Auch gegen CORONA – keine Kooperation mit rechten Gruppen und Einzelpersonen

Notwendige Vorbemerkung:

Dieser Beitrag erschien in der Flugschrift des „Demokratischen Widerstands“. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass es ein journalistischer Beitrag ist und ich weder Teil des Demokratischen Widerstands bin, noch zu ihren Aktionen aufrufe.

Die Corona-Krise beeinflusst seit Monaten das Leben von MilliardenMenschen auf aller Welt. Massive Einschränkungen der Freiheits- rechte und der Drang zu einer autoritären Staatlichkeit gehören zu den Begleiterscheinungen. In Deutschland war der 14. März der Tag des Shutdowns. Seitdem entscheiden Staatsapparate, was relevantist und was nicht. Nicht relevant sind natürlich auch alle öffentlichen Versammlungen, wie Demonstrationen, Kundgebungen oder Veranstaltungen jeder Art. Stadtteilzentren mussten schließen, wie Buchläden. Eigentlich würde man sich einen Aufschrei des Protestes von einer linken Bewegung erwarten, die in Deutschland sicherschwach ist, aber sich noch artikulieren kann, wenn Staatsorgane Einrichtungen schließen oder Proteste verbieten. Doch im Zeichen von Corona ist auch in der linken Bewegung die Verunsicherung groß. Es gibt Stimmen, die härtere Beschränkungen als Akt der Solidarität mit schwächeren Teilen der Bevölkerung fordern und Kritiker*innen der Notstandsmaßnahmen sogar schon mit dem neuartigen Begri des Corona-Leugners belegen. Hier sollen einigePositionen der Befürworter*innen und der Kritiker*innen der Maß-nahmen vorgesellt werden.

1. Warum dieser Shutdown?

Die Befürworter*innen der massiven Einschränkungen begründeten die Maßnahmen mit der besonderen Gefährlichkeit des Virus, der nach jüngeren Meldungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zehnmal tödlicher als die Schweinegrippe sei. Daher plädiert die WHO für eine Fort- setzung der Separierungsmaßnahmen und kommt zu dem Schluss, dass nurdurch einen effizienten Impfsto derVirus gestoppt werden kann. Dem können wohl Befürworter*innen und Kritiker*innen der Maßnahmen zu- stimmen.

Die Staatsapparate, die sich für den Shutdown entschieden, begründen ihre Maßnahmen damit, dass es gelte, Zeit zu gewinnen, bis entweder der Impfstoff oder ein wirkungsvollesMedikament gegen Corona zur Verfügung steht. Das Wichtigste sei, den Ausbruch so zu verlangsamen, dass möglichst wenig Corona-Erkrankte auf einmal medizinisch versorgt und beatmet werden müssen.

Denn dann drohe das Gesundheitssystem zu kollabieren und es könnten Situationen wie in Italien und Frankreich eintreten, wo Patient*innen nicht behandelt werden konnten. Die einzige Möglichkeit, eine solche Situation zu verhindern, bestehe nach Meinung der die Bundesregierung be- ratenden Wissenschaftler*innen darin, soziale Kontakte reduzieren, wo es nur geht.

Für dieses Social Distancing werben Wissenschaftler*innen und Politi- ker*innen seit Wochen. Es sollten sich derzeit so wenige Menschen wie möglich mit Sars-CoV-2 anstecken, um Zeit zu gewinnen. Tage und Wo- chen, die helfen können, Kliniken,P eger*innen und Ärzt*innen zu ent- lasten.

Nur wenn jede und jeder Kontakte meide, sinke die Wahrscheinlichkeit,dass vor allem unentdeckte In ziertemit nur leichten Symptomen all jene Personen anstecken, die schwer an Corvid 19 erkranken können. Das sind die vielzitierten Risikogruppen, für die eine Ansteckung tödliche Folgen haben kann.

Dabei handelt es sich nicht nur um ältere Menschen, sondern auch um Menschen allen Alters mit Vorerkran- kungen. Es wäre also tatsächlich keine Lösung, wenn jetzt manche wohlhabende Senior*innen in der Taz einen Aufruf lancieren, dass sie sich freiwillig in Quarantäne zurückziehen und so den Rest der Gesellschaft ein Ende des Shutdowns ermöglichen.

»MANCHE WOHLHABENDE TAZ-SENIOR*INNEN IN FREIWILLIGER QUARANTÄNE«

Davon abgesehen, dass Menschen in Altersarmut eine solche Quarantäne wesentlich schlechter ertragen, als wohlhabende Senior*innen, es sich also auch mal wieder um eine Klassenfrage handelt, wären dann auch viele andere sogenannten Risikopatient*innen eingeschlossen und ihrer Selbstbestimmung beraubt. An diesen Punkt tritt tatsächlich die Kritikder mangelnden Solidarität, wenn dieStimmen der Betroffenen, die sich bereits unter #Risikopatienten zu Wort gemeldet haben, nicht gehört werden.

2. Von Flatting the Curve zu Stop the Spread

Der Shutdown wurde mit der Aufforderung »Flatting the Curve«, also dem Abflachen der statistischen Infektionskurve, begründet. Damitwurde zu individuellen Maßnahmen — Bleibe zu Hause! Halte Abstand! — aufgefordert, um die Kurve der Neuansteckungen zu minimieren. Einige Wissenschaftler*innen bezeichnen diese Schritte als erste Maßnahme zur Unterbrechung der exponentiellen Ausbreitung des Corona-Virus.

Im nächsten Schritt seien weitere Aktionen erforderlich, um den Erfolg nachhaltig zu gestalten. Unter dem Motto Stopthespread, das heißt, »verhindere die Verbreitung«, sollen nun kollektive Maßnahmen durchgeführt werden. Dazu gehören Maßnahmen wie die Absage von Events, der Verzicht auf Reisen oder die Möglichkeit der Heimarbeit.

BERUFSPOLITIKER WOLLEN EINSCHRÄNKUNGEN NICHT MEHR ZURÜCKNEHMEN

Bei allem handelt es sich um Maßnahmen, die deutlich über das sogenannteSocial Distancing hinausgehen, und die wir auch seit dem Shutdown selber kennen gelernt haben.

Dabei hat sich allerdings in den letzten Tagen die Diskussion verändert. Wurde zu Beginn des Shutdowns die Maßnahme noch als temporäre Ein

schränkung des ö entlichen Lebensdiskutiert, stimmen Wissenschaft- ler*innen und Politiker*innen die Bevölkerung jetzt darauf ein, dass eine Rückkehr zur Zeit vor dem Corona-Virus so schnell nicht erfolgen wird. Jedenfalls nicht für den Bereich von Freizeit, Kultur und der Aktivitätenim ö entlichen Raum.

VIRUS SOLL ALS DAUERHAFTES DAMOKLES-SCHWERT DIENEN

Deshalb wird jetzt häufiger die Gefahr betont, die darin bestünde, wenn die Gesellschaft der Ansicht sei, die Ansteckungskurve habe sich nun abgeflacht und daher sei die ursprüngliche Gefahr nicht mehr so relevant und die getroffenen Vorkehrungen könnten aufgehoben werden. In diesem Fall könnte es zu einem schweren Rebound, einem Rückfall kommen, der dem Virus neue Möglichkeiten zu einer erneuten exponentiellen Ve breitung geben würde.

Diese vermeintliche Gefahr dürfte in der nächsten Zeit eine große Rolle spielen, zumal auch Wissenschaftler*innen davon ausgehen, dass der Virus auf die Jahreszeiten unterschiedlich reagiert. So könnte eine Minimierung der Ansteckung im Sommer ein Wiederanstieg im Herbst und Winter folgen. Auf die Art könnte der Corona-Virus wie ein ständiges Damoklesschwert über der Gesellschaft hängen und entsprechend immer wieder Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und der Grundrechte zur Folge haben.

3. Gegenpositionen

Diesen dystopischen Aussichten widersprechen andere Wissenschaft- ler*innen, die deswegen die Gefährlichkeit des Virus nicht infragestellen. Doch sie fordern eine öffentliche Auseinandersetzung über die unterschiedlichen Erkenntnisse und Standpunkte ein.

Denn nur so ist eine informierte, sachliche Auseinandersetzung über die Sinnhaftigkeit des Shutdowns und der Folgen möglich. Diese Ausführungen sollen einen Anspruch einlösen, den das linke Praxiskollektiv Reichenber- gerstraße 121 in Berlin-Kreuzberg auf ihrer Corona-Sonderseite prägnant so zusammengefasst hat (praxiskollektiv.de/aktuelles-zur-coronakrise)

Ungewissheit, der auch bei Wissenschaftlern besteht. Auch hier geht es nicht nur um die Ungewissheit zum Verlauf der Pandemie, sondern auch um die Ungewissheit bezüglich der Wirkung und Nebenwirkung der erforderlichen Maßnahmen. Wir halten es allerdings für fatal, unsere Selbstbestimmung im Angesicht dieses Schockriskios aufzugeben. Das Leben und das Schicksal der Gesell- schaft autoritär allein in die Hände von gerade Regierenden und ihren Berater*innen zu legen, ist sicherlich niemals eine gute Idee.«

PRAXISKOLLEKTIV FORDERT DAZU AUF, DIE REGIERUNG IN FRAGE ZU STELLEN

Das ist natürlich auch eine klare Absage an rechte und verschwörungstheoretische Gruppen und Einzelpersonen, die sich in den letzten Wochen an die Proteste gegen den Corona-Notstand dranhängen wollen. Rechte Ideologie ist per se mit autoritärer Staatlichkeit und Repression gegen Linke sowie als Minderheiten und Nichtdeutsche ge- labelte Menschen verbunden. Daher kann es auch bei der Kritik am Coro- na-Notstand keine Kooperation mit ihnen geben.

Sehr prägnant hat Dr. Clemens Heni in mehreren Beiträgen auf seinenm Blog die Stimmen der rationalen Kritiker*innen einer derzeit herr- schenden »Volksgemeinschaft und Gesundheitsdiktatur« stark gemacht. Heni hat in seinem Text überzeugend kritisiert, dass Panik eben keine gute Grundlage für eine rationale Bewertung und Analyse ist — und die Daten über sterbende Menschen für sich genommen keine Aussage über die Gefährlichkeit der Pandemie erlaubt.

Heni legt dar: »Täglich sterben laut Statistik 2.500 Menschen in der Bun- desrepublik, die übergroße Mehrheit ist logischerweise über 65 Jahre alt. Täglich 2.500, im Winter etwas mehr, in den anderen Jahreszeiten weniger. Das macht circa 900.000 Tote in der Bundesrepublik Deutschland jedes Jahr. Das ist kein Schock und kein Skandal. Genauer gesagt: jeder Tod ist ein Skandal – aber er führt nicht dazu, dass alles angehalten wird und damit viele, unzählige andere Menschen in Todesgefahr gebracht werden.«

TÄGLICH STERBEN MENSCHEN — MEISTENS, WEIL SIE SCHON SEHR ALT SIND

Damit ist sich Heni einig auch mit vielen Naturwissenschaftler*innen, die keinesfalls das Corona-Virus ignorieren und verharmlosen, aber idie getroffenen Maßnahmen als nicht wissenschaftlich begründet ansehen. Es folgt eine kleine Auswahl dieser kritischen Stimmen. Dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass es möglich ist, dass manche der zitierten Wissenschaftler*innen ihre Einschätzungen später modifiziert haben können. Es spricht gerade für ein kritisch-rationales Herangehen an die Corona-Krise, dass es, wie das oben zitierte Praxiskollektiv festgestellt hat, viele Fragen und Unklarheiten gibt. Und dass man auch im Lichte eigener empirischer Befunde Positionen infrage stellen kann.

4. Die Stimmen der Kritiker*innen

Der Immunologe und Toxikologe Professor Dr. Stefan Hockertz erklärt in einem Radiobeitrag, dass er Covid19 nicht gefährlicher als Influenzavireneinschätze und hält die Maßnahmen für völlig überzogen und unverhältnismäßig. Die Bilder aus Italien und Spanien seien dem besonderen Blick auf ein ohnehin marodes Gesundheitssystem geschuldet.

Auch nach der Einschätzung des leitenden Virologe der Uniklinik Bonn Professor Streeck könnte es sein, dass die Sterblichkeit nach Ende der In- fektionswelle nicht höher als in den vergangenen Jahren liegen wird. BeiStern TV sagt er: »Einige Experten zeichnen Horror-Szenarien, andere sehen es mit kühlem Kopf. Wäre uns das Virus nicht aufgefallen, hätte man vielleicht gesagt, wir haben dieses Jahr eine schwerere Grippewelle.«

VIROLOGE STEREECK, UNIKLINIK BONN: »EINE SCHWERE GRIPPEWELLE«

Bei radio1 wurde die Virologin Frau Prof. Mölling interviewt, nicht ohne dass sich die Redaktion im Nachhinein zu einer Distanzierung genötigt fühlte. Mölling warnte auch bei Phönix vor Panikmache und hält die aktuellen Maßnahmen nicht für verhältnismäßig.

Der Gesundheitswissenschaftler Prof. Ioannidis von der Universität Stan- ford erklärt im US-amerikanischen Gesundheitsmagazin STAT, dass so- wohl die Einschätzung zur Verbrei- tung des Virus, als auch die jetzt be- schlossenen Gegenmaßnahmen nicht auf verlässlichen Daten und Evidenz fußen. Seiner Meinung nach haben wir uns mit dem Shutdown entschie- den, von einer Klippe zu springen, ohne zu wissen, ob das eine rationale Handlung ist und ob wir sicher landen können.

Das EbM-Netzwerk stellt in einer aktuellen Stellungnahme fest: Es gibt insgesamt noch sehr wenig belasatbare Evidenz – weder zu COVID-19selbst, noch zur E ektivität der derzeit ergriffenen Maßnahmen. Auchdie taz-Redakteurin aus dem Ressort Gesundheit äußerte sich in einen Artikel in der Zeitung ähnlich (taz. de/!5670966):

»Schulschließungen und Ausgangsbeschränkungen, Kontakt- und Arbeitsverbote: Es sind drastische Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung im Kampf gegen die Coronapandemie die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger derzeit einschränkt. Aber welche Wirkungen, positiv wie negativ, haben diese sogenannten nicht- pharmakologischen Interventionen tatsächlich? Die Regierung weiß esnicht — und will es offenbar nicht wissen«, so Heike Haarhof in der taz.

Haarhof kritisiert, dass eine Begleit- forschung von den zuständigen Ge- sundheits- und Forschungsministern abgelehnt wird, obwohl hier wichtige Erkenntnisse für die Bewältigung künftiger Krisen gesammelt werden können. Es wäre daher angebracht, wenn sich eine Linke, die Rationalität zur Grundlage hat, nicht in unsinnige Grabenkämpfe zwischen sogenannten »Coronaleugner*innen« und »Diktaturbefürworter*innen«, sondern die anstehenden Fragen auf Grund von Fakten und Argumenten diskutiert und entscheidet. Peter Nowak

Kommentar von Gerhard Hanloser:

Was der Anmelder der merkwürdigen Demos verkündet und was in der ersten Ausgabe der Zeitung „Demokratischer Widerstand“ steht, ist zwar auch nicht eindeutig, aber eindeutig nicht rechts. Anselm Lenz erklärt sich und sein Anliegen im Interview mit Ken Jebsen als „antifaschistisch“. Außerdem betont er, dass er sich vielleicht irre und in der Rückschau nur ein Alarmist bezüglich der Grundrechtsuspendierung war. Aber dann habe er ja nur Grundgesetze verteilt, das könne ja nicht schaden … In der dort verteilten achtseitigen Zeitung „Demokratischer Widerstand“ steht an prominenter Stelle ein Artikel von Giorgio Agamben, einem eher linksradikalen italienischen Philosophen, der mit Büchern zur Bio-Politik und zum Ausnahmezustand auf sich aufmerksam machte. Davor wird auf einer Doppelseite ein langer differenzierter Artikel des Berliner Journalisten Peter Nowak präsentiert. Dieser gibt in seinem Aufsatz einen Überblick über Stimmen aus der Fachwelt, die die Gefahr des Virus in aller Deutlichkeit darstellen, präsentiert allerdings auch jene, die die gefährlichen Wirkungen des Virus eher minimieren. Nowak lebt von seiner journalistischen Arbeit, schreibt für alle möglichen linken Blätter, positioniert sich klar antifaschistisch und sicherlich als Kritiker von Querfronten. Trotzdem zirkulierte schnell in einigen antifaschistischen Portalen, den linken Reporter habe es nach rechts ins Querfrontlager verschlagen. Links? Rechts? Querfront? Die Herausgeber der Kampagnenzeitung, Anselm Lenz, Hendrik Sodenkamp und Batseba N’diaye, die sich mal als linkssubversives Künstlerkollektiv „Haus Barlebey“ zusammenfanden, geben sich ein anderes Etikett und schreiben im Vorwort: „Wir sind Liberale fernab von Parteien und Abhängigkeiten …“. Sie sehen sich als einzige Opposition in Deutschland, die sich auf dem Boden des Grundgesetzes treffe, dessen erste 20 Artikel zu jeder Zeit gültig seien, über der Regierung stehen und gegen Schlechteres immer zu verteidigen sei.