Es ist der längste Streik von Pflegekräften in der Bundesrepublik. Nun wurde der Ausstand bei Alpenland in Berlin bis auf weiteres ausgesetzt.
Bereits Mitte August war ein Teil der Beschäftigten in der Ostberliner Filiale des Pflegekonzerns Alpenland in den Streik getreten. Am Mittwoch vergangener Woche wurde dieser längste Ausstand von Pflegekräften in der bundesdeutschen Geschichte vorläufig beendet. Drei Monate lang hatten die Beschäftigten für die Angleichung der Löhne an das Westniveau gekämpft. Denn nach wie vor verdienen sie bis zu 170 Euro im Monat weniger. Zudem wollten sie eine weitere Flexibilisierung ihrer Arbeitszeiten verhindern.
Der harte Kern der Streikenden umfasste etwa 40 der rund 120 Beschäftigten. Während man bei der Streikwache gegenüber der Filiale im Stadtteil Marzahn Freundschaften schloss, war das Verhältnis zum Rest der Belegschaft angespannt. Denn ein weiteres Drittel der Beschäftigten hatte individuelle Verträge mit Alpenland abgeschlossen, ließ sich aber in einer Klausel zusichern, dass auch für sie, sollten sich die Streikenden durchsetzen, die dann verbesserten Verträge gelten. Daneben gab es eine Art schweigendes Drittel von Beschäftigten, das sich weder am Streik beteiligte noch individuelle Verträge unterschrieb. »Da wurde die Solidarität der aktiven Kolleginnen schon stark strapaziert«, beschreibt Meike Jäger von Verdi die Stimmung.
Die Verdi-Sekretärin hatte wochenlang Hausverbot bei Alpenland. Die Firma hatte damit auf eine lautstarke, von Verdi initiierte Solidaritätsaktion reagiert. Während die Alpenland-Geschäftsführung die Gewerkschaft beschuldigt, mit dem Lärm die alten Menschen verschreckt zu haben, berichten die Streikenden von anderen Erfahrungen. »Einige der Senioren haben sich sogar mit uns gemeinsam fotografieren lassen«, erzählt Jäger. Ihres Erachtens sei es schließlich auch in deren Interesse, wenn die Pflegekräfte einigermaßen erträgliche Arbeitsbedingungen haben. Enttäuscht äußern sich die Streikenden über die geringe öffentliche Resonanz des Arbeitskampfs. Nicht nur die Medien, auch linke Initiativen, die sich in den vergangenen Jahren mit eigenen Solidaritätsaktionen für Streikende, etwa beim Einzelhandelsstreik 2008, eingebracht hatten, ignorierten den Streik in Marzahn weitgehend. Dabei war zuletzt auf Kongressen und Veranstaltungen des feministischen und autonomen Spektrums verstärkt über die Arbeitsbedingungen im Pflegebereich diskutiert worden. Immer wieder wurde dort darauf hingewiesen, wie schwierig es für die Beschäftigten in diesem Bereich ist, wirkungsvolle Druckmittel zu entwickeln. Der Arbeitskampf bei Alpenland, der überwiegend von Frauen getragen wurde, zeigte dies noch einmal deutlich.
Für Norbert Paas, Verdi-Sekretär aus Frankfurt an der Oder, hat der Streik eine grundsätzliche Bedeutung. In seiner Stadt könne er eindrucksvoll sowohl bei karitativen wie auch städtischen Pflegeeinrichtungen beobachten, dass der Pflegesektor immer stärker an kommerziellen Interessen ausgerichtet wird. Die von den Pflegefirmen forcierte Aufspaltung der Belegschaften erschwere ein gemeinsames Vorgehen, berichtet Paas: »Wenn Neuangestellte 500 Euro mehr verdienen als Beschäftigte, die länger arbeiten, ist eine gemeinsame Solidarität schwer herzustellen.« Dabei gönne er den Neueingestellten die höheren Löhne, frage sich aber, warum diese nicht allen Beschäftigten zustehen sollen.
Kernthema in den Tarifverhandlungen wird jedoch die Angleichung der Löhne an das Westniveau bleiben. Nach Angaben von Jäger gab es bei den Gesprächen in der vergangenen Woche bereits eine Annäherung. Demnach solle die Angleichung zeitlich gestaffelt werden. Auf der anderen Seite würde jedoch die von Paas monierte Fragmentierung der Belegschaft durch die ungleiche Behandlung von Alt- und Neueinstellungen festgeschrieben. Ob das Bekenntnis der Beschäftigten, den Arbeitskampf jederzeit fortzusetzen, um einen schlechten Kompromiss zu vermeiden, realistisch ist, wird sich in den kommenden Tagen zeigen.
http://jungle-world.com/artikel/2011/47/44384.html
Peter Nowak
Peter Nowak