Angriffe auf Bürgergeldbezieher von SPD bis AfD: Gemeint sind alle Lohnabhängigen. Warum das so ist – und was die Antwort sein sollte. Ein Kommentar.

Vorstoß für Bürgergeld-Streichung: Dauerkampagne gegen arme Menschen

Es wäre also eine neue Kampagne nötig, die sich der langfristigen Aufgabe stellt, das Sanktionsregime zu Fall zu bringen. Mit diesem Selbstbewusstsein, könnte man auch Bündnispartner gewinnen. Dabei sollte man auch den Zusammenhang mit der massiven Militarisierung Deutschlands herstellen. Ein Land, das nach den Erklärungen von Bundesverteidigungsministers wieder kriegsfähig werden will und sich seine Einflusszone in der Ukraine etwas kosten lässt, bezweckt mit den Krieg gegen die Armen zweierlei: Mehr Gelder fließen in die Rüstung, die Rüstungskonzerne steigern ihre Gewinne, aber die Armen müssen den Gürtel enger schnallen

Die „sozialen Hängematten“ wurden in den letzten Tagen politisch und medial wieder eifrig bemüht. Dort sollen sich nicht etwa steuervermeidende Konzerne tummeln, sondern Bürgergeldbezieher, die nicht jede Lohnarbeit um jeden Preis annehmen wollen. Die würden es in der sozialen Hängematte bequem machen, aus der sie unbedingt verscheucht werden müssen, wenn es nach Politikern von …

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Mit Andreas Ehrholdt ist ein wichtiger Protagonist der Sozialproteste gegen die Agenda 2010 gestorben. Kurze Zeit war er deren Gesicht. Was bleibt von "Schluss mit Hartz IV – heute wir morgen ihr"?

Wo bleibt der Sozialprotest 2.0?

Ehrholdt bediente eben keine nationalistische Erzählung, was schon in der Parole deutlich wurde, die er auf die Plakate schrieb. "Schluss mit Hartz IV – heute wir morgen ihr" grenzte eben niemanden aus. Im Gegenteil, damit wurden auch die Menschen angesprochen, die vorerst nicht von dem Sanktionen des Regimes betroffen, doch das konnte sich ändern. Damit hatte er die Rolle des Hartz-IV-Regimes sehr präzise erfasst. Heute ist aber die Parole "Weg mit Hartz IV, das Volk sind wir" bekannter, die allerdings viel eher offen für eine nationalistische Lesart ist und Menschen ausgrenzt, die nicht zu diesen imaginierten Volk zählen

„Schluss mit Hartz IV, denn heute wir und morgen ihr“ – diesen Satz schrieb Andreas Ehrholdt im Juli 2004 auf selbst gefertigte Plakate, mit denen er zu Demonstrationen in Magdeburg aufrief. Damit wurde er im Spätsommer und Herbst 2004 für kurze Zeit zum Medienstar. Denn aus den Protesten in Magdeburg entwickelte sich in wenigen Wochen in Ostdeutschland eine Protestbewegung gegen die Einführung von Hartz IV.  In der Hochphase gingen dort in allen größeren Städten Tausende Menschen auf die Straße. Aber auch in Kleinstädten und Dörfern gab es Proteste gegen die neuen Zumutungen für einkommensarme Menschen. Denn darum ging es bei den Hartz-IV-Reformen, die nicht nur erwerbslose Menschen schlechter stelltem, sondern auch Lohnabhängige, …

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Die Kampagne gegen selbstbewusste Arme zeigt die Funktionsweise des Sozialchauvinismus in Deutschland.

Solidarität mit Arno Dübel

Für viele Erwerbslosenaktivist*innen sind Arno Dübel, Henrico Frank, Florida-Rolf oder Michael Fielsch Menschen mit Zivilcourage. Deutschlands frechster Arbeitsloser ist für sie ein Lob und keine Beleidigung. Es ist ein Angriff gegen einen reaktionären deutschen Arbeitsethos, der seinen schlechtesten Ausdruck in der Deutschen Arbeitsfront hatte. In diesem Sinne sollten wir Arno Dübel als eines Menschen gedenken, der deutlich machte, dass man nicht nur mit Lohnarbeit, sondern auch ohne leben können muss.

„Ich krich vom Amt“. Diese ungewöhnliche Aufschrift auf einem T-Shirt regte vor über 20 Jahren viele Menschen auf. Denn der Träger des Kleidungsstücks Arno Dübel gehörte nicht zum akademischen Prekariat. Dort hätten solche ironischen Slogans auf Kleidungsstücken kein besonderes Aufsehen erregt. Dübel hatte eine Malerlehre abgebrochen und auch später immer wieder deutlich gemacht, dass für ihn Lohnarbeit um jeden Preis kein erstrebenswertes Ziel für sein Leben war. Das äußerte er sogar in …

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Nachruf: Arno Dübel wurde durch eine Bild-Kampagne zur Hassfigur. Sein Vergehen: Er wollte nicht um jeden Preis Lohnarbeit. Nun ist offenbar seine Leiche verschwunden.

Arno Dübel: Warum „Deutschlands frechster Arbeitsloser“ für manche ein Ehrentitel war

Damit ereilte Dübel das Schicksal vieler Erwerbsloser, die sich an die Öffentlichkeit trauen, ohne immer zu beteuern, dass ihr höchstes Ziel Lohnarbeit um jeden Preis ist. Erinnert sei an die Kampagne gegen einen Erwerbslosen, der als "Florida-Rolf" durch die Medien gezerrt wurde. Er hatte in den Augen der Bild und deren Klientel die Frechheit besessen, sein Leben als Erwerbsloser in Florida statt in Deutschland zu verbringen. Das kostete nicht mehr Geld, aber in den Augen der konservativen Medien wurde er da schon zum Drückeberger an der deutschen Arbeitsfront. Für viele Erwerbslosenaktivisten und Kämpfer gegen ein reaktionäres deutsches Arbeitsethos, der seinen schlechtesten Ausdruck in der Deutschen Arbeitsfront hatte, sind Menschen wie Arno Dübel, Henrico Frank, Florida-Rolf oder Michael Fielsch hingegen Menschen mit Zivilcourage.

„Ich krich vom Amt“. Diese ungewöhnliche Aufschrift auf einem T-Shirt regte vor mehr als 20 Jahren viele Menschen auf. Denn der Träger des Kleidungsstücks, Arno Dübel, gehörte nicht zum akademischen Prekariat. In diesem Milieu hätten solche selbstironischen Slogans auf Kleidungsstücken kein besonderes Aufsehen erregt. Dübel hatte eine Malerlehre abgebrochen und auch später immer wieder deutlich gemacht, dass für ihn Lohnarbeit um jeden Preis kein erstrebenswertes Ziel für sein Leben war. Das machte er sogar in Talkshows deutlich und brachte es so zu großer medialer Bekanntheit. Denn er war durchaus …

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Arno Dübel, »Deutschlands frechster Arbeitsloser«, ist tot

Malochen ist nicht alles

In Talkshows des Jahres 2001 sagte Arno Dübel, er fühle sich auch ohne Job gut. »Bild« startete daraufhin eine Kampagne gegen ihn. Jetzt ist er gestorben. Gesellschaft, in der Menschen unter immer mieseren Bedingungen malochen sollten, solle es auch das Recht geben, die Annahme von Bullshit-Jobs zu verweigern.

Ich krich vom Amt« – diese ungewöhnliche Aufschrift auf dem T-Shirt eines Mannes empörte vor mehr als 20 Jahren viele Deutsche. Der Träger des Kleidungsstücks war erwerbslos und teilte in Talk-Shows selbstbewusst mit, es sei nicht sein höchstes Ziel, wieder zu schuften. »Ich will niemandem den Job wegnehmen. Ich stell mich hinten an«, war einer der Sprüche, mit denen er sein Publikum provozierte. In der Folge ernannte »Bild« ihn in einer Artikelserie zum »frechsten Arbeitslosen Deutschlands«.Die Hassbriefe und Mails, die Dübel danach erreichten, analysierten …

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WER WIRD DEUTSCHLANDS FRECHSTER ARBEITSLOSER?

„Deutschlands frechster Arbeitsloser“ wurde
im Februar und März 2010 von den Boulevardmedien
vor das mediale Volksgericht
gestellt. Was hatte der 54jährige Arno Dübel
eigentlich verbrochen? Er ist seit 36 Jahren
erwerbslos, schämt sich nicht dafür, lehnt
Minijobs ab und hat auch den Humor nicht
verloren. So einer muss bestraft werden,
meint das Boulevard und Bild meldete Vollzug.
Zumindest um 30 Prozent wurde ihm die
Stütze gekürzt. Doch in Internetkommentaren
kochte die Volksseele über und manche
forderten dort gar die Todesstrafe für den
„Schmarotzer“.
Vor mehr als 5 Jahren war es Florida-Rolf,
ein Rentner, der seine Sozialhilfe lieber in den
sonnigen Gefi lden der USA als in Deutschland
ausgeben wollte, der für Aufruhr beim
Boulevard und seinen Lesern sorgte. Erst als
der Mann wieder heim ins Reich kam und der
Gesetzgeber weitere solche Extratouren zu
verhindern versprach, legte sich der Furor.
Auch der Erwerbslose Henrico Frank, der mit
langen Haaren und Bart im Dezember 2006
gegen einen Auftritt des damaligen SPDVorsitzenden
Kurt Beck protestierte, bekam
den Zorn zu spüren. Der Pfälzer Politiker hatte
die größten Zustimmungsraten, als er dem
renitenten Erwerbslosen zurief, er solle sich
rasieren und waschen. Mittlerweile ist Frank
ohne Bart und mit gestutzten Haar nicht
mehr der bad guy des Boulevard. Denn er hat
ja schon seit Längerem eine Stelle in einem
Radio angenommen.
Ein Erwerbsloser, der es nicht als größten
Erfolg sieht, eine Lohnarbeit um jeden Preis,
sondern ein für ihn schönes Leben anzustreben,
ist schon mal verdächtig und Ziel
von Ressentiments und Aggressionen. Arno
Dübel ist das aktuelle Beispiel dafür.
Akt der Selbstermächtigung
Dabei gibt es durchaus mehr freche Erwerbslose
in vielen Städten der Republik. Sie organisieren
sich untereinander, begleiten sich
gegenseitig zu ihren Fallmanagern, oder hauen
mal auf den Schreibtisch, wenn ein Antrag
zum x-ten Male nicht bearbeitet und dringend
benötigtes Geld nicht angewiesen worden
ist. Sie verstehen ihre Aktivitäten politisch,
wie bei den Zahltagen, die von Köln aus in
vielen Städten Nachahmer fanden, oder als
individuelle Unterstützung, wie bei der Aktion
„Keiner muss allein zum Amt“.
Doch gemeinsam ist diesen unterschiedlichen
Aktionen, dass es sich um Akte der
Selbstermächtigung von Erwerbslosen handelt.
Sie wollen nicht Rücken an Rücken
vor dem Jobcenter in der Schlange stehen,
wie es den Verantwortlichen gefällt, sondern
brechen das Schweigen, reden miteinander
und entdecken, dass sie ähnliche Interessen
haben und die gemeinsam besser vertreten
können.
Bemerkenswert ist, dass die Zahltag- und
Begleitaktionen hauptsächlich in westdeutschen
Städten organisiert werden. Im Sommer
2004 war es noch umgekehrt. Die Montagsdemonstrationen
gegen Hartz IV gingen
auf dem Gebiet der ehemaligen DDR los und
kamen im Westen nie so richtig an. Doch es
telegraph 120/121 2010 73
gibt keinen Grund, warum sich die Aktionen
um die Jobcenter nicht in der ganzen Republik
verbreiten sollen. Schließlich sind die Bedingungen
für die Erwerbslosen überall mies.
In den letzten Monaten häufen sich in verschiedenen
Städten Zahltage in den Jobcentern.
Manche fi nden in der vierten Woche
statt, weil am Monatsende das Geld nicht
mehr reicht. Andere beginnen am Monatsbeginn,
wenn viele Erwerbslose feststellen, dass
wieder einmal Gelder nicht angewiesen oder
gekürzt worden sind. Bisher sind diese Aktivitäten
selbst in den Medien, die den Erwerbslosen
wohlgesonnen sind und die die Hetze
von FDP und Boulevard verurteilen, auf wenig
Resonanz gestoßen. Auch in der aktuellen
Debatte um Hartz IV kommen Erwerbslose
als Kostenverursacher oder als Opfer vor. Als
handelnde politische Subjekte aber werden
sie kaum wahrgenommen. Auch die Hetzmedien
üben Zurückhaltung? Vielleicht, weil die
Hetze nicht mehr funktionieren würde? Einen
Arno Schübel, einen Henrico Frank, einen
Florida-Rolf kann der Boulevard dem Mob
zum Fraß vorwerfen. Aber 20 Erwerbslose,
die gemeinsam ins Büro ihres Fallmanagers
gehen, dort ruhig aber bestimmt ausstehende
Gelder einfordern und damit, wie häufi g
geschehen, sogar Erfolg haben, die könnten
die Leser des Boulevard auf dumme Gedanken
bringen. Wieso sollten die Menschen,
die häufi g in keiner anderen Situation als die
Erwerbslosen sind, nicht denken: „Deutschlands
frechste Arbeitslose – das können wir
auch!“

Peter Nowak

aus: telegraph 120/121 2010

http://www.telegraph.ostbuero.de/aktuell.htm