Während nach den Parlamentswahlen in Frankreich in vielen Medien wieder die Phrasen von einer Gesellschaft zu hören sind, die im Kampf gegen Rechts zusammenhalten müsse, nimmt in Deutschland die Hetze gegen Bürgergeldbezieher in bürgerlichen Medien neue Formen an. Spitzenreiter ist hier der Focus, der sich im Hetze gegen arme Menschen einen Negativpreis verdient hat. Dieses Blatt publizierte online in Kooperation mit seinem Youngster-Medienpartner Kukksi tatsächlich die Schlagzeile …
„Sozialchauvinismus gegen Bürgergeldbezieher – selbst drei Bier zur EM sind zu viel“ weiterlesenSchlagwort: Arno Dübel
Vorstoß für Bürgergeld-Streichung: Dauerkampagne gegen arme Menschen
Die „sozialen Hängematten“ wurden in den letzten Tagen politisch und medial wieder eifrig bemüht. Dort sollen sich nicht etwa steuervermeidende Konzerne tummeln, sondern Bürgergeldbezieher, die nicht jede Lohnarbeit um jeden Preis annehmen wollen. Die würden es in der sozialen Hängematte bequem machen, aus der sie unbedingt verscheucht werden müssen, wenn es nach Politikern von …
„Vorstoß für Bürgergeld-Streichung: Dauerkampagne gegen arme Menschen“ weiterlesenWo bleibt der Sozialprotest 2.0?
„Schluss mit Hartz IV, denn heute wir und morgen ihr“ – diesen Satz schrieb Andreas Ehrholdt im Juli 2004 auf selbst gefertigte Plakate, mit denen er zu Demonstrationen in Magdeburg aufrief. Damit wurde er im Spätsommer und Herbst 2004 für kurze Zeit zum Medienstar. Denn aus den Protesten in Magdeburg entwickelte sich in wenigen Wochen in Ostdeutschland eine Protestbewegung gegen die Einführung von Hartz IV. In der Hochphase gingen dort in allen größeren Städten Tausende Menschen auf die Straße. Aber auch in Kleinstädten und Dörfern gab es Proteste gegen die neuen Zumutungen für einkommensarme Menschen. Denn darum ging es bei den Hartz-IV-Reformen, die nicht nur erwerbslose Menschen schlechter stelltem, sondern auch Lohnabhängige, …
„Wo bleibt der Sozialprotest 2.0?“ weiterlesenSolidarität mit Arno Dübel
„Ich krich vom Amt“. Diese ungewöhnliche Aufschrift auf einem T-Shirt regte vor über 20 Jahren viele Menschen auf. Denn der Träger des Kleidungsstücks Arno Dübel gehörte nicht zum akademischen Prekariat. Dort hätten solche ironischen Slogans auf Kleidungsstücken kein besonderes Aufsehen erregt. Dübel hatte eine Malerlehre abgebrochen und auch später immer wieder deutlich gemacht, dass für ihn Lohnarbeit um jeden Preis kein erstrebenswertes Ziel für sein Leben war. Das äußerte er sogar in …
„Solidarität mit Arno Dübel“ weiterlesenArno Dübel: Warum „Deutschlands frechster Arbeitsloser“ für manche ein Ehrentitel war
„Ich krich vom Amt“. Diese ungewöhnliche Aufschrift auf einem T-Shirt regte vor mehr als 20 Jahren viele Menschen auf. Denn der Träger des Kleidungsstücks, Arno Dübel, gehörte nicht zum akademischen Prekariat. In diesem Milieu hätten solche selbstironischen Slogans auf Kleidungsstücken kein besonderes Aufsehen erregt. Dübel hatte eine Malerlehre abgebrochen und auch später immer wieder deutlich gemacht, dass für ihn Lohnarbeit um jeden Preis kein erstrebenswertes Ziel für sein Leben war. Das machte er sogar in Talkshows deutlich und brachte es so zu großer medialer Bekanntheit. Denn er war durchaus …
„Arno Dübel: Warum „Deutschlands frechster Arbeitsloser“ für manche ein Ehrentitel war“ weiterlesenMalochen ist nicht alles
Ich krich vom Amt« – diese ungewöhnliche Aufschrift auf dem T-Shirt eines Mannes empörte vor mehr als 20 Jahren viele Deutsche. Der Träger des Kleidungsstücks war erwerbslos und teilte in Talk-Shows selbstbewusst mit, es sei nicht sein höchstes Ziel, wieder zu schuften. »Ich will niemandem den Job wegnehmen. Ich stell mich hinten an«, war einer der Sprüche, mit denen er sein Publikum provozierte. In der Folge ernannte »Bild« ihn in einer Artikelserie zum »frechsten Arbeitslosen Deutschlands«.Die Hassbriefe und Mails, die Dübel danach erreichten, analysierten …
„Malochen ist nicht alles“ weiterlesenWER WIRD DEUTSCHLANDS FRECHSTER ARBEITSLOSER?
„Deutschlands frechster Arbeitsloser“ wurde
im Februar und März 2010 von den Boulevardmedien
vor das mediale Volksgericht
gestellt. Was hatte der 54jährige Arno Dübel
eigentlich verbrochen? Er ist seit 36 Jahren
erwerbslos, schämt sich nicht dafür, lehnt
Minijobs ab und hat auch den Humor nicht
verloren. So einer muss bestraft werden,
meint das Boulevard und Bild meldete Vollzug.
Zumindest um 30 Prozent wurde ihm die
Stütze gekürzt. Doch in Internetkommentaren
kochte die Volksseele über und manche
forderten dort gar die Todesstrafe für den
„Schmarotzer“.
Vor mehr als 5 Jahren war es Florida-Rolf,
ein Rentner, der seine Sozialhilfe lieber in den
sonnigen Gefi lden der USA als in Deutschland
ausgeben wollte, der für Aufruhr beim
Boulevard und seinen Lesern sorgte. Erst als
der Mann wieder heim ins Reich kam und der
Gesetzgeber weitere solche Extratouren zu
verhindern versprach, legte sich der Furor.
Auch der Erwerbslose Henrico Frank, der mit
langen Haaren und Bart im Dezember 2006
gegen einen Auftritt des damaligen SPDVorsitzenden
Kurt Beck protestierte, bekam
den Zorn zu spüren. Der Pfälzer Politiker hatte
die größten Zustimmungsraten, als er dem
renitenten Erwerbslosen zurief, er solle sich
rasieren und waschen. Mittlerweile ist Frank
ohne Bart und mit gestutzten Haar nicht
mehr der bad guy des Boulevard. Denn er hat
ja schon seit Längerem eine Stelle in einem
Radio angenommen.
Ein Erwerbsloser, der es nicht als größten
Erfolg sieht, eine Lohnarbeit um jeden Preis,
sondern ein für ihn schönes Leben anzustreben,
ist schon mal verdächtig und Ziel
von Ressentiments und Aggressionen. Arno
Dübel ist das aktuelle Beispiel dafür.
Akt der Selbstermächtigung
Dabei gibt es durchaus mehr freche Erwerbslose
in vielen Städten der Republik. Sie organisieren
sich untereinander, begleiten sich
gegenseitig zu ihren Fallmanagern, oder hauen
mal auf den Schreibtisch, wenn ein Antrag
zum x-ten Male nicht bearbeitet und dringend
benötigtes Geld nicht angewiesen worden
ist. Sie verstehen ihre Aktivitäten politisch,
wie bei den Zahltagen, die von Köln aus in
vielen Städten Nachahmer fanden, oder als
individuelle Unterstützung, wie bei der Aktion
„Keiner muss allein zum Amt“.
Doch gemeinsam ist diesen unterschiedlichen
Aktionen, dass es sich um Akte der
Selbstermächtigung von Erwerbslosen handelt.
Sie wollen nicht Rücken an Rücken
vor dem Jobcenter in der Schlange stehen,
wie es den Verantwortlichen gefällt, sondern
brechen das Schweigen, reden miteinander
und entdecken, dass sie ähnliche Interessen
haben und die gemeinsam besser vertreten
können.
Bemerkenswert ist, dass die Zahltag- und
Begleitaktionen hauptsächlich in westdeutschen
Städten organisiert werden. Im Sommer
2004 war es noch umgekehrt. Die Montagsdemonstrationen
gegen Hartz IV gingen
auf dem Gebiet der ehemaligen DDR los und
kamen im Westen nie so richtig an. Doch es
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gibt keinen Grund, warum sich die Aktionen
um die Jobcenter nicht in der ganzen Republik
verbreiten sollen. Schließlich sind die Bedingungen
für die Erwerbslosen überall mies.
In den letzten Monaten häufen sich in verschiedenen
Städten Zahltage in den Jobcentern.
Manche fi nden in der vierten Woche
statt, weil am Monatsende das Geld nicht
mehr reicht. Andere beginnen am Monatsbeginn,
wenn viele Erwerbslose feststellen, dass
wieder einmal Gelder nicht angewiesen oder
gekürzt worden sind. Bisher sind diese Aktivitäten
selbst in den Medien, die den Erwerbslosen
wohlgesonnen sind und die die Hetze
von FDP und Boulevard verurteilen, auf wenig
Resonanz gestoßen. Auch in der aktuellen
Debatte um Hartz IV kommen Erwerbslose
als Kostenverursacher oder als Opfer vor. Als
handelnde politische Subjekte aber werden
sie kaum wahrgenommen. Auch die Hetzmedien
üben Zurückhaltung? Vielleicht, weil die
Hetze nicht mehr funktionieren würde? Einen
Arno Schübel, einen Henrico Frank, einen
Florida-Rolf kann der Boulevard dem Mob
zum Fraß vorwerfen. Aber 20 Erwerbslose,
die gemeinsam ins Büro ihres Fallmanagers
gehen, dort ruhig aber bestimmt ausstehende
Gelder einfordern und damit, wie häufi g
geschehen, sogar Erfolg haben, die könnten
die Leser des Boulevard auf dumme Gedanken
bringen. Wieso sollten die Menschen,
die häufi g in keiner anderen Situation als die
Erwerbslosen sind, nicht denken: „Deutschlands
frechste Arbeitslose – das können wir
auch!“
Peter Nowak
aus: telegraph 120/121 2010