Fuldaer Verhältnisse: 13. April: 4 Todestag von Matiul­lah Jabarkhel

Dokumentation eines Beitrag aus der ROTE HILFE Zeitung  1/2022

Fuldaer Verhältnisse Bullen morden – der Staat schiebt ab!

Peter Nowak/Alex Waldmann

Fast drei Jahre zieht sich die Prozessserie gegen einen Antifaschis-
ten, der eine polizeikritische Parole gerufen hat. Prozesse gegen weitere Antifaschist*innen werden noch folgen

„„„Nazis morden weiter und der Staat schiebt fleißig ab – es ist und bleibt schlussendlich das gleiche Rassisten­ pack!“ So lautet der Refrain des Songs „In unseren Augen“, den die antifaschis­tische Band „Feine Sahne Fischfilet“ im­ mer wieder spielt. Zitiert wurden diese Zeilen am 21. Januar vor dem Landge­ richt Fulda von der Rechtsanwältin An­nabelle Voßberg aus Frankfurt/Main. Sie verteidigte dort Christopher W., der am 21. Januar zum vierten Mal im osthes­ sischen Fulda vor Gericht stand, weil er auf einer antirassistischen Demonstration am 13. April 2019 in Fulda die doch dem Refrain des Songs sehr ähnelnde Paro­ le „Bullen morden – der Staat schiebt ab – das ist das gleiche Rassistenpack“ gerufen hatte. Gegen den Freispruch des Angeklagten im ersten Verfahren vor dem Fuldaer Amtsgericht hatte die Fuldaer Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Danach entschied das OLG Frankfurt, einen zweiten Revisionsprozess am Ful­daer Amtsgericht anzusetzen. Dort wurde Christopher W. schuldig gesprochen. Al­lerdings wurde die Zahl der Tagessätze heruntergesetzt und die Geldstrafe inner­halb einer zweijährigen Bewährung – ei­ ne sogenannte Verwarnung auf Strafvorbehalt – ausgesprochen. Dagegen legte die Oberstaatsanwaltschaft in Osthessen mit Erfolg Berufung ein. Christopher W. wurde zu 60 Tagessätzen á 30 Euro und der Übernahme der Gerichtskosten verur­ teilt. Der Richter warf den Antifaschisten vor, durch das Skandieren der Parole für eine aggressive Stimmung auf derDemonstration gesorgt zu haben, weil viele Teilnehmer*innen in den Slogan einstimmten.

Kritik an rassistischen Strukturen

Der 27­jährige Sozialpädagoge, der we­gen Beleidigung und Verächtlichma­chung von Polizeibeamten angeklagt war, bekräftigte in einer Prozesserklärung, dass er die Parole wieder rufen würde, denn ihm gehe es damit um eine Kritik an den rassistischen Strukturen, für die er mehrere zeitnahe Beispiele aufführte. Ein zentrales Beispiel ist der Umgang der Behörden mit dem Tod von Matiul­ lah Jabarkhel. Schließlich hatte er die inkriminierte Parole am ersten Todestag des afghanischen Geflüchteten gerufen. Der war am 13. April 2018 in der Nähe seiner Unterkunft in Fulda von einem Polizisten erschossen worden, nachdem er in einer Bäckerei randaliert hatte. Ein Jahr darauf forderte das Afghan­Refu­gee­Movement, eine Selbstorganisation afghanischer Geflüchteter, in Fulda ge­ meinsam mit Antirassist*innen Gerech­tigkeit für den getöteten Flüchtling. Das bedeutete vor allem die Wiederaufnahme des Verfahrens und ein Gedenkzeichen am Ort seines Todes, also dort, wo der ver­ antwortliche Polizist 12 Kugeln auf den Geflüchteten abgefeuert hatte, von denen ihn vier trafen und zwei tödlich waren. Der Polizist war nicht angeklagt worden, weil er sich nach den polizeiinternen Ermittlungen in einer Notwehrsituation befunden habe.

Kann das Notwehr sein?

Dem hatten die Demonstranten*innen am Jahrestag seines Todes widersprochen. Auf einem zentralen Transparent stand die schlichte Frage: „4 Polizisten gehen gegen einen Flüchtling – 4 Schüsse aus einer Waffe – kann das Notwehr sein?“

„Er war doch unbewaffnet, warum konnten ihn dann vier Polizisten nicht einfach festnehmen. Warum mussten sie ihn erschießen?“ Diese Frage hatten sich nach Matiullahs Tod seine Eltern immer wieder gestellt, die mittlerweile verstorben sind. Das hatte dann die Folge, dass es aktuell niemanden gibt, der juristisch von der deutschen Justiz ein Wiederaufnahmeverfahren der Umstände von Matiullahs Tod stellen kann. Die Ermittlungen waren von der Justiz nach dem Tod des Afghanen schnell einge­stellt worden. Dafür widmete sich die Justiz und Staatsschutz umso akribischer der Verfolgung der Kritiker*innen der Umstände von Matiullahs Tod und des Umgangs der Staatsapparate in Deutsch­land damit. Die Verurteilung von Chris­topher W. im vierten Prozess ist nur ein Ausdruck von diesem Verfolgungswillen. Einer der beim Prozess als Zeuge gela­denen Polizisten erklärte auch auf die Nachfrage von Rechtsanwältin Voßberg, dass es wahrscheinlich in einer Großstadt wie Frankfurt, wo die inkriminierte Parole häufiger auf Protestaktionen zu hören ist, nicht zu einer Anklage gekommen wäre. Doch in Fulda sei der Angeklagte schnell namentlich zu ermitteln gewesen, weil er als engagierter Antifaschist bekannt war. Der Polizist erklärte auch, man habe mit der Anzeige deutlich machen wollen, dass man sich nicht alles bieten lassen müsse. Zu den Polizisten, die gegen ihn Anzeige wegen Beleidigung gestellt ha­ben, gehörte auch der Todesschütze von Matiullah J. Er wurde allerdings nicht als Zeuge geladen und ein entsprechender Antrag von Rechtsanwältin Voßberg wur­ de abgelehnt.

Verfolgung gegen Kritiker*innen der Todesumstände von Matiullah Jabarkhel

Die Verurteilung des Antifaschisten ist nur eine Facette der Verfolgungsinteres­ sen, die die osthessische Justiz gegen die Kritiker*innen der Todesumstände von Matiullah an den Tag legte. Das begann schon unmittelbar nach dem Tod des jungen Afghanen, als zahlreiche seiner Mitbewohner*innen aus der Unterkunft in der Fuldaer Innenstadt protestieren und Aufklärung verlangten. Unterstützt wurden sie vom damaligen Fuldaer Aus­ länderbeauftragten Abdulkerim Demir, der im Hauptberuf Integrationskurse für Migrant*innen gibt. Für diese Tätigkeit ist eine Zulassung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nö­ tig. Der Landrat von Fulda, Bernd Wo­ ide (CDU), und sein Parteifreund, der Fuldaer Oberbürgermeister Heiko Win­ genfeld, forderten im Juni 2018 in ei­ nem Brief an die Nürnberger Behörde, Demirs Zulassung als Leiter von Inte­ grationskursen überprüfen zu lassen, denn sie hatten „Zweifel daran, dass Herr Demir im Hinblick auf die Vermittlung von Werten des demokratischen Staats­ wesens der Bundesrepublik Deutschland und der Prinzipien der Rechtsstaatlich­ keit die erforderliche Eignung besitzt“, so der Brief. Sein Vergehen: er hatte die rückhaltlose Aufklärung des Todes von

Matiullah Jabarkhel gefordert. Das Verfol­ gungsinteresse richtete sich auch gegen zwei Autor*innen aus Frankfurt/Main, die sich 2019 in einem Artikel auf Belltower. News1, die von der zivilgesellschaftlichen Amadeu­ Antonio­ Stiftung herausgegeben wird, kritisch mit den Todesumständen des jungen Afghanen auseinandergesetzt haben. Sie beschrieben korrekt, dass Matiullah durch zwölf Schüsse getötet wurde, ohne anzumerken, dass nur vier der Schüsse ihn trafen und zwei davon als tödlich galten. Deshalb wurde ge­gen die beiden Autor*innen des Artikels Anklage wegen Verdachts der gemein­ schaftlich begangenen üblen Nachrede erhoben. Einem Strafbefehl haben beide widersprochen, so dass in diesem Jahr mit einem Prozess vor dem Fuldaer Amts­ gericht gegen sie gerechnet wird. Auch für den damals 52­jährigen Journalis­ten Timo Schadt, einen bekannten an­tifaschistischen Chronisten der rechten Szene in Osthessen, hatte dieser Artikel Konsequenzen. Er war Kontaktperson der Facebook­Seite des Netzwerks „Fulda ak­tiv gegen Rassismus“, auf der der Belltower.News ­Artikel gepostet war. Am 17. Oktober 2019 um halb acht Uhr morgens stand deshalb unangekündigt die Poli­zei mit einem Durchsuchungsbefehl vom Amtsgericht Fulda vor der Tür des osthes­sischen Journalisten. Um zu verhindern, dass sein Computer und sein Laptop, also sein unentbehrliches Arbeitsgerät als Journalist, beschlagnahmt werden, händigte Schadt einem Polizisten sein Facebook­Passwort aus. Der Beamte löschte den Beitrag dann in seiner Anwe­senheit. Erst später machte Schadt die­ sen rechtsstaatlich zweifelhaften Vorgang bekannt, bei dem die Polizei einen Artikel entfernte, der sich kritisch mit Vorgängen in ihrer Dienststelle befasst, die zum Tod eines Menschen führten.

Anzeigen gegen Teilnehmer*innen der Gedenkdemonstration

Auch insgesamt vier Teilnehmer*innen der Gedenkdemo am Jahrestag des To­ des von Matiullah wurden wegen Beleidi­ gung, Verleumdung und übler Nachrede angezeigt, darunter auch Sarmina Stu­ man vom Afghan Refugees Movement. Als Versammlungsleiterin der Demonstration habe sie auflagenwidrig zum Hass auf­ rufende Sprechchöre nicht unterbunden, so die Staatsanwaltschaft. Dazu gehört die Parole, wegen der Christopher W. nun verurteilt wurde. An der Gedenkdemonst­ ration zum Todestag von Matiullah betei­ ligte sich auch Philipp Weidemann. Der an der Fuldaer Fachhochschule lehrende Sozialwissenschaftler hatte dort Flugblät­ ter an Passant*innen verteilt, die über den Anlass der Demonstration aufklärten. Ein Jugendlicher, der einen solchen Flyer erhielt, berichtete seiner Mutter, der wäre ihm von einem Mann mit den Worten überreicht worden, ein Mensch sei von einem Polizisten ermordet worden und hier könne er mehr erfahren. Die Mutter hat sich daraufhin auf Facebook über die Wortwahl des Sozialwissenschaftlers empört. Daraufhin lud die Polizei den Jugendlichen zur Vernehmung vor, dem auch Fotos von Demoteilnehmer*innen gezeigt wurde. Gegen den 42­jährigen Weidemann ermittelt die Justiz wegen Verleumdung. Dieser bestreitet, gegen­ über dem Jugendlichen von Mord gespro­ chen zu haben und will einen Strafbefehl nicht akzeptieren. Auch in seinem Fall könnte also noch ein Prozess vor der Fuldaer Justiz anstehen.

Fax gegen Aussage

Einen rechtsgültigen Freispruch gab es von der Fuldaer Justiz im Zusammen­ hang mit dem Tod von Matiullah auch. Es betraf einen Rechten, der angeklagt war, nach einer von der AfD und der Identitären Bewegung in Fulda organi­ sierten Demonstration aus Solidarität mit den Todesschützen, Schüler*innen, die sich an den Gegenprotesten beteiligten, angegriffen und verletzt zu haben. Einer der Rechten wurde in erster Instanz zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Doch im Berufungsprozess wurde er freigespro­ chen. Das Gericht glaubte seinen Anga­ ben mehr als dem angegriffenen Antifa­ schisten, der beim ersten Prozess unter Eid aussagte, dass er den Täter zu 100 Prozent erkannt habe, sowie einen wei­ teren Augenzeugen der Tat. Sie schienen wohl als Linke nicht glaubwürdig genug. Verantwortlich waren dafür der gleiche Richter Joachim Becker und der gleiche Staatsanwalt Stephan Müller­Odenwald, die am 21. Januar Christopher W. wegen der antifaschistischen Parole angeklagt und verurteilt hatten. 

 DIE ROTE HILFE 1/2022

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