussetzungen für den Kampf um Bodenschätze und Wasser erobern soll und dazu natürlich bei Bedarf auch Krieg führen können. Nur sollen es nach den Vorstellungen der Geopolitiker eben Kriege sein, die im deutschen Interesse sind.
Die Intervention Russlands in Syrien hingegen wird dann als weltweiter Beitrag im Kampf gegen den Islamismus interpretiert, wie es der russische Präsident in seiner Rede auf der UN-Vollversammlung[5] kundtat und dazu sogar Verbindungen zur Anti-Hitler-Koalition zog, um auch die Traditionslinke zufrieden zu stellen.
Vom kalten und heißen Krieg
Tatsächlich ist die syrische Intervention für die russische Regierung vor allem eine gute Gelegenheit, um der Welt und auch der Bevölkerung zu signalisieren, wir sind wieder zurück in der Weltpolitik. Russland hat keineswegs vor, nach der Pfeife und unter dem Oberbefehl der USA oder Frankreich zu handeln. Wenn nun der französische Präsident Hollande von Putin fordert, er solle an den westlichen Vorgaben richten und nur die Islamistenfraktion bombardieren, die weltweit als zum Abschuss freigegeben angesehen wird, nämlich den IS, wird damit in Moskau auf wenig Gehör stoßen.
Dort hat man vielmehr deutlich gemacht, dass es Gespräche mit Vertretern westlicher Staaten nur in technischen Fragen geben soll. Man will so vermeiden, dass man sich, wie kurzzeitig im Kosovo passiert, plötzlich bewaffnet gegenübersteht, bzw. dass man gar aufeinander schießt. Man ist also dann wieder auf der Höhe des Kalten Krieges, als es den Verantwortlichen auch darum ging zu verhindern, dass daraus ein heißer Krieg wird.
Aber schon das Vokabular war zynisch. Denn der Krieg fand in den drei Kontinenten statt. Dort starben die Menschen, dort wurden die Städte und Dörfer verwüstet, die Felder vermint und eine unbekannte Zahl von Menschen dem Tod oder der Verelendung ausgeliefert. Heiß wäre der Krieg aber nur nach dieser Definition nur dann geworden, wenn dabei auch in den Zentren, also in den USA, in Russland, Frankreich oder Deutschland, Bomben eingeschlagen hätten und Menschen ums Leben gekommen wären. So wurden die Menschen also sortiert nach Metropolenbewohnern und den anderen.
Wenn nun Russland die Ergebnisse der Niederlage der Sowjetunion im Kalten Krieg rückgängig machen will und sich nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland als Macht, mit der man rechnen muss, präsentiert, bedeutet das für die große Mehrheit der Weltbevölkerung ein Zurück zu diesen Zuständen. Wer von den russischen Bomben getroffen wird, ist für die meisten Medien hierzulande nicht interessant. Genau so wenig wie die Opfer der anderen Mächte, die mit Bomben und Drohnen dort aktiv sind.
Nur die Initiative Adopt the revolution[6], die weiterhin beharrlich daran erinnert, dass der Aufstand in Syrien damit begann, dass sich Menschen gegen eine autoritäre Herrschaft auflehnten, bevor die völlig legitime Revolte durch Nachbarstaaten militarisiert wurde, macht sich die Mühe, Menschen aus Orten zu Wort kommen[7] zu lassen, die unter russischen Bomben[8] lagen.
Solche Initiativen stehen damit in der Tradition einer Antimilitarismusbewegung, die wie der linke Flügel der Sozialdemokratie vor 1914 die Opfer unter den Menschen aller Länder ebenso in den Mittelpunkt stellte, wie die ökonomischen und politischen Interessen der Kriegsbeteiligten aller Allianzen. Sie kamen gerade nicht auf die Idee, sich dabei auf eine Seite zu stellen. Wenn schon nicht von dem Standpunkt eines linken Antimilitarismus kritisiert[9] der Linken-Abgeordnete Stefan Liebich das russische Eingreifen in Syrien immerhin als weitere Untergrabung der Autorität der Vereinten Nationen.
Radikale Humanisten und der Krieg
Doch es sind nicht nur prorussische Geopolitiker, die die Bombe zumindest zeitweilig lieben lernen. Auch Philipp Ruch vom Kunstprojekt Zentrum für politische Schönheit[10]hat sich in einem Gespräch[11] mit dem Herausgeber des Freitag Jakob Augstein für eine militärischen Einsatz in Syrien ausgesprochen, natürlich nur zur Verteidigung der Menschen und ihrer Rechte.
Dass dieses Argument nicht nur von der rot-grünen Bundesregierung, sondern auch der Nato schon längst entdeckt wurde, um militärische Interventionen besser vermitteln zu können, scheint dem selbsternannten radikalen Humanisten Ruch entgangen zu sein. Es fällt ihm auch gar nicht auf, wie stark er die Ursachen des Syrienkonflikts vereinfachen muss, um seine Forderung nach einem Militäreinsatz gegen Assad zu legitimieren. Während es für die prorussischen Geopolitiker nur die Islamisten und ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Unterstützer als Kriegstreiber gibt und Assad als legitime Regierung gilt, wird er für Ruch zum Betreiber einer „genozidalen Kriegsführung“ und die Islamisten und ihre Förderer kommen gar nicht vor.
So müssen alle, die sich für Kriege aussprechen, immer zuerst die Realität so zurechtbiegen, damit dann das Feindbild auch stimmt. In der Realität stirbt aber nicht die Wahrheit, wie ein gerne verwendetes Bonmot sagt. Es sind reale Menschen, die sterben – und je mehr Kräfte beim Bomben mitmachen, desto größer wird ihre Zahl.
Peter Nowak
Anhang
Links
[1]
http://www.kriegsberichterstattung.com/id/4706/100-Jahre-Zimmerwalder-Konferenz-Imperialismus-heute–Differenzen-verstehen–Spaltungen-ueberwinden/
[2]
http://www.spektrum.de/lexikon/geographie/geopolitik/2976
[3]
http://juergenelsaesser.wordpress.com/2015/09/29/gemeinsam-mit-russland-is-und-muslimbruederschaft-bekaempfen/).
[4]
http://jungle-world.com/artikel/2002/15/24145.html
[5]
http://www.kremlin.ru/events/president/news/50385
[6]
https://www.adoptrevolution.org
[7]
http://www.adoptrevolution.org/fakten-talbiseh/
[8]
https://www.adoptrevolution.org/weitere-angriffe-des-russischen-militaers-interview-mit-aktivisten-aus-kafranbel/
[9]
http://www.stefan-liebich.de/de/article/4541.auch-russland-untergr%C3%A4bt-autorit%C3%A4t-der-uno.html
[10]
http://www.politicalbeauty.de/
[11]
https://digital.freitag.de/#/artikel/die-zugbruecke-geht-schon-wieder-hoch
[12]
http://www.heise.de/tp/ebook/ebook_21.html
Nicht deutsch genug, um als Heimatvertriebene zu gelten
Eine Passage der Gauck-Rede zum Gedenktag für Flucht und Vertreibung sorgt für Diskussionen
Am 20. Juni wurde erstmals ein Gedenktag für Flucht und Vertreibung [1] bundesweit begangen. Spontan fällt einem kritischen Zeitgenossen ein, dass es ist natürlich sinnvoll ist, an die vielen Opfern der europäischen und speziell auch deutschen Flüchtlingspolitik zu erinnern.
Täglich erfahren wir, dass Geflüchtete im Mittelmeer ertrinken oder schon vorher auf den Transitwegen in Afrika ausgeraubt und ermordet werden. Wer es bis nach Deutschland schafft, ist vor Angriffen von Pegida-Deutschen der unterschiedlichen Couleur nicht sicher, wie sich in diesen Tagen im sächsischen Freital zeigte [2], wo schließlich zivilgesellschaftliche Initiativen verhinderten [3], dass sich Szenen, wie wir sie vor mehr als zwei Jahrzehnten in Hoyerswerda, Rostock etc. gesehen haben, wiederholten. Dort wurden Flüchtlingsheime unter dem Beifall von applaudierenden Wutbürgern attackiert und in Brand gesetzt.
Zu gedenken wäre auch den Opfern einer staatlichen Flüchtlingspolitik, die aus Angst vor Abschiebungen, oder weil sie Stigmatisierungen und Abschiebedrohungen nicht mehr aushielten, die Pulsadern aufschnitten, sich erhängten oder durch das Trinken von giftiger Chemikalien ihren Leben ein Ende setzten. Seit mehr als 20 Jahren liefert eine Arbeitsgruppe der Berliner Antirassistischen Initiative mit einer jährlich aktualisierten Dokumentation der tödlichen Folgen der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik Nachweise [4] für solche Verzweiflungstaten.
Dieser Aspekt kam auch bei den vom Zentrum für politische Schönheit [5] initiierten Kampagne „Die Toten kommen“ zu kurz. In vielen deutschen Städten sind Gräber ausgehoben worden, an denen den unbekannten Toten im Mittelmeer gedacht wird. Nicht überall sind die Gräber gleich wieder eingeebnet worden wie vor dem Bundestag.
Wer nicht ertrinkt, wird eingesperrt
In Berlin tauchen Plakate und Flugblätter [6] auf, die in wenigen Worten den Kerngehalt der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik auf den Punkt brachten: „Wer nicht ertrinkt, wird eingesperrt“. Damit wird nicht nur ein Ist-Zustand beschrieben, sondern für Protestaktionen [7] gegen die für den 2 Juli geplante zweite und dritte Lesung einer Asylrechtsverschärfung geworben, die bisher wenig bekannt ist.
Das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung [8] bedeutet eine wesentliche Ausweitung der Abschiebehaft. Sie kann dann verhängt werden, wenn die Einreise „unter Umgehung einer Grenzkontrolle“ erfolgte, wenn die Geflüchteten über ein anderes EU-Land eingereist sind, wenn Identitätspapiere fehlen bzw. über die Behörden über die Identität getäuscht wurden, wenn Geld für Fluchthelfer bezahlt wurde.
Auch wer „Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität verweigert oder unterlassen hat“, kann in Abschiebehaft genommen worden. Es ist abzusehen, dass sich dann die Zahl der Opfer der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik noch erhöht. Nur sind genau das nicht die Themen, die nach dem Gedenktag für Flucht und Vertreibung in einem großen Teil der Medien die zentrale Rolle spielen.
Geflüchtete damals und heute?
Das hängt zunächst einmal damit zusammen, dass dieser Tag von der Bundesregierung gar nicht zum Gedenken an die aktuellen Flüchtlinge konzipiert war. Vielmehr sollten den deutschen Staatsbürgern gedacht werden, die im europäischen Ausland lebten, sich dort oft als eifrige Protagonisten der deutschnationalen Volkstumspolitik gerierten und bald auch Vorkämpfer der Nazis wurden. Nach deren Niederlage war es damit vorbei.
Viele flohen am Ende des 2. Weltkriegs, weil sie berechtigte Angst hatten, für ihre eigenen Verbrechen zur Verantwortung gezogen zu werden. Andere wurden in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens nach Kerndeutschland umgesiedelt. In Westdeutschland gerierten sie sich bald als große Opfergruppe, die von den Gründen ihrer Vertreibung nicht reden wollten.
Auf die Initiative des umtriebigen Bundes der Vertriebenen [9] geht auch der Gedenktag zurück. Bundespräsident Gauck hielt im Deutschen Historischen Museum in Berlin die Ansprache [10] und sorgte mit einigen Passagen für Widerspruch im konservativen Lager. Gauck begann seine Rede mit den Worten:
Nachdem er dann ausgiebig über deutsche Opfer von Flucht und Vertreibung und von einer angeblichen Tabuisierung von Heimatliedern geredet hatte, und damit eigentlich dem Bund der Vertriebenen aus dem Herzen gesprochen hatte, kam Gauck noch einmal auf die Gegenwart zu sprechen:
Angesichts dieser dramatischen Entwicklung haben wir unseren Blick zu weiten. Flüchtlingspolitik ist längst mehr als Innenpolitik. Flüchtlingspolitik reicht längst hinein in unsere Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik.
Beginnen wir mit dem, was selbstverständlich sein sollte: Es ist meines Erachtens eine moralische Pflicht aller Staaten Europas, Flüchtlinge vor dem Tod im Mittelmeer zu retten. Wir würden unsere Selbstachtung verlieren, wenn wir Menschen, die vor den Toren unseres Kontinents auf dem Wasser treiben, sich selbst überließen.
Flüchtlingsunterstützung ist kein Heimatschutz
Solche Aktualisierungen meint der Bund der Vertriebenen nicht, wenn es auf dessen Homepage heißt: „In Deutschland sehen wir, dass heute vieles gesagt werden kann, was vor 25 Jahren noch unmöglich gewesen wäre.“
Dort hält man sich zu Gaucks Aktualisierungen bedeckt. Dafür hat sich mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer der Politiker zu Wort gemeldet, dessen Bundesland sich seit 1945 als besondere Schutzmacht aller deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen versteht. Ihre Nachkommen sind auch heute noch ein wichtige Wählerbasis seiner CSU.
Im Münchner Merkur tat Seehofer kund [11], was der Verband der Vertriebenen denkt, aber nicht so offen ausspricht. Auf die Gauck-Rede angesprochen, sagte der bayerische Ministerpräsident:
Im Interview hat Seehofer weitere Überlegungen angestellt, wie man Geflüchtete abschreckt. Viele nichtdeutsche Geflüchtete konnten davon bereits in den letzten Jahren in Bayern solche Erfahrungen machen. Es ist schließlich kein Zufall, dass die neue Bewegung der Geflüchteten in Deutschland in Bayern seinen Ausgang nahm, nachdem sich ein Flüchtling in Abschiebehaft umbrachte.
Die linksliberale Taz übte heftige Kritik [12] an Seehofers Gauck-Schelte, auch Grüne und Linke warf Seehofer vor, er wolle die Diskurshoheit über bayerischen Stammtische behalten.
Dabei wird selten erwähnt, dass Seehofer nur ausspricht, was im Umfeld der verschiedenen Vertriebenenverbände gedacht wurde. Als auf einer großen Gedenkveranstaltung zum 50ten Jahrestag des Baus der Berliner Mauer ein Redner an die Mauern erinnerte, die die Geflüchteten von heute oft das Leben kosten, gab es in Berlin aus der Zuhörerschaft empörte Zwischenrufe.
Zudem müsste eigentlich die Kritik an Gaucks Flüchtlingsvergleich an einer ganz anderen Stelle ansetzen. Denn eigentlich müssen sich die heutigen Flüchtlinge und ihre Unterstützer dagegen verwahren, mit einem Personenkreis in Verbindung gebracht zu werden, der vor 1945 zu nicht kleinen Teilen die NS-Politik begeistert mittrug und nach dem Untergang dann die von ihm unterstützte Parole „Heim ins Reich“ etwas anders als gedacht erlebten.
Die Selbstorganisationen der Geflüchteten und ihre Unterstützer treten auch nicht das Erbe des Bundes der Vertriebenen an. Selbst eine Kooperation wird es nicht geben. Dass hat Seehofer mit seinen Interview noch einmal erfreulich klargestellt.
http://www.heise.de/tp/news/Nicht-deutsch-genug-um-als-Heimatvertriebene-zu-gelten-2730700.html?view=print
Peter Nowak
Links:
[1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]
[9]
[10]
[11]
Solidarität für die Flüchtlinge wächst
Jetzt wird es darauf aufkommen, ein gesellschaftliches Klima herzustellen, das die Rechte für die Flüchtlinge stärkt
Das vergangene Wochenende stand in vielen Städten und so auch in Berlin ganz im Zeichen der Solidarität mit den Geflüchteten. „Refugees Welcome“ und „Um Europa keine Mauer“ waren die Losungen einer Demonstration, die am Samstag vom Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg, der über mehrere Jahre ein Zentrum der Flüchtlingsproteste war, zum Brandenburger Tor gezogen war.
Dort startete am Nachmittag ein großes Solidaritätskonzert mit de Geflüchteten. Den Auftakt machte mit Group Yorum, eine linke Band, die betont, aus Anatolien und nicht aus der Türkei zu kommen, weil mit dem Ländernamen schon ethnische Zuschreibungen verbunden sind, die die politisch engagierten Künstler vermeiden wollen. In ihrer Heimat sorgen Grup Yorum-Konzerte für volle Plätze. Immer wieder sind die Künstler mit staatlicher Repression konfrontiert.
Ihr Auftritt auf dem Berliner Konzert könnte dafür sorgen, dass die Band auch hierzulande einer größeren Öffentlichkeit bekannt wird. Nach vielen Stunden wurde das Konzert dann mit einem Auftritt der Band Kraftklub beendet. Die Jungs aus Karl Marx Stadt haben ihre zunehmende Popularität auch für politisches Engagement genutzt So positionierten [1] sie sich gegen die rechtsoffene Band Freiwild und spielten auf Konzerten gegen Rechts und für die Solidarität mit den Geflüchteten.
Am Ende des Samstag waren viele Teilnehmer der Demonstration „Europa anders machen“ [2] nicht recht zufrieden. Obwohl die Pressegruppe von zehntausend Teilnehmern sprach [3], weiß jeder Teilnehmer, dass es gefühlt gerade mal die Hälfte war. Mit der bundesweiten Mobilisierung klappte es allenfalls im Bereich der außerparlamentarischen Linken, die zu einem Block unter dem Motto „We are the Crisis“ [4] aufgerufen hatte.
Doch das Bündnis aus Linkspartei und außerparlamentarischen Linken schaffte es kaum, über die eigene Klientel hinaus zu mobilisieren. Dabei war es immerhin gelungen, zwei Bewegungsthemen zusammenzubinden: die Solidarität mit den Geflüchteten zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni und die Ablehnung der europäischen Austeritätspolitik und des massiven Drucks auf die griechische Regierung, den Forderungen der europäischen Institutionen und des IWF nachzugeben und die abgewählte Politik des sozialen Kahlschlags fortzusetzen.
Zunächst mobilisierten die Bewegung der Flüchtlingssolidarität und der Griechenlandsolidarität unabhängig voneinander für den 20. Juni in vielen Ländern zu Protesten. Es war dann schon ein Erfolg, dass in Berlin wine Kooperation gelungen ist und in vielen Redebeiträgen wurde betont, dass eine Politik, die zur Verarmung vieler Menschen in Europa führt und die Abwehr von Flüchtlingen zusammengehören und auch zusammen bekämpft werden müssen.
Gräber vor dem Bundestag
Während die Demonstration und das Konzert am Samstag ohne Zwischenfälle verliefen, entwickelte sich ein von der Künstlergruppe Zentrum für politische Schönheit angemeldeter „Marsch der Entschlossenen zum Kanzleramt“ zu einer Aktion des zivilen Ungehorsams. Die eingezäunte Wiese vor dem Reichstagsgebäude wurde besetzt und zahlreiche symbolische Gräber wurden dort angelegt.
Die Polizei versuchte die Demonstranten aus dem Areal zu drängen und nahm ca. 50 Menschen fest. Am Abend war das Gelände wieder eingezäunt und erregte mit den vielen Gräbern mit Blumen und Kerzen das Interesse der zahlreichen Touristen, die sich in der Gegend immer aufhalten.
Die Aktion wurde in den letzten Tagen viel diskutiert und war auch bei Antirassisten sehr umstritten. So wurde gefragt, ob es nicht sinnvoller sei, das Leben für die Geflüchteten hierzulande zu verbessern, statt sie symbolisch oder nicht hier zu begraben. In der konkreten Aktion zeigte sich aber, dass sie tatsächlich viele Menschen angesprochen hat. Für viele Menschen, die daran teilnahmen, war es die erste politische Aktion.
Dass Geflüchtete nicht nur an den EU-Außengrenzen Deutschland immer wieder zu Tode kommen, ist nun wohl fast allen Menschen bekannt. Besonders nach Schiffsuntergängen mit vielen Toten gab es auch eine allgemeine Betroffenheit. Doch auf den Straßen in Deutschland blieb es ruhig. Es gab natürlich weiter aktive Gruppen von Geflüchteten, die seit dem Aufbruch der Flüchtlingsproteste die politische Agenda in verschiedenen Städten bestimmen.
Auch die Räumung des Refugee-Camps am Berliner Oranienplatz konnte die Bewegung nicht zerstören. Doch es ist in den ganzen Jahren des Flüchtlingsprotests nicht gelungen, eine Bewegung zu initiieren, die die Forderungen der Geflüchteten aufgriffen. Ein Versuch, mit der Aktion „Die letzte Meile laufen wir“ diese Solidarität herzustellen, ist nach wenigen Wochen eingestellt worden.
Nun könnte das Bild der toten Flüchtlinge dazu beitragen, dass sich doch noch eine größere Bewegung für die Rechte der Geflüchteten entwickelt. Es sind eben nicht mehr anonyme Leichen im Meer. Am Wochenende veröffentlichte die Taz eine Reportage [5] über tote Flüchtlinge, die in einer Klinik in Sizilien in Kühlschränken zwischengelagert wurden.
Gelingt es, eine Verschlechterung der Flüchtlingsrechte zu verhindern?
Nun wird sich zeigen, ob die Wut vieler Menschen über diesen Umgang mit den toten Flüchtlingen dazu führen wird, dass sich mehr Menschen kontinuierlich dafür einsetzen, dass sich die Rechte der lebenden Flüchtlinge zumindest nicht verschlechtert
Die Initiativen konzentrieren sich jetzt auf den Protest gegen die geplanten weiteren Asylverschärfungen [6]. Die zweite und dritte Lesung dieser Gesetze findet am 2. Juli statt. Nun sind an diesem Tage Bundestagsblockaden im Gespräch, wie sie bereits bei der faktischen Abschaffung [7] des Asylrechts 1993 in Bonn mit großem Aufsehen [8] praktiziert wurden.
http://www.heise.de/tp/news/Solidaritaet-fuer-die-Fluechtlinge-waechst-2719416.html
Peter Nowak
Links:
[1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]
Deutsche Waffen zurück an den Absender
Kriegsgegner starten eine Rückruf-Aktion
Bei Autos und Spielzeug liest man immer wieder, dass einige Produkte wegen möglicher gesundheitsschädlicher Fehler bei der Konstruktion zurückgerufen werden. Nun konnte man in der Wochenendausgabe der Taz einen Rückruf der besonderen Art lesen [1]. Dort heißt es:
Explizit richtete sich der Rückruf an Empfängerländer wie Mexiko, Kolumbien und Saudi-Arabien. In der Anzeige heißt es:
Damit wird deutlich gemacht, dass die Herstellung und der Vertrieb der Waffen und nicht eventuelle Herstellungsfehler das Problem sind. Daher sollten die Waffen direkt an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie [3] in der Scharnhorststraße in Berlin zurückgeschickt werden. Ob bei dieser Adresse einige zurückgeschickte Waffen ankamen, konnte nicht Erfahrung gebracht werden. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass Waffenhändler auf eine Taz-Anzeige reagieren, zumal die auswärtigen Waffenkunden sie nicht lesen können.
Stephan Möhrle vom Rüstungsinformationsbüro [4] erklärte gegenüber Telepolis, man habe bisher in diesen Ländern keine Anzeigen geschaltet, weil einerseits die Kontakte fehlen und es in Diktaturen wie Saudi Arabien keine Medien gäbe, die eine solche Anzeige schalten würden.
Streit um deutsche Waffen nach Mexiko
In Mexiko könnte man sich allerdings solche Anzeigen in Zukunft noch vorstellen, weil es dort sowohl Medien als auch Initiativen gibt, die sich gegen den deutschen Waffenhandel wenden. Das Land war in den letzten Monaten in die Schlagzeilen geraten, weil nachgewiesen werden konnte, dass Waffen aus Deutschland auch in mexikanische Konfliktgebiete gelangt sind, in die sie nach den deutschen Ausfuhrbestimmungen nicht geliefert werden durften [5].
Selbst bei der Ermordung von 43 Studierenden in Mexiko, die Ende September 2014 nach einer Demonstration von Polizei und Mafia verschleppt worden waren, kann eine Beteiligung deutscher Waffen nicht ausgeschlossen werden [6]. Nun ist es allerdings eine merkwürdige Vorstellung, dass der Export von Waffen aus Deutschland in einige Gebiete Mexikos erlaubt sein soll und in andere nicht. Dass hier so einfach aus dem globalen Norden die Souveränität Mexikos in Frage gestellt wird, scheint dabei niemand aufgefallen zu sein.
Würde es wohl akzeptiert, wenn Mexiko bestimmte Produkte nach Deutschland exportiert, dabei aber ausschließt, dass sie nach Bayern oder Hamburg geliefert werden? Dabei wäre es doch eine viel einfachere Forderung, die Waffenlieferungen überhaupt zu unterbinden. Damit wären die Rüstungsfirmen und ihre Standorte im Fokus der Auseinandersetzung. Bei der Diskussion um bestimmte Gebiete in Mexiko, die von deutschen Waffen verschont bleiben sollen, hingegen werden die mexikanischen Behörden ins Visier genommen. Die Debatte verschiebt sich insgesamt von dem Profitinteresse der Waffenhändler zu den staatlichen Strukturen in Mexiko.
Es ist eine Stärke des Aufrufs zum Waffenrückruf, dass der Fokus wieder auf die hiesigen Firmen und die Ministerien gelegt wird. Juristische Folgen erwartet Stephan Möhrle wegen des Aufrufs nicht. Schließlich sei sehr klar gewesen, dass es sich um eine Satire handelt und außerdem hat die antimilitaristische „Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsgegner“ sehr schnell mit einer Erklärung [7] deutlich gemacht, woher der Aufruf zum Rückruf kommt, auch wenn dort, um die Form zu wahren, noch von einem Erkenntnisprozess der Bundesregierung die Rede ist.
Allerdings ist zu fragen, ob das öffentliche Interesse nicht größer gewesen wäre, wenn der Aufruf nicht so schnell als Satire erkennbar gewesen wäre und die Bundesregierung erst ausführlich hätte erklären müssen, dass sie mit dieser Aktion nichts zu tun hat. Ein gutes Beispiel bot das Zentrum für politische Schönheit [8], als es die Aufnahme von Kindern aus Syrien meldete [9], und die Bundesregierung in der wenig komfortablen Lage war, die von vielen Seiten begrüßte Aktion dementieren zu müssen.
http://www.heise.de/tp/news/Deutsche-Waffen-zurueck-an-den-Absender-2550665.html
Peter Nowak
Links:
[1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]
[9]