ak – analyse & kritik

aus: Nr. 583 / 17.5.2013

Gut gemeint, schlecht gemacht

Diskussion Peter Nowaks Geschichte linker Antisemitismusdebatten schafft wenig Klarheit

Von Jens Renner

Auf 90 Seiten die »Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken« nachzuzeichnen, ist ein schwer zu bewältigendes Unterfangen. Ohne Auslassungen und Verkürzungen geht es nicht. Diese sind nur dann zu kritisieren, wenn Wesentliches durch Nebensächliches und vom Thema wegführende Exkurse ersetzt wird. Genau diese Kritik muss sich Peter Nowak gefallen lassen. Die Diskussion um die Linkspartei übergeht er vollständig – obwohl hier, ausgehend von der diffamierenden »Studie« von Salzborn und Voigt, exemplarisch »linker Antisemitismus« inszeniert wurde, u.a. in einer Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages. (ak 562)
Bruchstückhaft ist auch der Rückblick auf die Jahre vor 1989. Der Historikerstreit kommt gar nicht vor, obwohl hier die westdeutsche Linke frühzeitig und entschieden Position ergriff, darunter der Arbeiterkampf (AK). Dessen Kritik an Teilen der Palästina-Solidaritätsbewegung nach Beginn der ersten Intifada erwähnt Nowak immerhin; das AK-Buch »Deutsche Linke zwischen Israel und Palästina« (1988) führt er sogar in der Literaturliste auf. Es enthält kontroverse Beiträge aus einem breiten Spektrum teils namhafter DiskutantInnen über etliche Fragen, an denen sich die Linke später zerstritt: Antizionismus, Zweistaatlichkeit oder binationaler Staat, Strategien des palästinensischen Befreiungskampfes, Bündnispolitik mit der israelischen Linken und Friedensbewegung, Boykottkampagnen und vieles mehr. Wie immer man die Debattenbeiträge aus heutiger Sicht bewertet – sie zeigen, dass der Streit nicht erst mit dem Aufkommen der »Antideutschen« begann.
Deren angebliches Verdienst, eine überfällige Diskussion angestoßen zu haben, will Nowak aber gerade herausstellen. Zwar distanziert er sich von den weit nach rechts gedrifteten Bahamas, er teilt aber diverse antideutsche Grundpositionen, etwa die Kritik an »strukturell antisemitischen Erscheinungen, wie sie beispielsweise in Teilen der globalisierungskritischen Bewegung zu beobachten waren«. Ein Argument für die Nützlichkeit des Konstrukts »struktureller Antisemitismus« fehlt hier ebenso wie ein Beispiel für reale »Erscheinungen« von Antisemitismus in der globalisierungskritischen Bewegung – siehe etwa die Auseinandersetzung bei attac. (ak 477)
Während er teils bei Andeutungen bleibt, teils nur referiert, erweist Nowak sich an anderer Stelle als auffällig meinungsstark. So nimmt er die Zeitschrift konkret in Schutz gegen »die nachträgliche Zuschreibung, konkret sei ein Medium des Krieges geworden«: Schließlich hätten 1991 auch AutorInnen in konkret publiziert, die gegen den Golfkrieg waren! Seltsam, dass die angebliche Ausgewogenheit – ein bisschen Krieg, ein bisschen Frieden – beim Publikum schlecht ankam und etliche Abo-Kündigungen zur Folge hatte.
Nowaks Position zu einer anderen konkret-Publikation bleibt offen. Das 2003 erschienene Buch »Zweierlei Israel?« (ak 473), findet er, »lohnt die Lektüre noch immer«. Es dokumentiert ein Streitgespräch zwischen dem israelischen Marxisten Moshe Zuckermann und seinen deutschen Kritikern Hermann L. Gremliza, Thomas Ebermann und Volker Weiß – und zeigt an etlichen Punkten unvereinbare Positionen. So erteilt Zuckermann dem Vorschlag der deutschen Linken, in Israel »eine gewisse Subalternität anderer Ethnien, also der arabischen Israelis« zu akzeptieren, die verdient schroffe Absage. Da wüsste man schon gern, wie Nowak darüber denkt. Auch Zuckermanns Buch »Antisemit! Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument« (ak 555) von 2010, nennt er zwar in der Literaturliste; einer Bewertung aber enthält er sich.
Platz dafür wäre gewesen, wenn Nowak auf die fast zwei Seiten umfassende Dokumentation eines privaten Briefwechsels zwischen Gremliza und Zuckermann verzichtet hätte. Auch Bernhard Schmids als Exkurs angehängter Text über »Die Rechte und Israel« überzeugt an dieser Stelle nicht, so informativ und gut lesbar er auch ist. Bleibt als Highlight ein 15 Seiten langes Interview mit Peter Ullrich über »diskursive Grauzonen und die Fallstricke der Solidarität«. Ullrich kritisiert auch die bedingungslos solidarischen Israelfans, die »auch und gerade den Antizionismus und ggf. Antisemitismus in der Linken thematisieren, aber die palästinensische Interessen mit Füßen treten«. Nowaks Anliegen dagegen ist die Abgrenzung von dem, was er »regressive Israelkritik und regressiven Antizionismus« nennt. Deren Gegenüber heißt beim ihm, ganz neutral und ohne abwertendes Adjektiv, »die israelsolidarische Linke«. Da er gegen die »Regressiven« und für die »Solidarischen« Partei ergreift, geht sein abschließender »Vorschlag zur Versachlichung der Diskussion« zwischen den streitenden Parteien zwangsläufig ins Leere.
Auch als Faktensammlung ist das Buch nur bedingt zu empfehlen. Gleich dreimal nennt Nowak falsche Jahreszahlen für historisch bedeutsame Ereignisse: den Juni-Aufstand in der DDR, den Libanonkrieg, den Beginn des zweiten Golfkrieges. Dazu passt die Sprache: Auf Grammatikfehler folgen stilistische Zumutungen wie diese: »Was aber im israelsolidarischen Diskurs unterging, war die offensichtliche Tatsache, dass der Krieg (gegen den Terror; Anm. ak) die ihm zugedachte Förderung emanzipatorischer Interessen nicht hatte.« Man ahnt, was gemeint ist, ärgert sich aber doch. Die schlampige Bearbeitung ließe sich allenfalls entschuldigen, wenn das Buch ein schnell rausgehauener Beitrag zu einer aktuellen Debatte wäre – schließlich können sich auch linke Kleinverlage der Marktlogik nicht entziehen. Bei einem zeitlosen Thema wie der linken Antisemitismusdebatte kommt Zeitdruck als mildernder Umstand aber nicht in Betracht. Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. So auch hier.

Peter Nowak: Kurze Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken. Edition Assemblage, Münster 2013. 94 Seiten, 9,80 EUR.