„Wir wollen dort konkrete Beispiele zeigen, wo die Durchsetzung von bezahlbaren Wohnraum für alle Menschen eine gesellschaftliche Aufgabe war“, erklärt der Soziologe Matthias Coers gegenüber der taz. Er hat gemeinsam mit dem Stadtforscher Andrej Holm und Joachim Oellerich, dem Redakteur der BMG Publikation Mieterecho, die Veranstaltungsreihe konzipiert.
Heute fallen den meisten Menschen beim Thema Wohnen vor allem hohe Mieten und drohende Verdrängung ein. Die Angst, sich überhaupt noch eine bezahlbare Wohnung in der Umgebung von Berlin leisten zu können, ist groß. Das war mal anders. Daran will eine Veranstaltungsreihe der Berliner Mieter*innengemeinschaft (BMG) erinnern, die den Titel „Vergessene Utopien des Wohnens trägt“. „Wir wollen dort konkrete Beispiele zeigen, wo die Durchsetzung von bezahlbaren Wohnraum für alle Menschen eine gesellschaftliche Aufgabe war“, erklärt der Soziologe …
Derweil geht die Debatte in der Zivilgesellschaft weiter. So diskutieren am 20. Oktober ab 19 Uhr Sozialarbeiter*innen im Nachbarschaftsraum Aquarium über die Ausweitung sozialpolitischer statt polizeilicher Konzepte am Kotti.
Die geplante Polizeiwache am Kottbuser Tor sorgt seit Monaten für Streit. Ein Runder Tisch, der am 7. Oktober bei der Senatsverwaltung für Inneres tagte, sollte eigentlich zu einer Versachlichung der Auseinandersetzung beitragen. Doch die Einladungspolitik der Senatsverwaltung sorgt für neuen Unmut. „Wir sind weder per Mail noch postalisch eingeladen worden“, erklärt …
„Kurt Jotter bereicherte die MieterInnenbewegung, weil es ihm gelang, aktuelle Proteste mit Aktionsformen der 1980er Jahre zu verbinden“, beschreibt der Regisseur Matthias Coers die wichtige Rolle seines Freunds bei den Protesten der letzten Jahre. Er organisiert am 22. September einen Gedenkabend für Jotter im Kunsthaus KuLe in der Auguststraße 10 im Rahmen der „artweek“.
„Deutsche Wohnen – Gier, die muss sich lohnen“ und „Hai sein– Frei sein“, skandierte eine Gruppe von DemonstrantInnen im September 2017 auf einer Protestkundgebung gegen den Berliner Immobilienkongress. Inmitten der „Hai-Soceity“, wie sich der kleine Block nannte, agierte mit Schiebermütze und rotem Schal Kurt Jotter. Für den Berliner Aktionskünstler spielte Humor in der politischen Arbeit schon in den 1970er Jahren eine wichtige Rolle. Zusammen mit der 2014 verstorbenen Kulturwissenschaftlerin Barbara Petersen gründete er 1977 die …
Obwohl die Konferenz mit knapp tausend Teilnehmer:innen gut besucht war, blieb das Medienecho äußerst begrenzt. Initiativen, die das «Recht auf Eigentum» begrenzen wollen, werden nach wie vor ausgegrenzt, ignoriert oder verleumdet.
Über Monate waren die Aktvist:innen der Kampagne Deutsche Wohnen & Co Enteignen (DWE) in Berlin in der Öffentlichkeit präsent. Mit Erfolg: Am 26.September 2021 stimmten weit über 50 Prozent der Berliner Wähler:innen für das Anliegen der Kampagne, große Wohnungskonzerne zu sozialisieren. Doch bisher steigen die Mieten auch in Berlin weiter. Aber Mitglieder der Kampagne sind nun Teil einer Kommission, die mindestens ein Jahr lang über die Art und Weise der Sozialisierung berät.
Am letzten Wochenende im Mai haben tausend Menschen aus ganz Deutschland und auch einige aus dem Ausland beraten, wie die Enteignungsinitiative, die auch über Berlin hinaus bei Mieteraktivist:innen viel Beachtung fand, weiter vorangetrieben werden kann. Die Konferenz fällt in eine Zeit, in der die Initiative vor einem Dilemma steht. Die großen Erwartungen der Initiative stehen …
Videopionier Gerd Conradt trifft Mietrebellen Matthias Coers
Wenn sich auch in den fünf Jahrzehnten der Mietkämpfe die technischen Voraussetzungen für die Videoarbeit enorm verbessert haben, so fallen die Gemeinsamkeiten der MieterInnenproteste damals und heute ins Auge.
„Wir sollen in die Satellitenstädte abgeschoben werden und Platz für Wohlhabende machen. Dagegen wehren wir uns“, rief die Frau entschlossen ins Mikrofon und bekam viel Applaus. Die Szene war Teil eines Protest von MieterInnen, der 1973 in Westberlin Schlagzeilen machte. BewohnerInnen rund um den Klausener Platz in Berlin-Charlottenburg wehrten sich gegen „Kahlschlagsanierung und Vertreibung“, so lauteten die Parolen auf den weißen Bettlaken, die aus den Fenstern hingen. Dokumentiert hatte den MieterInnenkampf …
Kalle Kunkel erläuterte, mit welchen Problemen eine aktivistische Initiative, die nun mit altgedienten Politikfunktionär*innen konfrontiert ist, umgehen muss. Ein Beispiel: Die Initiative hatte den Wunsch geäußert, zwei Wochen länger für ihre Vorbereitung zu erhalten. Doch die Vorsitzende der Kommission, die SPD-Politikerin Herta Däubler-Gmelin, erklärte, in dieser Zeit schon die Kommission vorzubereiten, also auch Fakten zu schaffen.
Über Monate waren die Aktivistinnen der Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen in Berlin in der Öffentlichkeit präsent. Der Erfolg zeigte sich am 26. September 2021: An diesem Tag stimmten weit über 50 Prozent der Berliner Wähler*innen für das Anliegen der Kampagne, große Wohnungskonzerne zu sozialisieren. Doch die Revolution am Wohnungsmarkt ist bisher ausgeblieben, die Mieten steigen auch in Berlin weiter. Dafür sind auch Mitglieder der Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen nun Teil einer Kommission, die mindestens ein Jahr über die Art und Weise der Sozialisierung berät. Kalle Kunkel von der Initiative sprach von einem Spagat. Er erinnerte daran, dass es nur an einem Punkt in der Kampagne Einigkeit gegeben habe: dass die…
Der Film zeigt auch den Emanzipationsprozess einer Frau, die als Schülerin schwanger wird und darauf die Schule verlassen muss. Nachdem ihr Mann jung starb, wurde Althaus alleinerziehende Mutter und arbeitete als Grundschullehrerin. In den späten 1960ern wurde sie zur Zielscheibe einer Kampagne im Tagesspiegel,weil sie Gedichte des jüdischen Lyrikers Paul Celan im Unterricht behandelte. Für den konservativen Redakteur war das ein Beispiel für das Treiben der 68er-LehrerInnen.
„Als ich mich 1972 an der Freien Universität am Soziologischen Institut bewarb, waren die marxistischen Dogmatiker gegen meine Berufung. Zu wenig Marx-Exegetiker. Aber es gab andere. Zum Beispiel Gabi Althaus.“ Mit diesen Worten würdigte der Soziologe Urs Jäggi am 5. September 2018 in einem Nachruf seine verstorbene Kollegin und Freundin. Die Soziologin Gabriele Althaus war nicht nur als Expertin für Theodor W. Adorno und Günther Anders bekannt. Sie war auch eine Exponentin der linken 68er Bewegung am Soziologieinstitut der Freien Universität Berlin (FU). Und doch ist Althaus fast drei Jahre nach ihren Tod weitgehend vergessen. Ein Grund mag auch darin liegen, dass …
"Die Wache im NKZ über den Köpfen der Menschen wäre ein Symbol für den überwachenden Law-and-Order-Staat. Die Brücke am NKZ ist selber ein städtebauliches Symbol. Es steht heute für bezahlbares, kommunales Wohnen und ein lebendig geprägtes, nachbarschaftliches, migrantisches Milieu, in dem sich viele – ob Gewerbetreibende, Kulturschaffende, Hausverwaltung oder Sozialarbeitende – engagieren", so der Filmemacher Matthias Coers, der Mitglied des Mieterrats des NKZ ist.
Im Vorfeld des 1. Mai wird in den Berliner Boulevardmedien immer viel spekuliert, ob die obligatorischen Feste und Demonstrationen an diesen Tag unfriedlich verlaufen könnten. In diesem Jahr will die BZ sogar in geheime Polizeiakten Einsicht genommen haben, was erst mal nur zeigt, wie eng das Verhältnis zwischen …
Vor zu früher Euphorie warnt auch Matthias Coers: "Solche Besetzungen sind ganz wertvolle Aktionen. Aber man darf das Bestreben der Verwaltung nicht unterschätzen, das unmittelbare Bedürfnis der Wohnungslosen nach Wohnraum auf die lange Bank zu schieben. Das darf in diesem Fall nicht geschehen."
„Obdachlosigkeit beenden. Leerstand sinnvoll nutzen“, lautet die Forderung einer Petition, die von Aktivisten des Bündnisses Mietenwahnsinn Nord aus Berlin gestartet wurde. Sie haben in den letzten Monaten immer wieder auf leerstehende Häuser in den Stadtteilen hingewiesen, die sofort bezogen werden könnten. Ein Musterbeispiel für den Leerstand von völlig intakten Wohnungen war der Gebäudekomplex …
Viele Menschen, die in den letzten Jahren die Bäder regelmäßig besuchten, sind auch jetzt nicht dort zu finden. Dazu gehören vor allem Kinder, Rentner/innen und Menschen mit geringen Einkommen.
Deshalb müssen die günstigen Eintrittspreise für HartzIV-BezieherInnen wieder eingeführt werden und Kinder unter 5 Jahren sollen wieder wie vor Corona ohne Eintritt die Bäder benutzen dürfen. Zudem soll es Menschen ohne Internet wieder möglich sein, Tickets an den Kassen oder Automaten zu erwerben.
Anfang Mai schlug die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRH) Alarm, weil die Berliner Freibäder coronabedingt seit dem 14. März geschlossen waren. Blieben die Bäder zu, sei zu erwarten, dass Menschen massenhaft und unkontrolliert an die Seen und Gewässer strömten, warnte DLRH-Vorstandsmitglied Michael Neiße in der taz. Dadurch erhöhe sich nicht nur das Infektionsrisiko, sondern auch die Unfallgefahr – insbesondere an unbeaufsichtigten Badestellen. „Die Menschen gefährden nicht nur sich selbst, sondern auch die Retter“, so Neiße. Nun hat ein Großteil der Berliner Freibäder wieder geöffnet. Doch viele Menschen, die in den letzten Jahren die Bäder regelmäßig besuchten, sind auch jetzt nicht dort zu finden. Dazu gehören vor allem …..
Der den Leser/innen des MieterEchos bekannte Autor und Fotograph Matthias Coers zeigt in den Räumen der Obdachlosengruppe Unter Druck e.V. in der Oudenarder Straße 26 in Berlin-Wedding seine Ausstellung „Mittendrin draußen“ über das Leben ohne Obdach in Berlin.
Doch wenn sich die Obdachlosenhilfe wünscht, „dass sich mehr Menschen für das Ehrenamt begeistern“, hätte man sich doch einen kritischen Blick gewünscht. Die Publizistin Claudia Pinl hat mit dem Buch „Freiwillig zu Diensten?“ eine gute Vorarbeit über die Ausbeutung von Ehrenamt und Gratisarbeit geleistet. Sie hat in dem Buch gut herausgearbeitet, wie die unentgeltliche Arbeit vieler engagierter Menschen von der Politik dazu missbraucht wird, die staatliche Sozialpolitik weiter zurückzufahren.
Beim ersten Wintereinbruch wird wieder deutlich, wie viele Menschen in Berlin auf der Straße leben müssen. Unter vielen Häuserecken, aber auch unter Viadukten und Brücken stapeln sich Matratzen und Schlafsäcke. Der den Leser/innen des MieterEchos bekannte Autor und Fotograph Matthias Coers zeigt in den Räumen der Obdachlosengruppe Unter Druck e.V. in der Oudenarder Straße 26 in Berlin-Wedding seine Ausstellung „Mittendrin draußen“ über das Leben ohne Obdach in Berlin. Sie wird am 13.11.2019 um 18 Uhr eröffnet und wird bis zum 20.12. zu sehen sein. Coers nimmt in seinen Fotos ……
Wir leben in einer historischen Situation, in der auf Grund des Mangels an bezahlbaren Wohnraum, der Bau von Luxus-Appartements in großen Teilen der Bevölkerung nicht mehr akzeptiert wird.
„Dieses Projekt bietet zeitgemäßes Wohnen in historischem Umfeld und ist eine hervorragende Gelegenheit für Kapitalanleger“, bewirbt die Immobilienfirma Nagel Properties auf ihrer Homepage die geplanten Micro-Appartements in der Braunschweiger Straße 21. Dabei handelt es sich ausschließlich um Eigentumswohnungen. Die Käufer/innen könnten „aus erlesenen Musterkollektionen Fußböden, Bäder und Küche“ auswählen – „auf Wunsch mit Designermöblierung“. Angesprochen sind natürlich nur Menschen, die sich das leisten können. Eine Einzimmerwohnung mit rund 28 Quadratmetern kostet laut der Makleragentur Nagel Properties 170.000 Euro, das 55 Quadratmeter-Appartement bis zu 355.000 Euro. Das ergibt einen durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 6000 Euro. Laut der Internetseite des Immobilienmaklers First Citiz liegt der durchschnittliche Wohnungspreise in Neukölln derzeit bei 4500 Euro pro Quadratmeter. Viele Anwohner/innen rund um die Braunschweiger Straße 21 in Neukölln haben kein Verständnis dafür, dass auf einem Areal Luxus-Appartements entstehen sollen, auf dem viele Jahre….
In Berlin gibt es Streit über den möglichen Ankauf von Wohnungen durch die Stadt.
»Welcome back Sozialismus?« Unter diesem Motto lud der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI), ein Lobbyverein der Berliner Wirtschaft, Mitte Februar zu einer Diskussionsrunde. Zweck der Veranstaltung war eine Warnung vor einer Wiederauferstehung der DDR in Berlin. Der Präsident des Berliner Immobilienverbands, Jürgen Michael Schick, aktualisierte auf einer Veranstaltung des liberalen »Tagesspiegel« die Angst des Berliner Bürgertums vor linken Experimenten und sprach von einem…
Eine Erklärung von 250 Wissenschaftlern unterstützt Forderungen von Mieterinitiativen
„Die Versorgung mit Wohnraum ist eine wesentliche Aufgabe des Wohlfahrtsstaats. Wird das Wohnen für einen wachsenden Teil der Bevölkerung unbezahlbar, fördert dies gesellschaftliche und sozialräumliche Spaltung und bedroht letztlich auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ – Dieser Satz steht in der Präambel einer Stellungnahme [1] von 250 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Fakultäten, die in der Fachzeitschrift Suburban [2] veröffentlicht wird.
Damit reagieren die Akademiker auf ein Gutachten [3] des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Dort wird mehr Markt in der Wohnungspolitik gefordert und selbst die völlig zahnlose Mietpreisbremse schon als Verstoß gegen den heiligen Markt verworfen.
Die Wissenschaftler wollen mit ihrem Text wenige Tage vor dem Wohnungsgipfel [4] der Bundesregierung im Bundeskanzleramt und dem Alternativgipfel von Mieterverbänden und sozialen Initiativen andere Akzente setzen. Dabei docken sie auch an die aktuellen Debatten über die Spaltung der Gesellschaft an und stellen sie in neue Zusammenhänge.
Die gegenwärtigen Entwicklungen am Wohnungsmarkt resultieren in sozialer Spaltung und Polarisierung am Wohnungsmarkt. An dessen Ausmaß manifestiert sich auch die Polarisierung unserer Gesellschaft. Wohnen ist in manchen Regionen und Städten Deutschlands zum Armutsrisiko geworden (Holm/Lebuhn/Neitzel/Junker 2017). Die Gefahr aus dem eigenen Umfeld verdrängt zu werden empfinden viele Menschen als Ausdruck einer „Abstiegsgesellschaft“ (Nachtwey 2016). Wachsende Verteilungskämpfe um soziale Zuwendungen sind die Folge. Bisweilen schlagen diese in Hass und Wut auf Migrantinnen und Migraten um und befördern rechte Tendenzen.
Aus der Erklärung „Für eine wirklich soziale Wohnungspolitik“ [5]
Man kann darüber streiten, ob der Zusammenhang zwischen dem Aufstieg der neuen Rechten und der Wohnungspolitik nicht etwas zu simpel ist. Schließlich hat die AfD gar keine Ambitionen, sich als Mieterpartei zu profilieren.
Doch gut beschrieben ist die Angst vieler Menschen, sich überhaupt noch eine Wohnung leisten zu können oder die eigene Wohnung zu verlieren. „Miete essen Seele auf“ [6], lautet der bezeichnende Titel eines Films über rebellische Mieter in Berlin-Kreuzberg.
Ist es Marktversagen, wenn sich viele Menschen die Wohnung nicht mehr leisten können?
Bezweifeln kann man auch die Diagnose der Wissenschaftler, dass wir es mit einem Marktversagen zu tun haben, wenn für viele Menschen keine bezahlbaren Wohnungen mehr zur Verfügung stehen. Damit deckt sich der Befund der Wissenschaftler mit dem Aufruf des Bündnisses Zusammen gegen Mietenwahnsinn [7].
Auch dort heißt es: „Markt und Staat versagen. Mindestens 1 Million preiswerte Neubauwohnungen fehlen. Trotz des großen Bedarfs schafft der Markt keinen preiswerten Wohnungsneubau.“
Damit wird aber unterstellt, der kapitalistische Markt hätte die Aufgabe, preiswerte Wohnungen für alle bereitzustellen und würde darin versagen. Aber da werden dem Markt Zwecke zugeschoben, die er nicht hat. So könnte man auch sagen, der Markt funktioniert sehr gut, wenn mit Grundstücken und Wohnungen enorme Profite gemacht werden.
Der Mieter als „neuer Hartz IV-Empfänger“
Diesen Zusammenhang hat der Inlands-Redakteur der Taz, Martin Reeh, in einem Kommentar [8] gut auf den Punkt gebracht:
Krisenzeiten bieten stets Chancen, die Gesellschaft zu verändern. Die hohe Arbeitslosenquote und das Loch in den Rentenkassen wurden in den nuller Jahren genutzt, um das vergleichsweise egalitäre deutsche Sozialmodell zu zerstören. Nun steht der noch immer relativ egalitäre Wohnungsmarkt zur Disposition.
Martin Reeh, Taz
Lassen wir mal die Frage beiseite, wie „egalitär“ Kapitalismus überhaupt sein kann; angesprochen wird, dass es sich bei der aktuellen Wohnungspolitik „um Klassenkampf von oben handelt“.
Je mehr das Wohnungsthema in den Fokus gerät, desto deutlicher wird, dass es auch um einen ideologischen Kampf geht: Liberalen gilt der Mieter als der neue Hartz-IV-Empfänger – als einer, der es nicht geschafft hat, sich eine Eigentumswohnung zuzulegen. Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt schrieb diese Woche, in den Szenekiezen Berlins liege der Mieteranteil jenseits der 95 Prozent. „Armselig“ nannte Poschardt das.
Martin Reeh, Taz
Dagegen müsste sich der Protest und der Widerstand einer außerparlamentarischen Mieterbewegung richten, die es in Berlin seit mehreren Jahren gibt, wie der Film Mietrebellen [9] von Matthias Coers [10] dokumentiert hat.
„Die Anzahl der kleinen und großen Initiativen ist nicht mehr zu überblicken: Es gibt kaum einen Kiez, in dem keine existieren. Zuletzt riefen im April 2018 rund 250 Organisationen, Vereine und Initiativen zu einer Mieterdemonstration auf, an der bis zu 25.000 Menschen teilnahmen. Hier wurde die Vielfalt und Breite sichtbar, die die neuen Mieterproteste angenommen haben“, schreibt Philipp Mattern von der Berliner Mietergemeinschaft [11] in einem kürzlich im Verlag Bertz & Fischer erschienenen Buch mit dem Titel Mieterkämpfe vom Kaiserreich bis heute – am Beispiel Berlin [12].
Mittlerweile gibt es in vielen anderen Städten ebenfalls parteiunabhängige Mieterbewegungen. Für sie sind die konkreten Forderungen der Wissenschaftler, die für eine neue soziale Wohnungspolitik eintreten, eine wichtige Unterstützung.
Auf der Biennale prämiert: „The Silence of Others“. Der Film thematisiert die nicht aufgearbeitete faschistische Vergangenheit der spanischen Regierungspartei
Politisch engagierte Filme sind schon lange auch bei vielen Rezensenten in Verruf geraten. Dass wurde an der Häme deutlich, als der Sozialkritiker Ken Loach[1] 2016 für seinen Film „Daniel Blake“ die Goldene Palme verliehen bekam, und dafür ein Wohlfühl-Movie aus Deutschland das Nachsehen hatte. Damals wurde in vielen Kommentaren das Ende eines politisch-engagierten Kinos gefordert.
Das Kino muss kritische Fragen stellen[2] – „Filmemachen ist ein Teil des politisches Kampfes“[3]. Diese Devise von Ken Loach, über dessen politischen Engagement vor allem zum Nahostkonflikt gestritten werden muss, dürfte auch auf Almuda Carracedo[4] zutreffen.
Die spanische Journalistin und Filmemacherin konnte am vergangenen Sonntag gemeinsam mit ihren Kollegen Robert Bahar[5] gleich zwei Filmpreise von der Berlinale in Berlin entgegen nehmen: den Panorama-Publikumspreis[6] und den 33. Friedensfilmpreis[7].
Doppelt ausgezeichnet wurde der Film „The Silence of Others“, der sich einem sehr aktuellen Thema widmet: Dem Schweigen über die Verbrechen des Franco-Regimes in Spanien und der Tatsache, dass bis heute in Spanien eine Partei an der Macht ist, die in der Traditionslinie dieses Regimes steht.
Ganz Spanien ist ein Massengrab
Zu Beginn des Films sehen wir eine alte Frau, die täglich Blumen an die Absperrung einer Autostraße stellt. Dort hatten Falangisten zahlreiche Dorfbewohner erschossen und verscharrt. Darunter auch ihre Mutter. Bald erfahren wir, dass fast in jedem Ort vermeintliche oder tatsächliche Gegner der Franco-Diktatur begraben liegen.
Während seiner Herrschaft war es lebensgefährlich, darüber auch nur zu reden. Die Angehörigen der Toten wurden in der Regel selber als Rote stigmatisiert und ausgegrenzt. Viele versteckten sich über Jahrzehnte in einer Hütte vor den Nationalisten. Nach Francos Tod ging die Politik des Verschweigens weiter.
Denn die Eliten des Franco-Regimes waren nur zu begrenzten bürgerlichen Freiheiten bereit, wenn ihre Verbrechen tabu bleiben. In dem Film wird sehr gut benannt, dass am Anfang des Ereignisses, der später spanischer Bürgerkrieg genannt wurde, ein Militärputsch stand, mit dem faschistische Militärs die soziale Revolution großer Teile der verarmten Bevölkerung buchstäblich vernichtet hatten.
Das ist ihnen mit Unterstützung von Mussolini-Faschismus und Nationalsozialismus gelungen. Die Hoffnungen der spanischen Franco-Gegner, dass mit deren Ende auch das spanische Regime fällt, wurden bitter enttäuscht. Im Kalten Krieg wurde Franco hofiert von den USA, dem Vatikan und EU-Politikern. Gespenstige Aufnahmen werden im Film gezeigt, wo sich der greise Franco wenige Wochen vor seinen Tod von Alt- und Neonazis aus Spanien und dem Ausland feiern lässt. Er galt als Vorkämpfer gegen den Bolschewismus wie noch heute ein Mitbegründer einer Stiftung, die Francos Erbe bewahren will, unverhohlen in die Kamera sagt.
Im Film wird auch deutlich gemacht, dass so auch viele Mitglieder der heutigen spanischen Regierungspartei Partido Popular[8] denken. Das erklärt, warum noch immer Straßennamen in spanischen Städten nach den faschistischen Generälen benannt sind und Franco-Statuen zu sehen sind.
Hoffen auf globale Gerechtigkeit als Ergebnis einer Niederlage
Erst das Wissen darum, dass es für Opfer im postfaschistischen Spanien keine Gerechtigkeit gibt, führte dazu, dass die Hoffnung auf eine transnationale Strafverfolgung gesetzt wurde. Die Theorie, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wenn sie im Ursprungsland nicht verfolgt werden, auch von anderen Gerichten überall auf der Welt geahndet werden können, wurde nach dem Ende der Militärdiktaturen in Südamerika entwickelt.
Was von den Vertretern dieses Ansatzes und auch im Film nicht thematisiert wird, ist die Tatsache, dass diese Kämpfe um eine internationale Justiz das Ergebnis einer Niederlage sind. Wie in Spanien haben auch die Militärs in Argentinien und Chile ihre Macht nicht durch eine Revolution der Bevölkerung verloren.
Dann hätte dort die Möglichkeit bestanden, sie vor Gericht zu stellen und Gerechtigkeit für die Opfer durchzusetzen. Vielmehr konnten die Militärs trotz ihres Verlusts an Macht maßgeblich die politische Ordnung nach ihrem Abtreten bestimmen. Die Straffreiheit für ihre Verbrechen war dabei ein zentrales Element.
Erst danach begann der Kampf um eine transnationale Justiz. Die Verhaftung Pinochets hat da Auftrieb gegeben. Obwohl er schließlich wieder nach Chile zurückkehren konnte, war damit der Mythos der Unantastbarkeit und Straflosigkeit der Gewaltherrscher erschüttert.
Es gab auch Folterer und Massenmörder aus der zweiten Reihe, die tatsächlich zu langen Haftstrafen verurteilt wurden und sie auch absitzen müssen. Der Film begleitet Franco-Opfer zu Gesprächen mit den Initiativen aus Lateinamerika. Darunter sind noch einige sehr alte Zeitzeugen der Verbrechen aus dem Bürgerkrieg.
Es sind Oppositionelle dabei, die sich in den 1960er Jahren gegen das Franco-Regimes wandten, verhaftet und gefoltert wurden und dann über Jahre in der Nachbarschaft ihrer Folterer leben mussten. Eine andere Opfergruppe waren ledige Mütter, deren Kinder in der Franco-Zeit für tot erklärt und an regimenahe Familien gegeben wurde.
Der Film zeigt den langen und mühsamen Weg zur Gerechtigkeit für die Opfer. Einer der berüchtigten Folterer wurde schließlich verhört, auf freiem Fuß ist er noch immer. Die spanische Regierung blockiert alle Versuche der argentinischen Justiz, hier Anklagen zu erheben. Schließlich ist ja die alte Franco-Partei in neuem Gewand weiter an der Macht.
Den Filmemachern könnte man vorwerfen, dass manche ihrer Darstellungen noch zu optimistisch waren. So wird nicht erwähnt, dass der Richter Garzon, der Ermittlungen wegen der Verbrechen des Franco-Regimes geführt hatte, schließlich von rechten Organisationen angezeigt wurde. Ihn wurden die Fälle entzogen und ihm drohte selber ein Verfahren.
Es wird im Film gezeigt, wie die linke Mehrheit im spanischen Rathaus durchsetzen konnte, dass nach Faschisten benannte Straßen umbenannt und das System verherrlichende Symbole entfernt werden sollten. Man sieht, wie einzig die Madrider Vertreter der Regierungspartei dagegen stimmten. Man erfährt aber nicht, wie die Rechte gegen den Beschluss Sturm gelaufen und die Umsetzung teilweise sabotiert hat.
Eine Entfrancoisierung Spaniens steht noch an
Durch die Fokussierung des Films auf die internationale Justiz wird nicht thematisiert, ob das Auftauchen einer neuen linken Protestbewegung in Spanien angesichts der Krise ab 2010 nicht auch innenpolitisch die Diskussion über die Aufarbeitung der Franco-Verbrechen neu auf die Agenda gesetzt hat.
Schließlich sind sowohl die Bewegungspartei Podemos als auch die Bürgerlisten in Madrid und Barcelona die parteiförmigen Folgen dieser neuen Bewegungen[9]. Zudem haben die neuen Aktivisten Erfahrung mit der Repression der modernen Francisten machen müssen.
Platzbesetzer, Gewerkschaft aber auch zunehmend wieder kritische Künstler[10] machten die Erfahrung, dass man in Spanien schnell ins Gefängnis[11] kommt, wenn man die Regierung und ihre politische Vorfahren kritisiert.
Diese Zusammenhänge werden in „Silence of Others“ nicht thematisiert. Was aber der Film auf jeden Fall deutlich gemacht hat: eine Entfrancoisierung Spaniens steht noch aus. Sie wird sich vor allem gegen die aktuelle Regierungspartei PP richten, die im Katalonien-Konflikt die nationalchauvinistischen Ressentiments der alten Rechten bedient.
Man kann zum Experiment eines katalonischen Nationalstaats geteilter Meinung sein. Man kann allerdings, nachdem man den Film gesehen hat, nicht mehr bestreiten, dass die unaufgearbeitete Geschichte des Francismus und deren Fortleben in der aktuellen spanischen Regierungspartei Realität und keine katalonische Propaganda ist.
In den Tagen, in denen der sogenannte Katalonien-Konflikt die Medien beherrschte, haben einige Gegner der katalonischen Nationalbewegung bestritten, dass das Erbe des Franco-Regimes heute in Spanien immer noch ein Problem ist.
Sie beteiligten sich damit an dem „Pakt des Schweigens“, den der Film so gut angreift. Es ist sympathisch, wie Almuda Carracedo sofort die „Bewegung für die Aufarbeitung der Verbrechen“ als die eigentlichen Gewinner der Preise benannte und erklärte, dass sie mehr als nur eine Künstlerin ist.
„Wenn die Arbeit der Filmemacher endet, beginnt die Arbeit der Aktivisten.“ Das macht deutlich, dass die Figur der engagierten Künstler nicht mit Ken Loach ausstirbt. Dass strichen auch die Jurymitglieder des Friedensfilmpreises Matthias Coers[12] und Peter Steudtner[13] in ihrer Laudatio heraus.
Peter Nowak
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