Gesellschaftlicher Zusammenhalt aus: Kein Zustand

Es gab eine Zeit, da waren Linke davon überzeugt, dass wir in einer Klassengesellschaft leben. Die bürgerliche Klasse wollte davon natürlich nichts wissen und warf der Linken vor, die Gesellschaft spalten zu wollen. Rechte aller Couleurs kitteten ihre Konstrukte der Volksgemeinschaft mit viel Nationalismus. 1914 wollte auch die Mehrheit der Sozialdemokratie keine Klassen mehr kennen und propagierte die Burgfriedenspolitik im Innern, während das Militär einen Platz an der Sonne erkämpften sollte.

In Corona-Zeiten wird auch in der Linken der gesellschaftliche Zusammenhalt wieder beschworen. In Zeiten der Pandemie ist es auch für die meisten Linken ein politisches Offizialdelikt, die Gesellschaft spalten zu wollen. Viele wollen von Karl Marx nichts mehr wissen und beschwören mit Karl Popper das Gespenst der Offenen Gesellschaft. Oft darf dann der Vorwurf an deren Kritiker*innen nicht fehlen, sie würden das Geschäft ausländischer Mächte betreiben. Putin-Russland steht dabei ganz hoch im Kurs. Es soll für alles verantwortlich sein, was in den Augen der Freund*innen der Offenen Gesellschaft politisch in den letzten Jahren falsch gelaufen ist, von der Trump-Wahl 2016 über die Brexit-Entscheidung bis zur Bewegung der Gelbwesten in Frankreich.

Wie immer in der Geschichte schafft sich eine Linke, die unter welchem Label auch immer den gesellschaftlichen Zusammenhalt beschwört, selber ab.  Sehr zur Freude der Kapitalfraktionen, vor allem aus der Digitalindustrie, die auch in der Corona-Krise ihre Gewinnmarge steigern.

Wer den gesellschaftlichen Zusammenhalt beschwört, will über die Profiteure der Krise schweigen. Wer über die Profite der Techkonzerne und der Pharma-Industrie reden will, soll mit dem Vorwurf, man könne doch jetzt die Gesellschaft nicht spalten, zum Schweigen gebracht werden. „Klassenkampf statt gesellschaftlichem Zusammenhalt“ wäre gerade jetzt nicht nur eine linke Parole, sondern eine Handlungsanweisung.Peter Nowak, 

geboren 1960 in Fulda/Hessen. Freier Journalist und Publizist, u.a. auf der Plattform Telepolis und in der Berliner „Tageszeitung“.

https://keinzustand.at/peter-nowak/gesellschaftlicher-zusammenhalt/