Interview mit Bernd Drücke, Redakteur der Graswurzelrevolution: Dr. phil. Bernd Drücke ist Soziologe und Koordinationsredakteur der Graswurzelrevolution, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft.

Gegen den Zeitgeist der Kriegstüchtigen

Ein „Markenkern“ ist, dass die GWR aus einer solidarischen Perspektive von unten berichtet. Anders als die taz, bieten wir Sönke Neitzel und anderen Propagandisten der Militarisierung keine Bühne und drucken keine Bundeswehr-Anzeigen ab. Stattdessen solidarisieren wir uns mit allen Deserteur*innen und Menschen, die den Kriegsdienst verweigern.

Sie haben gerade die 500te Ausgabe der Graswurzelrevolution (GWR) produziert. Was ist ihr Markenkern?

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Seit über 50 Jahren publiziert die „GWR“ anarchistische Ideen. Herausgeber Bernd Drücke über Remilitarisierung und die Zukunft der Bewegung.

„GWR“-Herausgeber Bernd Drücke„Es ist wichtig, den Krieg zu sabotieren“

Bild: Peter Nowak Im Interview: Bernd Drücke ist Soziologe und Koordinationsredakteur der „Graswurzelrevolution“, eine Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft. Sie erscheint seit 53 Jahren.

taz: Herr Dücke, wo sehen Sie die Aufgaben der GWR heute, wo so viel von Kriegsfähigkeit der Gesellschaft geredet wird?

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Unter dem Motto „Rettet die Graswurzelrevolution“ werden dringend Spenden und Abonnent*innen gesucht.

Schon entdeckt: Graswurzelrevolution

Seit über 50 Jahren gibt es die Zeitung Graswurzelrevolution, die sich für strikte Gewaltfreiheit einsetzt. Gerade in kriegerischen Zeiten ist ein solches Medium unverzichtbar. „Jeder Krieg ist für uns ein Verbrechen an der Menschheit und wir kämpfen mit Direkten Gewaltfreien Aktionen und Agitation dafür, alle Kriege zu stoppen“, lautet das Credo des überzeugten Pazifisten Bernd Drücke.

Seit 1998 ist der Soziologe Mitherausgeber der monatlich erscheinenden Graswurzelrevolution (gwr), deren Markenkern die Ablehnung jeglicher Gewalt ist. „Die Zeitung unterstützt …

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Ein AfD-Verbot dürfte spätestens an EU-Gerichten scheitern. Angesichts von Umfragen wirkt der SPD-Vorstoß ungeschickt. Ist er überhaupt ernst gemeint? Ein Kommentar.

Ruf nach AfD-Verbot: Kampf gegen Rechts oder Angst vor Machtverlust?

Dabei könnte doch ein Blick auf die genannten Länder auch etwas anderes zeigen: Diskriminierte Minderheiten organisieren sich und können auch den Rechten Niederlagen beibringen. Hier würde auch ein Prozess der Selbstorganisation einsetzen, die sich nicht nur gegen die AfD, sondern gegen rechte Politik überhaupt richten könnte. Dazu ein Beispiel aus eigenen Erleben. Die Politik der AfD kann durchaus mit der rechten CDU um den langjährigen rechtskonservativen Politiker Alfred Dregger verglichen werden.

Hiobsbotschaft für die sächsische SPD: Laut einer Umfrage könnte sie bei den anstehenden Landtagswahlen nur noch drei Prozent der Stimmen für sich verbuchen. Sie würde also aus dem Landtag fliegen. Und was fällt der sächsischen SPD-Spitzenkandidatin ein? Man müsse über ein AfD-Verbot nachdenken. Die AfD sei eine Gefahr, weil sie stark sei, sagt …

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Ein ernster Appell von Olaf Scholz? Nein, ein Video zum Verbot der AfD entpuppt sich als KI-generierte Inszenierung. Nutzt oder schadet das dem Kampf gegen rechts? Eine Polit- und Medienkritik.

Deep-Fake-Fail: Ein Video, Olaf Scholz und eine gefährliche Wendung

Das Zentrum für Politische Schönheit, ein künstlerischer Arm der imaginären deutschen Mitte, ist bekannt dafür, dass es sich im Laufe der Zeit immer weiter nach rechts bewegt hat. Kritische antifaschistische Arbeit zeigt hingegen auf, wie stark die AfD Teil der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland ist.

„Ich wende mich heute an Sie, weil unser Land einer schweren Bedrohung ausgesetzt ist“ – Mit diesem ernsten Satz richtet sich ein Mann an die Bevölkerung, der nicht nur wie Olaf Scholz aussieht, sondern auch dessen Stimme hat. Es handelt sich jedoch um ein Video, das mithilfe Künstlicher Intelligenz vom Zentrum für Politische Schönheit erstellt wurde, um die Kampagne für ein Verbot der AfD zu unterstützen. In dem Video erklärt das Scholz-Double, dass zum Jahrestag des Mords an …

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Der Inlandsgeheimdienst hat nicht nur "Putin-Freunde" im Visier. In Berlin eckte sogar eine Gruppe mit einer Aktion gegen Gazprom an. Das sind die Hintergründe.

Berliner Verfassungsschutz im Kampfmodus: Extrem ist, gegen Krieg zu sein

Auch die Monatszeitschrift Graswurzelrevolution, die seit über 50 Jahren für eine gewaltfreie und herrschaftslose Gesellschaft streitet, taucht immer wieder in Verfassungsschutzberichten auf. Im neuen, bundesweiten Verfassungsschutzbericht wird auch eine Podiumsdiskussion zum Thema Pazifismus und gewaltfreier Widerstand in Zeiten des Krieges aufgeführt, die von derGraswurzelrevolution auf der anarchistischen Buchmesse in Mannheim 2022 zum 50, Jubiläum der Zeitschrift organisiert wurde.

Heftige Kritik übt Jan Hansen an dem Ende Juni veröffentlichten Berliner Verfassungsschutzbericht. „Der Berliner Verfassungsschutz beobachtet ausgerechnet eine der wenigen Organisationen aus der Friedensbewegung, die sich vom Beginn der russischen Invasion an gegen den verbrecherischen Angriffskrieg stellt“, moniert der Aktivist der Antimilitaristischen Aktion Berlin (Amab) gegenüber der Tageszeitung Neues Deutschland. Die Gruppe junger Antimilitaristen und Pazifisten hat wenige Tage nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine unter dem Motto …

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Das Archiv für Alternatives Schrifttum in Duisburg sammelt Materialien linker Bewegungsgeschichte

»Werft Eure Geschichte nicht weg«

Um den Nachlass des bekannten Anarchisten Augustin Souchy, der als Syndikalist 1920 am Treffen der Kommunistischen Internationalen teilgenommen und mit Lenin diskutiert hatte, zu retten, trampten 1984 mehrere Afas-Aktivist*innen nach München und bewahrten die Materialien in Rucksäcken vor der Zerstörung. Heute werden tonnenschwere Zeugnisse schon mal in großen LKW angefahren, wie kürzlich das Archiv des Informationszentrums 3. Welt (IZ3W) aus Freiburg.

»Post bitte beim Knüllermarkt abgeben«, steht auf einem kleinen Schild an der Wand eines Gebäudes in der Duisburger Innenstadt. Es ist im Architekturstil der 70er Jahre gebaut und ähnelt einem Bunker. »Willkommen im Archiv für Alternatives Schrifttum«, sagt Bernd Drücke zum Empfang im zweiten Stock. Dort sehen die Besucher*innen erst einmal zahlreiche Kartons mit Plastikblumen, Perücken und anderem Inventar des Billigmarktes, bis sie in einen Flur mit Plakaten aus der feministischen und ökologischen Bewegung der letzten Jahrzehnte kommen. Auf den Tischen liegen …

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Die Monatszeitschrift »Graswurzelrevolution« feiert ihren 50. Geburtstag

Gegen Gewalt, für Emanzipation von unten

Wer derzeit für Verhandlungen im Ukraine-Krieg eintritt, sieht sich schnell denunziert. Die Herausgeber der »Graswurzelrevolution« bleiben dennoch bei ihrer pazifistischen Haltung. "Jeder Panzer, der durch Zucker im Tank unbrauchbar wird, ist ein Erfolg«, formuliert Bernd Drücke den Konsens der Redaktion.

Pazifist*innen haben es in Kriegszeiten be sonders schwer. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine werden alle, die vor immer mehr Militär und Aufrüs tung warnen, als Putin-Versteher*innen diffamiert. Der Blogger Sascha Lobo polemisierte im »Spiegel« sogar gegen einen angeblichen Lumpen-Pazifismus. Bernd Drücke hingegen sieht sich durch die Ereignisse in Osteuropa in seiner konsequenten Antikriegshaltung bestätigt. »Jeder Krieg ist für uns ein Verbrechen an der Menschheit, und wir kämpfen mit di rekten gewaltfreien Aktionen und Agitation dafür, alle Kriege zu stoppen«, sagt der Soziologe, der in den 1990er Jahren …

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Der langjährige Verdi-Vor sitzende Frank Bsirske gab übrigens als Bundestagsabgeordneter der Grü nen von Anfang an Widerworte gegen den Aufrüstungskurs der Bundesregierung: Die Welt wird nicht friedlicher, indem man die Rüstungsspirale immer weiter dreht.

Kein deutsches Wir

Eine Antimilitarismusbewegung sollte anstatt dem deutschen Kapital Nachhilfe in Sachen Patriotismus zu geben, sich an den gewaltfreien Anarchist*innen orientieren. In deren Publikation »Graswurzelrevolution«, die übrigens kürzich ihr 50. Jubiläum feierte, erklärte der langjährige Redakteur Bernd Drücke jüngst, dass Krieg und Re-Militarisierung überall sabotiert werden müssen: »Jeder Panzer, der durch Zucker im Tank unbrauchbar wird, ist gut.

»Frieden« steht auf einem großen Banner über dem Eingang der Bundeszen trale der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Berlin. Ein schlichtes Wort, das aber in diesen Zeiten, in denen überall Kriegslärm erschallt und Kriti ker*innen einer weiteren Aufrüstung des Verrats am Vaterland bezichtigt werden, als Zeichen der Vernunft gelten kann. Der langjährige Verdi-Vor sitzende Frank Bsirske gab übrigens als Bundestagsabgeordneter der Grünen von Anfang an Widerworte gegen den Aufrüstungskurs der Bundesregierung: Die Welt wird nicht friedlicher, indem man die Rüstungsspirale immer weiter dreht. Diese simple Erkennt nis der Friedensbewegung hat nichts an Wahrheit verloren, auch wenn manche frischgebackene Nato-Linke es heute nicht mehr hören wollen.Vor diesem Hintergrund war es erfreulich, dass sich Kriegsgegner*innen …

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Seit 50 Jahren gibt es die Zeitung „Graswurzelrevolution“. Sie steht für konsequente Gewaltfreiheit – auch der Ukrainekrieg ändert daran nichts.

Pazifismus als Markenkern

Bernd Drücke sieht gerade in Kriegszeiten Bedarf für eine konsequent antimilitaristische Publikation. „Der Krieg und die Re-Militarisierung müssen überall sabotiert werden. Jeder Panzer, der durch Zucker im Tank unbrauchbar wird, ist gut“, fasst Drücke das Credo der gwr zusammen.

Die Zeitung Graswurzelrevolution (gwr) feierte stilgerecht auf der Anarchistischen Buchmesse in Mannheim ihren 50. Geburtstag. Für sie ist ein konsequenter Pazifismus seit 50 Jahren der Markenkern, ihre GründerInnen sind gewaltfreie SozialistInnen um Wolfgang Hertle, Wolfgang Zucht und Helga Weber. Sie wollten Gewaltfreiheit und libertären Sozialismus verbinden. Heute wird in der Zeitung allmonatlich über Arbeits- und Mietkämpfe, aber auch antifaschistische Aktionen berichtet. In den letzten Jahren widmete sich die Zeitung auch verstärkt feministischen Themen. Ihre Hoch-Zeit hatte die gwr als Teil der …

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Eine Regierungsbeteiligung der Grünen stoppt diesen Prozess nicht, sondern verstärkt ihn

Die Normalisierung des Militärischen in Deutschland

Bejubelt wurde die Militarisierung der deutschen Innenpolitik im Zug der Corona-Bekämpfung von der Bild-Zeitung und von fast allen politischen Parteien. Es gibt nur wenig Proteste gegen diese Militarisierung der Politik unter dem Motto "Healthcare not Warfare". In der letzten Woche gab es zum 100. Geburtstag des auch in der BRD weiter verfolgten Wehrmachtsdeserteurs Ludwig Baumann eine Plakataktion unter dem Motto "Kriegsverrat ist Friedenstat.. Dies ist eine Parole, die heute wieder sehr aktuell werden kann.

Im Bundestag übte man sich 16. Dezember in Symbolpolitik und stritt über die Sitzordnung. Die neue Bundesregierung setzte mit ihrer Mehrheit durch, dass die FDP in die Mitte zwischen SPD und Grüne rückt und folglich die Unionsparteien neben der AfD sitzen müssen. Es war eine Lektion in Gesäßpolitik mit karnevalesken Anklängen, die natürlich die AfD am besten nutzen konnte. Sie kann sich ihren Anhängern weiterhin als ausgegrenzte Partei präsentieren, neben der niemand sitzen will. Vielleicht liegt das Fremdeln der Union mit der neuen Sitzordnung schlicht daran, dass sie einen Grundsatz ihres ehemaligen Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß …

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Streit um dauerhafte Ehrung für von den Nazis Verfolgten damit zu Ende

Münster behält Gedenkort für Paul Wulf

Die Einheitsfront gegen Rechts war Paul Wulf als NS-Verfolgter besonders Anliegen. So beteiligte er sich 1980 an Aktionen gegen den damaligen Kanzlerkandidaten der Unionsparteien Franz Josef Strauß. Drücke erinnert sich gern an Wulfs derben Humor, der in der autonomen Linken nicht allen gefiel. Er bezeichnet Wulf als einen frühen Spaßguerillero

Die Stadt Münster wird den Gedenkort an Paul Wulf dauerhaft erhalten. Das hat die Bezirksvertretung Münster-Mitte Ende Juni einstimmig beschlossen. Damit geht ein jahrelanger Streit um die lebensgroße Wulf-Skulptur am Münsteraner Servatiiplatz zu Ende. Sie wurde 2007 im Rahmen einer Skulpturenausstellung von der Künstlerin Silke Wagner gestaltet. Der Kopf ist dem Konterfei von Paul Wulf nachempfunden. Der Körper ist im Rahmen einer Litfaßsäule gestaltet, auf der in regelmäßigen Abständen Flugschriften zu aktuellen politischen Themen zu lesen sind.  Für die Wechselplakatierung und Betreuung der Internetseite stellt die Bezirksvertretung jährlich 5000 Euro zur Verfügung. 2012 wurde nach Paul Wulf ein Weg in Münster benannt – späte Ehrung für einen, der im Nationalsozialismus als ….

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… und niemand über Antisemitismus und Neonazis. Kommentar zu den geplanten Gesetzesverschärfungen zur effektiveren Bekämpfung der Hasskriminalität

Alle reden über den Kampf gegen den Hass …

In Bielefeld haben Gerichte ausgerechnet am 9. November, dem Jahrestag der Pogrome gegen Juden, eine Neonazidemonstration gestattet, die sich mit einer dort inhaftierten Holocaustleugnerin solidarisieren will. Ende Oktober entschied das Oberverwaltungsgericht Münster die Parole "Nie wieder Israel", die auf einer Neonazidemonstration skandiert wurde, sei nicht strafbar und könne daher von der Polizei nicht verboten werden. Dabei würde mit einem Verbot gerade der mörderische Antisemitismus bekämpft, der als Triebkraft hinter dem Anschlag in Halle steht.

Die geplanten Gesetzesverschärfungen nach den rechten Anschlägen der letzten Wochen nehmen Gestalt an. Sie werden als …..

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Wirbel um die »Anarcho-Postille«

»Bild« und AfD hetzen gegen die »Graswurzelrevolution«, weil der Verfassungsschutz Thüringen aus einem Text zitiert, der dort erschienen ist

Die Monatszeitung »Graswurzelrevolution« (»gwr«) gibt es seit mehr als 40 Jahren. Der verantwortliche Redakteur Bernd Drücke hat in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, die Publikation in der linken Öffentlichkeit bekannt zu machen. Doch auf die Aufmerksamkeit, die die »gwr« seit einigen Tagen bekommt, hätte er wohl gerne verzichtet. Die AfD hetzt auf Twitter gegen die »linksextreme Anarchopostille« und verlinkt einen Bericht der »Bild«, in dem es heißt: »Die Anarcho-Postille kämpft seit 1972 für die Abschaffung unseres Staates und wurde früher selbst vom Verfassungsschutz beobachtet und als ›linksextrem‹ eingestuft.« Auf die aus journalistischer Sicht naheliegende Idee, bei der so geschmähten Publikation eine Stellungnahme einzuholen, kam bei »Bild« niemand.

Der Grund für die plötzliche Aufmerksamkeit gegenüber der Zeitschrift ist ein Artikel, in dem der Sozialwissenschaftler Andreas Kemper ein jüngst erschienenes Buch des AfD-Politikers Björn Höcke analysiert hat. »Nie zweimal in dem selben Fluss« lautet der Titel. Dort präsentiert Höcke in Form eines Interviews seine Vision eines europäischen Großraums mit Deutschland als Kraftzentrum. »Das Lesen dieses Buches bestätigt den Gesamteindruck einer faschistischen Agenda«, so das Fazit von Kemper. Sein bereits Anfang September in »gwr« erschienener Text wurde erst zum Politikum, nachdem der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, daraus zitierte, um zu begründen, warum Höcke und sein Flügel in der AfD von der Behörde beobachtet werden sollen. Zunächst nannte Kramer aber weder den Autor noch die Zeitung, die den Text veröffentlichte. Dafür hat er sich mittlerweile bei Kemper entschuldigt. Die AfD-Thüringen fordert jetzt Kramers Rücktritt, auch die Bundespartei hat sich dieser Forderung angeschlossen.
Für Kemper und die »gwr« hat die Kampagne Folgen. »Andreas Kemper hat dieser Tage zu Hause einen Anruf erhalten, die Person am anderen Ende der Leitung hat ›Heil Hitler, du Schwein‹ gerufen und wieder aufgelegt. Bei uns in der Redaktion sind auch einige Hassbotschaften eingegangen«, erklärt »gwr«-Redakteur Drücke gegenüber »nd«.
Kemper ist den Rechten schon lange verhasst. Er hatte bereits im vergangenen Jahr eine Analyse verfasst, in der er die These vertritt, dass Höcke unter dem Pseudonym Landolf Ladig in Neonazi-Postillen Texte veröffentlicht hatte. Höcke bestreitet das, ist aber nicht juristisch gegen Kemper vorgegangen. Der AfD-Bundesvorstand unter Frauke Petry hatte unter anderem mit Kempers Text seinen mittlerweile zurückgezogenen Ausschlussantrag begründet.

Dass nun auch der Verfassungsschutz sich ihres Materials bedient, nehmen Kemper und Drücke gelassen. »Ich fordere weiterhin die Auflösung aller Geheimdienste, aber ich sehe auch den Unterschied zwischen Maaßen und einem liberalen Sozialdemokraten wie Stephan Kramer«, so Drücke gegenüber »nd«. Zudem zeige die Angelegenheit, dass man keine Geheimdienste brauche, um etwas über die rechte Ideologie der AfD zu erfahren. Schließlich hat Kemper seine Analysen über Höcke lediglich auf allgemein zugängliche Quellen gestützt. Er war bislang auch der einzige Autor, der sich mit Höckes Buch auseinandergesetzt hat. Wenn Kramer aus diesen Arbeiten zitieren muss, um eine mögliche Beobachtung von Teilen der AfD zu begründen, mache er eigentlich schon deutlich, dass seine Behörde überflüssig ist.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1101575.wirbel-um-die-anarcho-postille.html

Peter Nowak

Kunst, mitten ins Leben gesetzt

Münsters Skulpturenschau läuft noch bis zum 1. Oktober

Derzeit trifft man in der Universität Münster (Nordrhein-Westfalen) immer wieder Menschen, die mit einem Stadtplan in der Hand ihre Umgebung absuchen. Es sind Besucher der fünften Skulpturenausstellung – noch bis zum 1. Oktober können Projekte von 38 internationalen Künstlern, die in der ganzen Stadt verteilt sind, besichtigt werden. So hat der in Paris geborene und in den USA lebende Künstler Pierre Huyghe in einer ehemaligen Eissporthalle am Stadtrand in einer Landschaft aus Ton, Sand, Styropor und Wasser ein Biotop geschaffen. Bienen fliegen dort herum und in einem Terrarium lebt ein Krebs, dessen Geräusche mit einem Verstärker die gesamte Halle beschallen.

Wer die Installation der Münchner Künstlerin Hito Steyerl kennenlernen will, muss das Foyer der Westdeutschen Landesbank besuchen. In kurzen Videos wird gezeigt, wie Roboter auf ihre Stabilität getestet werden. In einem weiteren Video wird die Rolle der Computertechnologie bei der Zerstörung der Altstadt von Diyarbakir durch die türkische Armee im letzten Jahr untersucht.

Der nigerianische Künstler Emega Ogboh hat an einer Unterführung neben dem Münsteraner Hauptbahnhof Lautsprecher aufgestellt, in denen avantgardistische Musik zu hören ist. Doch ein Großteil der Passanten nimmt sie gar nicht wahr. Seit der ersten Skulpturenausstellung im Jahr 1977 gehört es zum Grundsatz, die Kunst dort hinzubringen, wo sich die Menschen täglich aufhalten – also eben nicht in Museen und Galerien.

Auch kann man auf der Wiese vor dem Aasee, in Parks und auf Plätzen noch Skulpturen aus den vergangenen vier Ausstellungen sehen. Denn einige Installationen bleiben der Stadt erhalten. Schon heute wird deshalb in den regionalen Zeitungen, aber auch unter den Ausstellungsbesuchern rege debattiert, welches Kunstwerk der aktuellen Ausstellung auf keinen Fall verschwinden soll. Die Landschafts-Installation von Piere Huyghe etwa hat keine Chance zu bleiben, weil es für die alte Eissporthalle, in der sie zu sehen ist, schon einen Abrisstermin gibt.

Um ein Exponat, das von der vierten Skulpturenmesse im Jahr 2007 stehen blieb, gab es von Anfang an politische Auseinandersetzungen. Die überlebensgroße Figur ganz in der Nähe des Münsteraner Hauptbahnhof erinnert an den 1999 verstorbenen Autodidakten Paul Wulf. Er wuchs in einem Kinderheim auf, wo er während der Herrschaft der Nazis im Alter von 16 Jahren ohne Betäubung zwangssterilisiert wurde. In der Nachkriegszeit engagierte sich der gesundheitlich schwer angeschlagene und gesellschaftlich weiter stigmatisierte Mann in der außerparlamentarischen Linken von Münster. Davon berichten die regelmäßig erneuerten Plakate auf der Wulf-Skulptur – Texte zum Kampf gegen AKW, gegen Zwangssterilisierung und gegen alte und neue Nazis. Das waren die Themen, mit denen sich Wulf beschäftigte.

Seit zehn Jahren nun steht die Wulf-Figur am Rande des Stadtzentrums Münsters. Zunächst wollten CDU und FDP im Kulturausschuss verhindern, dass sie überhaupt erhalten bleibt. Sie mussten nachgeben, weil ein großer Teil der Ausstellungsbesucher von 2007 diese Figur zum beliebtesten Exponat erkoren hatte. Doch ob es dabei bleibt, ist unklar. »Noch immer ist der dauerhafte Erhalt der Wulf-Figur nicht gesichert«, beklagt Bernd Drücke vom Freundeskreis Paul Wulf gegenüber »nd«. Er setzt sich für einen dauerhaften Erhalt des Gedenkortes für den Verfolgten des NS-Regimes ein.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1064881.kunst-mitten-ins-leben-gesetzt.html

Peter Nowak