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Nicht nur regressiver Antizionismus

Peter Nowaks knappe Einführung über die Linke und den Antisemitismus

Von Niels PenkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Niels Penke

Obwohl sich die Linke in Deutschland als antifaschistische Bewegung und damit als per se nicht-antisemitisch verstand, haben doch die Debatten vor allem im Kontext antideutscher Kritik seit den 1980er-Jahren deutlich gemacht, dass diese Einschätzung mehr einem unreflektierten Wunschdenken als historischer Wirklichkeit entsprochen hat. Im Kampf gegen den als „neuen Faschismus“ verstandenen Zionismus haben gegen Israel gerichtete Aktionen seit Mitte der sechziger Jahre ihren festen Ort in weiten Teilen der radikalen Linken gehabt. Angefangen bei den schaurigen Anschlagsplänen der Tupamaros Westberlin im Jahr 1969, dem programmatischen Antizionismus der Revolutionären Zellen oder der Hamburger Hafenstraße zeichnet Peter Nowak die Geschichte linker Positionierungen nach, die Israel einzig als Besatzungsmacht und Kolonialstaat definieren und mit aller gebotenen Vehemenz ablehnen – und bekämpfen.

Aber auch der Gegenseite und den Diskussions- und Erkenntnisprozessen, die sich im Verlauf der 1980er Jahre unter anderem der Zeitschrift „konkret“ und dem Nie-wieder-Deutschland-Bündnis verdankten, geht Nowak nach. Auch die Debatten im Anschluss an den zweiten Golfkrieg, Daniel Jonah Goldhagens „Hitlers willige Vollstrecker“, Martin Walsers Friedenspreis-Rede oder den 11. September 2001 werden mit besonderem Augenmerk auf die antideutsche Bewegung kurz zusammenfasst, die in ihrer uneingeschränkten Israelsolidarität den Gegenpol zur „israelkritischen“ Traditionslinken bilden sollte. Auf dem sehr knappen Raum von 60 Seiten zeichnet Nowak mit Mut zur Lücke die groben Linien nach, benennt wichtige Daten, Namen und Zäsuren, geht auf wegweisende Äußerungen und Dokumente ein. Die Einführung beschließen ein Interview mit Peter Ullrich, der über „Nahostdiskurse in Deutschland und Großbritannien“ geschrieben hat und interessante Vergleiche liefert, sowie ein Exkurs zur Studie über die Rechten und Israel von Bernhard Schmid, der auf Phänomene wie Ethnopluralismus, Geschichtsrevisionismus und Antiislamismus hinweist. Wie es bei Einführungen meist der Fall ist, vereint auch dieses Buch insgesamt sehr viel (potentielle) Information auf sehr wenig Raum; dabei werden viele Kontexte nur angedeutet oder gehen naturgemäß verloren, ebenso wären die beiden Nachträge (Interview und Exkurs) in einer breiter aufgestellten Übersicht vielleicht besser platziert gewesen.

Löblich hingegen ist der Vorschlag „zur Versachlichung der Debatte“ durch die im Interview mit Ullrich angeregte Selbstreflektion der Linken oder das abschließende Plädoyer für den vermeintlich weniger starken Begriff des „regressiven Antizionismus“ anstelle eines pauschalen Antisemitismus – aber ob damit viel gewonnen werden kann, ist fraglich. Nowak verzichtet zwar auch auf das dichotome Begriffspaar antideutsch versus antiimperialistisch und verwendet stattdessen israelsolidarisches beziehungsweise israelkritisches Spektrum, was jedoch bereits hier eine problematische Unterscheidung ist: Sie verschleiert die identitätsbildende Kraft dieser Labelings, unter denen mehr als nur eine der im Buch vorgestellten Aussagen getroffen oder Kampagnen durchgeführt wurden.

Zum anderen sind Solidarität und Kritik keine sich unbedingt ausschließenden Gegensätze, sondern können unter bestimmten Vorzeichen sehr wohl zusammengehen. Auch dass antisemitisches Denken, Reden und Handeln in den diskursiven Randbereich delegiert wird und durch den Euphemismus des „regressiven Antizionismus“ ersetzt werden soll – der wiederum auch nur einen „begrenzten analytischen Wert“ besitzt, wie Nowak in seiner Begründung in Bezug auf „antideutsch vs. antiimperialistisch“ meinte – erscheint problematisch. Lässt sich das Antisemitismusproblem in der Linken wirklich dadurch lösen, dass man einfach eine andere, vermeintlich weniger „schlimme“ Bezeichnung einführt? Im Umkehrschluss wäre außerdem zu fragen, ob es wirklich einen „progressiven“ Antizionismus geben könne, der nicht wesentliche realhistorische Fakten verkennte oder in alte antijüdische Argumentationsmuster zurückfiele?

Dennoch wird Nowak seinem Ziel gerecht, indem er eine Zusammenfassung für „jüngere Menschen“ bietet, die die Debatten nicht mitgemacht haben und auf Fragen stoßen, die nach einer eigenen Positionierung verlangen. Und damit fördert dieses Buch vor allem eines: weiterzulesen, und dabei gewiss auch zu streiten.

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=18314&ausgabe=201309