Politische Gefangenschaft – systemgefesselter Journalismus … Peter Nowak im Gespräch

INTERVIEW/401: (Schattenblick)
Peter Nowak ist freier Journalist und Publizist. Er setzt sich häufig mit Themen der Linken, ihrer Geschichte und ihren Diskursen auseinander. Auf der Internationalen Konferenz, zu der das Freiheitskomitee für Musa Asoglu am 10. und 11. Februar ins Hamburger Centro Sociale geladen hatte, hielt er einen Vortrag [1] über den Konformitätsdruck und die Sprachkontrolle, denen JournalistInnen heute ausgesetzt sind oder die sie als gut integrierte BürgerInnen selbst produzieren. Im Anschluß daran ergab sich die Gelegenheit, Peter Nowak einige ergänzende Fragen zu stellen.

Schattenblick (SB): Von Marx stammt der Satz: „Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.“ Als professioneller Autor bestreitest du mit deiner Arbeit den Lebensunterhalt. Ist es in diesem Sinne überhaupt machbar, ein Gewerbe namens Presse auszuüben und sich dabei nicht zu verleugnen?
Peter Nowak (PN): Ja, aber es kommt immer darauf an, was man für Ansprüche hat. Wenn man dadurch wohlhabend werden oder Karriere machen will, ist es wohl kaum machbar. Dennoch gibt es schon noch Nischen oder auch Zeitungen, wo das möglich ist. Das geht schon. Leben kann man davon sicher, aber Millionär wird man dadurch nicht.

SB: Vielen Leuten scheint nicht bewußt zu sein, daß JournalistInnen von ihrem Brotberuf abhängig sind und die Verlagskonzerne eine politische Agenda haben. Es gab einmal die Idee einer öffentlich-rechtlichen Presse oder von Bezahlsystemen wie Flattr. Was hältst du von solchen Modellen? Könntest du dir vorstellen, daß sie politisch weniger anfällig für eine Formierung von Meinung wären?
PN: Ich denke schon, aber ich bin ja auch gewerkschaftlich in der FAU, im Mediensyndikat, organisiert. Eigentlich muß man darum kämpfen, daß man von seiner journalistischen Arbeit leben kann, daß sie gut bezahlt wird, auch daß alles bezahlt wird, und man es nicht mit diesen Tricks zu tun bekommt, daß nur gekürzte Texte bezahlt werden. Die Forderung muß eigentlich sein, daß man seine Artikel so teuer wie möglich an die Verlage verkauft. Das ist ja wie bei allen anderen Berufen auch, die auf Lohnarbeit basieren. Ein Journalist verfolgt eine Idee, und die Verlage profitieren davon, indem sie aus dem Produkt Gewinne für ihre Zeitungen machen und dies entsprechend bezahlen. Diese anderen Modelle sind natürlich so etwas wie eine Behelfsstruktur. Ich denke aber nicht, daß man dadurch unbedingt eine Garantie hat oder daß es dann demokratischer wäre, weil es natürlich auch sein kann, daß einen bestimmte Interessengruppen unter Druck setzen und sagen, wir unterstützen das nur, wenn man so oder so schreibt, zum Beispiel im Sinne einer Umweltschutzbewegung oder daß man Kritik an ökologischen Perspektiven übt. Diese Modelle müssen nicht unbedingt eine Alternative zum Status quo sein oder garantieren, daß man dadurch mehr Möglichkeiten hätte. Das würde natürlich auch immer bedeuten, daß dann nur die wenigsten unabhängig sind, aber im Gegenzug viel mehr Abhängigkeiten entstehen. Es gibt ja seit jeher solche Modelle, teilweise auch im Umweltbereich. Es ist natürlich klar, daß die Verlage, selbst wenn sie eher eine emanzipative Richtung repräsentieren, nur Leute fördern, die auf eine bestimmte Art und Weise schreiben. Denn auch in diesem Bereich gibt es durchaus Streitpunkte. Wenn man zum Beispiel die Umweltbewegung nimmt, kann es im Detail doch sehr unterschiedliche Auslegungen geben. Deshalb kann ich mir auch vorstellen, daß man da ganz schön unter Druck gerät. Ich wäre schon eher dafür, daß man das als Klassenkampf betrachtet, den die Lohnabhängigen organisieren sollten, um dafür zu kämpfen, daß man besser bezahlt wird.

SB: Als freier Autor verkaufst du deine Beiträge an verschiedene Publikationen. Wie sieht die Situation von freischaffenden Journalisten heute aus?
PN: Es ist natürlich, wenn man so will, ein Pilotprojekt für die Prekarisierung gerade in diesem Bereich. Die Kernredaktionen werden zunehmend ausgedünnt, oft sitzen nur noch ganz wenige Mitarbeiter in den Redaktionen, während es immer mehr Freie gibt, die erst einmal untereinander konkurrieren und dadurch noch mehr unter Druck stehen. Zudem wissen sie oft gar nicht, was die anderen an Lohn kriegen. Darüber wird selten gesprochen. Eigentlich wäre es schon gut, wenn man weiß, was die schreibenden KollegInnen für einen Artikel bekommen. Es ist nämlich überhaupt nicht klar, daß sie dasselbe kriegen, oder sie haben vielleicht andere Konditionen. Die Verlage haben kein Interesse daran, daß man darüber redet. Das wirkt schon wie Gift in diesen Bereichen.
Erst wenn man wüßte, was die anderen verdienen, könnte man gemeinsame Forderungen aufstellen. Viele sehen sich daher als Einzelkämpfer bzw. Einzelkämpferin und jeden anderen als Konkurrenten bzw. Konkurrentin, was es erst einmal im Kapitalismus ist. Um das zu überwinden, braucht es organisierte Zusammenarbeit wie zum Beispiel in Gewerkschaften. Der Druck auf den einzelnen ist eben groß. Dies gilt um so mehr in den freien Berufen, weil der Zeitungsmarkt, wenn man jetzt einmal die Printmedien nimmt, einerseits insgesamt eher schrumpft und andererseits die großen Gewerkschaften DGB und ver.​di enorme Probleme haben. Eigentlich sollten die JournalistInnen ihre KollegInnen, die Blogs machen, nicht bekämpfen, aber statt dessen behaupten sie, daß es keine richtigen JournalistInnen seien. Diese Diskussion gibt es ja.
Dabei sind Blogs nur die modernere Version des Journalismus. BloggerInnen sollten auch für ihre Arbeit bezahlt werden und es nicht mehr unentgeltlich machen. Dieser ganze Bürgerjournalismus, wo Leute teilweise stolz darauf sind, wenn sie unentgeltlich Beiträge hinschicken, verdirbt noch einmal die Preise, weil sie natürlich das machen, was freie JournalistInnen tun. Diskussionen dieser Art um Medienmacht werden schon länger geführt. Im Grunde ist es ein Pilotprojekt für eine prekäre Arbeitswelt.

SB: Offensichtlich gibt es Bemühungen zur Reglementierung des Journalistenberufs. So ist beispielsweise die Ausgabe von Presseausweisen stärker limitiert worden. Zudem wird der Vorschlag verhandelt, die bisher ungeschützte Berufsbezeichnung Journalist in einem größeren Ausmaß an bestimmte Bedingungen zu knüpfen. Wie bewertest du diese Debatte?
PN: Das sehe ich sehr kritisch. So sind nur bestimmte Organisationen befugt, Presseausweise auszugeben wie zum Beispiel ver.​di. Auch ich habe einen ver.​di-Presseausweis, obwohl ich in der FAU organisiert bin, weil ich zugleich ver.​di-Mitglied bin. Ich finde, man sollte statt des Reglementierens die Leute eher organisieren. Nun steht die Gewerkschaftsbewegung immer schon in der Tradition der Zünfte, wo es gilt, die Berufe möglichst kleinzuhalten, damit die Konkurrenz geringer ist. Das ist eben der reaktionärere Teil daran. Bei der klassischen, aus der Arbeiterbewegung hervorgegangenen Gewerkschaft geht es nicht darum, die Leute zu regulieren und aus dem Berufsstand herauszuhalten, sondern daß sie sich organisieren und ihre Arbeit teuer verkaufen. Aus demselben Grund sollten die sogenannten BürgerjournalistInnen mit ihren Blogs nicht ausgegrenzt werden und auf keinen Fall umsonst arbeiten.

SB: In die sozialen Netzwerke wurde zu Anfang durchaus die Hoffnung einer herrschaftsfreien Kommunikation gesetzt. Inzwischen weiß man, daß sie von transnationalen Großkonzernen organisiert und kontrolliert werden. Facebook hat Tausende von Leuten eingestellt, die Inhalte überprüfen und ggf. unsichtbar machen oder sperren. Wie beurteilst du diese Art von Normierung auch politischer Inhalte, die mit dem klassischen Zensurbe-
griff kaum noch zu erfassen ist?

PN: Das ist eben der Inbegriff der moderneren Formen, daß die Leute sich am besten selbst zensieren. Ich würde auch sagen, daß das heute wegen der umfassenden Konformität nicht mehr mit dem klassischen Zensurbegriff in Deckung zu bringen ist. Viele Leute ziehen die Grenze schon selber in ihren Netzwerken, so daß staatliche Stellen nicht mehr eingreifen müssen. Das ist der postmodernen Gesellschaft, in der der Diskurs nicht mehr zentral über den Staat oder staatliche Instanzen, sondern über unterschiedliche Netzwerke geführt wird, adäquat. Die einzelnen Netzwerke haben schon ihre eigenen Zensurmechanismen, die wiederum mit denen des Staates abgeglichen werden. Das ist kein Widerspruch. Der Prozeß verläuft nicht mehr zentral, weil zumindest in Staaten wie Deutschland nicht mehr nur eine Instanz existiert, die das vorgibt, sondern sehr unterschiedliche, die auch ihre jeweilige Zensur machen. Dies ist natürlich schwieriger zu erkennen als in Ländern mit einer staatlichen Zensurbehörde wie zum Beispiel in der Türkei.

SB: Es gibt seit längerem hier in Deutschland eine Debatte um die Frage, was eigentlich links und rechts sei. Manchmal wird behauptet, man könne das nicht unterscheiden und daß es sich überhaupt um überholte Kategorien handelt. Was würdest du dem entgegnen?
PN: Es gibt tatsächlich Leute, die sich links schimpfen, aber den Nationalstaat mitdenken. Dann wird die Unterscheidung in der Tat schwieriger. Die Begriffe links und rechts sind erst einmal in historischen Zeiten entstanden. Bezieht man sich auf Inhalte zurück wie zum Beispiel anarchistisch oder rätekommunistisch, dann ist das sehr wohl zu unterscheiden. Entweder geht es um eine Organisierung von Arbeitern und Lohnabhängigen oder um eine kapitalgestützte Gesellschaft. Das wären natürlich greifbare Unterschiede, aber vielleicht sollte man eher Begriffe nehmen, die die Inhalte stärker herausstellen. Links und rechts sind als Begriffe erst einmal sehr offen, so daß man wirklich das Problem hat, was da alles untergebracht werden kann.
Daß die Grünen heute noch als links bezeichnet werden, obgleich sie eigentlich schon seit ihrer Gründung reaktionäre Elemente transportieren und spätestens seit 1999 offen den Krieg unterstützen, ist schon sonderbar. Deswegen würde ich eher dafür plädieren, daß man Begriffe wie antikapitalistisch oder kommunistisch nimmt, die deutlicher abgrenzen, ob man sich am Nationalstaat oder an einer weltweiten Bewegung, die keine Grenzen kennt, orientiert. Wenn nun Linke vom sozialen Nationalstaat sprechen, verschwimmt die Grenze zwischen sozialen und nationalen Interessen. Deshalb muß man ganz klar sagen, wir lehnen den Nationalstaat ab und fordern eine weltweite Bewegung, die nicht am Staatsmodell orientiert ist. Das sind dann klare Unterschiede.

SB: Vor dem Jahreswechsel gab es eine Kontroverse um die Preisverleihung von Ken Jebsen, die in gewisser Weise einen Schlußpunkt hinter eine schon seit langem schwelende Debatte setzte. Wie kommt es deiner Ansicht nach zu der Verwirrung über die Frage, ob die von ihm vertretenen Inhalte eher links oder rechts einzuordnen wären?
PN: Früher haben sich die Leute über Gewerkschaften politisiert, sind in die Bildungsarbeit gegangen und haben dann Marx kennengelernt. Dieser ganze Hintergrund fällt weg. Im Gegensatz dazu haben sich junge Leute in den letzten 20 Jahren über Events wie G20 oder die G8- und Studierendenproteste politisiert. Im Grunde taucht das nur alle paar Jahre auf. Für viele gibt es einfach diese Momente nicht mehr. Wenn es dann zu etwas wie der Mahnwachenbewegung kommt, wo die Leute Elemente von rechts und links und teilweise aus der Esoterik nehmen, ist das nicht weiter erstaunlich. Es stellt im Grunde nur ein Symptom der Schwäche der Linken dar, daß es keine Hegemonie mehr gibt, sei es eine anarchistische oder kommunistische oder auf marxistischen Grundlagen basierende Theorie und Praxis. Tendenzen, wo von allem etwas genommen wurde, gab es schon immer. Gerade in der Umweltbewegung, im Ökologismus, gab es eigentlich immer Probleme mit links, weil in den grundlegenden Fragen nicht mehr der Mensch, sondern die Natur in den Mittelpunkt gestellt wurde. Eigentlich muß die Linke, wie ich es verstehe, den Menschen, die Zivilisation, also die Befreiung des Menschen von der Natur in den Mittelpunkt stellen. Der Mensch sollte nicht als negative Fußspur, sondern als positives Zeichen der Zivilisation gesehen werden. Das ist eine grundsätzliche Sache. Klar, wenn es keine hegemoniale Ideologie mehr gibt oder auch Bezugspunkte fehlen, dann kommt es eben zu einer Verwirrung gerade unter jungen Leuten, die sich von allem etwas nehmen. Man sollte sich weniger daran abarbeiten, daß Personen wie Ken Jebsen dies relativ gut produzieren können und Medien darüber eine große Zuhörerschaft generieren, sondern müßte eigentlich eine Alternative anbieten, die aber – und das ist das Problem – die Leute dort erreicht, wo sie ihren Alltag verbringen, auf dem Arbeitsplatz oder im Stadtteil, wo sie leben. Dort müßte die Auseinandersetzung und auch die Bildungsarbeit ansetzen.
Man sollte auch nicht die Leistungen großer Gewerkschaften wie des DGB vergessen. Dort sind Leute durch Schulungen gegangen, erst einmal von klein auf, von unten, und haben die Zusammenhänge von Kapital und Arbeit auf einer ganz elementaren Ebene gelernt. Dort haben Leute mit marxistischen Begriffen gearbeitet und sie weitergegeben. Das hat eine ganz wichtige Rolle in der Gewerkschaftsarbeit gespielt, worüber viele politi-siert wurden. Doch das ist heute weitgehend weggefallen.

SB: Wir sind hier auf einem Treffen türkischer KommunistInnen. Das Verhältnis der deutschen Linken zu einer antiimperialistischen, Züge einer Kaderpartei aufweisenden Linken, die in einem harten Kampf in der Türkei steht, drückt sich wohl auch darin aus, daß relativ wenig Leute hierhergekommen sind, um über so wichtige Themen wie politische Gefangene und staatliche Repression zu sprechen. Wie kommt so etwas zustande?
PN: Das hat man schon beim Todesfasten gesehen. Gerade derjenige Teil der deutschen Linken, der sich eher auf autonome Traditionen bezieht, hat starke Schwierigkeiten mit einer eher klassisch-kommunistischen Organisierung. Hinzu kommt die Antisemitismus-Debatte, die gerade ein Teil der radikalen Linken in den letzten 25 bis 30 Jahren intensiv geführt hat. Aber es gibt auch Beispiele, wo so etwas überwindbar ist wie in der Kurdistan-Solidarität. Die PKK hatte in den 1980ern eine ähnliche Kritik erfahren, und eine Zeitlang gab es auch eine sehr starke Abgrenzung zu Kurdistan. Durch eine Veränderung innerhalb der Ideologie der PKK seit den 1990ern Jahren gibt es wieder eine Annäherung. Aber ich würde schon sagen, daß dies auf jeden Fall ein Problem darstellt.Man muß natürlich in die Diskurse nicht nur in den Medien, sondern auch bei Linken gehen. Man muß auch ins Konspirationslager und den Antisemitismus-Diskurs reinhören und mitbekommen, was unter Linken in der Türkei diskutiert wird. Man kann nicht einfach sagen, das sind per se alles Rechte, das ist in Deutschland schon komplizierter. Ich denke, es ist auf beiden Seiten wichtig, erst diesen Diskurs zu führen.

SB: Peter, vielen Dank für das Gespräch.

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