Rezensionen des Buches „Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht“

Arbeit Bewegung Geschichte
ZEITSCHRIFT FÜR HISTORISCHE STUDIEN 2016/III
Fünfzehnter Jahr gang Septe mber 2016
Bis Dezember 2015: JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung

Peter Nowak (Hrsg.): Ein Streik steht,
wenn mensch ihn selber macht. Arbeitskämpfe
nach dem Ende der großen Fabriken,
edition assemblage, Münster 2015,
112 S., ISBN 978-3-942885-78-2
Im Jahr 2015 sind Streiks in aller Munde und Thema der öffentlichen Debatte. Einzelhandel, Post, Amazon, KiTas und vor allem der Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer führen dazu, dass das Streikaufkommen „gefühlt“ recht hoch ist. Statistisch gesehen – geht man
von Teilnehmenden und den damit errechneten Streiktagen aus – gibt es aber keinen sensationellen Anstieg des Streikgeschehens, auch wenn die Streiktage des Jahres 2015 in der Tat leicht höher waren als in den Jahren zuvor. Würde man allerdings statt Streiktagen die einzelnen Streiks zählen,
würde man sicherlich auf eine höhere Zahl kommen. Das liegt vor allem daran, dass diese Streiks in relativ kleinen Betrieben und bei vergleichsweise schlecht organisierten Belegschaften stattfinden. Und
sie finden häufig in der Dienstleistung statt, sind also von KundInnen direkt
wahrnehmbar. Genau diesen Aspekt möchte Peter Nowak in dem von ihm herausgegebenen Buch genauer beleuchten. Und auf den ersten Blick tut er das auch, denn Nowak greift die kleinen Beispiele auf: Streiks in der italienischen Logistikbranche, bei H&M, Amazon, Berliner Taxifahrern,
Spätkauf, unter Sex- und Theaterarbeiterinnen und -arbeitern, Gefängnisinsassen, Flüchtlingen. Allerdings: Um Streiks, wie der Titel suggeriert, geht es ihm dabei nur sehr bedingt, vielmehr betrachtet er Organisierungsprozesse. So stellt sich etwa eingangs das Netzwerk TIE vor; ein Berliner Taxifahrer beschreibt im Interview, wie der Berliner Vertrauensleutekörper organisiert wurde; Nowak kommentiert das geringe
Engagement der Gewerkschaften für Sexarbeiterinnen und -arbeiter, aber ebenso die positiven Ansätze in der gewerkschaftlichen Organisierung von Flüchtlingen und mit der Gefangenengewerkschaft (GG/BO) einen jungen eigenständigen gewerkschaftlichen Organisierungsversuch. Es geht also nicht nur um (potenzielle) Streiks in Gemischtwarenläden, vielmehr
ist das Buch selbst ein Gemischtwarenladen. Das Problem dabei: Die Regale in diesem Gemischtwarenladen sind vollkommen unsortiert. So richtig will sich daher einem auch nicht erschließen, was die verschiedenen dokumentierten Beispiele denn gemeinsam haben, sind sie doch grundverschieden: international und regional, im DGB und neben dem DGB, zaghafte Organisierungsversuche und ausgewachsene Arbeitskämpfe, historisch (ein Beitrag behandelt den britischen Bergarbeiterstreik
der 1980er-Jahre bzw. die schwul-lesbische Solidarität mit diesem anhand des aktuellen Films „Pride“) und zeitgenössisch. Eigentlich ist alles sehr lesenswert, vor allem da, wo sehr konkrete Aktions- und Handlungshinweise
aus der Erfahrung von Beteiligten gegeben werden. Eine allgemeine
Tendenz, wie der Titel sie vorgibt, wird allerdings nicht sichtbar.
Letztlich dokumentiert Peter Nowak all diese verschiedenen Konflikte und Organisierungsversuche. Was sie gemeinsam haben (könnten), bleibt aber völlig im Dunkeln. Thesen, die für den Hrsg. entweder aus den einzelnen Beiträgen folgen oder Ausgangspunkt der Beiträge waren, liefert eigentlich nur der Titel: Erstens müsse man Streiks selber organisieren und zweitens läge das daran, dass wir das „Ende der fordistischen Fabrikgesellschaft“ erleben würden. Beide Thesen finden aber in den Beiträgen keinen Rückhalt und sind so auch nicht haltbar: Erstens nehmen Streiks in den hier dokumentierten Feldern zwar zu, die große Zahl an Streiktagen findet
aber nach wie vor in den totgesagten „großen Fabriken“ statt. Und damit ist zweitens auch zweifelhaft, ob ein Streik tatsächlich nur dann steht, „wenn mensch ihn selber macht“: Streiks funktionieren durchaus immer noch da am besten, wo eine organisierte Belegschaft, durchaus auch schlicht
„auf Kommando“ der Gewerkschaft, die Arbeit niederlegt, ohne unbedingt viel selber machen zu müssen. „Selber machen“ muss man da viel, wo die strukturelle und organisatorische Macht gering ist. Sicherlich kann man das „Selber Machen“ auch positiv bewerten, doch garantiert es nicht den Erfolg.
Da Nowak exemplarisch vorgeht, erfahren wir nichts über die reine Anzahl
oder auch die Erfolge der „kleinen Streikbewegungen“, wir können
nicht auf eine Entwicklung schließen. Ja, Streiks, kollektive Konflikte oder auch Organisierungsversuche in der prekären Dienstleistungswelt werden zahlreicher, sie sind aber bei Weitem noch nicht prägend für den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit. Wer aus diesem Buch Neues zum gesellschaftlichen Grundkonflikt herauslesen möchte, muss suchen. Und tatsächlich findet sich ein gemeinsames Element, das in den meisten Beiträgen enthalten ist und übrigens genauso für die real existierenden
großen Fabriken gilt: Das, was einmal „Proletariat“ genannt wurde, stellt
sich ebenfalls als bunter Gemischtwarenladen heraus. Besonders deutlich wird dies, und entsprechende Untersuchungen in der Großindustrie werden das bestätigen, in der zunehmenden migrantischen Zusammensetzung
der Arbeitenden. Das wäre ein Rahmen gewesen, der dieses Buch zusammengehalten hätte. Peter Nowak liefert uns – teilweise
sehr kurze – Reportagen und Momentaufnahmen. Das ist die Aufgabe eines Journalisten. Einige Beispiele sind sehr inspirierend, etwa die Publikumsaktion im Brecht-Theater. Andere Beiträge, vor allem
die Darstellung der italienischen Arbeitskämpfe durch Mitarbeiter- und Mitarbeiterinnen von labournet.tv und der theoretisch rahmende Abschlussbeitrag der Frankfurter „Antifa Kritik und Klassenkampf“, regen zur Diskussion an. Aber es fehlt der rote Faden, den Nowak als Hrsg. hätte liefern müssen. Man orientiert sich nur schwer im Gemischtwarenladen.
Torsten Bewernitz

——————————————————————-

kritisch-lesen.de

Prekär streiken

Peter Nowak (Hg.)
Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht
Arbeitskämpfe nach dem Ende der großen Fabriken
Der Band versammelt Berichte und Reflexionen über Arbeitskämpfe in ungewöhnlichen Arbeitsbereichen.

Prekäre Arbeitsverhältnisse wie unsichere oder schlecht bezahlte Arbeitsplätze, Leiharbeit und Scheinselbstständigkeit sind längst keine Randphänomene mehr. Sie finden sich mittlerweile in sämtlichen Bereichen der Arbeitswelt. Durch die Auslagerung ganzer Unternehmensbereiche und die Aufweichung (oder neudeutsch „Flexibilisierung“) gesetzlicher sowie tarifvertraglicher Regelungen sind davon längst auch die sogenannten Normalarbeitsverhältnisse, das heißt sozialversicherungspflichtige Festanstellungen, betroffen. Das bekommen auch die Gewerkschaften zu spüren, die mit sinkenden Mitgliederzahlen und einer abnehmenden Kompromissbereitschaft der Unternehmensführungen konfrontiert sind. Nicht zuletzt das lange Zeit als besonders fortschrittlich geltende Modell der Industriegewerkschaft, das sich an der Interessenvertretung und sozialpartnerschaftlichen Mitwirkung der Stammbelegschaften in großen Unternehmen orientiert, zeigt große Schwierigkeiten, auf die zunehmend fragmentierten Arbeitsverhältnisse zu reagieren. Das äußert sich auch in der wachsenden Bedeutung kleinerer kämpferischer Gewerkschaften in einigen Bereichen der heutigen Arbeitswelt. Zugleich hat sich in den letzten Jahren eine lebhafte Debatte über neue Organisationsansätze und Instrumente des Arbeitskampfes entwickelt. Sie wird vor allem international geführt, in gewerkschaftsnahen Publikationen wie der europaweit erscheinenden „Transfer“ oder auf transnationalen Konferenzen von Streikaktivist*innen und Basisgewerkschafter*innen, wie im Oktober 2015 im polnischen Poznan. Einige Arbeitssoziolog*innen vergleichen die Situation dabei sogar mit derjenigen im 19. Jahrhundert, als Gewerkschaften wesentlich netzwerkartiger organisiert waren und ihre Funktion nicht so sehr in der Interessenvertretung innerhalb der Unternehmen, sondern in der Organisation von Solidarität auf regionaler Ebene bestand.

Streiks außerhalb der großen Fabrik

Diese Situation in der heutigen Arbeitswelt bildet den aktuellen Hintergrund für das kleine Sammelbändchen des Berliner Journalisten Peter Nowak zu „Arbeitskämpfen nach dem Ende der großen Fabrik“, wie es im Untertitel heißt. Es kann als Beitrag zu den laufenden Debatten aus aktivistischer Sicht betrachtet werden. Dabei versammelt Nowak Beispiele von Arbeitskämpfen aus sehr unterschiedlichen und teilweise auch sehr ungewöhnlichen Bereichen. So geht es um Arbeitskämpfe von Sexarbeiterinnen und um Arbeitskämpfe in einem Berliner Spätkauf, im Theater und im Gefängnis. Die Autoren und Autorinnen waren und sind zumeist selbst Protagonist*innen dieser Kämpfe oder in Unterstützungsaktionen aktiv. Deutlich wird dabei die große Rolle, die ein solidarisches Umfeld und die Auseinandersetzung in der Gesellschaft einnehmen, um eine oftmals mangelhafte Produktionsmacht der Beschäftigten auszugleichen. Daher geht es in dem Buch auch um die Verbindung von Arbeitskämpfen und sozialen Bewegungen.

Es finden sich auch historische Ausflüge, so zu einem Solidaritätskomitee von Lesben und Schwulen für den britischen Bergarbeiterstreik 1984 und 1985, für das sich die Kumpels mit ihrer Beteiligung auf der Gay-Pride-Parade in London revanchierten. Zum größten Teil werden in dem Buch jedoch noch sehr frische und teilweise noch laufende Auseinandersetzungen behandelt.

Der Blick über den Tellerrand hinaus…

Zu loben ist, dass die Beiträge sich nicht auf Deutschland beschränken, sondern sich, durch Beispiele aus Frankreich und Italien, in einen europäischen Kontext einordnen lassen. So geht Willi Hajek im Rahmen eines Beitrages über ein europäisches Netzwerk von Basis- und alternativen Gewerkschaften auf die französischen Basisgewerkschaften SUD-Solidaires und ihr Selbstverständnis eines „syndicalisme différent“(S. 10) ein. Damit ist gemeint, dass sich die französischen Basisgewerkschafter*innen nicht nur auf die Probleme am Arbeitsplatz konzentrieren, sondern auch das Verhältnis zu den Konsument*innen reflektieren und diese in die eigene Strategie mit einbeziehen.

„Der Typ Syndikalismus, den die Sud-Gewerkschaften repräsentieren, betrachtet umgekehrt die Gesellschaft als praktischen Zusammenhang der Menschen, in dem die Lohnabhängigen nicht nur Objekte, sondern zugleich tätige Subjekte, gesellschaftliche Produzent_innen sind und in dieser Eigenschaft das Kapitalverhältnis und die es schützende Politik als Hindernis, als ‚Ballast‘ erleben“ (S. 10f.).

In diesem Zusammenhang wird auf eine Reihe von Arbeitskämpfen eingegangen, in denen sich die Arbeiter und Arbeiterinnen direkt an ihr gesellschaftliches Umfeld wandten. So etwa Arbeitsniederlegungen im Pariser Hotel- und Friseurgewerbe, die mit großer öffentlicher Unterstützung geführt wurden, oder bei einem Energieversorger, bei dem die Monteure für kostenlose Stromversorgung für arme Haushalte sorgten. Besonders interessant ist das Beispiel der Intermittents du spectacle, der französischen Kulturschaffenden, denen die Regierung Hollande 2014 mit Kürzungen der Ausgleichzahlungen im Falle von Arbeitsunterbrechung drohte. Eine Maßnahme, gegen die sich die Intermittents mit öffentlichen Mobilisierungen und Diskussionen zur Wehr setzten. Die Schilderung dieses Kampfes kann dabei als Prolog zu den jüngsten Auseinandersetzungen um die Reform des Arbeitsgesetzes El Khomri und die Platzbesetzungsbewegung Nuit Debout gelesen werden: „[D]ie Intermittants sind praktisch seit 2003 ein aktiver Teil der rebellischen Lohnarbeit, der auch gerade durch seine Aktionsformen, durch seine Kultur der Versammlungen, durch sein öffentliches Auftreten ein wirklich sozialrevolutionäres Milieu geschaffen hat“ (S. 22f.).

Zwei Mitglieder von labournet.tv behandeln die Auseinandersetzungen in der italienischen Logistikbranche. Das Besondere an diesem Arbeitskampf ist, dass hier seit 2008 vor allem migrantische Arbeitskräfte, in einer allgemeinen ökonomischen Krisensituation und ohne Unterstützung der großen nationalen Gewerkschaften, erfolgreich für Lohnerhöhungen und die Anerkennung der nationalen Branchentarifverträge in ihren Unternehmen kämpfen. Unterstützung erhalten sie dabei von kleinen Basisgewerkschaften, wie der S.I. COBAS, in der ältere Militante aus den Fabrikkämpfen der 1960er und 1970er Jahre aktiv sind, und durch die außerparlamentarische Linke aus dem Umfeld der centri sociali, der italienischen Hausbesetzer*innenbewegung. Letztere sorgten vor allem für die massenhafte Beteiligung bei Streikposten und Straßenblockaden, die erfolgreich die Auslieferung von Waren aus den Lagerhäusern blockierten und die Unternehmen an einem empfindlichen Punkt trafen.

… und wieder nach Deutschland

Es bleibt dem Leser und der Leserin selbst überlassen, die vielen Parallelen und Verbindungen zu den Beispielen aus Deutschland herauszusuchen. Sie sind jedoch vorhanden. So bei den Auseinandersetzungen an der Berliner Universitätsklinik Charité um eine bessere Personalausstattung, wo die Beschäftigten unter dem Slogan „Mehr von uns ist besser für alle“ (S. 82) auch die Qualität der Gesundheitsversorgung für die Patient*innen thematisieren. Aber auch bei den Auseinandersetzungen im Einzelhandel, bei H&M und bei Amazon, die von Solidaritätskreisen unterstützt werden, in denen sich vor allem die außerparlamentarische Linke einbringt. So haben etwa Aktivist*innen aus dem Blockupy-Bündnis, welches durch Großdemonstrationen gegen die EZB in Frankfurt am Main 2012 bis 2015 Aufmerksamkeit erregt hatte, die Streikenden bei H&M und Amazon 2013 mit Aktionen unterstützt. Sie organisierten etwa Kundgebungen vor Filialen und Blockaden vor Warenlagern, zu denen die Beschäftigten aufgrund des Repressionsrisikos am Arbeitsplatz nicht in der Lage waren.

Ein Unterschied zu Frankreich und Italien ist dabei, dass in Deutschland diese Arbeitskämpfe mit ver.di von einer großen Branchengewerkschaft geführt werden, wobei auch Reibereien nicht ausbleiben. Seit 2014 wird auf überregionalen Konferenzen auch über das Selbstverständnis der Solidaritätsarbeit debattiert. Sehen sich die Soli-Aktivist*innen als ehrenamtliche Helfer*innen bei den Organisierungskampagnen der Gewerkschaft, oder soll die Selbsttätigkeit der Beschäftigten im Vordergrund stehen? Diese Fragen werden auch von der Gruppe Antifa Kritik und Klassenkampf aus Frankfurt am Main in einem eher theoretischen Beitrag aufgeworfen. Die ursprünglich universitätspolitische Gruppe begründet ihr Engagement in oben genannten Soli-Kreisen mit der Absicht, eine Verbindung von antikapitalistischer Perspektive und konkreten Einzelkämpfen herzustellen. Wenn auch aus einer anderen Position heraus und in einem akademischen Tonfall, zeigt ihre Argumentation für die Orientierung am Klassenkampf auch Ähnlichkeiten zum oben erwähnten Selbstverständnis der französischen Basisgewerkschafter*innen:

„Wird in kollektiven Erfahrungs- und Reflexionsprozessen deutlich, dass die eigenen Bedürfnisse hier und heute nur befriedigt werden, sofern sie sich der Wertvergesellschaftung einpassen, vermitteln sich Bedürfnisse mit der kritischen Einsicht, dass eine gesellschaftliche Produktion, die auf die Bedürfnisbefriedigung und -entfaltung der Gesellschaftsmitglieder gerichtet ist, nur jenseits der kapitalistischen Klassengesellschaft zu haben ist“ (S. 105).

Der Text endet mit einem Vorschlag zum Aufbau von Strukturen zur Herstellung von Solidarität zwischen Lohnabhängigen aus unterschiedlichen Branchen und gesellschaftlichen Bereichen. Darunter werden „Streikende, Betriebsgruppen, Arbeitsloseninitiativen, Repro-Arbeiter_innen oder Soli-Aktivist_innen“ (S. 107) verstanden, die sich „rund um die Orte, an denen Herrschaft und Ausbeutung sich alltäglich reproduzieren“ (S. 108) organisieren. Das lässt wiederum an ähnliche Experimente der jüngsten Zeit in Italien und Griechenland denken, wo sich lokale Organisationsansätze prekär Beschäftigter und Studierender gebildet haben.

Das Sammelbändchen ist sicher keine Fachliteratur. Eine ausführlichere Einleitung, die die vielen, zum Teil sehr unterschiedlichen Beiträge miteinander in Beziehung setzt und versucht, sie mit gemeinsamen Thesen über die neuen Arbeitskämpfe zu unterfüttern, wird nicht geboten. Die Synthese, wie sie der Autor dieser Rezension aus seiner eigenen Sicht ansatzweise versucht hat, wird also dem Leser überlassen. Für diejenigen aber, die sich über neuere und teils ungewöhnliche Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz aus erster Hand informieren wollen, ebenso wie für solche, die in ähnliche Kämpfe verwickelt sind, ist es dennoch eine anregende Lektüre, die zudem sehr handlich und auch für Menschen mit wenig Zeit zubereitet worden ist.

Anmerkung: Zur transnationalen Konferenz von Streikaktivst*innen in Poznan/Polen im Oktober 2015 ist auf der Plattform Labournet ein Bericht erschienen: hier

Peter Nowak (Hg.) 2015:
Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht. Arbeitskämpfe nach dem Ende der großen Fabriken.
Edition Assemblage, Münster.
ISBN: 978-3-942885-78-2.
111 Seiten. 7,80 Euro.
aus; Kritisch-lesen.de
—————————————————————————————–

Nachdruck der Rezension in Oldenburger Rundschau:

https://www.oldenburger-rundschau.de/2016/10/05/prekaer-streiken/



——————————————————————————————————————–.
libertäre buchseiten
>> 412 oktober 2016

Streik! Was für ein wunderbarer Tag

Peter Nowak (Hrsg.): Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht. Arbeitskämpfe nach dem Ende der großen Fabriken, edition assemblage, Münster 2015, 112 Seiten, ISBN 978-3-942885-78-2

In den letzten Jahren hat sich eine lebhafte Diskussion über die Ausbreitung prekärer Arbeitsverhältnisse und die Notwendigkeit neuer Organisationsansätze und Instrumente des Arbeitskampfes entwickelt.

Schließlich zeigt sich immer deutlicher, dass die großen Branchengewerkschaften nicht mehr in der Lage sind, auf die Probleme in weiten Bereichen der heutigen Arbeitswelt adäquat zu reagieren. Der Berliner Journalist Peter Nowak legt mit dem vorliegenden Buch nun ein Sammelbändchen vor, das als Beitrag zu dieser Debatte aus aktivistischer Sicht gelten kann. Viele der hier versammelten Texte behandeln Beispiele aus Bereichen, die meist nicht mit Streiks in Verbindung gebracht werden. So geht es um Arbeitskämpfe von Sexarbeiterinnen, in einem Berliner Spätkauf, im Theater oder im Gefängnis.

Die Autoren und Autorinnen waren und sind zumeist selbst ProtagonistInnen dieser Kämpfe oder in Unterstützungsaktionen aktiv. Deutlich wird dabei die große Rolle, welche ein solidarisches Umfeld und die Auseinandersetzung in der Gesellschaft haben, um eine oft mangelhafte Produktionsmacht der Beschäftigten auszugleichen.

Daher geht es im Buch auch um die Verbindung von Arbeitskämpfen und sozialen Bewegungen in der jüngsten Zeit. Bis auf einen Beitrag zu einem Solidaritätskomitee von Lesben und Schwulen für den britischen Bergarbeiterstreik 1984 und 1985 werden frische und teilweise noch laufende Auseinandersetzungen behandelt.

Zu loben ist, dass die Beiträge sich nicht auf Deutschland beschränken, sondern sich, durch Beispiele aus Frankreich und Italien, in einen internationalen Kontext einordnen lassen.

So geht Willi Hajek, im Rahmen eines Beitrages über ein europäisches Netzwerk von Basis- und alternativen Gewerkschaften, auf die französischen Basisgewerkschaften sud-solidaires und ihr Selbstverständnis eines „syndicalisme different“ (S. 10) ein, welcher auch das Verhältnis zu den Konsumenten und Konsumentinnen reflektiert und diese in die eigene Strategie mit einbezieht. „Der Typ Syndikalismus, den die Sud-Gewerkschaften repräsentieren, betrachtet umgekehrt die Gesellschaft als praktischen Zusammenhang der Menschen, in dem die Lohnabhängigen nicht nur Objekte, sondern zugleich tätige Subjekte, gesellschaftliche Produzent_innen sind und in dieser Eigenschaft das Kapitalverhältnis und die es schützende Politik als Hindernis, als ‚Ballast‘ erleben.“ (S. 10f.)

In diesem Zusammenhang wird auf eine Reihe von Arbeitskämpfen eingegangen, in denen sich die Arbeiter und Arbeiterinnen direkt an ihr gesellschaftliches Umfeld wandten. So etwa Arbeitsniederlegungen im Pariser Hotel- und Friseurgewerbe, bei einem Energieversorger, oder die jüngsten Kämpfe der „Intermittents du spectacle“, der französischen Kulturschaffenden, deren Schilderung den Prolog zu den jüngsten Auseinandersetzungen um die Reform des Arbeitsgesetzes bilden könnte: „die Intermittants sind praktisch seit 2003 ein aktiver Teil der rebellischen Lohnarbeit, der auch gerade durch seine Aktionsformen, durch seine Kultur der Versammlungen, durch sein öffentliches Auftreten ein wirklich sozialrevolutionäres Milieu geschaffen hat.“ (S. 22f.)

Zwei Mitglieder von labournet.tv behandeln die Auseinandersetzungen in der italienischen Logistikbranche, wo seit 2008 zumeist migrantische Arbeitskräfte um Lohnerhöhungen und die Anerkennung der nationalen Tarifverträge in ihren Unternehmen kämpfen. In diesen Auseinandersetzungen spielen ebenfalls kleine lokal verankerte Basisgewerkschaften, wie die S.I. COBAS, eine große Rolle. Hinzu kommt die Unterstützung durch die radikale Linke vor Ort, mit deren Hilfe eine Reihe von Streiks erfolgreich durchgeführt werden konnten.

Die vielen Parallelen und Verbindungen zu den Beispielen aus Deutschland sind deutlich vorhanden. So bei den Auseinandersetzungen an der Berliner Universitätsklinik Charité um eine bessere Personalausstattung, wo die Beschäftigten unter dem Slogan „Mehr von uns ist besser für alle“ (S. 82) auch die Qualität der Gesundheitsversorgung für die Patienten und Patientinnen thematisieren.

Aber auch bei den Auseinandersetzungen im Einzelhandel, bei H&M und bei Amazon, die von Solidaritätskreisen unterstützt werden, in denen sich vor allem die außerparlamentarische Linke einbringt. Ein Unterschied zu Frankreich und Italien ist dabei, dass in Deutschland diese Arbeitskämpfe mit ver.di von einer großen Branchengewerkschaft geführt werden, wobei auch Reibereien nicht ausbleiben.

Abgeschlossen wird das Bändchen mit einem stark theoretischen Beitrag der Gruppe „Antifa Kritik und Klassenkampf“ aus Frankfurt am Main, in welchem diese ihr Engagement in oben genannten Soli-Kreisen mit der Absicht begründet, eine Verbindung von antikapitalistischer Perspektive und konkreten Einzelkämpfen herzustellen. Wenn auch aus einer anderen Position heraus und in einem deutlich didaktischeren Tonfall, zeigt die Begründung für diese Orientierung am Klassenkampf auch Ähnlichkeiten zum oben zitierten Selbstverständnis der französischen Basisgewerkschafter: „Wird in kollektiven Erfahrungs- und Reflexionsprozessen deutlich, dass die eigenen Bedürfnisse hier und heute nur befriedigt werden, sofern sie sich der Wertvergesellschaftung anpassen, vermitteln sich Bedürfnisse mit der kritischen Einsicht, dass eine gesellschaftliche Produktion, die auf die Bedürfnisbefriedigung und -entfaltung der Gesellschaftsmitglieder gerichtet ist, nur jenseits der kapitalistischen Klassengesellschaft zu haben ist“ (S. 105). Der Text endet mit einem Vorschlag zum Aufbau von Strukturen zur Herstellung von Solidarität zwischen Lohnabhängigen aus unterschiedlichen Branchen und gesellschaftlichen Bereichen. Darunter werden „Streikende, Betriebsgruppen, Arbeitsloseninitiativen, Repro-Arbeiter_innen oder Soli-Aktivist_innen“ (S. 107) verstanden, die sich „rund um die Orte, an denen Herrschaft und Ausbeutung sich alltäglich reproduzieren“ (S. 108) organisieren. Das lässt wiederum an ähnliche Experimente der jüngsten Zeit in Italien denken, nicht zuletzt an die lokalen Organisations- und Unterstützungsstrukturen für die Logistikarbeiter und -arbeiterinnen.

Das Sammelbändchen ist sicher keine Fachliteratur. Eine ausführlichere Einleitung, die die vielen teils sehr unterschiedlichen Beiträge miteinander in Beziehung setzt und sie versucht mit gemeinsamen Thesen über die neuen Arbeitskämpfe zu unterfüttern, wird nicht geboten.

Für Leserinnen und Leser aber, die sich über neuere und teils ungewöhnliche Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz aus erster Hand informieren wollen, ebenso wie für solche, die in ähnliche Kämpfe verwickelt sind, ist es dennoch eine anregende Lektüre, die zudem handlich und auch für Menschen mit wenig Zeit zubereitet worden ist.

Dietmar Lange
http://www.graswurzel.net/412/streik.php

—————————————————————————————————————
ak Banner

ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 619 / 20.9.2016

Streik selbst gemacht

In den letzten Jahren hat sich eine lebhafte Diskussion über die Ausbreitung prekärer Arbeitsverhältnisse und die Notwendigkeit neuer Organisationsansätze und Instrumente des Arbeitskampfes entwickelt. Peter Nowak legt nun ein Sammelbändchen vor, das als Beitrag zu dieser Debatte aus aktivistischer Sicht gelten kann. Viele der hier versammelten Texte behandeln Beispiele aus Bereichen, die meist nicht mit Streiks in Verbindung gebracht werden. So geht es um Arbeitskämpfe von Sexarbeiterinnen, in einem Berliner Spätkauf, im Theater oder im Gefängnis. Die Autor_innen sind zumeist selbst Protagonist_innen dieser Kämpfe oder in Unterstützungsaktionen aktiv. Deutlich wird dabei, wie wichtig ein solidarisches Umfeld und die Auseinandersetzungen in der Gesellschaft sind. Daher geht es in dem Buch auch um die Verbindung von Arbeitskämpfen und sozialen Bewegungen in der jüngsten Zeit. Zu loben ist, dass die Beiträge sich nicht auf Deutschland beschränken, sondern sich, durch Beispiele aus Frankreich und Italien, in einen internationalen Kontext einordnen lassen. Es bleibt den Leser_innen allerdings selbst überlassen, die teils recht unterschiedlichen Beispiele miteinander in Beziehung zu setzen und Parallelen und Verbindungen herauszuarbeiten; die Einleitung des Herausgebers leistet dies nicht. Dennoch dürfte das Buch für all jene eine anregende Lektüre bieten, die sich aus erster Hand über neuere und teils ungewöhnliche Arbeitskämpfe informieren wollen.

Dietmar Lange

Peter Nowak (Hg.): Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht. Arbeitskämpfe nach dem Ende der großen Fabriken. edition assemblage, Münster 2015, 112 Seiten, 7,80 EUR.

https://www.akweb.de/ak_s/ak619/02.htm

———————————————-

Im prekären Sektor gibt es eine Alternative zum DGB

Betr.: «Auf absehbare Zeit gibt es keine Alternative zu den DGB-Gewerkschaften», von Jakob Schäfer in SoZ Mai 2016
von Peter Nowak*

Es ist erfreulich, dass die SoZ eine Debatte über die linke Bewegung und Gewerkschaften initiiert hat. Schließlich wächst auch in Teilen der außerparlamentarischen Linken die Erkenntnis, dass Gewerkschaften für eine Transformation der Gesellschaft unverzichtbar sind.

Ein Teil vor allem der postautonomen Linken arbeitet in unterschiedlichen DGB-Gewerkschaften mit. Weil ein Großteil der außerparlamentarisch Aktiven im Bildungs-, Erziehungs-, Gesundheits- und Pflegebereich arbeitet, konzentriert sich ihr gewerkschaftliches Engagement auf die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und die GEW. Mittlerweile setzt ein Teil davon die durch das politische Engagement erworbenen Kenntnisse beruflich als Organizer in Gewerkschaften ein. Vereinzelt gibt es auch schon hauptberufliche Gewerkschaftssekretäre aus der außerparlamentarischen Linken.

Ein anderer Teil der an gewerkschaftlichen Aktivitäten interessierten außerparlamentarischen Linken sieht hingegen diese Mitarbeit in DGB-Gewerkschaften kritisch. Sie verweist auf Erfahrungen aus der Gewerkschaftsgeschichte, wo immer wieder Impulse aus kritischen Bewegungen in die Gewerkschaftsapparate integriert wurden und wenige Konsequenzen für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik hatten. Diese Widersprüche hat Jakob Schäfer in seinem Diskussionsbeitrag gut benannt.

«Auf der einen Seite sind sie Schutzmacht gegen die schrankenlose Herrschaft des Kapitals, indem sie der Unterbietungskonkurrenz von Belegschaften einen Riegel vorschieben, vor allem durch Tarifverträge, nach Möglichkeit landesweit. Zum anderen sind sie auch Ordnungsmacht, weil sie auch ein Element des Kapitalverhältnisses sind (mindestens dann, wenn Tarifverträge abgeschlossen sind), auch unabhängig von einer Politik der Klassenversöhnung (die allerdings für fast alle Gewerkschaften, auch außerhalb des DGB, die Regel ist).»

Diesen Ausführungen könnte ich zustimmen, wenn der Halbsatz in der Klammer nicht wäre. Es stimmt eben nicht, dass die Politik der Klassenversöhnung für fast alle Gewerkschaften außerhalb des DGB gilt. Für die meisten Spartengewerkschaften, wie den Marburger Bund oder die Gewerkschaft Cockpit trifft das sicher zu. Ihr manchmal verbalradikaler Ton bei der Durchsetzung von Forderungen für meist kampfstarke Segmente der Lohnabhängigen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie keinerlei gesellschaftskritisches Konzept haben und selbst den Gedanken der Solidarität unterschiedlicher Segmente der Lohnabhängigen, der auch in den DGB-Gewerkschaften meistens Lippenbekenntnis bleibt, nicht einmal dem Anspruch nach verwirklichen wollen.

Anders sieht es bei den Basisgewerkschaften aus, die die in den letzten Jahren in vielen europäischen Ländern an Bedeutung gewonnen haben. In Deutschland ist hier neben den Industrial Workers of the World (IWW), die in einigen Städten Organisationsversuche unternehmen, die Freie Arbeiter-Union (FAU) zu nennen. Ihr ist es in den letzten Jahren gelungen, den Status einer anarchistischen Gruppe mit Gewerkschaftsanspruch abzulegen. Die SoZ gehörte zu den wenigen linken Zeitungen, die über den Arbeitskampf im Berliner Kino Babylon berichtet hat. Er hat dazu beigetragen, dass die FAU als Basisgewerkschaft wahrgenommen wird.

Ein aktueller Arbeitskampf, der von der FAU getragen wird, ist der Kampf der rumänischen Bauarbeiter bei der Mall of Berlin, die seit nun mehr fast zwei Jahren um ihren Lohn kämpfen. Die Auseinandersetzung macht die großen Probleme deutlich, die das Beschreiten des Rechtswegs für die Betroffenen bedeutet. Die Bosse gehen notfalls durch alle Instanzen und geben lieber viel Geld für Gerichtskosten aus, als dass sie die ausstehenden Löhne bezahlen. Wenn sie dann in allen Instanzen zu Zahlungen verurteilt wurden, melden die Subunternehmen Insolvenz an.

Am Beispiel der Mall of Berlin zeigt sich auch, dass eine DGB-Gewerkschaft für die Bauarbeiter keine Option gewesen wäre. Sie waren schließlich zuvor bei einer Beratungsstelle unter dem Dach des DGB. Dort wurde ihnen gesagt, dass sie einen Bruchteil ihrer Ansprüche erstattet bekämen, wenn sie auf alle weiteren Rechte verzichteten. Diejenigen Bauarbeiter, die das ablehnten, wandten sich danach an die FAU. Erst dadurch wurde die Kampagne der letzten beiden Jahre möglich; sie richtet auch über die Mall of Berlin hinaus den Fokus darauf, dass Lohnbetrug und Überausbeutung zum alltäglichen Geschäftsmodell im Kapitalismus gehören.

So wie die Bauarbeiter bei der Mall of Berlin haben sich auch viele andere Lohnabhängige vor allem im prekären Bereich zunächst vergeblich an eine DGB-Gewerkschaft gewandt, bevor sie dann in und mit der FAU für ihre Rechte kämpften – etwa Beschäftigte aus der Serviceabteilung der Heinrich-Böll-Stiftung, oder ein Mitarbeiter eines Spätkaufs in Berlin, der mehrere Jahre als eine Art Geschäftsführer auf Hartz-IV-Basis gearbeitet hat. In Jena haben Beschäftigte eines universitären Call-Centers mit der FAU einen Arbeitskampf begonnen.

Oft waren die Betriebe so klein, dass sie gar nicht ins Konzept des DGB gepasst hätten. Nun breiten sich solche prekären Arbeitsverhältnisse immer weiter aus. Lange Zeit galten diese Bereiche als für Gewerkschaften verloren. Die FAU hat in einigen Fällen gezeigt, dass auch hier Arbeitskämpfe möglich sind. Bärbel Schönafinger hat in dem Film Die Angst wegschmeißen am Beispiel des Arbeitskampfzyklus in der norditalienischen Logistikbranche gezeigt, was möglich ist, wenn eine Gruppe kampfentschlossener Beschäftigter auf eine Basisgewerkschaft stoßen, die den Kampf mit ihnen führen will. In diesem Fall waren es die Sin Cobas.

Von solchen Verhältnissen sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Aber auch hier spielt die Musik eben nicht mehr nur in den fordistischen Großbetrieben, wo die DGB-Gewerkschaften noch die Hegemonie haben, auf die Schäfer in seinem Beitrag verweist. Vor allem im prekären Sektor haben sich auch in Deutschland basisgewerkschaftliche Ansätze als kampf- und streikfähig erwiesen und damit bewiesen, dass sie dort eine Alternative zum DGB sein können.

* Der Autor hat im letzten Jahr im Verlag Edition Assemblage das Buch «Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht. Arbeitskämpfe nach dem Ende der großen Fabriken» herausgegeben (112 S., 7,80 Euro).

http://www.sozonline.de/2016/07/im-prekaeren-sektor-gibt-es-eine-alternative-zum-dgb/

SOZ-Sozialistische Zeitung September 2016

——————————————————————————

Streik? Selber machen!
Jonas Komposch. Diskussionen über neue Taktiken des Streikens haben Konjunktur.

Im Büchlein «Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht» liefert Peter Nowak nun aufschlussreiche Einblicke in noch ungewohnte Territorien und Formen des Arbeitskampfes.

Jüngst während einer Zusammenkunft im Gewerkschaftslokal der Berliner Freien Arbeiterinnen und Arbeiter Union (FAU): Im Syndikatsbüro gibt ein Gewerkschafter ein Radio-Interview. Der lokale Rundfunk will wissen, was «kämpferische Basisgewerkschaft » eigentlich bedeute und ob die FAU tatsächlich Sabotageakte durchführe und nur stramme AnarchistInnen aufnehme. Derweil bespricht eine Arbeitsgruppe in einem Hinterzimmer den Fall eines Mitglieds, das von seinem Chef nicht nur um den Lohn geprellt, sondern auch vor Gericht gezerrt wurde. In einem anderen Raum wird über die Vernetzung von Arbeiter-und MieterInnenkämpfen beraten. Aus der Küche duftet ein Ratatouille und an der Bar in der Empfangshalle treten GewerkschafterInnen mit Ratsuchenden und Neugierigen in Kontakt. Einer dieser Besucher ist der Kameruner Balzac (Name geändert). Er lebt seit zehn Monaten in Deutschland, steckt mitten im Asylverfahren und hat also keine Arbeitserlaubnis. Eines Tages seien in seiner Unterkunft plötzlich Leute rekrutiert worden. Er habe sich gemeldet und fortan für ein grosses Reinigungsinstitut gearbeitet. Balzac reicht Fotos herum,auf denen zu sehen ist, wie er mit anderen Flüchtlingen ein Berliner Luxushotel putzt. Vom versprochenen Mindestlohn habe er nie einen Cent gesehen. Wenn er sich beschwert habe, sei er stets auf später vertröstet worden. Die meisten seiner KollegInnen hätten bald resigniert und seien nicht mehr zur Arbeit erschienen. Balzac aber forderte weiterhin seinen Lohn und erhielt deshalb vom «Human Resource Manager» eine SMS: «Wenn du noch einmal kommst, rufen wir Polizei, du zurück nach Afrika!»Endstation

Was dann geschah, ist symptomatisch für die gegenwärtige Lage der Gewerkschaften. Balzac wandte sich zuerst an eine Grossgewerkschaft. Dort wurde ihm tatsächlich gesagt, dass in diesem Fall leider nichts zu machen sei. Balzac liess aber nicht locker und erhielt eine Woche später eine Beratung, wenn auch eine enttäuschende: «Bevor ich das Mitgliedsformular nicht unterschrieben hatte, wurde ich nicht einmal richtig begrüsst.» Dann machte die Gewerkschaft dem Asylbewerber den Vorschlag, bei Nichtbezahlung des Lohnes einen Gerichtsprozess anzustrengen. Völlig zu Recht empfand das Balzac als zu hohes Risiko. «Die Schwarzarbeit, die mit einem Prozess aktenkundig würde, hätte negative Konsequenzen für meinen Asylprozess. Die Gerichtskosten müsste ich als Neumitglied zudem selber tragen.» Nun hofft Balzac auf die Unterstützung der FAU, die mit wenigen aber aktiven Mitgliedern eine beachtenswerte Mobilisierungsfähigkeit hat. In den letzten Jahren trommelte die Basisgewerkschaft für Einzelne immer wieder ihre Mitglieder zusammen und konnte mit direkten Aktionen die Bezahlung ausstehender Gehälter erzwingen. Das unterscheidet sie von den hierarchischen Gewerkschaften, die nicht die Strukturen besitzen, um Einzelfällen eine derartige Beachtung zu schenken. Ausserdem «rechnet sich» für gewinnorientierte Organisationen die Aufmerksamkeit für die oft aufwändigen Einzelfälle der prekären ArbeiterInnen schlicht nicht. Denn von diesen ist weder ein hoher oder wenigstens konstanter Mitgliederbeitrag, noch ein unmittelbarer Zugang zu einer grösseren Belegschaft zu erwarten.

Nicht nur in Grossfabriken

Die Notwendigkeit, sich gegen Ausbeutung zu wehren, ist aber existenziell und verschwindet mit der gewerkschaftlichen Unfähigkeit, auf neue Entwicklungen einzugehen, nicht. Peter Nowak beleuchtet in seinem neuen Buch exemplarisch einige dieser «Arbeitskämpfe nach dem Ende der grossen Fabriken». Das Ziel des Herausgebers ist es, Menschen zu ermutigen
und zu zeigen, dass Arbeitskämpfe nicht nur in einer Grossfabrik oder mit gewerkschaftlichen Apparaten machbar sind. Das Buch richtet sich aber auch an die Linke, in der weite Teile noch immer ein fatales Desinteresse am Kampffeld der Arbeit zeigen und glauben, Kategorien wie «Klasse» oder Mittel wie Streiks gehörten der Vergangenheit an. Nowak hält dem entgegen, dass mit dem Ende der fordistischen Fabrikgesellschaft Arbeitskämpfe nicht obsolet geworden seien, sondern bloss andere Erscheinungsformen angenommen hätten. Weil die Organisierung in modernen und kleinren Betriebsstrukturen schwieriger geworden sei, werde gesellschaftliche Solidarität von Außen immer wichtiger. So handelt ein Kapitel davon, wie beim jüngsten Amazon-Streik solidarische KundInnen dazu aufriefen, den Betrieb des Versandhändlers zu sabotieren.  Massenhaft Bestellungen wurden zwar aufgegeben, nach dem Versand aber gratis wieder storniert
und so dem bestreikten Grosskonzern Mehrkosten beschert.

DIY statt nur dabei

Als ein tatsächliches «Lehrstück der Selbstorganisierung » liest sich der Beitrag von Rosa Cannone und Johanna Schellhagen. Die beiden Filmemacherinnen begleiteten die LogistikarbeiterInnen und ihre Gewerkschaft S. I. Cobas in Norditalien mit der Kamera. In ihrem viel diskutierten Film «Die Angst wegschmeissen », zeigen sie, wie sich die mehrheitlich migrantischen ArbeiterInnen mit zumeist italienischen Linksradikalen in einer neuen Basisgewerkschaft symbiotisch zusammenschliessen und so nicht nur für die Mitglieder Erfolge erkämpfen, sondern darüber hinaus für die gesamte Klasse eine Perspektive verkörpern. Die Filmemacherinnen erklären in ihrem Beitrag die Hintergründe dieser Bewegung und gehen auf die Rolle der linken Gruppen und der Sozialen Zentren ein. Weitere Texte erzählen, wie Gefangene ihre eigene
Gewerkschaft gründeten, wie SexarbeiterInnen auf Selbstorganisation bauen, statt auf Hilfe zu warten oder wie Flüchtlinge noch im Jahr 2014 zuerst die Berliner Zentrale des Gewerkschaftsbundes besetzen und sich von der Polizei räumen und verhaften lassen mussten, bevor der Apparat allmählich auch Papierlose als Mitglieder akzeptierte. Wegen diesen VorkämpferInnen hat heute der um seinen Lohn geprellte und von seiner Abschiebung bedrohte Balzac die Möglichkeit
einer Gewerkschaftsmitgliedschaft. Was dabei herausspringt, liegt aber weitgehend ausserhalb seines Einflusses, sondern hängt von einem Sekretär oder einer Richterin ab. «Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht» zeigt demgegenüber, dass es unter diesen Umständen für viele ArbeiterInnen effektiver ist, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen und mit einer
solidarischen Gemeinschaft oder einer Basisgewerkschaft den Kampf zu führen.

PETER NOWAK (HG.): EIN STREIK STEHT, WENN MENSCH IHN SELBER MACHT. EDITION ASSEMBLAGE, 2015, 112 SEITEN, CA. 10 FRANKEN.

aus: vorwärts – 26. August 2016

———————————————————————————–

aus Contraste – die Zeitung für Selbstorganisation, Februar 2016

„Wir wurden zu Menschen!“

Der Journalist und Buchautor Peter Nowak hat in der Edition Assemblage den Sammelband „Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht.“ herausgegeben. Er will den LeserInnen einen

Kurzüberblick über Streiks und Arbeitskämpfe in Branchen geben, die nicht mit Gewerkschaften in Verbindung gebracht werden – so im Spätkauf, in der Sorgearbeit, am Theater, bei H& M oder amazon. Auch internationale Beispiele aus Frankreich, Italien und Großbritannien bietet das Buch. So vermittelt Willi Hajek eingangs einen Eindruck von Streiks in Frankreich, beispielsweise von einer Auseinandersetzung, die 20 Angestellte (davon 17 sogenannte Papierlose ) in einem Friseur-und Maniküre-Salon führten. Zum ersten Mal wurde mit diesem Kampf ein ArbeiterInnenkollektiv von Papierlosen arbeitsrechtlich anerkannt. Sie selbst sagen: „Wir wurden zu Menschen.“ Ein weiterer Artikel berichtet über die Arbeitskämpfe von LogistikarbeiterInnen in Italien, die eine „Woche der Leidenschaft“ durchführten, d.h. eine permanente Besetzung vor den Toren des Unternehmens. Die erfrischend militanten Kämpfe der LogistikarbeiterInnen gehen über einen symbolischen Protest hinaus. „Sie scheuen sich nicht, ökonomischen Schaden anzurichten, sondern sehen gerade darin ihre Stärke“, so die beiden Autorinnen des Artikels. Wie schwer es ist, Prekarisierte gewerkschaftlich zu organisieren, zeigen viele Beispiele in dem Buch. So sei der Organisationsgrad von angestellten TaxifahrerInnen sehr gering, berichtet Andreas Komrowski, Mitglied der Vertrauensleuteversammlung (VLV) Taxi bei ver.di Berlin, in einem Interview. Die fünf bis zehn Aktiven in ihrer Arbeitsgruppe hätten sich für einen gesetzlichen Mindestlohn und die Kontrolle der Arbeitszeiten eingesetzt. Es ginge darum, innerhalb der Gewerkschaften „mögliche Spielräume auszunutzen“ und zugleich keine „idealistischen  Illusionen in die grundsätzliche Veränderung des bestehenden Apparats“ zu pflegen. Interessant sind in dem Buch auch die Beschreibungen der Kämpfe von marginalisierten Gruppen. SexarbeiterInnen führten im Sommer 2014 einen Arbeitskampf, der kaum öffentlich   wahrgenommen wurde. Bei dem Portal „Kaufmich.com“ gab es Auseinandersetzungen um Neuregelungen, die Umsatzeinbußen für die SexarbeiterInnen bedeuteten. Sie hatten  schließlich Erfolg. Im Mai 2014 wurde in der JustizvollzugsanstaltVA Tegel in Berlin die Gefangenengewerkschaft gegründet. Oliver Rast, Gründer und Sprecher der Gewerkschaft, berichtet in einem Interview, wie er zusammen mit seinem Kollegen Mehmet Aykol „die soziale Frage hinter Gittern“ aufwerfen wollte. Inzwischen haben sie einen Verbund mit mehreren Hundert Menschen in über 30 Knästen aufgebaut. Die 13 Artikel und Interviews bilden einen gelungenen Rundumschlag zum Thema Streiks und Arbeitskämpfe. Als Einstiegslektüre ist das mit weiterführenden Links versehene Buch unbedingt zu empfehlen.

Anne Seeck

Peter Nowak (Hg.):, Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht, Arbeitskämpfe nach dem Ende der großen Fabriken, Verlag edition assemblage, Münster 2015, 111 Seiten, 7,80 Euro

In Contraste, Februar 2016, S. 10

———————————————————————————————————-

—————————————————————–

Interview in  Taz-Hamburg: 5.2.2016

HEUTE IN HAMBURG

GEWERKSCHAFTEN Arbeitgeber versuchen, neue Arbeitskämpfe zu unterbinden, sagt Autor Nowak
Peter Nowak

■■55, ist freier Journalist und hat das Buch „Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht“ herausgegeben.
taz: Herr Nowak, warum wird in Deutschland plötzlich wieder so viel gestreikt?
Peter Nowak: Vielen Leuten, vor allem im Niedriglohnsektor, reicht ihr Einkommen nicht mehr zum Leben. Sie müssen bei der Miete, beim Essen und beim Urlaub sparen. Wenn dann viel über einen Wirtschaftsaufschwung geredet wird, ermutigt das natürlich, für mehr
Lohn oder bessere Arbeitsverhältnisse zu streiken.
Warum gründen sich immermehr kleine Berufsgewerkschaften? Kann der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die
Leute nicht mehr vertreten?

Seit etwa einem Jahrzehnt sind die klassischen DGB-Gewerkschaften bei den Arbeitnehmern immer weniger präsent. Es gab genug Fälle, in denen sich Unternehmen erfolgreich allen Tarifverträgen widersetzen konnten – trotz vieler Streiks. Einige Berufsgruppen
können sich leichter durchsetzen als andere, weil sie ihre ganze Branche lahmlegen können. Deshalb gibt es bei Piloten oder Lokführern die Tendenz, sich selbst zu organisieren. Für Berufsgruppen ohne diese Macht, ist das ein Nachteil.
Welchen Einfluss hat das auf Tarifverhandlungen?
Das Tarifrecht in Deutschland basiert auf dem Nachkriegsmodell einer starken Einheitsgewerkschaft. Das ist heutzutage
nicht mehr kompatibel. Die Probleme wurden gerade deutlich, als sich die Lokführergewerkschaft GDL und der DGB um
die Tarifverträge bei der Bahn gestritten haben, obwohl sie eigentlich das gleiche Ziel haben.
Inwiefern versuchen Arbeitgeber, die neuen Arbeitskämpfe zu verhindern?
Die Strategie der Arbeitgeber ist, nach dem Streik die wichtigsten Leute der Auseinandersetzungen unter irgendwelchen Vorbehalten
zu feuern. Das konnte man zum Beispiel bei der Verpackungsfirma Neupack beobachten. Teilweise bekommen
die Mitarbeiter sogar hohe Abfindungen, um sie schnell loszuwerden. Das kommt immer häufiger vor, es gibt sogar schon einen Begriff dafür: „Union Busting“ – und auch Anwälte, die sich darauf spezialisieren.
Kann man diese Arbeitskämpfe als Kritik am Kapitalismus interpretieren?
Beim Streiken verlassen sich heute viele Arbeitnehmer nicht mehr auf den DGB, sondern nehmen die Sache selbst in die Hand. Dadurch entwickelt sich auch ein gewisses politisches Denken, das durchaus kapitalismuskritisch sein kann.
INTERVIEW: JOHANNES JAKOBEIT
■■Infoveranstaltung: „Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht“, 20 Uhr, Rote Flora, Schulterblatt 71, Eintritt frei

aus: Taz Hamburg, 5.2.2016
—————————————————————————————————————————————————————————–

Schwarze Risse empfiehlt …

Peter Nowak(Hg.)

Ein Streik steht, wenn mensch ihnselber macht |
Arbeitskämpfe nachdem Ende der großen FabrikenArbeitskämpfe im Spätkauf, Gefangene gründen eine Gewerkschaft: in der letzten Zeitwurden Arbeitskämpfe in Sektoren bekannt,die gemeinhin als schwer oder gar nichtorganisierbar galten. Das Buch stellt verschiedene Facetten dieser neuen Streiks und Arbeitskämpfe in Deutschland und darüber hinausvor und ordnet sie in einen gesellschaftlichenKonte x t ein. Auc h in einer Gesel lsc ha f t jenseitsder Fabrikgesellschaft gehören Arbeitskämpfe
nicht der Vergangenheit an. Besonders erfolgreich werden diese Streiks durch die Unterstützung der Kund*innen und des Umfelds der Streikenden.Die Autor*innen: Andreas Komrowski zur schwierigen gewerkschaftlichen Organisierung im Taxibereich. | Willi Hajekzu selbstorganisierten Gewerkschaftskämpfenin Europa. | Rosa und Johanna von labournet.
tv zum langen Arbeitskampf der Logistikarbeiter_innen in Italien. | Die Gruppe Antifa Kritik & Klassenkampf aus Frankfurt/Main über Klassenkämpfe als zentralen strategischen Bezugspunkt linker Praxis und Organisierung| Kolleg_innen von der Streik-AG des Blockupy-Bündnisses zur solidarischen Unterstüzung des Streiks im Einzelhandel während der Blockupy-Aktionstage in Frankfurt/Main und im Dezember 2013 in Berlin. | Kurz vorgestellt werden von Peter Nowak gewerkschaftlichePublikationen und Onlineprojekte: Die Zeitschrift express, das Online-Portal Labournetund das Portal labournet.tv.
edition assemblage | 112 Seiten | 7.80 €
http://schwarzerisse.de/wp-content/uploads/2015/12/schwarze_risse_2015_web.pdf
(auf Seite 10 scrollen)

——————————————————————————————————————–
Neues Deutschland:
Von Sebastian Loschert
11.12.2015

Nicht nur in großen Fabriken

Organisierung tut Not – neuer Band zu Basisgewerkschaften erschienen

Selbstorganisierung in Basisgruppen ist in Deutschland ein Randphänomen. Herausgeber und Autor Peter Nowak untersuchte aktuelle Beispiele.

Was bedeutet das Ende der Fabrikgesellschaft für die Organisation von Arbeitskämpfen? Ob und wie sind »Arbeitskämpfe nach dem Ende der großen Fabriken« noch möglich? Dieser Frage geht nun ein Büchlein nach, das in konkreten Beispielen den Beweis sucht, dass Arbeitskämpfe trotz prekärer Arbeitsverhältnisse immer noch möglich sind. Interessant ist zunächst die Bandbreite, in der der Herausgeber und regelmäßige nd-Autor Peter Nowak nach gewerkschaftlicher Aktivität fandet: In der Taxibranche, bei Sexarbeitern, Inhaftierten oder bei Flüchtlingen ohne Aufenthaltsstatus.

»Auch die kleinen Läden im Kiez können Träger von Ausbeutung sein, da findet teilweise eine Romantisierung statt«, sagte Nowak auf einer Buchvorstellung im Oktober in Berlin. Das »Chefduzen«, die persönliche Nähe zu den Vorgesetzten und das tägliche Erleben der (vermeintlichen) Sachzwänge könnten in kleineren Betrieben den Grad der Ausbeutung sogar erhöhen. Im Buch wird der Arbeitskampf eines Angestellten in einem Berliner Spätkauf als Beispiel genannt: Statt der vertraglich vereinbarten 20 Stunden monatlich arbeitete er 60 Stunden pro Woche, bekam dafür weniger als zwei Euro Stundenlohn und wurde während der Arbeit gefilmt. Ohne Unterstützung wäre der einsame Protest des Verkäufers wohl im Sande verlaufen, mit Hilfe der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAU konnte er jedoch gegen seinen Ex-Chef vor Gericht ziehen und erzielte eine vorteilhafte Einigung.

Zu dem Erfolg beigetragen habe, dass die Basisgewerkschaft mit Öffentlichkeitsarbeit Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt hat. Überhaupt könnten Streiks in prekären Sektoren nur Erfolg haben, wenn sie »von Auseinandersetzungen in der Gesellschaft begleitet« werden, wie es im Vorwort des Buches heißt.

Auch bei H&M oder Amazon haben sich Kunden und Aktivisten mit den Streikenden solidarisiert. Im »Care«-Sektor, also in der Versorgung von Kindern, Alten oder Kranken werden, ist dies noch wichtiger, was sich in einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis während des Charité-Streiks niederschlug.

Trotz der Vielzahl der von Nowak und anderen Autoren beschriebenen Fälle kommen die meisten Beispiele über die Prädikate »interessant«, »vorbildlich« oder »zukunftsweisend« kaum heraus. Die großen Erfolgsstorys des Bandes kommen eher aus dem Ausland. So aus Italien, wo es Arbeitern in der Logistikbranche dank der Basisgewerkschaft S.I.Cobas und linker Solidaritätsgruppen gelang, sich zu organisieren und Verbesserungen durchzusetzen. Auch in prekären Sektoren in Frankreich fanden in den vergangenen Jahren erfolgreiche Streiks statt: in Subunternehmen von Luxushotels, von Papierlosen in Pariser Friseur- und Maniküresalons und von prekär arbeitenden Kulturschaffenden. Ein historisches Beispiel aus Großbritannien – die Unterstützung des Bergarbeiterstreiks durch Schwule und Lesben – unterstreicht die mögliche Reichweite gesellschaftlicher Solidarität.

Theoretisch untermauert werden die journalistischen Texte von einem lesenswerten Beitrag der »Antifa Kritik und Klassenkampf« aus Frankfurt am Main. »Wir wollen wieder dort hingehen, wo es wehtut«, schreiben sie und kritisieren sowohl die Beschränkung auf die »reine Erkenntnis des gesellschaftlichen Ganzen« als auch die »systemimmanenten Einzelforderungen reiner Interessenkämpfe«. Sie nehmen eine klassenkämpferische Perspektive mit kritischem Bewusstsein ein und betonen, dass der Klassenkampf nicht mehr bloß »in und vor den großen Fabrikhallen« stattfinde. Langfristig tue wieder Organisierung Not: »Rund um die Orte, an denen Herrschaft und Ausbeutung sich alltäglich reproduzieren«.

Am Ende bleibt die Erkenntnis: Selbstorganisation der Lohnabhängigen »von unten« ist auch im Streikjahr 2015 ein Randphänomen in Deutschland. Allerdings gelingt es dem Buch, versprengte Ansätze und Erfahrungen erstmals zu versammeln und vielleicht auch dem ein oder anderen prekär Beschäftigten Mut zu machen. Schade nur, dass das Buch nicht auf die neuen Organisationen lohnabhängiger Migranten in Deutschland eingeht. Nicht zuletzt sie werden es sein müssen, die die Antwort auf Menschen wie Hans Werner Sinn geben, der angesichts der Immigration letzthin frohlockte: »Wir werden leichter an eine Putzkraft kommen oder unser Auto waschen lassen können«.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/994343.nicht-nur-in-grossen-fabriken.html

Peter Nowak (Hg.): Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht. Arbeitskämpfe nach dem Ende der großen Fabriken. 112 S., 7,80 €, Edition Assemblage 2015.

———————————————————————

Alle Spätis stehen still?

Joel Schmidt* über einen Sammelband von Peter Nowak

»Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will«, heißt es in einem der bekanntesten deutschen Arbeiterkampflieder, dem »Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein«, 1863 von Georg Herwegh. Der Frage danach, wie es knapp anderthalb Jahrhunderte nach Entstehung dieser Zeilen um Streikkultur und Arbeitskämpfe in Europa bestellt ist, stellt der Journalist und Autor Peter Nowak ins Zentrum des von ihm herausgegebenen Buchs »Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht. Arbeitskämpfe nach dem Ende der großen Fabriken.«

Der Untertitel gibt dabei schon einen Hinweis auf die Stoßrichtung des Buches: Es handelt sich eben nicht um eine weitere Abhandlung über die klassischen und von gut organisierten Fabrikbelegschaften getragenen Massenstreiks und Arbeitskämpfe des 20. Jahrhunderts. Im Gegenteil: Der Autor stellt sich vielmehr die Frage, welche Folgen der Wandel der kapitalistischen Produktionsweise in Zeiten des Neoliberalismus auch für die Bedingungen hat, unter denen ArbeiterInnen in den Streik treten und Arbeitskämpfe führen, und vor welche neuen Herausforderungen diese gestellt sind. Die Hauptthese des Autors ist, dass Streiks und Arbeitskämpfe mit dem Wandel der Produktionsweise keinesfalls überflüssig geworden sind, dass sich jedoch, entsprechend den immer weiter flexibilisierten Lohnarbeitsverhältnissen, ihre Erscheinungsformen geändert haben. Diesen neuen Formen ist Nowak, zusammen mit AutorInnen von labournet.tv, Willi Hajek, der Streik AG des Blockupy-Bündnisses u.a. in seinem Buch auf der Spur. Dass er hierbei nicht weiter eingeht auf die nach wie vor in klassischen Fabriken bzw. Großbetrieben stattfindenden Streiks und Arbeitskämpfe, wie sie in jüngster Zeit etwa bei Daimler in Bremen oder auch bei der Deutschen Bahn stattgefunden haben,  mag zwar zunächst als Leerstelle erscheinen. Da es dem Autor in erster Linie jedoch um Auseinandersetzungen geht, die in Branchen geführt werden, die man häufig nicht mit Streiks und Arbeitskämpfen in Verbindung bringt, kann der Titel des Buches auch als provokative Spitze verstanden werden, die sich nicht zuletzt auch gegen die, an kleineren und wenig repräsentativen betrieblichen Auseinandersetzungen nicht so interessierten DGB-Gewerkschaften richtet. Um die Bandbreite der in prekären Lohnarbeitsverhältnissen geführten Organisierungsversuche deutlich zu machen, gibt es zum Beispiel kurze Artikel zu gewerkschaftlicher Organisierung in der Care-Arbeit, zum Verhältnis von SexarbeiterInnen und Gewerkschaft, zum Aufbau der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) oder zum Arbeitskampf bei einem Spätkauf (der Berliner Variante eines Kiosks). Ein besonderes Augenmerk wird zudem auf aktuelle Organisierungsversuche und Streiks im Einzelhandel gelegt. Anhand verschiedenster Aktionen bei H&M und Amazon in Deutschland und des erfolgreichen Arbeitskampfes in der norditalienischen Logistikfirma Bennet wird hierbei die Notwendigkeit betont, die stattfindenden Arbeitskämpfe aus ihrer betrieblichen Isolation zu lösen,  denn gerade durch die externe Unterstützung von solidarischen Gruppen könne somit eben auch bei einer stark fragmentierten Belegschaft der notwendige Druck auf das Unternehmen aufrechterhalten werden.

Im Falle der LogistikarbeiterInnen bei Bennet war es die Verbindung zwischen AktivistInnen der Basisgewerkschaft S.I. Cobas (Sindicato Intercategoriale – Comitati di Base, dt. Branchenübergreifende Gewerkschaft – Basiskomitees) und Mitgliedern der radikalen Linken in Mailand, aus der heraus die Unterstützung der Belegschaft bei ihrem Vorhaben, einen Arbeitskampf zu führen, erfolgte. Als sich 2008 zu Beginn des Streiks bei Bennet rund 150 Menschen vor den Toren des Warenlagers der Firma zusammenfanden, um die Streikposten zu unterstützen, wurde deutlich, dass dieser Arbeitskampf durch die massive Unterstützung von außen eine völlig neue Dynamik entwickeln würde. Nach einem acht Monate andauernden Kampf konnten bessere Arbeitsbedingungen, ein höherer Lohn sowie die Wiedereinstellung entlassener KollegInnen durchgesetzt werden – und, nicht zu vernachlässigen: Die »ArbeiterInnen [hatten] erlebt, dass sie nicht alleine waren und dass sie gewinnen konnten« (S. 30). Rückblickend heißt es bei Nowak: »Den Anfang machten ein paar BasisgewerkschafterInnen, die die hilfesuchenden LogistikarbeiterInnen rechtlich und strategisch berieten, und die auch zu jeder Tages- und Nachtzeit mit vor den Werkstoren auf Streikposten standen. Sie brachten ihr Organisationswissen aus Jahrzehnten der Arbeiterkämpfe Norditaliens mit und halfen, die Bewegung zu koordinieren und KollegInnen aus verschiedenen Standorten zusammenzubringen […] und die Idee der Solidarität praktisch werden zu lassen. Sie informieren die ArbeiterInnen über ihre Rechte und Möglichkeiten und unterstützen sie in organisatorischen Angelegenheiten rund um ihre Kämpfe.« (S. 39)

Beispiele wie dieses werden im Buch häufiger genannt, auffallend oft stammen sie jedoch aus dem europäischen Ausland. Umso überraschender daher der letzte Artikel des Buches, der von der Gruppe »Antifa Kritik & Klassenkampf« aus Frankfurt/Main beigesteuert wurde und in dem es um die strategische Wiederaneignung der Begriffe Klasse und Klassenkampf für die radikale Linke geht. Für die Frankfurter Gruppe bedeutet dies, »den Kampf um die kollektive Aneignung der Bedingungen einer Produktion gesellschaftlichen Reichtums, die auf Bedürfnisbefriedigung und Entfaltung von Individualität gerichtet ist. Er findet nicht bloß – wie die alte Vorstellung wollte – in und vor den großen Fabrikhallen statt, sondern überall dort, wo die Verausgabung der eigenen Arbeitskraft durch andere kommandiert wird.« (S. 102) Klassenkampf gilt hier als politisch-strategische Klammer für verschiedene Kämpfe, unter die die AutorInnen dezidiert auch Kämpfe um Reproduktionsverhältnisse überhaupt sowie in den Sektoren bezahlter wie unbezahlter Reproduktionsarbeit selbst zählen.

An der Perspektivlosigkeit der radikalen Linken kritisieren sie: »Der Abschied linksradikaler Politgruppen vom Proletariat lief auf abstrakte, nicht bestimmte Negation hinaus. Statt sich selbst als Teil der Klasse der Lohnabhängigen zu begreifen und dort aktiv zu werden, wo man selbst ausgebeutet und vernutzt wird, geriert man sich als Stimme der Vernunft und externer Mahner oder gar als eigentlich revolutionäres Subjekt.« (S. 104) Als positives Gegenbeispiel für die Unterstützung von Arbeitskämpfen nennen sie etwa die infolge des Amazon-Streiks gegründeten Streik-Soli-Komitees, die eine ähnliche Funktion ausüben wie die externen UnterstützerInnen bei den norditalienischen LogistikarbeiterInnen und letztendlich den Weg zu einer solidarischen und sektorenübergreifenden Selbstorganisierung der und in der Klasse ebnen könnten. Allerdings geben sie hierbei auch zu bedenken, dass bei dieser Streik-Soli-Arbeit stets die Gefahr bestünde, sich ungewollt durch den DGB-Apparat instrumentalisieren zu lassen und dass die besagten Solidarisierungsprozesse allzu oft wieder zu verpuffen drohen, sobald die Arbeitskämpfe beendet sind. Um dem entgegenzuwirken schlagen sie einen an die Idee des Sozialistischen Büros angelehnten Organisierungsprozess vor: »Was es bräuchte, um diesen Effekt zu vermeiden und der Gefahr einer sozialintegrativen Vereinnahmung entgegenzuarbeiten, wäre eine langfristige, negativ-klassenbewusste Organisierung, in der die Lohnabhängigen – egal ob aktiv Streikende, Betriebsgruppen, Arbeitsloseninitiativen, Repro-ArbeiterInnen oder Soli-AktivistInnen – mit ihren je unterschiedlich situierten Kämpfen einen Platz haben und eine gemeinsame, strategisch ausgerichtete Praxis entwickeln können, und zwar auf lokaler sowie überregionaler Ebene.« (S. 107)

Peter Nowaks Buch gibt einen schlaglichtartigen Über- und Einblick in aktuelle Debatten und Kämpfe, die derzeit in verschiedensten Bereichen prekärer Lohnarbeitsverhältnisse stattfinden. Der Blick ins europäische Ausland zeigt zudem auf, wie Solidarisierungsprozesse mit streikenden ArbeiterInnen jenseits etablierter Gewerkschaftsstrukturen konkret aussehen und wie sie zu, zumindest mittelfristigem, Erfolg führen können. Inwiefern das Buch BasisgewerkschafterInnen und linke AktivistInnen zur weiteren Diskussion anregen wird, bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch, was die AutorInnen von labournet.tv in ihrem Beitrag über die norditalienischen LogistikarbeiterInnen schreiben: »In dem Kampf der Facchini kann auch diese Linke noch viel über das Funktionieren der extremen bürgerlichen Mitte, über das Verlassen der symbolischen Handlungsebene in der antikapitalistischen Praxis und das Entwickeln von Arbeitermacht lernen!« (S. 39).

*  Joel Schmidt ist Soziologe und Politologe.

Peter Nowak: »Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht. Arbeitskämpfe nach dem Ende der großen Fabriken«, Münster 2015, 112 Seiten, 7,80 Euro, ISBN 978-3-942885-78-2

Alle Spätis stehen still?

Joel Schmidt* über einen Sammelband von Peter Nowak

»Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will«, heißt es in einem der bekanntesten deutschen Arbeiterkampflieder, dem »Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein«, 1863 von Georg Herwegh. Der Frage danach, wie es knapp anderthalb Jahrhunderte nach Entstehung dieser Zeilen um Streikkultur und Arbeitskämpfe in Europa bestellt ist, stellt der Journalist und Autor Peter Nowak ins Zentrum des von ihm herausgegebenen Buchs »Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht. Arbeitskämpfe nach dem Ende der großen Fabriken.«

Der Untertitel gibt dabei schon einen Hinweis auf die Stoßrichtung des Buches: Es handelt sich eben nicht um eine weitere Abhandlung über die klassischen und von gut organisierten Fabrikbelegschaften getragenen Massenstreiks und Arbeitskämpfe des 20. Jahrhunderts. Im Gegenteil: Der Autor stellt sich vielmehr die Frage, welche Folgen der Wandel der kapitalistischen Produktionsweise in Zeiten des Neoliberalismus auch für die Bedingungen hat, unter denen ArbeiterInnen in den Streik treten und Arbeitskämpfe führen, und vor welche neuen Herausforderungen diese gestellt sind. Die Hauptthese des Autors ist, dass Streiks und Arbeitskämpfe mit dem Wandel der Produktionsweise keinesfalls überflüssig geworden sind, dass sich jedoch, entsprechend den immer weiter flexibilisierten Lohnarbeitsverhältnissen, ihre Erscheinungsformen geändert haben. Diesen neuen Formen ist Nowak, zusammen mit AutorInnen von labournet.tv, Willi Hajek, der Streik AG des Blockupy-Bündnisses u.a. in seinem Buch auf der Spur. Dass er hierbei nicht weiter eingeht auf die nach wie vor in klassischen Fabriken bzw. Großbetrieben stattfindenden Streiks und Arbeitskämpfe, wie sie in jüngster Zeit etwa bei Daimler in Bremen oder auch bei der Deutschen Bahn stattgefunden haben,  mag zwar zunächst als Leerstelle erscheinen. Da es dem Autor in erster Linie jedoch um Auseinandersetzungen geht, die in Branchen geführt werden, die man häufig nicht mit Streiks und Arbeitskämpfen in Verbindung bringt, kann der Titel des Buches auch als provokative Spitze verstanden werden, die sich nicht zuletzt auch gegen die, an kleineren und wenig repräsentativen betrieblichen Auseinandersetzungen nicht so interessierten DGB-Gewerkschaften richtet. Um die Bandbreite der in prekären Lohnarbeitsverhältnissen geführten Organisierungsversuche deutlich zu machen, gibt es zum Beispiel kurze Artikel zu gewerkschaftlicher Organisierung in der Care-Arbeit, zum Verhältnis von SexarbeiterInnen und Gewerkschaft, zum Aufbau der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) oder zum Arbeitskampf bei einem Spätkauf (der Berliner Variante eines Kiosks). Ein besonderes Augenmerk wird zudem auf aktuelle Organisierungsversuche und Streiks im Einzelhandel gelegt. Anhand verschiedenster Aktionen bei H&M und Amazon in Deutschland und des erfolgreichen Arbeitskampfes in der norditalienischen Logistikfirma Bennet wird hierbei die Notwendigkeit betont, die stattfindenden Arbeitskämpfe aus ihrer betrieblichen Isolation zu lösen,  denn gerade durch die externe Unterstützung von solidarischen Gruppen könne somit eben auch bei einer stark fragmentierten Belegschaft der notwendige Druck auf das Unternehmen aufrechterhalten werden.

Im Falle der LogistikarbeiterInnen bei Bennet war es die Verbindung zwischen AktivistInnen der Basisgewerkschaft S.I. Cobas (Sindicato Intercategoriale – Comitati di Base, dt. Branchenübergreifende Gewerkschaft – Basiskomitees) und Mitgliedern der radikalen Linken in Mailand, aus der heraus die Unterstützung der Belegschaft bei ihrem Vorhaben, einen Arbeitskampf zu führen, erfolgte. Als sich 2008 zu Beginn des Streiks bei Bennet rund 150 Menschen vor den Toren des Warenlagers der Firma zusammenfanden, um die Streikposten zu unterstützen, wurde deutlich, dass dieser Arbeitskampf durch die massive Unterstützung von außen eine völlig neue Dynamik entwickeln würde. Nach einem acht Monate andauernden Kampf konnten bessere Arbeitsbedingungen, ein höherer Lohn sowie die Wiedereinstellung entlassener KollegInnen durchgesetzt werden – und, nicht zu vernachlässigen: Die »ArbeiterInnen [hatten] erlebt, dass sie nicht alleine waren und dass sie gewinnen konnten« (S. 30). Rückblickend heißt es bei Nowak: »Den Anfang machten ein paar BasisgewerkschafterInnen, die die hilfesuchenden LogistikarbeiterInnen rechtlich und strategisch berieten, und die auch zu jeder Tages- und Nachtzeit mit vor den Werkstoren auf Streikposten standen. Sie brachten ihr Organisationswissen aus Jahrzehnten der Arbeiterkämpfe Norditaliens mit und halfen, die Bewegung zu koordinieren und KollegInnen aus verschiedenen Standorten zusammenzubringen […] und die Idee der Solidarität praktisch werden zu lassen. Sie informieren die ArbeiterInnen über ihre Rechte und Möglichkeiten und unterstützen sie in organisatorischen Angelegenheiten rund um ihre Kämpfe.« (S. 39)

Beispiele wie dieses werden im Buch häufiger genannt, auffallend oft stammen sie jedoch aus dem europäischen Ausland. Umso überraschender daher der letzte Artikel des Buches, der von der Gruppe »Antifa Kritik & Klassenkampf« aus Frankfurt/Main beigesteuert wurde und in dem es um die strategische Wiederaneignung der Begriffe Klasse und Klassenkampf für die radikale Linke geht. Für die Frankfurter Gruppe bedeutet dies, »den Kampf um die kollektive Aneignung der Bedingungen einer Produktion gesellschaftlichen Reichtums, die auf Bedürfnisbefriedigung und Entfaltung von Individualität gerichtet ist. Er findet nicht bloß – wie die alte Vorstellung wollte – in und vor den großen Fabrikhallen statt, sondern überall dort, wo die Verausgabung der eigenen Arbeitskraft durch andere kommandiert wird.« (S. 102) Klassenkampf gilt hier als politisch-strategische Klammer für verschiedene Kämpfe, unter die die AutorInnen dezidiert auch Kämpfe um Reproduktionsverhältnisse überhaupt sowie in den Sektoren bezahlter wie unbezahlter Reproduktionsarbeit selbst zählen.

An der Perspektivlosigkeit der radikalen Linken kritisieren sie: »Der Abschied linksradikaler Politgruppen vom Proletariat lief auf abstrakte, nicht bestimmte Negation hinaus. Statt sich selbst als Teil der Klasse der Lohnabhängigen zu begreifen und dort aktiv zu werden, wo man selbst ausgebeutet und vernutzt wird, geriert man sich als Stimme der Vernunft und externer Mahner oder gar als eigentlich revolutionäres Subjekt.« (S. 104) Als positives Gegenbeispiel für die Unterstützung von Arbeitskämpfen nennen sie etwa die infolge des Amazon-Streiks gegründeten Streik-Soli-Komitees, die eine ähnliche Funktion ausüben wie die externen UnterstützerInnen bei den norditalienischen LogistikarbeiterInnen und letztendlich den Weg zu einer solidarischen und sektorenübergreifenden Selbstorganisierung der und in der Klasse ebnen könnten. Allerdings geben sie hierbei auch zu bedenken, dass bei dieser Streik-Soli-Arbeit stets die Gefahr bestünde, sich ungewollt durch den DGB-Apparat instrumentalisieren zu lassen und dass die besagten Solidarisierungsprozesse allzu oft wieder zu verpuffen drohen, sobald die Arbeitskämpfe beendet sind. Um dem entgegenzuwirken schlagen sie einen an die Idee des Sozialistischen Büros angelehnten Organisierungsprozess vor: »Was es bräuchte, um diesen Effekt zu vermeiden und der Gefahr einer sozialintegrativen Vereinnahmung entgegenzuarbeiten, wäre eine langfristige, negativ-klassenbewusste Organisierung, in der die Lohnabhängigen – egal ob aktiv Streikende, Betriebsgruppen, Arbeitsloseninitiativen, Repro-ArbeiterInnen oder Soli-AktivistInnen – mit ihren je unterschiedlich situierten Kämpfen einen Platz haben und eine gemeinsame, strategisch ausgerichtete Praxis entwickeln können, und zwar auf lokaler sowie überregionaler Ebene.« (S. 107)

Peter Nowaks Buch gibt einen schlaglichtartigen Über- und Einblick in aktuelle Debatten und Kämpfe, die derzeit in verschiedensten Bereichen prekärer Lohnarbeitsverhältnisse stattfinden. Der Blick ins europäische Ausland zeigt zudem auf, wie Solidarisierungsprozesse mit streikenden ArbeiterInnen jenseits etablierter Gewerkschaftsstrukturen konkret aussehen und wie sie zu, zumindest mittelfristigem, Erfolg führen können. Inwiefern das Buch BasisgewerkschafterInnen und linke AktivistInnen zur weiteren Diskussion anregen wird, bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch, was die AutorInnen von labournet.tv in ihrem Beitrag über die norditalienischen LogistikarbeiterInnen schreiben: »In dem Kampf der Facchini kann auch diese Linke noch viel über das Funktionieren der extremen bürgerlichen Mitte, über das Verlassen der symbolischen Handlungsebene in der antikapitalistischen Praxis und das Entwickeln von Arbeitermacht lernen!« (S. 39).

*  Joel Schmidt ist Soziologe und Politologe.

Ausgabe: Heft 11/2015

express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 11/2015

http://www.labournet.de/express/