Im März wurde drei Berliner AutorInnen die gegen sie erhobene Anklage
wegen
++ angeblicher Unterstützung des angeblichen Vereins
linksunten.indymedia
und
++ angeblicher Verwendung dessen vermeintlichen Kennzeichens zur
Stellungnahme
zugestellt (s. PE-Nr. 4 vom 29.03.2019).
In Wirklichkeit war linksunten.indymedia ein gruppenunabhängiges
internet-Medium, wie sich auch den Berichten des Bundesamtes für
Verfassungsschutz für 2016 und 2018 entnehmen lässt [*]. Trotzdem war
diese internet-Zeitung im August 2017 vom Bundesinnenministerium zu
einer Vereinigung i.S.d. Art. 9 II GG (Vereinigungsverbot) erklärt und
aufgelöst worden. Dadurch ist es nicht nur unmöglich, neue Artikel in
der fraglichen internet-Zeitung zu veröffentlichen, sondern ebenfalls
unmöglich, in Vergangenheit veröffentlichte und – sowohl von der
Strafjustiz als auch in der Verbotsverfügung unbeanstandet gebliebene –
alte Artikel zu lesen.
Die drei angeschuldigten AutorInnen hatten deshalb kurz nach dem Verbot
ihre alten – ebenfalls unbeanstandet gebliebenen – linksunten-Artikel
wiederveröffentlicht und andere linksunten-AutorInnen aufgefordert, es
ihnen gleichzutun. Außerdem hatten sie ihre Erklärung mit einem
Ausschnitt aus der amtlichen Verbotsverfügung, in dem u.a. das Logo der
verbotenen internet-Zeitung zu sehen ist, bebildert und bekundet:
„linksunten war [… e]in Portal der – v.a. außerparlamentarischen –
Linken in ihrer ganzen Vielfalt. […] Nicht anders als bei kommerziellen
Medien, heißt der Umstand, daß eine Redaktion (im Falle von linksunten:
‚Moderation‘ genannt) Texte veröffentlicht (bzw. im Falle von
linksunten: nicht löscht), nicht notwendigerweise, daß die Redaktion den
Inhalt dieser Texte teilt. […]. Wir möchten […] linksunten in seiner
ganzen Pluralität – von links-militant bis pazifistisch-sozial-bewegt –
wieder haben.“
Das bildliche Zitieren der Verbotsverfügung brachte den Angeschuldigten
den Vorwurf der Verwendung des Kennzeichens des angeblichen Vereins ein;
das Statement, linksunten in seiner bisherigen publizistischen Form
wiederhaben zu wollen, anscheinend den Vorwurf, der Unterstützung des
vermeintlichen Vereins.
Nach langer Verzögerung erhielten die Angeschuldigten kürzlich die
vollständige offizielle Ermittlungsakte zur Kenntnis. Darin stießen sie
auf Bl. 56 und 57 von Bd. II der Akten auf einen VERMERK VON
KRIMINALHAUPTKOMMISSAR HABERDANK vom 25.03.2019, der den Akten also noch
nach Anklageerhebung hinzugefügt wurde.
Dort heißt es – in Bezug auf die nicht verbotene – Schwester-Subdomain
von linksunten „de.indymedia.org“:
„Am 23.03.2019, um 01:06 Uhr, wurde auf der linksextremistischen
Internetseite ‚indymedia‘ unter der Adresse
https://de.indymedia.org/node/30398
ein Artikel mit dem Titel ‚Die Zensur findet längst statt‘
veröffentlicht. Als Autoren werden Achim Schill, Detlef Georgia Schulze
und Peter Nowak genannt.
In dem Artikel wird die Aufforderung der Staatsanwaltschaft an die drei
genannten Personen, zu den gegen sie im Ermittlungsverfahren erhobenen
Vorwürfen Stellung zu nehmen, thematisiert. Ans Ende des Artikels wurde
am 23.03.19 um 09:24 Uhr eine Ergänzung derselben Autoren angehängt.
Diese enthält vier Links. Der Link
https://de.indymedia.org/sites/default/files/2018/10/Unteilbar-Flugi.pdf
führt direkt auf ein Flugblatt […], auf dessen Vorderseite das Logo des
verbotenen Vereins ‚linksunten.indymedia.org‘ abgebildet ist.
Hier wird davon ausgegangenen, dass der Artikel tatsächlich von den drei
genannten Personen veröffentlicht worden ist. Es wird angenommen, dass
die veröffentlichte Stellungnahme gleichlautend auch der
Staatsanwaltschaft zugegangen ist.
Die Verlinkung auf das Logo ‚linksunten.indymedia‘ macht deutlich, dass
den Beschuldigten jegliches Unrechtsbewusstsein in Bezug auf den in
Rede stehenden Verstoß gegen das Vereinsgesetz abgeht.“
Dazu nehmen die drei Angeschuldigten wie folgt Stellung:
„1. Wir bestätigen gerne: Der Artikel vom 23.03.2019 stammt in der Tat
von uns; desgleichen die ‚Ergänzung‘ zum selben Tage. (Sie wurde
allerdings nicht ‚ans Ende des Artikels‘ angefügt, sondern unter dem [=
außerhalb des] Artikel/s hinzugefügt.)
2. In der Tat fehlt uns jegliches Unrechtsbewußtsein: Wir sind voll und
ganz überzeugt, dass das Unrecht ganz auf Seiten des Medien verbietenden
Bundesinnenministeriums und der uns anklagenden Staatsanwaltschaft
liegt.
a) Medien sind keine Vereinigungen bzw. Vereine und können (dürfen)
daher auch nicht auf der Grundlage von Art. 9 II GG und § 3 I VereinsG
verboten werden. Maßnahmen gegen Medien sind vielmehr an Art. 5 I, II GG
(Meinungsäußerungs-, Informations- und Medienfreiheiten sowie
Zensurverbot) zu messen.
b) Dagegen mögen die HerausgeberInnen von linksunten.indymedia ein
Verein gewesen sein, was aber zu bezweifeln ist. In Bezug auf den
HerausgeberInnenkreis mögen die Verbotsvoraussetzungen vorgelegen haben,
was zu bestreiten ist.
Aber selbst wenn sie ein Verein gewesen sein sollten und die
Verbotsvoraussetzungen vorgelegen hätten, so hieße dies nur, daß der
verbotene vermeintliche Verein das fragliche Medium nicht mehr
herausgeben darf.
Dies heißt aber nicht, daß das fragliche Medium nicht mehr erscheinen
und dessen Logo und URL nicht mehr verwendet werden darf (wie aber das
Bundesinnenministerium und die Berliner Staatsanwaltschaft behaupten).
Denn einzeln oder zu mehreren eine internet-Zeitung herauszugeben und
herausgeben zu dürfen, hängt nicht davon ab, vorher einen Verein
gegründet zu haben – und hängt folglich auch nicht davon ab, daß ein
etwaig gegründeter Verein nicht verboten wurde. Von einem Vereinsverbot
ist vielmehr allein die vereinsförmige Organsiertheit und die
herausgeberische Tätigkeit des Vereins betroffen.
c) Den Bundesanzeiger, in dem das linksunten-Verbot amtlich bekannt
gemacht wurde, bildlich zu zitieren, ist nicht verboten. Wenn es das
Innenministerium für sinnvoll oder gebotenen hält, in der
Verbotsverfügung das abzubilden, was es für das „Kennzeichen“ des
vermeintlichen Vereins hält, in Wirklichkeit aber das Logo der
fraglichen internet-Zeitung war, dann muß das Innenministerium auch
damit leben, daß auch dieses Logo mitzitiert wird.
3. Nicht bestätigen können wir leider, das wir den fraglichen Artikel
auch an die Staatsanwaltschaft geschickt haben. Wäre dem so gewesen,
dann hätten wir den Artikel als Offenen Brief bezeichnet. Inhaltlich
haben wir uns aber in Tat gegenüber der Staatsanwaltschaft und dem
zuständigen Gericht bei verschiedenen Gelegenheiten in gleicher Weise
wie in dem Artikel geäußert.
4. Zusätzlich bestätigen wir aber gerne noch, daß auch der inkriminierte
– in der online-Version nicht namentlich gezeichnete – Text in der Datei
https://de.indymedia.org/sites/default/files/2018/10/Unteilbar-Flugi.pdf
(#Unteilbares Zensurverbot: Warum das Verbot von linksunten.indymedia
grundgesetzwidrige Zensur darstelllt)
von uns stammt. Die – mit einem ordnungsgemäßen Impressum und unseren
drei Namen versehene – Papierversion des Textes hatten Achim Schill und
Detlef Georgia Schulze am 13. Oktober 2018 bei der
#Unteilbar-Demonstration in größerer Auflage verteilt (Peter Nowak war
in an diesem Tag nicht in Berlin und konnte sich daher an der Verteilung
nicht beteiligen, war und ist aber mit Text und Verteilung vollständig
einverstanden.)
5. Wir stellen anheim, ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen uns
einzuleiten bzw. die gegen uns erhobene Anklage entsprechend zu
ergänzen.“
Ergänzende Hinweise:
1. Über die bereits 2017 erhobenen Klagen gegen das Verbot von
linksunten.indymedia hat das zuständige Bundesverwaltungsgericht immer
noch nicht entschieden. Für den Samstag vor dem ersten Tag der noch
nicht terminierten mündlichen Verhandlung läuft eine Mobilisierung unter
dem Motto Tag (((i))).
2. a) Aus Anlaß des bevorstehenden zweiten Jahrestages des
linksunten-Verbotes werden in Hamburg am Freitag, den 2. August und in
Berlin am Dienstag, den 13. August Veranstaltungen stattfinden:
https://prp-hamburg.org/der-rote-abend/ und
https://perspektive.nostate.net/724.
b) Bereits am 26. Juli fand aus diesem Anlass in Bochum eine
Veranstaltung statt. Die dortigen Beiträge von Mag Wompel
(labournet.de), Peter Nowak und Detlef Georgia Schulze sind dort:
http://www.labournet.de/interventionen/solidaritaet/solidaritaet-gegen-das-verbot-von-linksunten-indymedia-widerstand-gegen-polizeistaat/
(Abschnitt „Bericht und Mitschnitte der Veranstaltung in Bochum“)
dokumentiert.
Peter Nowak / Achim Schill / Detlef Georgia Schulze
Berlin, den 01.08.2019
[*] Im Verfassungsschutzberichtbericht 2016, der kurz vor dem Verbot von
linksunten veröffentlicht wurde, hieß es auf S. 115: „Um die eigene
Wahrnehmbarkeit zu erhöhen, nutzen Linksextremisten daher seit Jahren
verstärkt – neben sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter –
gruppenunabhängige Internetplattformen wie ‚linksunten.indymedia’.“
(Hv. hinzugefügt) Auch an anderen Stellen des Berichts war in Bezug auf
linksunten ausschließlich von „Internetplattform“ und nirgends von
„Verein“ die Rede.
Im kürzlich veröffentlichten Verfassungsschutzbericht 2018 heißt es auf
S. 138 f.: „Zu den linksextremistischen Medien zählte bis zu ihrem
Verbot im August 2017 die Internetplattform ‚linksunten.indymedia‘. Sie
fungierte als das wichtigste Medium im gewaltorientierten
Linksextremismus in Deutschland.“ (jeweils unsere Hv.)