Am Rande der Demonstration der Friedensbewegung warben Antimilitaristen für weitere Aktionen. Am kommenden Mittwoch will ein Bündnis unter dem Motto "Keine Kriegskonferenz in unserer Stadt" gegen die Berlin Security Conefrence demonstriert werden, die sich selber als "größte europäische Veranstaltung zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik" bezeichnet.,Die Gegendemonstration beginnt am 29. November um 18 Uhr am Frankfurter Tor in Berlin-Friedrichshain. Daran wird sich ein "Block der Kriegsversehrten, Zerschossenen und anderer Zombies" beteiligen.
Teilnehmende bedauerten den geringen Anteil junger Menschen auf der Kundgebung. »Es ist schade, dass es keine Koordination mit der Klimabewegung gegeben hat«, sagte ein älterer Mann, der ein Schild mit dem Satz »Krieg ist der größte Klimakiller« trug. Auch Michael Müller, der Vorsitzender der Organisation Naturfreude ist, betonte in seiner Rede, es sei notwendig, Rüstung, Krieg und Klimakrise gemeinsam zu bekämpfen.
Trotz des nasskalten Wetters versammelten sich am Samstagmittag Tausende Menschen aus ganz Deutschland am Brandenburger Tor in Berlin, um für Abrüstung und Waffenstillstand in der Ukraine und im Nahen Osten zu demonstriert. Die Wahrheit über die Zahl der Teilnehmenden dürfte wie meist zwischen der Angabe der Polizei, die von immerhin 10 000 Teilnehmenden ausging, und jener der Demo-Initiator*innen liegen. Sie sprachen von mehr als 20 000 Demonstrierenden. Menschen, die schon auf der Demo »Aufstand für Frieden« vor genau neun Monaten dabei gewesen waren, schätzten am Samstag ein, dieses Mal seien deutlich…
Am Samstag geht ein Bündnis in Berlin auf die Straße. Motto: "Nein zu Kriegen". Warum manche Gruppen den Aufruf nicht unterzeichnen und dennoch dabei sind.
Vor neun Monaten spielte auch die Abgrenzung von rechten Mitdemonstranten eine große Rolle. Dafür tragen auch Mitorganisatorinnen wie Wagenknecht eine Verantwortung, weil sie und ihr Mann Oskar Lafontaine diffus davon redeten, dass alle Kriegsgegner "ehrlichen Herzens" an der Demo teilnehmen sollen. Eine klare Absage von rechten Gruppen im globalen Maßstab findet sich auch im Aufruf der "Neuen Friedensbewegung gegen Faschismus und Krieg", an der sich neben der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) auch andere internationalistische Gruppen beteiligen.
Während in allen Bereichen gespart werden soll, ist ausgerechnet das Sondervermögen Bundeswehr von den Vorgaben der Haushaltssperre ausgenommen. Das ist nur konsequent für eine Bundesregierung, die Deutschland wieder kriegsfähig machen will. Dagegen soll am 25. November in Berlin demonstriert werden. Ein breites Bündnis hat dazu aufgerufen. Erwartet werden …
Der Mann des Apparats wirft als Fraktionschef das Handtuch. Abspaltung der Sozialkonservativen um Wagenknecht noch nicht offiziell. Wie lange kann das weitergehen?
In manchen Kommentaren heißt es nun, mit dem Rücktritt Bartsch schreite der Zerfallsprozess der Linken fort, andere sehen eine Chance, dass die Fraktionsspitze mit neuen Personal besetzt werden könnte. Doch das ist nicht da – und es hat sich auch noch niemand bereit erklärt, dafür zu kandieren. Genau das liegt an der unsicheren Situation von Partei und Fraktion.
Jetzt hat mit Dietmar Bartsch auch der Langzeit-Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Bundestag angekündigt, nicht mehr zu für dieses Amt zu kandieren Bei ihm ist das verwunderlich, weil ihm im Umfeld der Partei schon der Spitzname „Batex“ – eine Anspielung auf Pattex – verliehen wurde. Bartsch war schon bei der Gründung der Vorläuferpartei PDS einer der wichtigen Männer im Hintergrund, sie sich mit inhaltlichen Aussagen zurück halten und dafür sorgen, dass der Apparat funktioniert. So gehörte Bartsch immer zu den Unentbehrlichen. Er verkörperte den ….
Wer würde mit der sozialkonservativen Initiatorin des "Aufstands für Frieden" ein neues Projekt starten? Gibt es überhaupt eines – und was bleibt dann von der "alten" Linkspartei?
Die Frage ist auch, wie viele aktive Mitglieder der Linken mit Wagenknecht das Neue wagen, das auch ein neues Scheitern sein könnte. Dieter Dehm wäre sicher bereit – aber den als Egoshooter verrufenen Schlagermillionär und Ex-Bundestagsabgeordneten hält auch Wagenknecht auf Distanz.
Eine echte Überraschung war es nicht, als die wohl bekannteste Politikerin der Partei Die Linke, Sahra Wagenknecht, am Freitag bekanntgab, nicht mehr auf deren Listen zu kandidieren. Zumindest in NRW, wo sie zuletzt Spitzenkandidatin der Bundestagswahlliste war, wäre sie wohl auch nicht mehr aufgestellt worden. Schließlich wurde ihr dort vor einigen Monaten sogar verweigert, auf dem Landesparteitag eine Rede zu halten. Es stimmt schon, dass die Unterschiede zwischen den Gremien der Linken und ihr mittlerweile so groß sind, dass „die Vorstellung, …
Innerparteiliche Reaktionen auf die Wagenknecht-Rede von letzter Woche lassen wenig Hoffnung auf friedliche Koexistenz. Aber wäre die Trennung nicht auch eine Chance?
Da bekommt plötzlich eine Rede des als Wagenknecht-Anhänger geltenden ehemaligen Linkspartei-Abgeordeten Dieter Dehm Ende August auf dem Pressefest der kleinen Deutschen Kommunistischen Partei in Zeitungen eine besondere Bedeutung. Die taz interpretiert Dehms Forderung, zur Europawahl in einen breiten Bündnis anzutreten, als Absatzbewegung des Wagenknecht-Flügels: Die Europawahl, bei der man ohne Fünf-Prozent-Hürde ins Parlament einziehen kann, könnte nach dieser Lesart ein Probelauf werden.
Innerparteiliche Reaktionen auf die Wagenknecht-Rede von letzter Woche lassen wenig Hoffnung auf friedliche Koexistenz. Aber wäre die Trennung nicht auch eine Chance? Es gebe keine Redeverbote im Bundestag, lautet die hilflose Erklärung des Fraktionschefs der Linken, Dietmar Bartsch, im Deutschlandfunk. Nach der auch innerparteilich vieldiskutierten Rede von Sahra Wagenknecht im Bundestag wurde nicht nur deren Ausschluss aus der Fraktion, sondern auch sein Rücktritt als Fraktionsvorsitzender gefordert. Unterschriften für Offene Briefe werden zwar ständig gesammelt und sind meist schnell vergessen. Doch der Offene Brief, der von drei Politikerinnen der Linkspartei unter dem Motto „Es reicht“ initiiert wurde, könnte mit entscheiden, ob es künftig noch Die Linke in Fraktionsstärke in Parlament geben wird. In dem Brief wird …
Hält man sich an die Fakten, hätte man sagen müssen, dass nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine ein "Wirtschaftskrieg" gegen Russland von großen Teilen des sogenannten Westens begann. Da bleibt die Frage, warum hier etwas Offensichtliches bestritten werden soll. Es gibt sicher gute Gründe Wagenknechts nostalgischen Blick auf den fordistischen Kapitalismus zu kritisieren. Doch die Aufregung um ihre Rede vom deutschen "Wirtschaftskrieg" soll wohl davon ablenken, dass auch ein Großteil ihrer Kritiker an ihrem Lob der Marktwirtschaft wenig auszusetzen hat.
Wieder Aufregung um Wagenknecht – vor allem in ihrer eigenen Partei. Knapp fünf Minuten dauerte die Rede der Bundestagsabgeordneten der Linkspartei. Sie fand sofort eine Aufmerksamkeit, die Bundestagsreden von den Linken heute selten haben. Doch ein Teil der eigenen Fraktion war gar nicht erfreut. Jetzt wird sogar wieder der Ausschluss von Wagenknecht aus der Fraktion oder gar der Partei gefordert. Nun gibt es genügend Gründe für linke Kritik an ihrer Rede. Denn sie hat sich dort als Politikerin bestätigt, die …
Aus ökologischen Gründen ist ein schneller Ausstieg nötig, aber leider dominieren geopolitische Interessen. Was ist vom Vorschlag einer Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zu halten?
Vorbild könnte da der AKW-Kompromiss sein, wo ja auch kein sofortiger Ausstieg umgesetzt wurde. Als Übergangstechnologie könnte russische Energie genutzt werden, wenn es dazu keine ökologisch günstigere Alternative gibt. Es sollte um eine Energiepolitik mit ökologischem Hintergrund gehen, geopolitische Einflüsse sollten hingegen keine Rolle spielten.
„Herr Habeck, was braut sich da im Herbst zusammen?“ Diese Frage stellte Markus Lanz dem grünen Bundeswirtschaftsminister am 6. Juli und mit apokalyptischem Unterton zählte er auf: Corona, Inflation und am Ende: kalte Wohnungen. Der Minister konnte da wenig Beunruhigendes sagen und nur versichern, dass eine Triage bei Gas, das heißt eine Zuteilung nach der Wichtigkeit, aktuell nicht anstehe. Schließlich sind wir ja auch mitten im Sommer, akut wird die Frage aber nicht erst zum Beginn der kalten Jahreszeit. Schon in wenigen Wochen könnte es zu einem „D-Day“ beim Gas kommen, also dem Tag der Entscheidung, der eine klar militaristische Note hat, weil damit der Tag bezeichnet wird, an dem die westlichen Alliierten in der Normandie landeten. Jetzt ist damit der Tag gemeint, an dem sich zeigen wird, ob Russland nach den Reparaturen bei Nord Stream 1 die Gasmenge drosselt oder gar einstellt. Dann würde schnell deutlich werden, dass bei allem zur Schau getragenen Selbstbewusstseins …
Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine kam hier die Stunde der Bellizisten, die bei Kritik an der Nato sofort Verbrüderung mit dem russischen Staatschef wittern
Das Desaster der vielen Kriege, die in den letzten Jahrzehnten schon mit Menschenrechtsargumenten geführt wurden, wird schlicht ausgeblendet. Wenn Putin seinen Angriff auf die Ukraine mit angeblichen Menschenrechtsverletzungen an russischen Bürgern begründet, unterscheidet sich die das nicht grundsätzlich von den Argumenten, mit denen der Angriff auf Jugoslawien 1999 von der damaligen "rot-grünen" Bundesregierung in Deutschland begründet wurde.
Zigtausende Menschen, nach unterschiedlichen Angaben 100.000 bis zu 500.000, demonstrierten am Sonntag im Regierungsviertel gegen den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine. Polizei war kaum zu sehen, fast zeitgleich wurde im deutschen Bundestag ein gigantisches Aufrüstungsprogramm, das schon lange in den Schubladen lag, von einer ganz großen Koalition aus SPD, Grünen, FDP und Union beschlossen. Der langjährige Friedensaktivist Willi van Ooyen hat den …
Hier liegt im Kern die Auseinandersetzung, die die Linke auch bei den aktuellen Wahlen lähmt und dafür sorgt, dass sie sich in Umfragen noch immer gefährlich nahe an der Fünfprozenthürde bewegt. In der Person von Wagenknecht und Oskar Lafontaine drückt sich das ganze Dilemma der Linken aus. Diese Personen mobilisieren Menschen bei ihren Wahlveranstaltungen wie kürzlich in Thüringen. Trotzdem weigern sich viele Ortsgruppen der Linken, mit Wagenknecht und Lafontaine Wahlkampf zu machen.
Am gestrigen Samstag sind Tausende Menschen in Berlin „für eine solidarische Gesellschaft“ auf die Straße gegangen. So lautete zumindest …
Die Linkspartei sucht ein Führungsduo und muss verhindern, dass alte Streitigkeiten wieder aufbrechen. Die Nawalyn-Affäre konnte zusätzlichen Streit auslösen
Im Fall Nawalny sind die Töne selbst vorher eher außenpolitisch moderater Grüner wie Jürgen Trittin gegenüber Russland oft noch aggressiver als die von Unionspolitikern. Da scheint ein Bündnis mit der Linken undenkbar.
Das sollte aber vor allem für die linken und bewegungsorientierten Kräfte eine gute Nachricht sein. Schließlich würde die Linke als Teil einer Bundesregierung die Partei ebenso ruinieren, wie es bereits mit ihren Schwesterparteien in Frankreich und Italien passiert ist.
Die hessische Linksparteipolitikerin Janine Wissler [1] war bisher bundesweit wenig bekannt. Das könnte sich ändern. Sie hat sich für das Amt der Parteivorsitzenden beworben. Kurz nach Wissler hat sich auch ….
In ganz Europa und auch darüber hinaus ist zu beobachten, dass mit dem Verschwinden der fordistischen Klassenformationen - die darauf basierten, dass eine mehr oder weniger weitgehend in den Staat integrierte Arbeiterklasse von Gewerkschaften vertreten und in unterschiedlichen Formationen der Sozialdemokratie repräsentiert wurde - auch das eben genannte Arrangement brüchig geworden ist.
Verdächtig ruhig war es in der Linkspartei nach dem schlechten Abschneiden der Partei bei der Europawahl. Vielleicht war die Stille auch der Einsicht geschuldet, dass ein interner Streit über die Ursachen des schlechten Wahlergebnisses die Krise nur verschärften würde.Schließlich ist ja schon lange bekannt, dass die Linke….
Populismus, Klassenkampf oder Politik für die akademische Mittelschicht? Grenzen dicht oder Solidarität mit Migranten? Auch nach Sahra Wagenknechts Rückzug geht in der Linkspartei die Debatte über diese Fragen weiter.
»So schnell knallen bei uns keine Sektkorken mehr«, antwortete der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus, Udo Wolf, jüngst auf die Frage der Taz nach der Reaktion seiner Genossen auf die Ankündigung Sahra Wagenknechts, sich vom Vorsitz der Bundestagsfraktion zurückzuziehen. »Es ist kein Geheimnis, dass wir …
Streit um eine eigentlich richtige Erkenntnis von Wagenknecht, die aber so formuliert wurde, dass sie Kritik herausfordert
Die Fraktionsvorsitzende der LINKEN steht parteiintern seit Langem in der Kritik. Stichpunkte sind die linke Sammlungsbewegung und die Positionierung zur Forderung nach offenen Grenzen. Nun hat sich auch der Lesben- und Schwulenverband mit der Linkspolitikerin angelegt. In einem Offenen Brief[1] kritisieren sie ihren Gastbeitrag[2] in der konservativen Welt, in dem sie ihren Einsatz für eine Sammlungsbewegung begründet.
Dort geht sie auf den nun nicht besonders neuen Fakt ein, dass sich extrem wirtschaftsliberale Politiker in kulturellen Fragen liberal geben. Die Grünen sind hier Pioniere, aber auch die SPD und die Merkel-Union haben längst erkannt, wie man sich eine gute Presse verschafft, in dem man sich eben kreativ, flexibel und divers gibt, wie die Labels des modernen Kapitalismus heute lauten. Über die Politiker einer großen Koalition von der Merkel-Union bis zu den Grünen schreibt sie:
Sie alle predigen die vermeintliche Unfähigkeit des Nationalstaats, seine Bürger vor Dumpingkonkurrenz und dem Renditedruck internationaler Finanzinvestoren zu schützen. Sie alle vertreten somit einen Wirtschaftsliberalismus, der die Warnungen der Freiburger Schule vor der Konzentration von Wirtschaftsmacht in den Wind geschrieben hat und deren fatale Folgen nicht nur für Innovation und Kundenorientierung, sondern auch für die Demokratie ignoriert.
Und sie alle haben diesem Uralt-Liberalismus, der aus der Zeit vor der Entstehung moderner Sozialstaaten stammt, die glitzernde Hülle linksliberaler Werte übergestreift, um ihm ein Image von Modernität, ja moralischer Integrität zu geben. Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz sind das Wohlfühl-Label, um rüde Umverteilung von unten nach oben zu kaschieren und ihren Nutznießern ein gutes Gewissen zu bereiten.
Sahra Wagenknecht
Dagegen wenden sich die Verfasser des Briefes des Kritikbriefes:
In Ihrem Beitrag bleiben Sie zwar eher vage, für welche Politik und Ziele diese „neue Sammlungsbewegung“ oder „progressive Stimme“ steht. Allerdings drängt sich aufgrund Ihres Tenors der Eindruck auf, dass diese sich deutlich von Antidiskriminierungspolitiken, Antirassismus oder einer Politik die Menschenrechte verabschieden sollte, diese jedenfalls auf keinen Fall von ihr verteidigt werden wird.
Denn diese sind doch angeblich „Wohlfühl-Label, um rüde Umverteilung von unten nach oben zu kaschieren und ihren Nutznießern ein gutes Gewissen zu bereiten“. Zusammengefasst behaupten Sie weiter, dass „die glitzernde Hülle linksliberaler Werte“ nur von durch neoliberalen Politiken verursachte Armut und wachsender ökonomischer Ungleichheit ablenken sollen. Damit Ihre These aufgeht, verschweigen Sie, vermutlich bewusst, dass diese gesellschaftlich hart erkämpft werden mussten.
So ein mehr oder weniger von der Politik als Ablenkungsmanöver hingeworfenes Häppchen ist für Sie die „Ehe für Alle“, die Sie in einem Satz mit dem sozialen Aufstieg von wenigen verknüpfen. Zwar schreiben Sie, dass beides sich nicht widerspreche, aber dennoch stellen Sie beide Entwicklungen in einen Zusammenhang und suggerieren, dass das eine mit dem anderen zu tun hätte.
Auch das ist ja eine bewusste Entscheidung von Ihnen. Und dieser Tenor zieht sich durch den gesamten Beitrag.
Das demontiert und dementiert ein Stück sogar die eigene Politik der Linken. Schließlich hat sich die Fraktion Die LINKE über mehrere Wahlperioden im Bundestag nachdrücklich für die Öffnung der Ehe eingesetzt und alle anwesenden Abgeordneten der Linken haben bei der Ehe für alle mit Ja gestimmt.
Offener Brief des LSVD
Seitdem tobt im Umfeld der LINKEN und ihr nahestehenden Medien ein weiterer Streit um die Fraktionsvorsitzende.
Warum missverständliche Formulierungen in Wagenknechts Text?
Nun hat sie sich das auch selber zuzuschreiben. Denn Wagenknecht weist auf einen nun wahrlich nicht originellen Fakt hin, dass in der kapitalistischen Weltordnung eine unter den Füllwörtern wie Diversität und Vielfalt gelabelten Minderheitenpolitik als Standortvorteil im innerkapitalistischen Wettbewerb eine wichtige Rolle spielt. Man muss sich nur die Werbetafeln von transnationalen Konzernen ansehen, die genau diese modernen Kapitalismus repräsentieren. Die Botschaft ist klar: Wir sind bunt, wir sind divers, wir kennen keine Ressentiments, wenn Du nur finanziell liquide bist. Wenn Du aber kein Geld hast, hilft Dir keine Buntheit, keine Diversität. Du bist ausgeschlossen aus der schönen kapitalistischen Warenwelt.
Organisationen wie der LSVD fungieren so längst als Botschafter dieses modernen Kapitalismus und haben die Rolle gerne angenommen. Sie prägen in ihrem ganzen Auftreten das Bild von wohlhabenden, konsumorientierten Menschen. Den Fakt, dass es Schwule und Lesben gibt, die kein Geld haben, kommt da kaum vor. Hier müsste linke Kritik einsetzen, die genau Wagenknecht nicht leistet. Sie erinnert in einem Satz daran, dass sich der Kampf um soziale Rechte und der Kampf für die Rechte von Schwulen und Lesben nicht ausschließen. Das liest sich aber wie eine vage Absicherung.
Warum erwähnt sie als Politikerin der LINKEN nicht, dass bereits die Sozialdemokratie vor mehr als 120 Jahren diesen Kampf führte. Es waren frühe Sozialdemokraten wie August Bebel, die auch parlamentarisch für die Entkriminalisierung von Homosexualität eintraten. Es gab in der Geschichte vor allem des linken Flügels der Arbeiterbewegung immer wieder eine solche Position, die eben den Kampf gegen alle Formen von Unterdrückung und Ausbeutung in den Fokus rückte. Hinter eine solche Position sollte heute niemand von den Linken zurückfallen.
Es gab aber auch in der Arbeiterbewegung immer wieder Versuche, soziale Rechte gegen Rechte von den unterschiedlichen Minderheiten auszuspielen. Gerade eine Strömung der Arbeiterbewegung, die im Zuge der Stabilisierung dem Mythos des männlichen Arbeiterhelden frönte, vertrat auch explizit schwulen- und lesbenfeindliche Positionen. Doch diese patriarchalen Elemente waren selbst in Teilen der Strömungen in der Arbeiterbewegung zu finden, die sich klar gegen die stalinistische Konterrevolution wandten.
Die selbständige Organisierung von Frauen, Schwulen und Lesben ist auch mit den schlechten Erfahrungen verbunden, die sie mit einer arbeitertümelnden Bewegung gemacht haben, für die Minderheiten nur bürgerliches Getöns waren. Es wäre daher für eine Politikerin der LINKEN angebracht gewesen, darauf hinzuweisen und sich explizit auf jene Teile der Arbeiterbewegung zu beziehen, die einen umfassenden Begriff von Emanzipation vertraten und damit nicht nur den Arbeitermann und die genauso fleißige Arbeiterfrau damit meinten. So hat sich also Wagenknecht einen Teil der Kritik selber zuzuschreiben.
Warum fehlt im LSVD-Brief die Klassenunterdrückung?
Doch auch der Offene Brief des LSVD verdient kritische Fragen. Zunächst fällt auf, dass dort in keinem Wort auch nur eine Kritik an der Politik des sozialen Kahlschlags geschweige denn am Kapitalismus geübt wird. Es wird nur an einer Stelle zutreffend behauptet, dass es Transphobie und Rassismus bereits vor der Einführung von Hartz IV gab. Doch warum wird von den Verfassern des Briefes diese Gelegenheit nicht genutzt, um sich ganz klar von der Agenda 2010 zu distanzieren? Schließlich sind auch viele Schwule und Lesben Menschen, die davon betroffen sind. An einer Stelle wird Wagenknecht im Brief ermahnt:
Zuletzt möchten wir Sie daran erinnern, dass Homophobie, Sexismus und Rassismus wie alle anderen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und Abwertung Menschen auseinandertreibt und Solidarität gerade schwächt.
Ist es Zufall, dass bei der Aufzählung der Unterdrückungsformen die Klassenunterdrückung fehlt? Und schwächt diese Ignoranz des LSVD gegenüber dieser kapitalistischen Ausbeutung nicht auch den Kampf um eine emanzipative Gesellschaft? Wie eine solche Solidarität aussehen kann, die alle Formen von Ausbeutung und Unterdrückung einschließt, zeigt die Solidaritätsbewegung von britischen Schwulen und Lesben mit dem Bergarbeiterstreik[3] vor über 30 Jahren, die durch den Film Pride[4] dankenswerterweise wieder bekannter wurde.
Auch Lohnarbeit verdient Respekt
Nun müsste der LSVD nicht weit in die Vergangenheit zurückgehen, um sich auch für Klassenunterdrückung zu interessieren. Er hätte sich nur mit den Mitarbeiterinnen des Bildungswerk des LSVD Berlin solidarisieren können, die Ende letzten Jahres für bessere Arbeitsbedingungen stritten[5]. Ihr Arbeitskampf war auch deshalb erfolglos, weil der gesamte LSVH ihre Anliegen ignorierte.
Das Motto der Beschäftigten lautete: „Auch Lohnarbeit verdient Respekt“[6]. Die Beschäftigten mussten die Erfahrung machen, dass in einem Milieu, in dem so viel über Respekt geredet wird, ihnen als Beschäftigte genau dieser Respekt verweigert wird. Dieser Vorwurf fällt auch auf den LSVD außerhalb Berlins zurück, weil der sich trotz Aufforderung nicht für die Beschäftigten positioniert ist. Daher ist es zweifelhaft, ob ein solcher Verband des schwulen Mittelstands wirklich dazu taugt, über eine emanzipative Gesellschaft zu belehren. Dabei steht der LSVD stellvertretend für eine Mittelschicht, die sich schon längst von den Problemen der Einkommensarmen abgewandt hat.
Linksliberale Werte verhalten sich zum neuen Kapitalismus wie ein Schlüssel zum Schloss
Die Soziologin Cornelia Koppetsch[7] hat kürzlich in einem taz-Interview[8] diese Schicht treffend analysiert und ohne jegliches Ressentiment seziert:
taz am wochenende: Frau Koppetsch, Sie bescheinigen der urbanen Mittelschicht Spießigkeit, Angepasstheit und die Rückkehr zu konservativen Werten. Wer sind diese sogenannten Kosmopoliten, die Sie in Ihren Büchern beschreiben?
Cornelia Koppetsch: Als Kosmopoliten bezeichne ich die akademisch gebildete, zumeist in urbanen Zentren ansässige Mittelschicht, die sich an Werten wie Toleranz und Weltoffenheit orientiert, politisch interessiert und zivilgesellschaftlich engagiert ist. Angepasst sind sie insofern, als dass sie durch Selbstoptimierung und unternehmerisches Handeln das Projekt des Neoliberalismus verinnerlicht haben, auch wenn sie diesem eigentlich kritisch gegenüberstehen und sich gegen eskalierende Ungleichheiten aussprechen. Doch verhalten sich linksliberale Werte zum neuen Kapitalismus wie ein Schlüssel zum Schloss.
Sie meinen Werte wie Selbstverwirklichung, Kreativität, Toleranz und Diversity?
Ja. Das sind ja genau die Schlagworte, die sich der neue Kapitalismus auf seine Fahnen geschrieben hat. Die linksliberalen Werte sind der Motor der Globalisierung. So haben sich einst alternative Lebensformen in ihren Strukturen überall in der Wirtschaft etabliert.
Claudia Koppetsch
Der LSVD spielt hier die im Kapitalismus notwendige Rolle und auch das ist wichtig zu betonen, es geht dabei nicht um bösen Willen, sondern einen Prozess, der hinter dem Rücken der Beteiligten abläuft. Damit erklärt sich auch, warum eine einstmals linksoppositionelle Schwulen- und Lesbenbewegung, die die bürgerliche Ehe ablehnte, nun feiert, dass die Ehe für Alle eingeführt wurde.
In dem Brief an Wagenknecht wird die Ehe für Alle gar zum Ergebnis langjähriger Kämpfe verklärt. Dabei wird die historische Wahrheit unterschlagen, dass nur eine konservative Minderheit in den 1970er und 1980er Jahre die Ehe für alle forderte. Die Mehrheit der damals Linksoppositionellen erkannte den Zusammenhang von bürgerlicher Ehe und bürgerlicher Gesellschaft und bekämpfte sie.
Im Streit zwischen dem LSVD und Wagenknecht zeigt sich, dass auf beiden Seiten dieses Ziel keine Rolle mehr spielt, ja nicht einmal benannt wird. Es geht dann letztlich nur um darum, dass beide Seiten unterschiedliche Zielgruppen adressieren, aber keiner von beiden überhaupt nur über den Tellerrand des Kapitalismus hinausdenkt.
Peter Nowak
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.lsvd.de/fileadmin/pics/Dokumente/Politik/2018_06_29_Sahra_Wagenknecht.pdf
[2] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article178121522/Gastbeitrag-Warum-wir-eine-neue-Sammlungsbewegung-brauchen.html
[3] http://www.lesbiansandgayssupporttheminers.org
[4] https://zeitgeschichte-online.de/film/prid
[5] https://berlin.fau.org/presse/pressemitteilungen/konflikt-im-lesben-und-schwulenverband-kocht-hoch
[6] http://
[7] https://www.ifs.tu-darmstadt.de/?id=3035
[8] http://www.taz.de/!5516398/
Die Linke zerstreitet sich auf ihren Parteitag erwartungsgemäß über offene Grenzen. Doch die Abschiebungen in von ihr mitregierten Bundesländern wurden erst am Ende ein Thema
Am Ende kam es doch noch zum Eklat auf dem Parteitag der Linken. In einer teilweise sehr emotionalen, extra anberaumten einstündigen Diskussion über die Flüchtlingsfrage[1] zeigte sich, wie sehr die Delegierten das Thema umtreibt. Es hatten sich fast 100 Delegierte für eine Wortmeldung angemeldet. Nicht mal ein Viertel konnte sich aus Zeitgründen äußern.
Es war seit Monaten vorauszusehen, dass die Flüchtlingspolitik zum Knall führen wird. Dabei bemühte man sich zwei Tage um Formelkompromisse. Es sah auch erst so aus, als könnte das gelingen.
„Bleiberecht für Alle“ oder „Bleiberecht für Menschen in Not“
Sahra Wagenknecht erklärte ausdrücklich, dass sie mit dem vom Parteivorstand eingebrachten Beschluss leben kann, weil dort nicht mehr ein Bleiberecht für alle Menschen, sondern für alle Geflüchtete gefordert wird. Nun handelt es sich hier auch wieder um viel Semantik. Denn natürlich wollen nicht alle Menschen fliehen und nur ein Bruchteil der Menschen in Not will überhaupt nach Deutschland.
Darauf wies Fabian Goldmann in einem Kommentar[2] in der Tageszeitung Neues Deutschland hin.
Von den 67 Millionen Menschen, die derzeit weltweit auf der Flucht sind, kamen im vergangenen Jahr 186.644 nach Deutschland. Rechnet man noch die 1,17 Millionen Geflüchteten aus den beiden Vorjahren hinzu, kommt man immer noch nicht auf „die ganze Welt“, sondern auf rund zwei Prozent der weltweiten Flüchtlingsbevölkerung.
Fabian Goldmann
Allerdings macht Goldmann seine Kritik an einer populistischen Äußerung der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles fest. Doch eigentlich zielte seine Kritik auf den Flügel um Sahra Wagenknecht und so wurde sie auch punktgenau vor dem Beginn des Parteitags der Linken im Neuen Deutschland platziert.
Hier wird einer der Gründe deutlich, warum in der Linken eine Debatte um Migration so schwierig ist. Goldmann schlägt Nahles und meint Wagenknecht, die manche schon nicht mehr als rechte Sozialdemokratin sehen, sondern gleich in die Nähe der AfD stellen. Und Goldmann hat auch noch exemplarisch gezeigt, wie man in der Migrationsdebatte in der Linkspartei künstlich Konflikte schafft.
Denn die Überschrift über Goldmanns Überschrift ist natürlich polemisch gemeint, was im Text deutlich wird. „Doch wir können alle aufnehmen“ – weil nur 2% der Migranten überhaupt nach Deutschland kommen. Es ist schon erstaunlich, dass sich vor allem der realpolitische Flügel der Linken in den Fragen der Migrationspolitik als Maximalisten der Worte geriert, während seine Mitglieder in fast allen gesellschaftspolitischen Fragen ansonsten jeden Wortradikalismus bekämpfen, weil er angeblich viele potentielle Wähler abschrecke.
Würde, so ließe sich fragen, in einem sozialpolitischen Leitantrag die Überschrift auftauchen, dass nur eine kommunistische Gesellschaft – nicht zu verwechseln mit dem untergegangenen Staatskapitalismus – die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beseitigen kann? Einem Antrag mit einer solchen Wortwahl würden nicht mal 10 Prozent der Delegierten zustimmen. Warum also in der Flüchtlingsfrage die Liebe zur Wortradikalität?
Da lohnt ein Blick in die Geschichte der Arbeiterbewegung. Schon Jahre vor Beginn des 1. Weltkriegs, als ein Großteil der sozialdemokratischen Parteien ihren Burgfrieden mit Staat und Kapital schloss, hatten bekannte Parteifunktionäre diesen Schritt vorbereitet. Sie befürworteten den Kolonialismus, wollten Frauen aus der Arbeiterbewegung ausgrenzen – und auch die Liebe zu Nation und Staat hatten sie schon entdeckt. Doch diese Verstaatlichung der Sozialdemokratie wurde durch radikal klingende Parteiprogramme verdeckt, in denen man sich scheinbar orthodox auf Marx berief. Doch sie hatten wenig mit der konkreten Parteipolitik zu tun. Daher konnte man sie zu Beginn des 1. Weltkriegs so schnell über Bord werfen. Umgekehrt schien die Burgfriedenspolitik für viele überraschend, weil sie eben nur auf die radikal klingenden Programme und weniger auf die Praxis guckten.
Warum nicht auch ein würdiges Leben für die, die nicht migrieren wollen?
In der Debatte um die Flüchtlingspolitik in der LINKEN scheint sich das Muster zu wiederholen. Das wird schon daran erkennbar, dass die Aufregung von der Person abhängt, die sich zur Migrationspolitik äußert.
Es ist absolut richtig und mit linker Programmatik kompatibel, die Bedürfnisse und Interessen der Menschen in den Aufnahmeländern ebenfalls im Blick zu haben.
Wieder so ein Satz von Sahra Wagenknecht gegen Offene Grenzen? Nein, er stammt von einen Beitrag[5] des Bundestagsabgeordneten Michael Leutert[6] in der Wochenzeitung Jungle World. Dort verteidigt Leutert ein Einwanderungsgesetz der LINKEN, das er mit formuliert hat. In einen späteren Beitrag kritisiert[7] Caren Lay[8] dieses Einwanderungsgesetz vehement und sieht es als Versuch der Revision einer angeblich libertären Programmatik in der Flüchtlingspolitik der LINKEN.
Das Thesenpapier von Fabio De Masi, Michael Leutert und anderen folgt dagegen einer anderen Agenda: nämlich die bisherige programmatische Forderung der Linkspartei nach offenen Grenzen zu revidieren. Es spricht sich erstmalig in der linken Migrationsdebatte klar für die Regulierung von Einwanderung, vor allem die Begrenzung der Arbeitsmigration im Interesse der deutschen Bevölkerung, aus. Ich bin erschrocken, wenn behauptet wird, ‚ohne Grenzmanagement stünden die Staaten hilflos gegenüber der international organisierten Kriminalität und dem Terrorismus‘ da, denn das suggeriert, dass organisierte Kriminalität offenbar ausschließlich von außen importiert wird.
Anstatt Migration und Einwanderung als Normalfall und Grundlage moderner Gesellschaften anzunehmen und positive Leitbilder für eine solidarische Einwanderungsgesellschaft zu entwerfen, werden die Bedürfnisse von Eingewanderten und Einheimischen gegeneinandergestellt. Grundlage der Argumentation ist die Unterscheidung zwischen Asylsuchenden und sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen, wie es im Mainstreamdiskurs heißt, auch wenn die Formulierung „diejenigen, (…) die lediglich ein höheres Einkommen erzielen oder einen besseren Lebensstandard genießen wollen“ versucht, diesen Begriff zu umschiffen. Eine solche Unterscheidung bedeutet im Kern nichts anderes, als von Millionen Menschen im globalen Süden paternalistisch zu fordern, doch bitte zu Hause zu bleiben und dort für Gerechtigkeit und ein besseres Leben zu kämpfen. Garniert wird dies mit der abenteuerlichen Behauptung, nur die Wohlhabenden der Herkunftsgesellschaften würden den Weg nach Europa schaffen.
Caren Lay
Lay und Leutert sind aktiv im realpolitischen Flügel der LINKEN, stehen in der Einwanderungsfrage konträr und schaffen es doch, ohne persönliche Angriffe die Kontroverse auszutragen. Hier geht es also im Grunde um den Streit, der am Sonntagmittag zur Eskalation auf dem Parteitag der LINKEN beigetragen hat. Wagenknecht hatte in ihrer Rede betont, dass sie das Asylrecht verteidigt und daher offene Grenzen für Menschen in Not befürwortet, nicht aber eine Arbeitsmigration.
Tatsächlich wird in der Debatte von allen Seiten sehr selektiv geurteilt. Auch bei den Befürwortern einer Arbeitsmigration für Alle werden die Konsequenzen für die Gesellschaften außer Acht gelassen. Schon die heute legale Arbeitsmigration im EU-Raum zeigt diese Problematiken. Viele Kinder wachsen in Rumänien und Bulgarien ohne Eltern auf, weil die in Westeuropa arbeiten und nur wenige Tage im Jahr zu Hause sind. Wenn die wenigen Ärzte und Pfleger aus dem Subsahara-Raum migrieren, wer kümmert sich dann um die Ärmsten, die eben aus Alters- und Krankheitsgründen nicht fliehen können?
Müsste eine linke Position nicht nur das Recht auf Migration, sondern auch das Recht stark machen, dass Menschen in ihren Heimatländern ein würdiges Leben führen können? Und warum macht man sich nicht auch für die Ausbildung von Geflüchteten in Deutschland stark, mit der sie in ihren Heimatländern ein würdiges Leben für sich und andere aufbauen können? Es haben viele Geflüchtete aus Syrien, aber auch aus anderen afrikanischen und asiatischen Ländern immer wieder betont, dass sie gerne zurückgingen, wenn sich für sie Lebensperspektiven bieten würden. Könnten nicht derartige Ausbildungsprogramme zu solchen Perspektiven beitragen?
Auf dem Parteitag wurde etwas nebulös auch immer wieder davon geredet, dass die Fluchtursachen bekämpft werden müssen. Aber von Ausbildungsprogrammen für Migranten, die wieder in ihre Heimatländer zurückwollen, hat man wenig gehört. Dabei wäre das im Interesse für einen nicht unerheblichen Teil der Menschen, die migrieren mussten. Was auch nicht erwähnt wurde, war die gewerkschaftliche Organisierung der Migranten.
Erst kürzlich wurde in Italien Soumaila Sacko erschossen[9], der sich gewerkschaftlich organisierte[10]. Er sammelte Blech für seine Hütte, mit der er in Italien sich selber ein Dach über dem Kopf schaffen wollte. Doch diese Biographien von Lohnabhängigen in Europa kommen auch in den moralisch grundierten Refugee-Welcome-Erzählungen einer parlamentarischen und außerparlamentarischen Linken viel zu wenig vor.
Der Film Eldorado[11] ist da eine Ausnahme. Der Regisseur Markus Imhooff begleitete einen Gewerkschafter in die Hütten der ausgebeuteten Tagelöhner, die in Italien Tomaten ernten. Doch ein Großteil der Migrantengeschichten in Filmen und Theatern nimmt die Perspektive eines linksliberalen akademischen Mittelstands ein, der heute in verschiedenen Orten der Welt zu Hause ist und sich dann fragt, wo ihre Heimat ist. Das gilt auch für künstlerisch sehr gelungene Theaterstücke wie Being here – hier sein[12]. Was für eine künstlerische Arbeit, die ein linksliberales Bürgertum anspricht, das auch sonst kaum mit der realen Arbeitswelt in Berührung kommt, verständlich sein mag, ist für eine Partei, die sich rhetorisch auf die Arbeitswelt bezieht, fatal.
Werden Kipping und Wagenknecht zusammen Abschiebungen behindern?
Am Ende sind die streitenden Personen innerhalb der LINKEN doch noch gemeinsam auf die Bühne gegangen und haben einen Vorschlag für die Weiterführung der Debatte vorgestellt. So soll nicht mehr über die Medien, sondern innerhalb der Partei und ihren Gremien diskutiert werden. Es wird sich zeigen, wie lange dieser Vorsatz Bestand hat. Zudem soll eine Tagung zur Flüchtlingsfrage mit Bündnisorganisationen und Experten beraten werden. Vielleicht kommt es dann doch noch dazu, darüber zu beraten, wie denn Abschiebungen von Migranten aus Ländern mit Regierungsbeteiligung der LINKEN be- oder gar verhindert werden können.
In der nach Wagenknechts Rede erzwungenen Diskussion haben mehrere Delegierte auf diese Abschiebungen hingewiesen. Das war implizit auch eine Kritik an die vielen Realpolitikern der LINKEN, die so vehement für offene Grenzen auf dem Papier eintreten und über darüber schwiegen, dass sowohl in Berlin und Brandenburg als auch in Thüringen die Polizei weiterhin Abschiebungen mit Polizeihilfe vollzieht.
Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach, die Wagenknecht in einem emotionalen Redebeitrag sehr stark angriff, äußerte sich nicht dazu. In der anschließenden Abschlussrede erklärte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow mit dem Parteibuch der LINKEN wie sehr er diese Abschiebungen bedauert. Doch leider müssen nun mal Bundesgesetze umgesetzt werden. Daher müsse die LINKE auch da so stark werden, dass sie die Gesetze verändern kann. Das ist allerdings eine Vertagung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Viel realistischer ist es, wenn eine starke zivilgesellschaftliche Bewegung Abschiebungen real be- oder auch verhindert. Das ist auch schon mehrmals geschehen und mittlerweile wird ein solcher Widerstand vermehrt kriminalisiert[15], wie im letzten Jahr in Nürnberg[16] und kürzlich in Ellwangen[17].
Warum positioniert sich die LINKE nicht hier, anstatt über offene Grenzen zu zerstreiten? Weil es dann für die Realpolitiker um ihre Ämter geht? Wie würde die Presse reagieren, wenn sich Katja Kipping und Sahra Wagenknecht gemeinsam auf einer Blockade unterhaken, um womöglich in einem von der LINKEN mitregierten Land die Abschiebung einer Roma-Familie zu verhindern? Das wäre doch ein Thema, mit der die LINKE ganz konkret in die Abschiebemaschine eingreifen könnte.
Der Sender Phönix habe die Ausstrahlung des Films „Kreuzzug der Katharer“ abgesagt, um die kurzfristig anberaumte Diskussion der LINKEN auszustrahlen, erklärte Dietmar Bartsch stolz. Ungleich größer wäre das Medienecho, wenn die Spitzenpolitiker der LINKEN dem Vorschlag eines Delegierten folgend tatsächlich in die Abschiebemaschine eingreifen würden.
Peter Nowak
https://www.heise.de/tp/features/Parteitag-der-Linken-Wie-passen-offene-Grenzen-mit-realen-Abschiebungen-zusammen-4075493.html