Peter Nowak über einen Erfolg der Amazon-Beschäftigten in Polen
Der Online-Händler Amazon hat in Polen zum ersten Mal mit den beiden Gewerkschaften Arbeiterinitiative (IP) und Solidarność eine Vereinbarung unterzeichnet. Danach soll das einschüchternde Mitarbeiterbewertungssystem »Feedback« bis Ende Januar ausgesetzt werden. In dieser Zeit soll zusammen mit den beiden Gewerkschaften eine Nachfolgeregelung erarbeitet werden. Die Geschäftsleitung habe sich verpflichtet, mit der Betriebsgruppe in Poznań acht Gesprächsrunden zu führen, berichtet die syndikalistische Gewerkschaft IP. Die Vereinbarung ist der Beweis, dass auch ein weltweit agierender Konzern wie Amazon sehr wohl auf gewerkschaftlichen Kampf reagieren muss.
Das Feedback-System ist unter den Beschäftigten verhasst. Denn es bedeutet, dass ihre Arbeit durchgängig überwacht wird. Und das wird ihnen auch deutlich gemacht, etwa indem Vorgesetzte am Arbeitsplatz vorbeischauen und sich aufmerksam erkundigen, ob etwas nicht in Ordnung sei, man sei ja schon zum dritten Mal auf der Toilette gewesen. Beim freundlich-disziplinierenden Gespräch bleibt es aber nicht. Beschäftigte berichten, sie hätten schon eine Abmahnung erhalten, weil sie in fünf Minuten zweimal inaktiv waren
Der Zeitpunkt für das Entgegenkommen des Konzerns ist sicher kein Zufall. Schon bald beginnt das wichtige Weihnachtsgeschäft. Da will man keine Störung. In Deutschland nutzen Amazon-Beschäftigte die Adventszeit immer wieder, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Bereits seit 2013 kämpfen sie für einen Tarifvertrag nach den Konditionen des Einzel- und Versandhandels. Amazon bezahlt nach dem schlechteren Logistikvertrag und verweigert bis heute Gespräche mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Auch in Deutschland ist der Unmut über ein Bewertungssystem, das zur Arbeitshetze antreibt und Angst vor Fehlzeiten erzeugt, groß. Wenn zuletzt die Stimmen lauter wurden, die den Beschäftigten eine Niederlage prognostizierten, dann wurden sie durch den Erfolg der Proteste in Polen eines Besseren belehrt.
Dass der Konzern hier die Vereinbarung mit der im Vergleich zu ver.di kleinen linken IP getroffen hat, ist auch deren Kampfbereitschaft geschuldet. Die IP hat durch ihr Engagement in Poznań viele Unterstützer gewonnen, während am zweiten polnischen Amazon-Standort in Wrocław die konservative Gewerkschaft Solidarność bei den Beschäftigten dominiert. Im Kampf gegen das Bewertungssystem ziehen die beiden sehr unterschiedlichen Gewerkschaften aber an einem Strang.
Amazon hat seine Filialen in Polen auch aufgebaut, um dorthin auszuweichen, wenn in Deutschland gestreikt wird. Die Vereinbarung zeigt, dass sich die Manager*innen getäuscht haben, wenn sie glaubten, dort würden die Beschäftigten nicht für ihre Interessen kämpfen.
Gewerkschaft und Bewegung gegen Amazon und Springer
Am 24. April gaben einige hundert Amazon-Beschäftige aus Polen und Deutschland ihrem Boss Jeff Bezos vor dem Springerhochhaus in Berlin ein klares Feedback. Während ihm dort der Springer Award für „besonderes innovatives Unternehmertum“ verliehen wurde, protestierten sie gegen Lohndumping, permanente Überwachung am Arbeitsplatz und Steuerflucht. Unübersehbar waren bei den Protesten die Transparente des Bündnisses Make Amazon Pay (MAP). Dort haben sich außerparlamentarische Linke zusammengeschlossen, die den Kampf der Amazon-Beschäftigten unterstützen. Erstmals an die Öffentlichkeit trat es Ende November 2017 mit einer Aktionswoche rund um den »Black Friday«, der auch von Amazon als Schnäppchentag beworben wird. Bei der Aktion blieben die AktivistInnen allerdings größtenteils unter sich. Dass nun Amazon-Beschäftigte und das MAP-Bündnis gemeinsam vor dem Springerhaus protestierten, setzte einen Lernprozess auf beiden Seiten voraus. Denn in der Regel bleiben die DGB-Gewerkschaften als diejenigen, die am besten in der Lage sind, Beschäftigte zu mobilisieren, auf Distanz zu UnterstützerInnen aus der außerparlamentarischen Linken, die wiederum ebenfalls großen Wert auf Abstand vor allem zu den Spitzen der Gewerkschaften legt, denen sie vorwirft, die Beschäftigten in den Staat zu integrieren. Dass nun auf der Kundgebung am 24. April der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske das breite Bündnis der Amazon-Solidarität würdigte und dafür auch von AktivistInnen aus dem MAP-Spektrum Applaus bekam, ist daher durchaus bemerkenswert.
Diese Kooperation war nur möglich, weil es bereits seit fünf Jahren eine Amazon-Solidarität linker Gruppen gibt. Vor allem an den Standorten Leipzig und Bad Hersfeld entstanden enge Beziehungen zwischen einigen Beschäftigten, die sich im Arbeitskampf engagieren, und ihren außerbetrieblichen UnterstützerInnen. Ihnen ist es auch gelungen, politische Akzente zu setzen. So hatte auf einem Treffen der Amazon-Beschäftigten in Bad Hersfeld im April 2018 auch ein Vertreter der Gruppe capulcu gesprochen, die das System Amazon mit einem technik- und herrschaftskritischen Ansatz unter die Lupe nimmt. Hinterher haben einige der Beschäftigten erklärt, dass ihnen der Vortrag gezeigt hat, mit welchem Unternehmen sie es zu tun haben. Zudem haben die außerbetrieblichen UnterstützerInnen bereits vor drei Jahren Kontakte zu den Amazon-Beschäftigten in Poznań geknüpft. Mittlerweile ist die deutsch-polnische Kooperation selbstverständlich. Die polnischen KollegInnen sind in der anarchosyndikalistischen Basisgewerkschaft Workers Initiative (IP) organisiert, die nicht zu den Kooperationspartnern von ver.di gehört. Am 24. April war die IP-Delegation aus Poznan mit ihrem Gewerkschaftssymbol, der Schwarzen Katze, nicht nur auf der kurzen Demonstration unübersehbar vertreten. Ein IP-Kollege hielt auch einen Redebeitrag auf der Kundgebung. Als der ver.di-Koordinator ihn nach wenigen Sätzen abmoderieren wollte, sorgte das kurzzeitig für Unmut.
Noch lauter wurde es im Block der linken UnterstützerInnen, als die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles eine Grußadresse verlesen wollte. Der ver.di-Vorstand hatte sie ohne Wissen der Bündnispartner auf die Redeliste gesetzt, nachdem der ursprünglich als Redner vorgesehene Günther Wallraff abgesagt hatte. Doch auch ein Großteil der Amazon-Beschäftigten wollte die SPD-Politikerin nicht verteidigen.
Hinter dieser Auseinandersetzung steht ein unterschiedliches Verständnis von Gewerkschaft. Für ver.di ging es bei den Protesten gegen die Verleihung des Springer-Awards an Bezos vor allem um die mediale Aufmerksamkeit. Da passt eine kurze Ansprache von Nahles natürlich ins Konzept. Für die polnischen IP-GewerkschafterInnen ging es hingegen um einen Akt der Selbstermächtigung, wenn sie in Berlin vor dem Springer-Hochhaus ihren Protest artikulieren. Sie wollen sich nicht vertreten lassen und haben deshalb keine bezahlten FunktionärInnen. Dieses Verständnis von Gewerkschaft teilt auch das MAP-Bündnis. Auf einem Auswertungstreffen unter Beteiligung von MAP, ver.di, UnterstützerInnen der IP und der LINKEN-Bundestagsabgeordneten Sabine Leidig wurde von allen Seiten betont, dass auch künftig eine solche Kooperation möglich und erwünscht ist. Das ist erfreulich, weil gegen einen global aufgestellten Konzern wie Amazon eine transnationale Solidarität die beste Antwort ist. In den letzten Monaten gab es Arbeitskämpfe in Amazon-Werken in Deutschland, Frankreich, Polen, Italien, Frankreich und Spanien.
aus: express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Ausgabe: Heft 5/2018
Der Protest gegen die Preisverleihung an Amazon-Boss Bezos zeigt, wie außerbetriebliche Linke, Beschäftigte und Gewerkschaften zusammenarbeiten können
Es gab und gibt zahlreiche Demonstrationen, die am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg beginnen. Doch der Demonstrationszug, der am Nachmittag des 24. April vom Oranienplatz zum Springerhochhaus zog, passte nicht in die übliche Protestroutine. Das lag nicht an der Teilnehmerzahl von knapp 400 Menschen, sondern an ihrer Zusammensetzung.
Außerparlamentarische Linke des Bündnisse Make Amazon Pay und Beschäftigte aus verschiedenen Amazon-Standorten in Deutschland und Polen hatten sich dort versammelt. Sie alle sind vor das Springerhaus gezogen, um gegen die Verleihung des Springer Awards an Amazon-Gründer Jeff Bezos zu protestieren.
Viele der Beschäftigten trugen Fahnen oder Westen, auf denen die Logos ihrer Gewerkschaften zu lesen waren. Viele der Kollegen aus den Amazon-Standorten Bad Hersfeld, Leipzig und anderen Orten sind in der Dienstleistungsgewerkschaft verdi organisiert. Die Kollegen vom polnischen Amazon-Standort Poznań sind Mitglieder der anarchosyndikalistische Basisgewerkschaft Workers Initiative (IP) die nicht zu den Bündnispartnern von verdi gehört.
Es war schon eine Premiere, dass die Kollegen der unterschiedlichen Gewerkschaften nicht nur gemeinsam demonstrierten, ein IP-Kollege hielt auch einen kurzen Redebeitrag auf der Bühne vor dem Springerhaus.
Die Rolle der außerbetrieblichen Amazon-Solidarität
Es ist ein Erfolg der außerbetrieblichen Amazon-Solidarität, dass der Kontakt zwischen der IP und den Beschäftigten in mehreren Amazon-Standorten in Deutschland zustande gekommen ist. In Leipzig unterstützen linke Gruppen bereits seit fünf Jahren die Beschäftigten des dortigen Amazon-Standortes bei ihrem Kampf um einen Tarifvertrag und bessere Arbeitsbedingungen. Auch das Leipziger Streiksolidaritätsbündnis ist Teil von Make Amazon Pay.
Es war vergangenes Jahr erstmals an die Öffentlichkeit getreten, um den Kampf der Amazon-Beschäftigten für einen Tarifvertrag zu unterstützen. Mit einer Aktionswoche rund um den „Black Friday« im November, der von Amazon als Schnäppchentag beworben wurde, blockierten einige Hundert Aktivisten eine Versandhalle im Westen Berlins.
Auch an verschiedenen Amazon-Standorten gab es Proteste. Damals war die Teilnahme von Amazon-Beschäftigten noch recht bescheiden. Das hatte sich am 24. April verändert. Das Bündnis Make Amazon Pay hatte bereits mit der Protestorganisation begonnen, als noch nicht klar war, wie sich Verdi und die Beschäftigten daran beteiligen werden.
Unterschiedliche Logiken von Verdi und außerparlamentarischen Linken
Die gemeinsame Aktion war ein großer Erfolg und ging natürlich nicht ohne Spannungen ab. Der Grund liegt in den unterschiedlichen politischen Logiken einer Großgewerkschaft wie Verdi und der außerbetrieblichen Linken. Das zeigte sich, nachdem erst kurzfristig bekannt geworden war, dass die Dienstleistungsgewerkschaft die frischgekürte SPD-Vorsitzende Nahles als Rednerin engagierte.
Die aber war kaum zu verstehen und musste nach 2 Minuten abtreten, weil ihr die Parole „Hartz IV – das wart ihr“ entgegenschlug. Natürlich waren die Verdi-Funktionäre davon nicht begeistert. Doch ein Großteil der Beschäftigten mochte nicht für Nahles Partei ergreifen. So hatte das Bündnis die Gratwanderung bestanden, sich nicht einfach der Verdi-Agenda unterzuordnen, die eine Rednerin aus dem Hut zauberte, von der klar war, dass sie für die außerparlamentarische Linke eine Provokation ist.
Der aber gelang es, den Protest gegen den Nahles-Auftritt so zu dosieren, dass dadurch keine Spaltung unter den Demo-Teilnehmern entstand. So ging die Rede des verdi-Vorsitzenden Bsirske ohne Zwischenrufe über die Bühne. Die Proteste machten damit auch gut deutlich, dass eine Kooperation zwischen so unterschiedlichen Gruppen möglich ist, wenn die Grenzen beider Seiten berücksichtigt werden.
Das ist ein Lernprozess für beide Seiten. So hatten sich noch vor einigen Jahren einige Aktivisten des Umganze-Bündnis, das die Berliner Proteste mit vorbereitet hatte, wohl nicht vorstellen können, eine Kooperation mit verdi einzugehen. Damals betonte man noch, dass man nur mit systemantagonistischen Gewerkschaften zusammenarbeite.
Da wäre die Auswahl in Deutschland eher klein. Für die Beschäftigten aus den unterschiedlichen Amazon-Standorten hat die Kooperation mit der außerbetrieblichen Linken den politischen Horizont erweitert. Sie haben dadurch nicht nur den Kontakt zu den polnischen Kollegen bekommen, sondern sich auch an politischen Aktivitäten der außerparlamentarischen Linken wie den Blockupy-Protesten als Amazon-Beschäftigte beteiligt.
Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Sabine Leidig berichtete auf einem Vorbereitungstreffen, wie außerbetriebliche Linke und aktive Amazon-Beschäftige von der Kooperation profitieren.
Auf einem Treffen in Bad Hersfeld sei von den Kollegen ein Referat der technologiekritischen Gruppe Capulcu mit Aufmerksamkeit verfolgt und im Anschluss auch eifrig diskutiert werden. Ihnen war diese technologiekritische Sichtweise fremd, aber sie hatten daran großes Interesse, weil sie sich damit auch Methoden der Überwachung erklären können, die sie in ihren Arbeitsalltag erleben.
Peter Nowak
https://www.heise.de/tp/features/Widerstand-gegen-das-Modell-Amazon-4034955.html
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4034955
AktivistInnen laden zum Protest gegen den Arbeitgeber Amazon. Anlass: der Springer Award für CEO Bezos
Für den 24. April rufen linke Gruppen, soziale Initiativen und Gewerkschaften zu Protesten vor dem Springer-Haus in Kreuzberg auf. Es handelt sich aber nicht um ein APO-Revival nach 50 Jahren: Der Unmut richtet sich gegen die Verleihung des Springer Award 2018 an Amazon-Chef Jeff Bezos, dem auch die Washington Post gehört.
„Mit der Auszeichnung würdigt Axel Springer sein visionäres Unternehmertum in der Internetwirtschaft sowie die konsequente Digitalisierungsstrategie der 140-jährigen US-Traditionszeitung“, lässt das Medienhaus verlauten. Das Bündnis Make Amazon Pay (MAP) will den „Abend für Jeff Bezos“ dagegen nutzen, um die schlechten Arbeitsbedingungen, die Tarifflucht und die Gewerkschaftsfeindlichkeit anzuprangern. „Das Zukunftsmodell von Amazon heißt: Keine Tarifverträge, Lohndruck, prekäre Jobs, Arbeitshetze und permanente Überwachung. Das ist nicht unsere Zukunft!“, so MAP-Sprecherin Maria Reschke zur taz. Diese Kritik teilen Beschäftigte an den Amazon-Standorten Bad Hersfeld und Leipzig, die seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Ein Teil von ihnen kommt mit dem Bus nach Berlin. Bereits um 16 Uhr wollen sich die Amazon-KritikerInnen am Oranienplatz treffen, um zum Springer-Hochhaus zu ziehen. Dort will das Netzwerk Attac um 17.30 Uhr gegen Amazon als Pionier der Steuervermeidung protestieren und Vorschläge für die Schließung der Steuerschlupflöcher vorstellen. Im Anschluss gehört die Bühne Beschäftigen aus verschiedenen europäischen Amazon-Standorten. Der kämpferische Bad Hersfelder Amazon- Betriebsrat Christian Krähling gehört ebenso dazu wie GewerkschafterInnen aus Poznan und Wrocław, die sich ebenfalls seit Jahren für höhere Löhne und gegen Arbeitshetze und Überwachung engagieren. Während die Beschäftigten aus Poznan in der anarchosyndikalistischen Workers’ Initiative organisiert sind, hat in Wrocław die Gewerkschaft Solidarność Einfluss unter den KollegInnen. Motto der Protestaktion: „Feedback für Jeff Bezos“. „Amazon setzt durch regelmäßige Ge- spräche über die Arbeitsleistung Beschäftigte unter Druck, dieses Mal wollen die Beschäftigten Jeff Bezos ein ‚Feedback‘ geben“, sagt Maria Reschke.
Der Amazon-Gründer Jeff Bezos erhält den »Axel-Springer-Award«
»An Evening for Jeff Bezos« heißt die Veranstaltung, die der Springer-Konzern am 24. April in Berlin ausrichten will. An diesem Tag soll der Gründer des Amazon-Konzerns und Eigentümer der Washington Post den »Axel-Springer-Award« 2018 erhalten. »Mit der Auszeichnung würdigt Axel Springer sein visionäres Unternehmertum in der Internetwirtschaft sowie die konsequente Digitalisierungsstrategie der 140jährigen US-Traditionszeitung«, heißt es in der Pressemitteilung des Verlags. Die Laudatio auf den Preisträger soll John Elkann, der Verwaltungsratspräsident des Fiat-Konzerns, halten.
Doch auch die zahlreichen Kritiker des Geschäftsmodells von Amazon werden sich am 24. April zu Wort melden. Das Bündnis »Make Amazon Pay« (MAP) will den Abend nutzen, um die schlechten Arbeitsbedingungen, Tarifflucht und Gewerkschaftsfeindlichkeit bei dem Unternehmen anzuprangern. »Das Zukunftsmodell von Amazon heißt: keine Tarifverträge, Lohndruck und prekäre Jobs, Arbeitshetze und permanente Überwachung. Das ist nicht unsere Zukunft!« sagte die MAP-Sprecherin Maria Reschka der Jungle World. Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) hat Bezos bereits 2014 einen Negativpreis für Ausbeutung der Mitarbeiter verliehen. Der 54jährige ist dem Magazin Forbes zufolge mit einem geschätzten Vermögen von etwa 130 Milliarden US-Dollar der reichste Mensch der Welt. Das Bündnis »Make Amazon Pay« war vergangenes Jahr erstmals an die Öffentlichkeit getreten, um den Kampf der Amazon-Beschäftigten für einen Tarifvertrag zu unterstützen. Mit einer Aktionswoche rund um den »Black Friday« im November, der von Amazon als Schnäppchentag beworben wurde, blockierten einige Hundert Aktivisten eine Versandhalle im Westen Berlins. Auch an verschiedenen Amazon-Standorten gab es Proteste. In dem Bündnis haben sich Beschäftigte des Unternehmens gemeinsam mit Gruppen der außerparlamentarischen Linken wie dem »Ums Ganze«-Bündnis organisiert. In Leipzig unterstützen linke Gruppen bereits seit fünf Jahren die Beschäftigten des dortigen Amazon-Standortes bei ihrem Kampf um einen Tarifvertrag und bessere Arbeitsbedingungen. Auch das Leipziger Streiksolidaritätsbündnis ist Teil von MAP.
Beim ersten Vorbereitungstreffen für die Proteste am 24. April waren zudem Gewerkschaftler aus Deutschland und Polen anwesend. Diese transnationale Kooperation, die bei einem global agierenden Konzern wie Amazon notwendig ist, um einen Arbeitskampf zu gewinnen, ist auch ein Verdienst der außerbetrieblichen Amazon-Solidarität. Ein Großteil der engagierten Beschäftigten im Amazon-Werk Poznań ist bei der anarchosyndikalistischen »Workers Initiative« (Inicjatywa Pracownicza, IP), organisiert, die bereits mehrere Solidaritätsaktionen mit den Beschäftigten in Deutschland initiierte. Auch die Solidaritätsinitiativen haben dafür gesorgt, dass der Kontakt zwischen der IP und den Beschäftigten in mehreren Amazon-Standorten in Deutschland zustande gekommen ist.
In Polen ist die Kampfbereitschaft ebenfalls gewachsen. Neben der IP will sich auch die Gewerkschaft Solidarność an den Protesten am 24. April in Berlin beteiligen und hat die Entsendung eines Busses mit Beschäftigten angekündigt. Solidarność ist der polnische Partner der DGB-Gewerkschaft Verdi und hat im zweiten polnischen Amazon-Werk in Wrocław Einfluss bei den Beschäftigten. Lena Widmann, die bei Verdi für Amazon zuständig ist, konnte der Jungle World noch keine konkreten Planungen ihrer Gewerkschaft für den 24. April nennen. »Wir besprechen das mit den Amazon-Beschäftigten und gehen dann an die Öffentlichkeit«, sagte sie. Wichtig sei ihrer Gewerkschaft, dass »der Kampf um einen Tarifvertrag und der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen im Mittelpunkt stehen«, so Widmann. »Auf dem Vorbereitungstreffen war Konsens, dass es darum am 24. April gehen soll«, sagte ein Mitglied des MAP-Bündnisses der Jungle World.
Am Donnerstag hat die Krankenschwester Barbara Rosołowska im westpolnischen Gorzow ihren Arbeitsprozess. Sie kämpft für einen regulären Arbeitsvertrag mit vollen Arbeitnehmerrechten. Auch Unterstützer aus Deutschland werden vor Gericht anwesend sein. Sie wollen der klagenden Krankenschwester damit den Rücken stärken. Norbert Kollenda, Gründer der Initiative zur transnationalen Prozessbegleitung, hat vor einigen Wochen einen Aufruf in verschiedenen sozialen Netzwerken lanciert. »Wer kommt am 24.11. mit auf die andere Oderseite?« lautete seine Frage. Norbert Kollenda ist bei Attac aktiv, wo er seit mehreren Jahren Kontakte zu sozialen Bewegungen in Polen geknüpft hat. Die daraus entstandenen Bekanntschaften auch zu aktiven polnischen Gewerkschaftern nutzt er für den Ausbau der grenzenübergreifenden Kooperation und Solidarität.
Barbara Rosołowska wird in ihrem Arbeitskampf von der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft Arbeiterinitiative (IP) unterstützt. Auch für ihre KollegInnen ist der Prozess von großem Interesse. Viele der Soloselbständigen müssen in Schichten bis zu 12 Stunden täglich arbeiten und verdienen monatlich 500 bis 800 Euro. Die Auseinandersetzung um die Arbeiterrechte und die Ausstattung der Kliniken dauert bereits mehrere Jahre an. »Es gibt keine einheitlichen Löhne. Fast jede Klinik verhandelt selbst und die verschiedenen Gewerkschaften sind sich über ihre Strategie uneins« beschreibt Kollenda die schwierige arbeitsrechtliche Situation für die Beschäftigten. Die Abwanderung ist daher groß. »Da warten vor den Türen Vermittler aus Westeuropa auf die Absolventen der Pflegeschulen und zwei Drittel der 5000 Studierenden nehmen den Beruf in Polen nicht auf«, berichtet der Attac-Aktivist.
Die Klinik in Kostrzyń an der Oder, in der Rosołowska beschäftigt ist, wurde vor einigen Jahren privatisiert, erklärt Kollenda die Vorgeschichte der juristischen Auseinandersetzung. Damals seien viele Beschäftigte entlassen worden. Diese hätten sieben Jahre auf die ausstehenden Löhne gewartet. Viele Protestaktionen seien durchgeführt worden an denen sich auch Attac-Mitglieder aus Berlin und Umgebung beteiligten. Die polnischen GewerkschafterInnen sehen in der internationalen Beobachtung durch Aktivisten den Grund, warum den Beschäftigten vor sechs Monaten schließlich die ausstehenden Löhne gezahlt wurden. »Ich habe selbst erlebt, dass ausländische Beobachter immer Beachtung der polnischen Medien finden«, begründet Kollenda seine Initiative einer grenzübergreifenden Prozessbeobachtung.
Es ist nicht die einzige transnationale Unterstützung für mehr Arbeiterrechte zwischen Deutschland und Polen. Seit zwei Jahren unterstützt das Amazon-Solidaritätswerk, das Beschäftigte im Arbeitskampf unterstützen will, auch Kolleginnen und Kollegen vom Amazon-Standort Poznan.
An einem Gericht in der polnischen Stadt Gorzów findet demnächst ein Prozess statt, der für die Arbeitsverhältnisse im gesamten Gesundheitswesen des Landes von Bedeutung ist. Norbert Kollenda war bei Attac für die Kontakte zu den sozialen Bewegungen in Polen zuständig und beteiligt sich an der Kooperation von Basisgewerkschaften.
Sie rufen zur solidarischen Begleitung des Arbeitsgerichtsprozesses von am 24. November auf. Um was geht es?
Barbara Rosołowska will erreichen, dass die Klinik die Form ihrer Anstellung von einem Vertrag als Selbständige zu einem regulären Arbeitsvertrag ändert. Weil ihre bisherigen Bemühungen nicht fruchteten, hat sie sich an das Arbeitsgericht gewandt. Hier geht es darum zu zeigen, dass sie nicht die einzige ist, die als Scheinselbständige arbeitet und die gleiche Arbeit verrichtet wie die anderen. Eine Zeugin wurde von der Richterin gefragt, warum sie denn diese Anstellung gewählt habe, wenn sie der Meinung sei, dass dies ungünstig sei. Daraufhin sagte die Zeugin unter Tränen: »Was hätte ich denn machen sollen? Nach 23 Jahren wurde ich entlassen und das war die einzige Bedingung, unter der ich eingestellt wurde!« Die Richterin erwiderte darauf: »Sie sind hier vor Gericht, halten sie ihre Emotionen im Zaum!«
Sind das Einzelfälle oder ist das Alltag in polnischen Kliniken?
Es scheint so zu sein, dass die Kliniken mit der Scheinselbständigkeit den großen Mangel an Beschäftigten ausgleichen wollen. Denn in vergleichbaren Fällen können diese bis zu 300 oder sogar 350 Stunden im Monat arbeiten. Es gibt Schwestern und Hebammen, die Zwölf-Stunden-Schichten schieben und kaum einmal frei machen. Damit gefährden sie nicht nur ihre Gesundheit.
Rosołowska gehört zur anarchosyndikalistischen »Arbeiterinitiative«. Wird sie auch von anderen Gewerkschaften unterstützt?
An der Basis gibt es auch aus den anderen Gewerkschaften Unterstützung. Bei der Verhandlung am 24. November wird als Zeuge der Vorsitzende der Gewerkschaftsgruppe von Solidarność in der Klinik vernommen. Wir können gespannt sein, was er zu den Arbeitsbedingungen zu sagen hat.
Vor einigen Jahren haben in Warschau Krankenschwestern gestreikt. Gibt es im polnischen Care-Sektor gewerkschaftlichen Widerstand?
Leider ist die Gründung einer einheitlichen Gewerkschaft für die Beschäftigten im Gesundheitswesen in Polen bisher gescheitert. Die größte ist die Gewerkschaft der Krankenschwestern und Hebammen, die dem Dachverband »Forum der Gewerkschaften« angehört. Sie hatten eine äußerst aktive Vorsitzende, die zusammen mit der Gewerkschaft »Sierpień 80« ein europäisches Netzwerk aufbauen wollte. Aber sie wurde nicht wiedergewählt.
Zahlreiche Care-Beschäftigte aus Polen arbeiten in Deutschland. Welche Auswirkungen hat das auf das Gesundheitswesen in Polen?
Barbara Rosołowska verdient mit ihren 14 Diensten á zwölf Stunden brutto 4 200 Zloty, es bleiben netto 2 000 Zloty, das sind ungefähr 500 Euro. Nach Gorzów hat sie in nur unregelmäßigen Abständen eine Verbindung mit dem Zug. Stündlich fährt ein Zug nach Berlin, wo sie mindestens das Dreifache verdienen würde. Aber als aktive Gewerkschafterin denkt sie nicht nur an sich. In Deutschland kommen etwas mehr als elf und in Polen vier Krankenpfleger auf 1 000 Einwohner. Es fehlen 100 000 Pflegekräfte und von den 250 000 Beschäftigten sind zwei Drittel zwischen 40 und 60 Jahre alt. Das ist schon lange bekannt, aber bisher hat keine Regierung etwas unternommen. Es gibt keine einheitlichen Löhne, fast jede Klinik verhandelt über die Tarife selbst. Vermittler aus Westeuropa warten schon auf die jährlich 5 000 Absolventen der Krankenpflegeschulen, von denen zwei Drittel den Beruf nicht in Polen aufnehmen.
Wer kommt am 24. 11. mit auf die andere Oderseite?
Klage für eine Festeinstellung
Die Kliniken in Polen haben eine Form gefunden, um dem Mangel am mittleren medizinischen Personal Herr zu werden. Zunehmend werden die Kräfte auf zivilrechtlicher Basis – also Scheinselbstständige – eingestellt, denn sie dürfen sogar bis zu 350 Stunden im Monat arbeiten. Bei der Arbeitslosigkeit in vielen Gegenden sind die Frauen dankbar, haben doch oft die Männer keine Arbeit. Und die Kolleginnen und Patienten haben es mit Gestressten zu tun.
Dies hat auch Barbara Rosolowska von der Gewerkschaft „Arbeiter Initiative“ erfahren müssen. Bis 2007 hat sie in der Klinik in Kostrzyn (Küstrin auf der polnischen Oderseite) gearbeitet, aber dann kam der Gerichtsvollzieher wegen der enormen Schulden der Klinik und sperrte die Konten. Worauf Löhne nicht ausgezahlt wurden – die Klinik wurde privatisiert auch Barbara wurde entlassen – erst nach vielen Aktionen und Protesten nach 7 Jahren gab es die ausstehenden Löhne. Nun ist Barbara der Meinung es wäre uns zu verdanken, dass sie ihr Geld endlich bekommen hätten. Die Bürgermeisterin wurde nämlich bei einem Treffen mit KollegenInnen im Brandenburgischen danach gefragt, worauf sie wütend nach Warschau um das Geld gefahren sei. Wir hatten bei einer Kundgebung teilgenommen und ich hatte darüber berichtet. Wenn es denn so gewesen ist…
Nach zwei Jahren ließ sie sich darauf ein im Regionalkrankenhaus als Scheinselbstständige zu arbeiten – arbeitslos wollte sie nicht bleiben. Bei ihren 14 Diensten zu 12 Stunden im Monat bleiben ihr bei 4200 Brutto 2000 Zloty – ca. 500 Euro.
Sie hätte es sich auch einfach machen können. Von Kostrzyn an der Oder fahren unregelmäßig Züge nach Gorzow, um in die Klinik zu kommen, aber stündlich fahren Züge nach Berlin, die Fahrzeit ist zwar doppelt solang, aber sicherlich hätte sie dort den dreifachen Lohn!
Jedoch als Mitglied der Basisgewerkschaft Arbeiter Initiative will sie auch ein Zeichen setzen und die Kolleginnen und Kollegen dazu anregen auch gegen diese Scheinselbstständigkeit vorzugehen. Sie reichte Klage gegen ihren Arbeitgeber ein um eine Festeinstellung nach dem Arbeitskodex zu erreichen.
Die nächste Verhandlung ist in Gorzow WLKP am
24. November um 12.30 Uhr
Es wäre schön, wenn ich nicht allein fahren müsste, ausländische Gäste machen immer Eindruck und kommen eher in die Medien!
Züge fahren von Lichtenberg ab 09.37 Uhr mit Anschluss in Kostrzyn (Küstrin) an 11.42 in Gorzow – Fahrpreis 24,60 € Tageskarte, 8,20 € Anschluss-Tageskarte für Inhaber von 65+u.ä.
Wer mitfahren will kann sich gern mit mir in Verbindung setzen, da würde ich noch ein Gespräch mit Barbara Rosolowska und ihrem Anwalt organisieren
Ende März traten erneut Beschäftigte in mehreren deutschen Amazon-Standorten in den Ausstand. Hauptforderung ist die Bezahlung nach dem Flächentarif für den Einzelhandel. Doch der Amazon-Konzern bleibt bei seiner bekannten Linie und lehnt die Forderungen ab. Für das Management ist es eine Machtfrage, die Forderungen der Beschäftigten abzuwehren. In der Dienstleistungsgewerkschaft gab es bereits im letzten Jahr Überlegungen, den Kampf bei Amazon auslaufen zu lassen. Doch längst ist der Kampf bei Amazon über eine Auseinandersetzung zwischen Konzern und Verdi hinausgewachsen.
Solidarität an der Basis
Beschäftigte, die sich in den Streikauseinandersetzungen politisiert haben, sind in den Standorten ein wichtiger Faktor an der Basis. Seit mehr als zwei Jahren hat sich zudem eine außerbetriebliche Amazon-Streiksolidarität gegründet, die mit den Beschäftigten kooperiert. Ein weiterer zentraler Pluspunkt des Amazon-Streiks ist die transnationale Dimension. Seit mehr als einem Jahr sind im Amazon-Logistikzentrum Poznan Kolleg_innen in der anarchosyndikalistischen Workers Initiative (IP) organisiert. Gemeinsam mit den Beschäftigten organisierte sie in den letzten Monaten zwei Solidaritätsaktionen mit den Streikenden in Deutschland. Vom Verdi-Apparat gab es dabei keinerlei Unterstützung, schließlich ist die polnische Partnergewerkschaft von Verdi im Amazon-Werk in Poznan kaum vertreten. Trotzdem ist eine Kooperation der Kolleg_innen aus Deutschland und Polen gelungen. Mit Unterstützung des Solidaritätskomitees wurden die Kontakte angebahnt. „Als wir uns das erste Mal getroffen haben, merkten wir schnell, es ist die gleiche Arbeitshetze, die gleichen Methoden der Ausbeutung“, beschreibt ein Amazon-Kollege aus Bad Hersfeld die schnelle Verständigung unter den Kolleg_innen. „Als wir uns mit dem Arbeitskampf der Kolleg_innen in Deutschland solidarisieren, spielte die Frage der Gewerkschaft überhaupt keine Rolle. Wir unterstützen die streikenden Kolleg_innen“, erklärte auch eine Amazon-Beschäftige aus Poznan. Mittlerweile hat es mehrere Treffen gegeben, bei denen aktive Kolleg_innen aus beiden Ländern sich austauschten und auch überlegten, den Arbeitskampf über die Landesgrenzen auszuweiten.
Probleme benennen
Die IP hat dabei in einer Erklärung einige Aspekte, die für die Ausweitung des Arbeitskampfes von Bedeutung sind, benannt und dabei die Probleme nicht verschwiegen. So wird das Amazon-Modell des Heuern und Feuern als hinderlich für eine Organisierung benannt.
Die Spaltung in Fest- und Zeitarbeit schwächt die Arbeiter_innen deutlich. Sie erhöht den Druck auf alle, auch auf die Festangestellten, und beschränkt die Möglichkeiten zur Selbstorganisierung. Amazon stellt zu besonderen Stoßzeiten, beispielsweise vor den Weihnachts- oder Osterfeiertagen, viele Mitarbeiter_innen ein, die danach entlassen werden. Die Arbeiter_innen leben in täglicher Angst, ihre Einkommensquelle zu verlieren oder sogar abgeschoben zu werden. Die IP hat eine Kampagne gegen die Leiharbeit gestartet, um auch die Kurzzeitbeschäftigten mit einzubeziehen. Am 1. März 2016 hat sie anlässlich des europäischen Aktionstages gegen Grenzregime und prekäre Arbeit vor mehreren Zeitarbeitsfirmen in Polen Kundgebungen organisiert. Wie in den Wochen zuvor, nahmen an den Protesten neben Beschäftigten Unterstützer_innengruppen teil. Die IP hat in ihrer Erklärung alles Nötige gesagt: „Wir sollten von dem ausgehen, was uns verbindet, und so lernen, wie wir uns gemeinsam organisieren und für höhere Löhne und angemessene Arbeitsbedingungen ohne prekäre Verträge kämpfen können. Nur wenn wir zusammenhalten, können wir bekommen, was wir alle wollen: den ganzen Kuchen statt ein paar Krümel vom Tisch unserer Herren.“
Peter NowakDer Autor ist freier Journalist (peter-nowak-journalist.de) und Herausgeber des Buches „Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht“
Zum transnationalen Streiktag am 1.März gab es Aktionen in mehreren europäischen Ländern.
«Take a Walk on the Workerside» lautete das Motto eines Spaziergangs durch die prekäre Arbeitswelt in Berlin am 1.März. Organisiert wurde er von den «Migrant Strikers», einer Gruppe von italienischen Arbeitsmigranten in Berlin, den «Oficina Precaria», in der sich Kolleginnen und Kollegen aus Spanien koordinieren, und der Berliner Blockupy-Plattform, die in den letzten Jahren die Proteste gegen die Europäische Zentralbank (EZB) und die Eurokrise koordinierte.
Der Aktionstag am 1.März wurde von europäischen Basisgewerkschaften und linken Gruppen bei einem Treffen Mitte Oktober 2015 in Poznan beschlossen, bei dem über transnationale Kooperation im Arbeitskampf beraten wurde (siehe SoZ 12/2015).
Der Schwerpunkt der Aktionen lag in Spanien, Italien und Polen. Die polnische anarchosyndikalistische Arbeiterinitiative IP organisierte in mehreren Städten Kundgebungen gegen Zeitarbeitsfirmen, auf denen die dort praktizierten prekären Arbeitsbedingungen angeprangert wurden. «Wir fordern die gleichen Löhne, die gleichen Rechte und die gleichen Verträge für alle. Ob wir das durchsetzen können, hängt nicht nur von den Managern ab. Wenn wir zusammen agieren, können wir ein Wort bei der Organisation unserer Arbeit mitreden», hieß es im Aufruf der IP. Dort wurde auch auf den Kampf bei Amazon Bezug genommen und eine transnationale Perspektive gefordert. Die IP hat im Amazon-Werk in Poznan zahlreiche Beschäftigte organisiert.
In Deutschland gab es am 1.März nur in wenigen Städten Aktionen. In Dresden organisierte die FAU eine Diskussionsrunde zum Thema «Verteidigung des politischen Streiks» auf einem öffentlichen Platz. In Berlin war der Spaziergang durch die prekäre Arbeitswelt die zentrale Aktion. Startpunkt war die Mall of Berlin, die zum Symbol von Ausbeutung migrantischer Arbeit, aber auch des Widerstands dagegen wurde. Seit 15 Monaten kämpfen acht rumänische Bauarbeiter um den ihnen vorenthaltenen Lohn für ihre Arbeit auf der Baustelle (siehe SoZ 2/2015). Eine weitere Station war ein Gebäude der Berliner Humboldt-Universität. Dort sprach ein Mitglied einer studentischen Initiative, die sich für einen neuen Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte einsetzt, über die prekären Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb.
An dem Spaziergang beteiligten sich auch Beschäftigte des Botanischen Gartens der FU Berlin mit einem eigenen Transparent mit Verdi-Logo. Sie sorgten in den letzten Wochen für Aufmerksamkeit, weil sie gegen die Outsourcingpläne der Unileitung kämpfen. Dazu hat sich ein Solikreis gebildet, an dem Studierende verschiedener Berliner Hochschulen beteiligt sind. In den letzten Wochen organisierte Ver.di zwei Warnstreiks im Botanischen Garten.
Es wurden am 1.März also Beschäftigte mit unterschiedlicher Gewerkschaftsorganisation angesprochen, die sich gerade in Auseinandersetzungen um Arbeitsbedingungen oder Löhne befinden. In Berlin will das kleine Vorbereitungsteam weiterarbeiten. Die nächste Aktion ist am 1.Mai geplant.
„Invisible Care Work“ und „Migrants without Labour Rights“ ist auf den bunten Schirmen zu lesen, die Lucia aufgespannt hat. Sie gehört zu den „Migrant Strikers“, einer Gruppe von italienischen ArbeitsmigrantInnen in Berlin, die am 1. März, einen Internationalen Aktionstag gegen Grenzregieme und Prekarisierung einen Spaziergang durch das Berlin der migrantischen Arbeit organisierte.
Beschlossen wurde die diesjährige Aktion auf einer Konferenz, die unter dem Motto „Dem transnationalen Streik entgegen“, im Oktober 2015 im polnischen Poznan stattgefunden hat. An ihr haben BasisgewerkschafterInnen und außerparlamentarische Linke aus verschiedenen europäischen Ländern teilgenommen (siehe Express 11/2015). Stattgefunden haben Aktionen in Österreich, Frankreich, Italien, Schweden, Großbritannien, Poleln, Schottland und Slowenien. In Deutschland beteiligten sich Gruppen in Dresden und Berlin an den Aktionstag.
In Berlin wurde er neben den Migrants Strikers auch von dem Oficina Prekaria unterstützt, in dem spanische MigrantInnen organisiert sind. Auch polnische Gruppen und die Blockupy-Plattform waren an der Vorbereitung beteiligt. Ca. 100 Menschen haben sich am Potsdamer Platz eingefunden, darunter auch eine Sambagruppe, die musikalisch für Stimmung sorgt. Einige AktivistInnen mit Clownsmasken fragen PassantInnen nach ihren Arbeitsbedingungen. Die meisten schweigen. Vor dem Eingang der Mall of Berlin wird in einem Beitrag der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) an die acht rumänischen Bauarbeiter erinnert, die nun seit mehr als 15 Monaten um den ihnen vorenthaltenen Lohn kämpfen. Trotz zahlreicher Protestveranstaltungen, juristischer Klagen und gewonnener Prozesse haben sie bis heute kein Geld erhalten. Denn das juristische Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Zudem hat eines der beteiligten Subunternehmen Metatec mittlerweile Insolvenz angemeldet. „Was in der letzten Zeit fehlt, ist eine kritische Öffentlichkeit, die solange vor dem Eingang der Mall of Berlin protestiert, bis die Kollegen ihren Lohn bekommen haben“, erläutern die KollegInnen der FAU.
An der zweiten Station vor einem Gebäude der HistorikerInnenfakultät der Humboldt-Universität sprechen KommilitonInnen über prekäre Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb. Sie sind Teil einer von verdi und GEW unterstützten Initiative, die eine Kampange für einen neuen einen Tarifvertrag für die ca.6.000 studentisch Beschäftigen an allen Berliner Hochschulen fordern. Der aktuelle Tarifvertrag ist seit mehr als 10 Jahren nicht mehr verändert worden. Seit 2001 gab es keine Lohnerhöhung mehr. Vor dem Jobcenter in der Charlottenstraße sprechen dann VertreterInnen der Erwerbsloseninitiative „Basta“ über Widerstand gegen Sanktionen und Schikanen. Auf dem Weg nach Kreuzberg wird in Kurzbeiträgen an die Beschäftigten in den zahlreichen Restaurants erinnert: „Die Gastronomiebranche ist ein zentraler Motor der prekären migrantischen Arbeit in Berlin“, meint Nicola von den Migrant Strikers. Pablo vom „Oficina Precaria Berlin“, in dem sich ArbeitsmigrantInnen aus Spanien koordinieren, zeigt sich mit dem Ablauf des Spaziergangs zufrieden. „Wir hatten nur einen knappen Monat Vorbereitungszeit und haben unterschiedliche Gruppen prekär beschäftigter KollegInnen erreicht“. Dazu gehören auch die Beschäftigten des Botanischen Gartens an der FU Berlin. Sie wehren sich gegen Outsourcing und haben mit einen Banner der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di an dem Spaziergang teilgenommen. Erwin von der Berliner Blockupy-Plattform, die in den letzten Jahren Krisenproteste organisiert hat, will aber erst von einem Erfolg sprechen, wenn „der Kampf gegen prekarisierte migrantische Arbeit auch über den 1. März hinaus fortgesetzt wird“.
Kampf um das Streikrecht und gegen Leiharbeitsfirmen
In Dresden organisierte die FAU am 1. März eine zentrale Diskussionsrunde zum Thema: Politischer Streik. Dabei ging es um Möglichkeiten der Verteidigung und Ausweitung des Streikrechts, das derzeit in verschiedenen europäischen Ländern eingeschränkt wird.
Größere Aktionen gingen am gleichen Tag von der anarchosyndikalistischen Arbeiterinitiative IP in Polen. In mehreren polnischen Städten prangerte sie vor Zeitarbeitsfirmen die dort üblichen prekären Arbeitsbedingungen an. „Wir fordern gleiche Löhne, gleiche Rechte und gleiche Verträge für alle. Ob wir das durchsetzen können, hängt nicht nur von den Managern ab. Wenn wir zusammen agieren, können wir ein Wort bei der Organisation unserer Arbeit mitreden“, heißt es in einem Aufruf der IP zum 1. März. Tatsächlich stellt die transnationale Initiative, die den Kampf gegen das europäische Grenzregime mit dem Kampf gegen Austerität und Prekarität verbindet und dabei das Korsett der Landesgrenzen überwindet, einen Ansatz dar, der ausgewertet und ausgebaut werden sollte.
express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
Prekär Beschäftigte und Migranten sollen für einen Tag in ganz Europa streiken – noch bleibt es beim Appell
Sie sind rechtlos und unsichtbar: Arbeitsmigranten, die überall in Europa unter miesen Bedingungen schaffen. Linke Aktivisten wollen sie unterstützen und werben für einen 2transnationalen sozialen Streik.
Gegen das europäische Grenzregime und prekäre Arbeitsverhältnisse sind am 1. März in zahlreichen europäischen Ländern Kundgebungen und Demonstrationen, aber auch Diskussions- und Filmveranstaltungen geplant. Zu Arbeitsniederlegungen dürfte es aber kaum kommen, obwohl der Aktionstag als »europäischer MigrantInnenstreik« beworben. »Wir wollen über das Konzept des sozialen Streiks reden, das vor allem für Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen interessant ist, die nicht einfach die Arbeit niederlegen können«, erläutert Luca von der Gruppe »Migrant Strikers«, in der sich in Berlin lebende Arbeitsmigranten aus Italien koordinieren, das Motto gegenüber »nd«. Sie wollen an Aktionen in ihrer Heimat anknüpfen, wo vor sechs Jahren der 1. März zum ersten Mal unter dem Motto »24 Stunden ohne uns« stand.
Bei einem sozialen Streik sollen Erwerbslose, Mieter, aber auch Verbraucher in Arbeitskämpfe einbezogen werden. Das soll den Druck erhöhen, den Beschäftigte im prekären Sektor allein in der Regel nicht haben. Die Aktionen wollten auf die große Bedeutung von Arbeitsmigranten aufmerksam machen, die besonders diskriminiert sind und von großen Gewerkschaften weitgehend ignoriert werden.
Beschlossen wurde der Aktionstag bei einem Treffen im polnischen Poznan im Oktober 2015, an dem Basisgewerkschaften und Gruppen der außerparlamentarischen Linken aus mehreren europäischen Ländern teilgenommen hatten. Aus Deutschland waren Aktivisten des Blockupy-Bündnisses vertreten.
Der Aktionstag am 1. März ist die erste gemeinsame Aktion in Europa. In Polen ruft die Basisgewerkschaft Inicjatywa Pracownicza (IP) dazu auf, vor Leiharbeitsfirmen gegen die prekären Arbeitsbedingungen zu protestieren. Weitere Aktionen sind in Italien, Holland, Italien, Spanien, Österreich und Frankreich geplant. Damit ist die Zahl der beteiligten Länder größer als vor sechs Jahren. Zudem sind die Aufrufe kämpferischer: Ging es 2010 vor allem um Lobbyarbeit für migrantische Beschäftigte, stehen in diesen Jahr der Widerstand gegen das Grenzregime und die Organisierung der Beschäftigten in prekären Arbeitsverhältnissen im Mittelpunkt. »Wir sehen es schon als Erfolg, dass es uns gelungen ist, in mehreren europäischen Ländern Aktionen zu initiieren«, erklärte Luca für den Vorbereitungskreis in Berlin. Schließlich seien die beteiligten Gruppen klein und hätten keine Parteien und Gewerkschaftsapparate im Rücken.
Am 1. März ist ein »Spaziergang« durch das Berlin der prekären migrantischen Arbeit geplant, der am Nachmittag an der »Mall of Berlin« beginnen soll. Das Einkaufszentrum ist zum Symbol für die Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte geworden – aber auch für Widerstand. Seit mehr als einem Jahr kämpfen rumänische Bauarbeiter vor Gericht und mit politischen Aktionen um den Lohn, der ihnen vorenthalten wird. Der »Spaziergang« soll weiter an Jobcentern, einer Leiharbeitsfirma und Gastronomieeinrichtungen vorbei führen. Ähnliches ist in Frankfurt am Main und Hamburg geplant.
Das Bündnis sucht auch Kontakt zum DGB. »Von uns werden sicherlich Kollegen am 1. März dabei sein«, sagt der Koordinator des Projekts »Faire Mobilität« beim DGB, Dominique John, gegenüber »nd«. Schließlich habe man bereits mit einigen beteiligten Gruppen bei Aktionen gegen Lohndumping in der Baubranche und im Schlachtergewerbe gut kooperiert. Die Selbstorganisation spanischer und italienischer Arbeitsmigranten in Deutschland sieht John als »ermutigende Entwicklung«.
Peter Nowak über ein Treffen der Amazon-Solidaritätsgruppen
Das osthessische Städtchen Bad Hersfeld nicht nur für FreundInnen der Theaterfestspiele an der Stiftsruine eine Reise Wert. Auch politische AktivistInnen steigen dort schon einmal ab. Dafür sorgt das Amazon-Werk am Rande der Stadt, dessen Ansiedlung von der örtlichen Politik wegen der Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region vehement begrüßt worden war. Wenn in der letzten Zeit bei Amazon für die Einführung eines Tarifvertrags gestreikt wurde, waren die KollegInnen vom Standort Bad Hersfeld immer mit dabei.
Am letzten November-Wochenende war nun Bad Hersfeld der Ort, in dem sich die Amazon-Streiksolidaritätsgruppen zu einem bundesweiten Seminar im Tagungshaus der Falken gleich neben der Stiftsruine trafen. Ca. 20 solidarische UnterstützerInnen aus Berlin, Hamburg, Frankfurt/Main, Leipzig und Kassel waren anwesend. AktivistInnen es Netzwerkes Soziale Arbeit aus Frankfurt/Main berichteten über Erfahrungen in den betrieblichen Auseinandersetzungen und Arbeitskämpfen des Caresektors.
Amazon-Beschäftige kamen aus den Werken Brieselang, Leipzig und Bad Hersfeld. Durch die Wahl des Ortes war so gewährleistet, dass die KollegInnen besser einbezogen wurden als bei den vorherigen Treffen in Leipzig und Frankfurt/Main.
Solidaritätsstrukturen sind keine Ersatzgewerkschaft
Ausführlich wurde über das Verhältnis der Solidaritätsstrukturen zu den Gewerkschaften diskutiert. Dabei gab es auch von einigen aktiven KollegInnen viel Kritik an ver.di, wenn es um konkretes Agieren während des Arbeitskampfes geht. Konsens war aber auch, dass die Solidaritätsstrukturen weder alternative Gewerkschaften noch als „unbezahlte OrganizerInnen für ver.di tätig sein sollen, wie es ein Seminarteilnehmer ausdrückte. Als gute Beispiele für eine eigenständige Rolle der Solidaritätsstrukturen wurden die Kontakte zu der italienischen Basisgewerkschaft SI Cobas oder der polnischen Inicjatywa Pracownicza (IP) genannt. Beide Gewerkschaften gehören nicht zu den gesellschaftlichen BündnispartnerInnen von Ver.di, sind aber in ihren Ländern sehr Logistiksektor aktiv. Die IP hat in den letzten Monaten bei Amazon-Poznań KollegInnen organisiert und auch schon Solidaritätsaktionen mit den Streik in den bei deutschen Amazon-Werken durchgeführt. Aus den heraus entstanden Kontakte zu Bündnissen der außerparlamentarischen Linken, die z.Beispie im Rahmen der Blockupy-Aktionstage zu gemeinsamen Aktivitäten führten.
.
Geflüchtete als KollegInnen?
Ein weiterer Diskussionspunkt in Bad Hersfeld war der Umgang mit migrantischen Beschäftigten. Das Thema war kurzfristig aufgenommen wurden, nachdem bekannt wurde, dass zum 1. Dezember bei Amazon Bad Hersfeld und Leipzig Geflüchtete im Weihnachtsgeschäft eingesetzt wurden. In Bad Hersfeld werden jeden Tag 40 Geflüchtete mit Bussen zum Werk gefahren. Mehrere Beschäftigte berichteten, dass in der letzten Zeit in der Umgebung des Werks vermehrt Hakenkreuzschmierereien aufgetaucht seien. Die Diskussionen unter den KollegInnen bewegen sich „auf schlimmsten Pegida-Niveau“ , erklärte ein Beschäftigter aus Bad Hersfeld. Auch KollegInnen, die sich aktiv an den letzten Streiks beteiligt hätten, würden teilweise die MigrantInnen nicht als gleichwertige KollegInnen betrachten. Ver.di würde sich überhaupt nicht dazu äußern, so die Kritik. Die anwesenden KollegInnen erklärten allerdings auch, es sei schwierig, mit den Geflüchteten in Kontakt zu treten, weil sie mit Bussen zum Werk gebracht und wieder abgeholt werden. Sie berichteten allerdings über vereinzelte Kontaktmöglichkeiten. So hätten zwei der neuen KollegInnen den Bus verpasst und wussten nicht, wie sie zu ihrer Unterkunft kommen sollen. Dabei sei ein Kollege eingesprungen. Auch bei der Arbeit gäbe es Kontaktmöglichkeiten, die aber bisher nur wenig genutzt würden. Über die Perspektive eines gemeinsamen Kampfes von alten und neuen KollegInnen gab es unter den anwesenden KollegInnen Differenzen. Manche hielten das für ausgeschlossen und sprachen von „einen Kampf gegen Windmühlen“. Andere sahen eine solche Kooperation nicht so pessimistisch.
KonsumentInnen solidarisieren sich
Auf dem Sonntag wurde ein Aufruf zum KonsumentInnenstreik verabschiedet. In einen Flugblatt werden vier Schritte aufgelistet, die dabei beachtet werden müssen. Zunächst muss bei Amazon eine Ware für mindestens 40 Euro bestellt werden. Anschließend sollen die kritischen KundInnen von der großzügigen Umtauschregelung Gebrauch machen, die für diese Einkäufe gelten. Innerhalb von zeri Wochen nach Empfang können die Waren zurück geschickt werden: ab 40 Euro fallen dafür keine Versandkosten an. Auf dem Retourpaket können z.B. Grußbotschaften oder Aufkleber angebracht werden, die sich mit den streikenden Beschäftigten solidarisch erklären und die Forderungen nach Kunden einem Tarifvertrag unterstützen. Das Streiksolibündnis ruft auch dazu auf, dass Fotos davon zu senden, die dann auf Facebook veröffentlicht werden sollen. Die InitiatorInnen betonen, dass es dabei nicht um einen Boykottaufruf gegen Amazon handelt. „Beschäftigte haben uns gesagt, wenn das Wort Boykott auftaucht, würden sich viele Beschäftigte persönlich angegriffen fühlen. Damit könnte das Amazon-Management einen Teil der Belegschaft gegen die Streikenden aufhetzen“, begründete ein Mitarbeiter der Leipziger Solidaritätsgruppe den ausdrücklichen Hinweis, dass sie nicht zum Boykott aufrufen.
Eine kritische Konsumentenaktion hingegen könnte ein Signal sein, dass die Forderungen nach einem Tarifvertrag gesellschaftliche Unterstützung findet. Bereits bei den beiden letzen beiden Arbeitskämpfen im Einzelhandel haben sich kritische KundInnen mit den Streikenden solidarisiert. Dabei wurde im Juni 2008 für mehrere Stunden ein Discounter in Berlin blockiert. Als 2012 die schlechten Arbeitsbedingungen beim Internetschuhversand Zalando bekannt wurden, schnellten dort die Retoursendungen ebenfalls in die Höhe. In machen Paketen lagen Grüße an die Beschäftigten. Zalando ist direkter Nachbar von Amazon und Brieslang. Seit einiger Zeit versucht die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in beiden Unternehmen Mitglieder zu gewinnen.
express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
Bereits Mitte September hatten sich rund 30 Amazon-Beschäftigte zu einem grenzüberschreitenden Austausch in Poznan, Sitz eines neueröffneten Amazon-Lagers in Polen getroffen, um über Auswege aus der verfahrenen Situation im Kampf um Handels–Tarife für die Beschäftigten des Logistikriesen zu beraten. Am ersten Oktotober-Wochenende fand dort ein weiteres Treffen statt, das aus dem Blockupy-Arbeitskreis zum Thema „transnationale Streiks“ heraus entstanden war. Das sieht nach Aktivität aus – selbst von Poznan nach Poznan scheint es allerdings ein weiter Weg, wenn noch nicht einmal vor Ort Begegnungen stattfinden und die Vernetzung schon an Grundsatzfragen wie „Was ist und wozu dient gewerkschaftliche Organisierung?“ scheitert. Paralell zu den im Folgenden beschriebenen Treffen fand ebenfalls am 3.4.Oktober auf Initiative von RLS/Die Linke ein Treffen zum Thema „Solidarität über Grenzen hinweg“ in Berlin statt, auf dem VertreterInnen von Amazon-Belegschaften aus Spanien, Frankreich und Polen zusammen mit rund 50 deutschen Amazon-KollegInnen über gemeinsame Strategien diskutierten. Schade eigentlich….
Die westpolnische Stadt Poznan hat sich in der letzten Zeit zu einem Ort des Aktivismus in Sachen Arbeitskampf und soziale Bewegungen entwickelt. . Mitte September hatten sich ca. 30 Amazon-Beschäftigte vor allem aus Polen und Deutschland in Poznan über die bessere Koordinierung transnationaler Arbeitskampfstrategien ausgetauscht. Eingeladen wurden sie von der anarchosyndikalistischen polnischen Gewerkschaft Inicjatywa Pracownicza (IP, Arbeiterinitiative). Ihr ist es in wenigen Monaten gelungen, KollegInnen im Amazon-Werk in Poznan zu organisieren, das im Winter 2014 von dem Amazon-Management auch mit dem Ziel errichtet wurde, eine Alternative zu haben, wenn in Deutschland gestreikt wird. Doch die Spaltungsversuche sind bisher nicht aufgegangen. Im Juni 2015 hatte die IP erstmals eine Solidaritätsaktion mit den streikenden Amazon-Beschäftigten in Deutschland organisiert. Als das Management durch den ver.di-Streik bedingte Ausfälle im Werk von Poznan ausgleichen wollte, traten hunderte Beschäftigte in einen mehrstündigen Bummelstreik.
Genau diese Amazon-Beschäftigen beim transnationalen Strike-Meeting kaum vertreten, das am ersten Oktoberwochenende ebenfalls in Poznan stattfand. „Block Austerity“ stand auf dem Transparent im großen Saal des Stadtteilzentrums Amarant, in dem die ca. 150 TeilnehmerInnen aus ganz Europa tagten. Zu den MitorganisatorInnen gehörten Initiativen wie die Angry Workers aus Großbritannien sowie AktivistInnen sozialer Zentren Italiens. Aus Deutschland wurde vor allem von der Interventionistischen Linken und dem Blockupy-Netzwerk zur Konferenz geworben. Dominiert wurde das Treffen von Gruppen der außerparlamentarischen Linken, die sich positiv auf Arbeitskämpfe beziehen.
Mit oder ohne Gewerkschaften?
Bei den Diskussionen in den Arbeitsgruppen zeigten sich schnell die unterschiedlichen Bezüge der Konferenzbeteiligten zu Streiks und Arbeitskämpfen. So stellten Mitglieder der operaistisch orientierten Angry Workers ihre Arbeit in Warenhäusern im Londoner Osten vor. Ein Mitglied berichtete von seinem Arbeitsalltag im Betrieb. Dabei machte er seine Differenz zu gewerkschaftlichen Ansätzen deutlich. Den Angry Workers geht es darum, die Probleme der Beschäftigten und deren Umgang damit kennen zu lernen und Konflikte zuzuspitzen. Sie geben eine Zeitung heraus, in der über die Situation an verschiedenen Arbeitsstellen berichtet wird und die für Kooperation wirbt. Gewerkschaftliche Repräsentation aber lehnen die Angry Workers ab.
Heiner Köhnen vom basisgewerkschaftlichen TIE-Netzwerk orientiert sich in der Gewerkschaftsfrage an den Interessen und Wünschen der KollegInnen. In seinem Input berichtete er über Erfahrungen, die das TIE-Netzwerk bei der Stärkung basisgewerkschaftlicher Ansätze in multinationalen Konzernen gemacht hat. Zu den Grundsätzen des Netzwerkes gehört die Förderung von Selbstorganisation auch gegen die Gewerkschaftsapparate. Köhnen benannte allerdings auch die Probleme bei der Organisation, deren Ursachen nicht bei Gewerkschaftsapparaten und Parteien, sondern in der Umstrukturierung der Arbeitsprozesse liegen. Oft seien für die Kontrollen im Arbeitsprozess nicht mehr die Bosse oder irgendwelche VorarbeiterInnen, sondern scheinbar unabhängige Marktmechanismen verantwortlich. Da fehle dann der Gegner, an dem sich Konflikte entzünden und radikalisieren können. Das habe auch Einfluss auf die Haltung linker Gewerkschaftsaktivisten: „Es scheint heute attraktiv, sich als Teil eines Teams oder einer Betriebsfamilie zu verstehen. Vor diesem Druck zum Korporatismus können sich auch Kollegen nicht freimachen, die als linke Gewerkschafter genau dagegen angetreten sind.“ Mit Blick auf Brasilien berichtet Köhnen, dass aus einem kämpferischen, von mehr als 11000 Beschäftigten geführtem Streik eine korporatistische Lösung als Ergebnis herausgekommen ist. „Es wäre zu einfach, Co-Management nur als Problem der traditionalistischen Gewerkschaftspolitik zu sehen. Das Problem liegt in der Änderung der Arbeitsorganisation, wo scheinbar nur noch objektive Marktgesetze walten“, so Köhnen zu einem zentralen Problem linker Gewerkschaftspolitik.
Streik als Teil des Kampfes gegen die Austeritätspolitik
Zahlreiche KonferenzteilnehmerInnen aus Deutschland sind durch die Blockupyproteste für die Arbeitskämpfe sensibilisiert worden. „Die wesentlich von Deutschland ausgehende Austeritätspolitik kann nicht nur mit Blockaden und Großdemonstrationen bekämpft werden. Kämpfe am Arbeitsplatz ebenso wie der Widerstand gegen Zwangsräumungen und Vertreibung aus den Stadtteilen sind die wichtigen Alltagskämpfe, die Menschen politisieren und mobilisieren“, erklärte ein Berliner Blockupy-Aktivist. Am 31. Mai 2014 wurde im Rahmen der europäischen Blockupy-Aktionstage der Geschäftsbetrieb von Bekleidungsläden auf der Frankfurter Zeil für einen Tag lahmgelegt. Dabei wurden die schlechten Arbeitsbedingungen der Beschäftigten ebenso thematisiert wie die internationalen Ausbeutungsverhältnisse der Bekleidungsindustrie. An diesem Tag kooperierten die Aktivisten auch mit der Belegschaft einer Filiale, die zeitgleich für höhere Löhne streikte. Doch die Kontakte mit den Beschäftigten waren temporär. Ein längerfristiger Kontakt ist meistens nicht entstanden. Ein weiterer Versuch, Arbeitskämpfe und radikale Linke zu verbinden, wurde auf der Konferenz gar nicht mehr angesprochen: der Aufruf zur Unterstützung eines europäischen Generalstreiks, der im Jahr 2013 aus dem linksradikalen Mobilisierungsnetzwerk M31 zur Diskussion gestellt wurde. Die Initiative war unter dem Eindruck eines großen Streiks in verschiedenen südeuropäischen Ländern im November 2012 entstanden. Eine kritische Reflexion über die Gründe des Scheiterns wäre durchaus auch in Poznan sinnvoll gewesen. Dabei wäre man sicher auf Probleme gestoßen, die auch auf der Konferenz deutlich wurden.
Auf der Suche nach den sozialen Streiks
In den Diskussionen auf der Konferenz spielt die Definition des sozialen Streiks eine wichtige Rolle: Ein zentrales Merkmal ist die Selbstorganisation der Beschäftigten, die von Gewerkschaften unterstützt, aber nicht angeleitet werden sollen. Außerdem soll der soziale Streik neben dem Arbeitskampf im Betrieb auch die Auseinandersetzung um die Miete und den Wohnraum umfassen. Ein sozialer Streik ist also ein Arbeitskampf, der auf die Gesellschaft ausstrahlt. Ein gutes Beispiel gab in einem Workshop in Poznan Paul L., ein vor einigen Wochen gekündigter Mitarbeiter der Lebenshilfe Frankfurt/Main. Seit Monaten kämpfen dort Beschäftigte für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. An einer Protestkundgebung während eines Gartenfests der Lebenshilfe waren Symbole der DGB-Gewerkschaften GEW und ver.di ebenso zu sehen wie die schwarzroten Fahnen der Freien Arbeiter Union. Im Anschluss an die Protestkundgebung formierte sich eine Demonstration, die durch den Stadtteil Bornheim zog, wo auf den Zusammenhang zwischen Hartz IV, Niedriglohn, Mietschulden und Zwangsräumungen hingewiesen wurde.
Die Debatte über den transnationalen Streik, wie sie in Poznan angeschnitten wurde, ist sehr wichtig. Doch wird es eine Fortsetzung geben? Das blieb bisher offen. Dann sollte ein wesentliches Versäumnis aus Poznan nicht wiederholt werden. Auf der Konferenz wurde nicht versucht, mit Initiativen zu kooperieren, die bereits seit vielen Jahren einen transnationalen Widerstand gegen prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse zu organisieren versuchen. Dazu gehört das europäische Euromarsch-Netzwerk, das bereits seit fast 20 Jahren europaweit gegen Prekarisierung aktiv ist. Es wäre sicher interessant gewesen, sich mit VertreterInnen dieses Netzwerks über ihre Erfahrungen auszutauschen.
Viele Fragen wurden in Poznan angesprochen und kontrovers diskutiert. Dazu gehörte der Vorschlag einer Plattform mit den vier Forderungen nach einem europäischen Mindestlohn, europäischem Grundeinkommen, europäischen Sozialleistungen und einer Mindestaufenthaltserlaubnis für Geflüchtete.
Schlussendlich bleibt natürlich die Frage: Wird über transnationalen Streik nur debattiert oder wird er auch praktiziert? Einige konkrete Aktionen für länderübergreifende Arbeitskampfaktivitäten wurden in Poznan ebenfalls vorgestellt. So wird in mehreren europäischen Ländern für einen koordinierten Streik von MigrantInnen am 1. März 2016 mobilisiert. In mehreren Ländern ist der 1. März bereits seit einigen Jahren ein Aktionstag für migrantische Rechte. Österreichische Initiativen haben dazu eine informative Homepage erstellt (http://www.1maerz-streik.net/index.php). Für die länderübergreifende Amazon-Karawane steht bisher ebenso wenig ein Termin fest wie für die nächsten europaweiten Blockupy-Aktionstage.
express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
Am ersten Oktober-Wochenende hatte die anarchosyndikalistische polnische Gewerkschaft Inicjatywa Pracownicza (Arbeiterinitiative) zum transnationales Streikmeeting nach Poznan eingeladen. Zu den etwa 150 Teilnehmenden gehörten Aktivisten sozialer Zentren Italiens und die Gruppe Angry Workers aus Großbritannien. Aus Deutschland waren vor allem Vertreter der Interventionistischen Linken und des Blockupy-Netzwerk gekommen.
Bei den Diskussionen in den Arbeitsgruppen wurde deutlich, dass die Teilnehmenden vor allem in der Gewerkschaftsfrage Differenzen haben. Mitglieder der Angry Workers stellten ihre Arbeit in Warenhäusern im Londoner Osten vor. Ihnen gehe es darum, die Probleme der Beschäftigten und deren Umgang damit kennenzulernen und Konflikte zuzuspitzen. Gewerkschaftliche Vertretung aber lehnen die Angry Workers ab. Heiner Köhnen vom Netzwerk TIE dagegen orientiert sich in der Gewerkschaftsfrage an den Wünschen der Kollegen. Zu den Grundsätzen des Netzwerks gehört die Förderung von Selbstorganisation, auch gegen die Gewerkschaftsapparate. Köhnen benannte allerdings auch Organisationsprobleme, deren Ursachen nicht bei Gewerkschaftsapparaten und Parteien, sondern in der Umstrukturierung der Arbeitsprozesse liegen. Oft seien für die Kontrollen im Arbeitsprozess nicht mehr die Bosse oder irgendwelche Vorarbeiter, sondern scheinbar unabhängige Marktmechanismen verantwortlich. Da fehle dann der Gegner, an dem sich Konflikte entzünden und radikalisieren könnten: «Es scheint heute attraktiv, sich als Teil eines Teams oder einer Betriebsfamilie zu verstehen. Von diesem Druck zum Korporatismus können sich auch Kollegen nicht freimachen, die als linke Gewerkschafter genau dagegen angetreten sind.»
Zahlreiche Konferenzteilnehmer aus Deutschland wurden durch die Blockupyproteste für Arbeitskämpfe sensibilisiert. «Am 31.5.2014 wurde im Rahmen der europäischen Blockupy-Aktionstage der Geschäftsbetrieb von Bekleidungsläden auf der Frankfurter Zeil für einen Tag lahmgelegt. Dabei wurden die schlechten Arbeitsbedingungen der Beschäftigten ebenso thematisiert, wie die internationalen Ausbeutungsverhältnisse der Bekleidungsindustrie. An diesen Tag kooperierten die Aktivisten auch mit der Belegschaft einer Filiale, die an diesem Tag für höhere Löhne streikte. Doch die Kontakte mit den Beschäftigten waren temporär.»
In den Diskussionen auf der Konferenz spielte die Definition des sozialen Streiks eine wichtige Rolle. Ein zentrales Merkmal wird in der Selbstorganisation der Beschäftigten gesehen, die von Gewerkschaften unterstützt, aber nicht angeleitet werden sollen. Außerdem soll der soziale Streik neben dem Arbeitskampf im Betrieb auch Auseinandersetzungen um Miete und Wohnraum umfassen. Ein sozialer Streik ist also ein Arbeitskampf, der auf die Gesellschaft ausstrahlt.
In Poznan wurde auch über künftige Aktionen gesprochen So soll für den transnationalen Migrantenstreik am 1.3.2016 mobilisiert werden. Es soll eine länderübergreifende Amazon-Karawane geben, dafür steht bisher jedoch ebensowenig ein Termin fest wie für die nächsten europaweiten Blockupy-Aktionstage. Auf einem Folgetreffen soll auch die Kooperation mit dem Euromarschnetzwerk gesucht werden, das seit 20 Jahren einen transnationalen Widerstand gegen prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse organisiert. Schade war, dass sich kaum Amazon-Beschäftigte an dem Meeting beteiligten. Dabei ist es IP in wenigen Monaten gelungen, Kollegen im Amazon-Werk in Poznan zu organisieren und eine Solidaritätsaktion mit den streikenden Kollegen in Deutschland zu organisieren (siehe SoZ 6/2015).
Im polnischen Poznań diskutierten Linke, Basisgewerkschafter und Operaisten Anfang Oktober über transnationale Streiks und gemeinsame Strategien.
»Block Austerity« steht auf dem Transparent im großen Saal des Stadtteilzentrums Amarant in der westpolnischen Stadt Poznań. Etwa 150 Menschen diskutierten hier unter dem Motto »Dem transnationalen Streik entgegen« neue Ansätze der Vernetzung. Das Ziel der Konferenz ist es, über bestehende Grenzen und Regionen hinweg den Austausch zwischen Arbeits- und sozialen Kämpfen zu vertiefen. Neben klassischen Arbeitskämpfen im Betrieb soll der soziale Streik zudem die Auseinandersetzung um Miete und Wohnraum umfassen.
Zu den Organisatoren gehörten Initiativen wie die Angry Workers aus Großbritannien und Aktivisten sozialer Zentren Italiens. In Deutschland hatten vor allem die Interventionistische Linke und das Blockupy-Netzwerk für die Teilnahme an der Konferenz geworben.
Dass Poznań in letzter Zeit in den Fokus sozialer Initiativen aus ganz Europa gerückt war, ist vor allem der Inicjatywa Pracownicza (IP, Arbeiterinitiative) zu verdanken. Die polnische anarchosyndikalistische Gewerkschaft hatte im Spätherbst vergangenen Jahres zahlreiche Beschäftigte des am Rande der Stadt eröffneten Zentrums des Internethändlers Amazon organisiert. Im Juni initiierte die IP erstmals eine gemeinsame Solidaritätsaktion mit den streikenden Amazon-Beschäftigten in Deutschland und Mitte September tauschten sich etwa 30 Amazon-Beschäftigte, vor allem aus Polen und Deutschland, in Poznań über die Koordinierung transnationaler Arbeitskampfstrategien aus. Bei vergangenen Streiks in Deutschland wurden Bestellungen häufig an polnische Versandzentren weitergeleitet.
Mitglieder der operaistischen Angry Workers berichteten von ihrer Arbeit in Warenhäusern im Londoner Osten. Im Unterschied zu gewerkschaftlichen Ansätzen geht es den Angry Workers vor allem darum, von den Problemen der Beschäftigten und ihrem Umgang damit zu erfahren und Konflikte auch zuzuspitzen. Eine gewerkschaftliche Repräsentation lehnt die Gruppe aber ab. In ihrer Zeitung Workers Wild West berichten sie regelmäßig über lokale Konflikte an Arbeitsplätzen und werben für Kooperation.
Heiner Köhnen vom deutschen Zweig des basisgewerkschaftlichen Netzwerkes TIE betont im Gespräch mit der Jungle World, man habe in den vergangenen 15 Jahren gute Erfahrungen bei der Stärkung basisgewerkschaftlicher Ansätze gerade in multinationalen Konzernen gemacht. Das weltweite Netzwerk beschäftigt sich unter anderem mit Forschung zu sozialen Bewegungen, Arbeitsorganisation und -kämpfen und bietet Schulungen für Betriebsräte an. Es orientiere sich in der Gewerkschaftsfrage an den Interessen der Beschäftigten, doch zu seinen Grundsätzen gehöre die Förderung von Selbstorganisation, auch gegen Gewerkschaftsapparate, so Köhnen.
Mit Blick auf Brasilien berichtet er, dass ein von mehr als 11 000 Beschäftigten geführter kämpferischer Streik mit einer korporatistischen Lösung beendet wurde. Comanagement sei aber nicht nur ein Problem der traditionalistischen Gewerkschaftspolitik. Probleme der Organisierung seien auch auf die Umstrukturierung der Arbeitsprozesse zurückzuführen. So seien für die Kontrolle im Arbeitsprozess oft nicht mehr Chefs oder Vorarbeiter, sondern scheinbar unabhängige Marktmechanismen verantwortlich. Da fehle der Gegner, an dem sich Konflikte entzünden und radikalisieren könnten. »Es ist attraktiv, sich als Teil eines Teams oder einer Betriebsfamilie zu verstehen. Von diesem Druck zum Korporatismus können sich auch Kollegen nicht freimachen, die als linke Gewerkschafter dagegen angetreten sind«, sagt Köhnen. Es geht um die Frage, inwieweit durch die Änderungen der Arbeitsorganisation forcierte Bedingungen dem Handeln basisorientierter und hierarchiefreier Gewerkschaften Grenzen setzen.
Zahlreiche Konferenzteilnehmer aus Deutschland sind durch die Blockupy-Proteste für Arbeitskämpfe und gewerkschaftliche Themen sensibilisiert worden. Ein Berliner Blockupy-Mitglied betont: »Die wesentlich von Deutschland ausgehende Austeritätspolitik kann nicht nur mit Blockaden und Großdemonstrationen bekämpft werden.« Politisiert und mobilisiert werden die Menschen durch »wichtige Alltagskämpfe«, wie etwa Konflikte am Arbeitsplatz und Widerstand gegen Zwangsräumungen und Vertreibung aus Stadtteilen.
Am 31. Mai vergangenen Jahres wurde im Rahmen der europäischen Blockupy-Aktionstage der Geschäftsbetrieb von Bekleidungsläden auf der Frankfurter Zeil einen Tag lang lahmgelegt, dabei wurden die schlechten Arbeitsbedingungen der Beschäftigten ebenso thematisiert wie die internationalen Ausbeutungsverhältnisse in der Bekleidungsindustrie. Damals kooperierten die Protestierenden auch mit der Belegschaft einer Filiale, die an jenem Tag für höhere Löhne streikte. Doch die Zusammenarbeit mit den Beschäftigten war zeitlich begrenzt, ein längerfristiger Kontakt entstand nicht.
Der Aufruf zum europäischen Generalstreik, der 2013 vom außerparlamentarischen M31-Netzwerk initiiert worden war, sollte genau diese Vernetzung auf transnationaler Ebene weiter vorantreiben. Die Initiative war unter dem Eindruck eines großen Streiks in verschiedenen südeuropäischen Ländern entstanden und dann wieder versandet. Das mag vor allem daran gelegen haben, dass die Kontakte zu potentiell kämpferischen Belegschaften bei den Initiatoren des Aufrufs zu wenig ausgeprägt waren.
Ein zentrales Merkmal vieler derzeitiger Kämpfe ist die Selbstorganisation der Beschäftigten, die von Gewerkschaften teilweise unterstützt, aber nicht angeleitet wird. Ein Beispiel für diese neuen Kämpfe ist der Konflikt der Beschäftigten mit der Lebenshilfe Frankfurt/Main. Seit Sommer vergangenen Jahres kämpfen sie für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen bei der Pflege und Betreuung behinderter Menschen. Vor einigen Wochen wurde Paul L., ein gewerkschaftlich aktiver Mitarbeiter, entlassen. In einer der Arbeitsgruppen berichtete er in Poznań über den Arbeitskampf bei der Lebenshilfe als Beispiel für einen sozialen Streik. Bei einer Protestkundgebung Mitte September während eines Fests der Lebenshilfe waren Symbole der DGB-Gewerkschaften GEW und Verdi ebenso vertreten wie die schwarzroten Fahnen der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU). Anschließend gab es eine Demonstration durch den Stadtteil Bornheim, wo außerdem auf den Zusammenhang von Hartz IV, Niedriglohn, Mietschulden und Zwangsräumungen hingewiesen wurde. Das Beispiel zeigt, dass in kleineren Betrieben oder Belegschaften soziale Streiks oft einfacher möglich und schneller realisierbar sind als in Großbetrieben.
Doch gerade kleinere Streiks sind schwieriger auf ein internationales Niveau zu heben. Initiativen wie das Euromarsch-Netzwerk, das bereits seit fast 20 Jahren europaweit gegen Prekarisierung aktiv ist, nehmen sich dieses Problems an.
Die Schaffung einer politischen Plattform wurde in Poznań kontrovers diskutiert. Vier Grundforderungen – nach einem europäischen Mindestlohn, einem europäischen Grundeinkommen, europäischen Sozialleistungen und einer Mindestaufenthaltserlaubnis für Geflüchtete – sind die inhaltliche Basis des Bündnisses. Konkrete Pläne gibt es bereits für einen transnationalen Migrantenstreik am 1. März 2016 und eine noch nicht länderübergreifende Amazon-Karawane, für die bisher kein Termin feststeht. Unklar sind auch noch Ort und Datum der nächsten europaweiten Blockupy-Aktionstage.