Prekäre an der Universität

Leben, nicht nur überleben

Kräftesammeln für ein Bündnis gegen befristete Arbeitsverhältnisse im Wissenschaftsbereich

Die Masken mit den traurigen Gesichtern lagen am Donnerstagnachmittag stapelweise auf den Tischen im Hörsaal der Berliner Humboldt-Universität. Sie sollten das Gefühl ausdrücken, das viele wissenschaftliche Mitarbeiter*innen an den Hochschulen angesichts ihrer befristeten Arbeitsverhältnisse haben. «Frist ist Frust»,

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Unbefristeter Stress

90 Prozent des wissenschaftlichen Personals der Universität Kassel sind befristet beschäftigt. Eine Initiative fordert, die Arbeitsverträge der Angestellten zu entfristen.

Ende vergangenen Jahres wurde es eng im größten Hörsaal der Universität Kassel. Knapp 500 Beschäftigte der Hochschule nahmen am 13. Dezember an einer außerordentlichen Personalversammlung teil. Sie forderten…

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Exzellente Ausbeutung

Beschäftigte beklagen unhaltbare Zustände an Hochschulen und Forschungseinrichtungen

Im Bundestagswahlkampf betonen alle Parteien, wie wichtig in einer globalisierten Welt die Unterstützung des Wissenschaftsstandorts Deutschland ist. Wer in der Wissenschaft arbeitet, fühlt sich jedoch alles andere als gut unterstützt. »Das deutsche Universitätssystem, das in politischen Sonntagsreden so hoch gelobt wird, basiert zu Teilen auf der Ausbeutung derer, die ohne Absicherung und ohne angemessene Bezahlung unterrichten«, sagt Ulrike Stamm, die als Gastprofessorin unter anderem am Institut für Literaturwissenschaft der Berliner Humboldt-Universität arbeitet. Sie gehört zu den MitbegründerInnen des »Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft«, in dem sich zu Jahresbeginn über 100 Vertreter aus Hochschulen und wissensch

Befristungen von unter einem Jahr, die Unter- oder Nicht-Entlohnung von Lehrtätigkeit und der Verschleiß von hoch qualifiziertem wissenschaftlichem Personal seien inzwischen der Regelfall. 75 Prozent aller wissenschaftlich Beschäftigten haben dem Netzwerk zufolge befristete Arbeitsverträge. In Frankreich und Großbritannien seien hingegen lediglich ein Viertel, in den USA sogar nur ein Fünftel der wissenschaftlichen Arbeitsverträge befristet.

Am Donnerstag stellte der Zusammenschluss einen Forderungskatalog vor, wie die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft verbessert werden müssten. Dazu gehört die Abschaffung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, das mit seinen Kurzverträgen eine längere Berufsplanung für Akademiker erschwert. Darüber hinaus fordern die Wissenschaftler die Abschaffung von Lehrstühlen zugunsten demokratischer Strukturen in Fachbereichen und Instituten, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Regelfall sowie unbefristete Beschäftigungsverhältnisse nach der Promotion.

Eine angemessene und flächendeckende Grundfinanzierung der Hochschulen wird von dem Bündnis als Voraussetzung für die Umsetzung dieser Forderungen gesehen. Denn die Grundfinanzierung der Hochschulen und Forschungseinrichtungen reiche immer weniger, um die Grundaufgaben der Hochschulen zu decken. Stattdessen fließe viel Geld in Exzellenzinitiativen und projektgebundene Forschungsförderung. Da gleichzeitig die Studierendenzahlen steigen, seien die Hochschulen gezwungen, immer mehr Lehre durch prekär beschäftigten Nachwuchs sowie unbezahlte PrivatdozentInnen und unterbezahlte Lehrbeauftragte zu bewältigen. Wie prekär die Situation ist, zeigte vor Kurzem die Antwort des Berliner Senats auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei. Danach geben an Berliner Hochschulen ca. 750 Privatgelehrte Seminare ohne Bezahlung. In anderen Hochschulen sieht es nicht besser aus.

Die größten Schnittmengen zu ihren Forderungen sieht das Netzwerk bei der LINKEN und in einigen Punkten bei den Grünen. Bei den Unionsparteien und der FDP finden sie hingegen kein Gehör, sagt Fabian Frenzel. Daher wollen sich die Beschäftigten im Wissenschaftsbereich weiter organisieren. »Ziel ist es, so gut aufgestellt zu sein, dass wir in einzelnen Hochschulen auch Arbeitskämpfe führen können«, meint Frenzel. Doch dazu müsse der Organisationsgrad unter den wissenschaftlich Beschäftigten verbessert werden. Die Kooperation mit Gewerkschaften mache Fortschritte, betont Frenzel. Unterstützung bekommt das Bündnis von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der GEW. Mit der Bildungsgewerkschaft bereitet das Netzwerk für November eine Tagung in Berlin vor. Gute Kontakte gibt es auch zu der im letzten Jahr an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main gegründeten Hochschulgewerkschaft Unterbau, die sich das Ziel gesetzt hat, Studierende und Beschäftigte an den Hochschulen gemeinsam zu organisieren.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1062344.exzellente-ausbeutung.html

Peter Nowak

Klassenkampf ist nicht passé

AGIT-KINO Neue Filmreihe widmet sich hiesigen Arbeitskämpfen, etwa an den Universitäten

Der Name der neuen Filmreihe ist Programm: „Cinéma Klassenkampf“ widmet sich aktuellen Arbeitskämpfen in Berlin. Bei der Auftaktveranstaltung an diesem Montag geht es um die hiesigen Hochschulen. Der Film „Ausbeutung an der TU-Berlin“ (17 Min, BRD 2016) lässt zwei Forscherinnen zu Wort kommen, die sich bei einem Arbeitseinsatz in Uruguay gegen gesundheitsgefährdende Bedingungen wehren wollen sowie gegen eine Projektleitung, die permanent Überstunden verlangt. Doch sie finden kein Gehör und werden als Querulantinnen abgestempelt und isoliert. Zurück in Berlin, wenden sie sich an die Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU), und eine lange Auseinandersetzung beginnt. „Seit 2011 sammeln wir Filme aus der ArbeiterInnenbewegung und stellen sie auf der Seite labournet.tv kostenlos und mit Untertiteln zur Verfügung“, erklärt die Mitbegründerin Bärbel Schönafinger vom Kollektiv labournet. tv der taz. Mit der Veranstaltungsreihe wolle man neue Fördermitglieder für labournet.tv gewinnen, da dessen Finanzierung nur noch bis zum Jahresende gesichert sei. Nach den Filmen soll es Diskussionen geben: so am heutigen Montag über Organisationsversuche im prekären Wissenschaftsbereich unter anderem mit der FAU, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der kürzlich gegründeten Hochschulgewerkschaft unter_bau aus Frankfurt am Main.

Aktive kommen zu Wort

In den nächsten Monaten sollen Film- und Diskussionsveranstaltungen unter anderem zum Arbeitskampf an der Charité sowie zu Organisierungsansätzen im Niedriglohnsektor Gastronomie und bei den Kurierdiensten in Berlin folgen. Auch ein Rückblick auf die Bewegung „Nuit Debout“, die für einige Wochen im vorigen Jahr von Frankreich ausgehend auch hier für Aufsehen sorgte, ist in Vorbereitung. „Zu den Veranstaltungen wollen wir immer Menschen einladen, die aktiv an den Kämpfen beteiligt waren“, so Schönafinger. „Doch ich wünsche mir vor allem, dass die Filmreihe ZuschauerInnen ermutigt, sich anihren Arbeitsplätzen nicht alles gefallen zu lassen.

Peter Nowak

aus Taz:

■■6. März, 19 Uhr, Kino Moviemento,

Streik im Labor

An einem Labor des Instituts für Soziologie der Universität Jena streiken studentische Beschäftigte. Sie fordern Arbeitsverträge statt der bisher üblichen Werkverträge.

Das Comeback der Gewerkschaften – so heißt ein zentrales Thema der Sozio­logen Klaus Dörre und Stefan Schmalz. Die beiden lehren am Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seit einigen Wochen wird dort nicht mehr nur theoretisch über gewerkschaftliche Erneuerung diskutiert. Mitte Juni begannen studentische Beschäftigte des von dem Institut betriebenen Labors für Computer-Assisted Telephone Interviewing, kurz CATI-Labor, einen Arbeitskampf. In dem Labor werden telefonische Umfragen und Interviews durchgeführt – für universitäre Zwecke, aber auch für Firmen und politische Akteure. »Viele der am Institut durchgeführten Projekte greifen hierauf zurück, aber auch externen Nutzern wird diese Dienstleistung zur Verfügung gestellt«, heißt es auf der Homepage des CATI-Labors.

Katharina Leipold* hat bisher nur an universitätsinternen sozialwissenschaftlichen Umfragen mitgearbeitet. Vergütet wurde das mit einem Stundenlohn von 8,50 Euro. Urlaubsgeld und andere Zusatzleistungen sind für sie nicht vorgesehen. Denn alle Beschäf­tigten sind beim CATI-Labor lediglich über Werkverträge angestellt. »Wir fordern Arbeitsverträge anstatt der Werkverträge und damit die Umsetzung geltender Arbeitsgesetze und der Bildschirmarbeitsverordnung«, sagt Leipold. »Außerdem verlangen wir eine am ­Tarifvertrag orientierte Vergütung von 13 Euro und die zuverlässige, zeitnahe Überweisung der Löhne«, so die Studentin. In der Vergangenheit mussten die Beschäftigten manchmal mehrere Wochen auf die Überweisung der Löhne warten. Unterstützt wird der Arbeitskampf von der Basisgewerkschaft »Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion« (FAU), an die sich die Beschäftigten gewandt hatten. »Werkverträge zwingen die Beschäftigten in die Scheinselbständigkeit und unterwandern den Tarif­vertrag der Länder sowie grundlegende arbeitsrechtliche Mindeststandards«, begründet ein Mitglied der FAU die Ablehnung der bisherigen Arbeitsbe­dingungen im CATI-Labor. Eigentlich müsste er mit dieser Argumentation in einem Institut mit gewerkschaftsnahen Wissenschaftlern auf offene Ohren stoßen.

Doch auf einer institutsinternen Sitzung habe sich Dörre sehr ablehnend zu dem Arbeitskampf geäußert, sagte ein FAU-Mitglied. Anfragen der Jungle World an den Soziologieprofessor blieben unbeantwortet. »Das Institut für Soziologie der Universität Jena ist deutschlandweit bekannt für seine enorme akademische Produktivität und gewerkschaftsnahe Forschungsausrichtung. Umso mehr erstaunt es, dass das Institut im CATI-Labor die gewerkschaftlich erkämpften Errungenschaften unterläuft«, heißt es in einer Pressemitteilung der FAU.

Der Landesausschuss der Studentinnen und Studenten (LASS) in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Thüringen begrüßte den Streik: »Endlich haben sich nach dem ›HiWi-Streik‹ in der Soziologie im Jahr 2013 wieder Strukturen gebildet und vernetzt, die die Ausnutzung von Studierenden als billige Arbeitskräfte thematisieren und konkrete und berechtigte Forderungen vorbringen, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern«, sagte die LASS-Sprecherin Cindy Salzwedel mit Verweis auf einen Arbeitskampf der studentischen Hilfskräfte vor drei Jahren. Auch die Gefangenengewerkschaft der JVA Untermaßfeld und die sich in Gründung befindliche Hochschulgewerkschaft »Unterbau« (Jungle World 17/2016) solidarisierten sich mit den Jenenser Studierenden und ihren Forderungen.

Mittlerweile scheint auch das universitäre Rechtsamt Zweifel zu hegen, ob die Praxis der Werkverträge juristisch haltbar ist. So berichteten Teilnehmer einer Institutssitzung, die nicht ­namentlich genannt werden wollen, dass dort ein Gutachten der Rechts­abteilung der Universität verlesen worden sei, in dem die Rechtsauffassung der FAU bestätigt wird, wonach die Arbeitsbedingungen im CATI-Labor im Wesentlichen denen eines Arbeitsverhältnisses und nicht der Selbständigkeit entsprechen, die für Werkverträge Voraussetzung ist.

* Name von der Redaktion geändert.

http://jungle-world.com/artikel/2016/27/54407.html

Peter Nowak

Lehrerjahre sind keine Herrenjahre

Ob Integrationslehrer oder studentische Hilfskraft – Bezahlung und Arbeitsbedingungen im Bildungsbereich sind oft miserabel. Gewerkschaften und Bildungsarbeiter wollen das ändern.

Zurzeit sind Deutschlehrerinnen und -lehrer sehr gefragt. Schließlich muss seit zehn Jahren jeder Geflüchtete in Deutschland obligatorisch einen Integrationskurs »Deutsch für Zuwanderer« belegen. Doch die Lehrenden klagen über geringen Lohn und schlechte Arbeitsbedingungen. Von einem Honorar von etwa 20 Euro pro Stunde müssen sie auch ihre Kranken- und Rentenversicherung vollständig selbst finanzieren. Urlaubsgeld erhalten sie nicht. Wenn sie krank sind, müssen sie einen Verdienstausfall hinnehmen. Bei befristeten Verträgen gibt es zudem keinen Kündigungsschutz.

»Integration nicht zum Hungerlohn« hieß deshalb das Motto einer Kundgebung von ungefähr 150 Integrationslehrern vor zwei Wochen vor dem Bundesinnenministerium, zu der die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gemeinsam aufgerufen hatten. Nicht nur in Berlin wächst der Unmut der Lehrenden, die häufig noch mit Hartz IV aufstocken müssen, weil sie zu wenig verdienen. Am 15. März gingen in Osnabrück ebenfalls Integrationslehrer auf die Straße.

Viele Deutschlehrer wollen den ihnen aufgezwungenen Status als Selbstständige loswerden und fordern tariflich bezahlte Arbeitsplätze. »Wir sind keine Unternehmertypen, sondern Lehrer und wollen auch so behandelt werden«, wurde Georg Niedermüller, Mitbegründer der »Initiative Bildung prekär«, im Herbst auf Spiegel Online zitiert. In dieser Initiative haben sich Lehrkräfte verschiedener Richtungen zusammengeschlossen, die sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen und Niedriglöhne wehren wollen. Das ist auch das Anliegen des „Netzwerkes prekäres Wissen“ , die kürzlich eine Honorartabelle für Lehrbeauftragte an verschiedenen Hochschulen veröffentlicht. Dazu sammelte sie über 60 typische Beispiele von Honoraren, die Bildungsträger und wissenschaftliche Institutionen in den vergangenen Jahren gezahlt hatten. Sie ermittelte zudem, welcher häufig unbezahlte tatsächliche Arbeitsaufwand für die jeweiligen Aufträge nötig gewesen war, und errechnete so aus dem offiziellen Honorar den tatsächlichen Bruttostundenlohn der meist freiberuflich Tätigen. In über 20 Fällen lag dieser tatsächliche Stundenlohn unter dem Mindestlohn von 8,50 Euro. An der Leipziger Universität und der Freien Universität Berlin (FU) gab es sogar Lehraufträge ganz ohne Bezahlung.

Im Wissenschaftsbereich sind Niedriglohn und schlechte Arbeitsbedingungen, auch im Mittelbau, völlig üblich, wie die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) in einer Stellungnahme vom Februar 2016 feststellte. Sie sieht die prekären Arbeitsbedingungen als Folge eines »akademischen Kapitalismus«, der durch eine Unterfinanzierung der Hochschulen und einen verschärften Wettbewerb um Forschungsgelder gekennzeichnet ist.

Auf einer Fachtagung der DGS diskutierten Gewerkschafter und Wissenschaftler Ende Februar über das Thema »Wissenschaft als prekärer Beruf«. Die Bestandsaufnahme war niederschmetternd: So haben die ungefähr 6 000 wissenschaftlichen Hilfskräfte an Berliner Hochschulen seit 2001 keine Lohnerhöhung mehr bekommen. Das Weihnachtsgeld hat der Berliner Senat 2004 gestrichen. 2011 mussten GEW und Verdi die Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag ergebnislos abbrechen, weil es nicht gelungen war, den nötigen politischen Druck zu erzeugen. In nächster Zeit wollen beide Gewerkschaften gemeinsam mit politisch engagierten Studierenden aus sämtlichen Berliner Hochschulen einen neuen Anlauf für den Kampf um einen Tarifvertrag nehmen. Als erster Schritt wurde eine Umfrage begonnen, mit der ermittelt werden soll, welche tariflichen Forderungen den studentischen Hilfskräften wichtig sind. Zu Beginn des neuen Semesters sollen verstärkt neue Gewerkschaftsmitglieder geworben werden. Darin sehen beide Gewerkschaften die Voraussetzungen, um eine lange, vielleicht mit Streiks verbundene Tarifauseinandersetzung erfolgreich zu bestehen. Schließlich war es in den achtziger Jahren erst nach einem langen Arbeitskampf möglich, Tarifverträge für studentische Hilfskräfte abzuschließen. Beide Gewerkschaften und die Studierenden sind sich einig, dass die Selbstorganisierung der Hilfskräfte die Grundlage des Erfolgs ist. »Eine solche Kampagne steht und fällt mit der Bereitschaft der studentischen Beschäftigten, sich aktiv einzubringen und gewerkschaftlich zu organisieren«, heißt es auf der Homepage der GEW.

Derweil werden schon Bündnispartner unter den unterschiedlichen prekären Beschäftigtengruppen an den Hochschulen gesucht. Dass nicht nur wissenschaftliche Mitarbeiter von schlechten Arbeitsbedingungen betroffen sind, zeigt der Kampf der Beschäftigten des Botanischen Gartens Berlin gegen Dumpinglöhne und Outsourcing. Ein Teil der Belegschaft arbeitet für die FU, zu der der Garten gehört. Der andere Teil wurde beim Tochterunternehmen »Betriebsgesellschaft für die Zentraleinrichtung Botanischer Garten und Botanisches Museum« angestellt. Beide Gruppen machen die gleiche Arbeit, doch die Ausgegliederten erhalten bis zu 42 Prozent weniger Lohn. Seit über einem Jahr kämpfen Beschäftigte des Botanischen Gartens für das Prinzip »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit«. Mittlerweile haben sie zwei erfolgreiche Warnstreiks organisiert. Weil die Ankündigung so kurzfristig war, konnte die FU die Streikenden nicht ersetzen. So kamen Besucher während des ersten Streiktags in den Genuss des freien Eintritts.

Die Beschäftigten des Botanischen Gartens haben für ihren Widerstand gegen das von der Universitätsleitung favorisierte Outsourcing Unterstützung von einem Bündnis, das von linken Studierendengruppen über die Berliner Gruppe gegen Arbeitgeberunrecht bis zur antikapitalistischen Ini­tiative »Klassenkampfblock« reicht. Kürzlich hat sich ein Solidaritätskreis gegründet, an dem Studierende, studentische Hilfskräfte und Wissenschaftler aus mehreren Berliner Hochschulen beteiligt sind. Denn ein Erfolg im Botanischen Garten wäre auch eine Ermutigung für die prekären Wissenschaftler.

http://jungle-world.com/artikel/2016/12/53713.html

Peter Nowak

Linker Internetpionier wider Willen

Berlin. Zu ihrem 20. Geburtstag hat sich die Onlinezeitung »TREND« unter dem Titel »Programm und Politik« am Wochenende auf einer Konferenz kritisch mit aktuellen Organisierungsansätzen beschäftigt. Über linke Internetprojekte, den Stellenwert von Feminismus und Marxismus und linke Krisentheorien wurde in unterschiedlich besuchten Workshops diskutiert. Die Onlinezeitung hat unfreiwillig eine Pionierfunktion inne: Weil die Berliner Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) 1995 die Finanzierung ihrer Kreuzberger Mitgliederzeitung TREND einstellte, führten die RedakteurInnen das Projekt ab Januar 1996 Online. Damit wurde TREND das erste linke deutschsprachige publizistische Projekt im Internet. dasnd.de/TREND

http://www.neues-deutschland.de/artikel/1000300.linker-internetpionier-wider-willen.html?sstr=trend|onlinezeitung

Peter Nowak

Gewerkschafter kritisieren DGB

FLÜCHTLINGE Die Räumung der Zentrale sei ein „völlig falsches Signal“ gewesen, so der Tenor eines Aufrufs

Die Räumung einer Gruppe von Flüchtlingen aus der Berliner DGB-Zentrale durch die Polizei in der vergangenen Woche sorgt für Unmut unter Gewerkschaftern. „Die tagelange Belagerung des DGB-Hauses durch mehr als 20 Flüchtlinge und ihre Sympathisanten hat viele Beschäftigte im Hause an die Grenze der Belastbarkeit gebracht“, hatte der Sprecher des DGB Berlin-Brandenburg, Dieter Pienkny, die Einschaltung der Polizei begründet. Die Studentin Ines Schwerdtner und der Lehrer Micah Brashear von der Jungen GEW Berlin haben für diese Argumentation indes kein Verständnis: „Die Flüchtlingsgruppe hat sich nur in einem Stockwerk des Gewerkschaftsgebäudes aufgehalten und in der Lounge und in dem Foyer des DGB-Hauses geschlafen“, kritisieren sie das Vorgehen in einer Stellungnahme.

Nach Angaben der JunggewerkschafterInnen wollen sich KritikerInnen des Polizeieinsatzes, die im DGB-Haus arbeiten, nur anonym äußern, weil sie unter Druck ständen. Hingegen drücken viele haupt- und ehrenamtliche Mitglieder verschiedener Einzelgewerkschaften, die im DGB zusammengeschlossen sind, offen ihren Protest gegen die Räumung aus. „Nicht in unserem Namen – Refugees welcome!“, lautet die Überschrift des Aufrufs, der bereits von einigen hundert GewerkschafterInnen unterschrieben wurde. Die Räumung wird darin als „völlig falsches Signal“ bezeichnet.

Solidaritätskonferenz

Die GewerkschafterInnen wol- len die aktuelle Diskussion nutzen, damit sich der DGB und die in ihm zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften auf Seite der Flüchtlinge positionieren. So soll rasch eine Konferenz zur gewerkschaftlichen Solidarität mit den Geflüchteten organisiert werden. Außerdem soll jenen die Gewerkschaftsmitgliedschaft ermöglicht werden. Anna Basten vom „AK Undokumentiertes Arbeiten“, die im Ver.di-Büro Lohnabhängige unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus berät, verweist auf den Hamburger Ver.di-Sekretär Peter Bremme. Er hatte 2013 rund 300 Geflüchteten die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ermöglicht. Eine Abmahnung des Ver.di-Bundesvorstandes gegen ihn wurde nach Protesten zurückgenommen. Für die linke Gruppe Ver.di-Aktiv ist eine solche Initiative auch in Berlin überfällig. „Damit würden die Gewerkschaften deutlich machen, dass sie die Ausgrenzungspolitik nicht mittragen“, sagte ein Mitglied der Ver.di-Basisgruppe bei der BVG.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F10%2F07%2Fa0141&cHash=6972b0dbc68e19fd48640a53102d04fa

Peter Nowak

Ein Kurier von ganz weit rechts

Der hessische CDU-Politiker Hans-Jürgen Irmer ist bekannt für seine rechtsextremen Ansichten. Dennoch wurde er erneut zum bildungspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag ernannt. Dagegen protestieren nun Gewerkschaften und Schüler.

„Ein Mensch kann dauerhaft in zwei Welten leben. (…) Entweder man ist Deutscher oder Türke.« »Es reicht – gegen Zwangsarbeiterentschädigung.« »Es wird Zeit, dass wir das Büßergewand, in das wir 50 Jahre gezwängt waren, ausziehen.« »Herr Bubis sollte sich (…) einmal sachkundig machen, wie in Israel die Frage der Staatsbürgerschaft geregelt ist.«

Ihrer Diktion nach könnten diese Zitate in der extrem rechten Wochenzeitung Junge Freiheit oder auch in der neonazistischen Deutschen Nationalzeitung veröffentlicht worden sein. Doch es handelt sich um eine kleine Auswahl einschlägiger Zitate aus dem Wetzlar Kurier, einem regionalen Anzeigenblatt aus Hessen. Sie erschienen im Zeitraum zwischen 1998 und 1999. Man ist sich treu geblieben: In der aktuellen Ausgabe befürworten Schreiber und Herausgeber des Blatts ein »Europa der Vaterländer« und sorgen sich wegen des vermeintlichen »Asylmissbrauchs und der Einwanderung in die Sozialsysteme«.

Der Wetzlar Kurier wird von dem langjährigen hessischen CDU-Landtagsabgeordneten Hans-Jürgen Irmer herausgegeben. Die rechtskonserva­tiven bis extrem rechten Ansichten, die in seinem Blatt vertreten werden und mit denen er sich auch gern selbst darin zitieren lässt, sind in der hessischen Union keinesfalls eine Gefahr für die Karriere. Erst vor wenigen Wochen wurde Irmer wieder zum bildungspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion gewählt. Den Posten hatte er bereits in der vorangegangenen Legislaturperiode inne. Nach scharfer Kritik an seinen politischen Ansichten war er jedoch zurückgetreten.

Obwohl der CDU-Politiker sich von keiner seiner Äußerungen distanziert hat, wurde er nun wieder auf den Posten gewählt. Der grüne Koalitionspartner der CDU schweigt zu der Personalie. Dabei war Irmer in den vorigen Legislaturperioden noch von SPD, Linkspartei und Grünen kritisiert worden. So sorgte Irmer 2004 für einen bundesweiten Skandal, als er den damaligen Fraktionsvorsitzenden der hessischen Grünen, Tarek al-Wazir, im Landtag mit seinem vollen Namen Tarek Mohamed al-Wazir nannte, wie es damals auch im Wetzlar Kurier üblich war, um nahezulegen, dass al-Wazir Muslim sei und in Deutschland eigentlich nichts verloren habe.

Mittlerweile ist al-Wazir Minister einer schwarz-grünen Koalition in Hessen und schweigt zur Irmers Äußerungen. Die Grüne Jugend Hessens bleibt hingegen bei ihrer Kritik. »Irmer fällt seit Jahren durch rechtspopulistische Aussagen negativ auf und betreibt mit dem Wetzlar Kurier eine populistische Zeitung. Zuletzt hatte die rechte Junge Freiheit im Wetzlar Kurier inseriert. Eine solche Person hat nichts mit der von Schwarz-Grün angekündigten ›Willkommenskultur‹ zu tun; sie darf keine so relevanten Ämter innehaben«, schreibt sie in einer Pressemitteilung. Ob sie allerdings aus ihrer Kritik die Konsequenzen zieht und Irmer zukünftig als Gesprächspartner ablehnen wird, erschließt sich aus der Erklärung nicht.

Da war der hessische Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) konsequenter. Er lehnt Irmer als Gesprächspartner ab und fordert die Union auf, eine andere Person für das Amt zu benennen. »Abgeordneter Irmer vertritt seit Jahren immer wieder rechtsextremes Gedankengut. Die GEW hat deshalb bereits im Jahr 2010 die CDU-Fraktion des Hessischen Landtags aufgefordert, ihr einen anderen Gesprächspartner für den Bildungsbereich zu benennen. Als dies nicht geschah, haben wir damals die Gespräche mit ihm eingestellt«, äußerte kürzlich der hessische GEW-Vorsitzende Jochen Nagel.

Damit unterstützt die GEW auch eine Initiative der Interessenvertretung der hessischen Schüler. »Der Landesschülerrat verurteilt die rechtspopulistischen Aussagen des Landtagsabgeordneten Hans-Jürgen Irmer und stellt jegliche Korrespondenz mit dem aktuellen bildungspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion im hessischen Landtag ein. Weiterhin fordern wir die CDU-Fraktion des hessischen Landtages auf, uns einen neuen Gesprächspartner zu benennen«, heißt es in einer kürzlich veröffentlichten Pressemitteilung der Schülervertretung. »Der Landesschülerrat will mit dem einstimmigen Beschluss dieses Antrages ein klares Zeichen gegen die Wahl von Herrn Irmer zum bildungspolitischen Sprecher der CDU-Frak­tion setzen. Es geht nicht darum, bestimmte Themen in der gesellschaftlichen Debatte zu verbieten. Allerdings ist es ein großer Unterschied, ob man Ängste der Bevölkerung aufgreift und diskutiert, oder ob man sie missbraucht«, sagt der hessische Landesschulsprecher, Armin Alizadeh. Er weist darauf hin, dass Irmer auch auf bildungspolitischem Gebiet mit diskriminierenden Äußerungen aufgefallen sei. So habe der Politiker noch 2010 im Wetzlar Kurier die Prügelstrafe an Schulen verharmlost. 2012 musste er als bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion zurücktreten, weil er die Einführung des Islamunterrichts an hessischen Schulen ablehnte. Damit hatte er sich auch gegen die offiziellen Beschlüsse seiner eigenen Partei gewandt.

Allerdings will die Schülervertretung trotz der Kritik an Irmer weiterhin mit der CDU-Fraktion im Gespräch bleiben und fordert deshalb einen anderen Gesprächspartner. Die Partei hat bislang nicht darauf reagiert. Auf die Forderung der GEW, Irmer durch einen anderen CDU-Politiker zu ersetzen, reagierten führende hessische CDU-Politiker mit Ablehnung. Man lasse sich keine Vorschriften bei der Personalpolitik machen, sagte der Sprecher der hessischen CDU-Fraktion, Christoph Weirich.

Dass die CDU-Fraktion Irmer in Kenntnis seiner politischen Ansichten wieder zum bildungspolitischen Sprecher gewählt hat, macht deutlich, dass der in der hessischen CDU seit den Zeiten des Landesvorsitzenden Alfred Dregger starke rechtskonservative Stahlhelmflügel zwar an Einfluss verloren hat, aber immer noch Macht besitzt. Die hessische CDU ist beispielsweise weiterhin die politische Heimat der Vertriebenenpolitikerin Erika Steinbach, während der Publizist und ehemalige Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, dem hessischen Landesverband der CDU bereits 2008 den Rücken gekehrt hat und in den saarländischen Landesverband eingetreten ist. So wird verständlich, wie ein Politiker wie Irmer in dieser Partei weiter Karriere machen kann.

Bereits 2004 bezeichnete Spiegel Online ihn als »Roland Kochs zweiten Fall Hohmann«. Damals war Irmer mit der Äußerung aufgefallen, den damaligen EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen (SPD) müsse man wegen Hochverrats an Deutschland anzeigen. Auch für den wegen antisemitischer Äußerungen aus der CDU ausgeschlossenen Fuldaer Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann hatte Irmer Partei ergriffen. Gemeinsam mit dem CDU-Landtagsabgeordneten Clemens Reif kritisierte Irmer die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel, weil sie Hohmanns Parteiausschluss vorangetrieben hatte. Es sei Zeit, dass die Deutschen unverkrampft an ihre eigene Geschichte herangingen, befanden beide Abgeordnete. Die Unterstützung beruhte auf Gegenseitigkeit. Man wolle Irmer »mit Hilfe der Faschismuskeule und unterstellter Ausländerfeindlichkeit fertigmachen«. Dabei habe er nur »dem Volk aufs Maul geschaut«, sagte Hohmann 2004 Spiegel Online

http://jungle-world.com/artikel/2014/09/49404.html

Peter Nowak

Schüler streiken für Flüchtlinge

Links

[1]

http://refugeeschulstreik.wordpress.com/

[2]

http://asylstrikeberlin.wordpress.com

[3]

https://www.berlin.de/sen/inneres/

[4]

http://www.spiegel.de/schulspiegel/schueler-demo-fuer-lampedusa-fluechtlinge-in-hamburg-a-938684.html

[5]

http://www.gew-berlin.de

[6]

http://www.gew-berlin.de/10165_10397.php

[7]

http://www.abgeordnetenwatch.de/hans_juergen_irmer-487-43363.html

[8]

http://www.fr-online.de/rhein-main/wegen-islam-aeusserungen-gew-redet-nicht-mehr-mit-irmer,1472796,4461028.html

[9]

http://www.lsv-hessen.de

[10]

http://www.lsv-hessen.de/news/pressemitte

[11]

http://www.fr-online.de/landtagswahl-in-hessen—hintergrund/cdu-fraktion-hessen-irmer-rueckt-wieder-nach-vorne,23897238,2

[12]

http://www.dgb-jugend-bb.de/

[13]

http://www.dgb-jugend-bb.de/home/aktuelles/172-streik-fuer-die-rechte-von-gefluechteten-refugee-schul-und-unistreik-in-berlin-am-1322014-.html

[14]

http://refugeeschulstreik.wordpress.com/2014/02/10/solidaritatsaufruf-von-gewerkschafterinnen-solidaritat-mit-den-fluchtlingen-keine-raumung-des-oranienplatzes

[15]

http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2013/11/lampedusa_hh_adverdi.pdf

[16]

http://www.labournet.de/interventionen/asyl/antirassistische-ini/fluchtlinge-und-ver-di-am-bsp-lampedusa-in-hamburg/

Reichensteuer für die Bildung

Peter Nowak über die Finanzierung von Bildung

Kaum jemand wird bestreiten, dass das Bildungssystem in Deutschland chronisch unterfinanziert ist. Eine Woche vor der Bundestagswahl hatte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ein Gegenkonzept vorgelegt und eine Reichensteuer für die Bildung vorgeschlagen. Rund 40 Milliarden Euro sollen nach ihrem Konzept in die Bildung fließen, um Reformen umzusetzen und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu verbessern. Zur Gegenfinanzierung schwebt der GEW ein steuerpolitisches Konzept vor, das 75 Milliarden Euro einbringen soll. Der größte Teil soll zweckgebunden in die Bildung fließen. Während einkommensschwache Teile der Bevölkerung entlastet würden, sollen Vermögende in die sozialpolitische Pflicht genommen werden. Der GEW-Vorschlag wurde öffentlich jedoch kaum wahrgenommen. In einem Wahlkampf, in dem über Merkels schwarz-rot-goldene Halskette und Handgesten ihres Herausforderers gestritten wurde, blieb für die Diskussion um politische Themen kein Raum.

Auch nach den Wahlen wird nicht über politische Inhalte, sondern über Befindlichkeiten geredet. Dafür wird für das schlechte Abschneiden der Grünen ein Steuerkonzept verantwortlich gemacht, das Steuersätze vorgesehen hatte, die noch unter denen der Kohl-Ära lagen.

Die GEW-Vorschläge widerlegen den Mythos, dass es angesichts von klammen Kassen und Schuldenbremse zum Kaputt-Sparen keine Alternative gibt. Vielleicht organisieren nach Semesterbeginn auch die Studierenden mal wieder Proteste, die durchaus unter dem Motto »Reichensteuer für die Bildung« stehen können.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/834392.reichensteuer-fuer-die-bildung.html

Peter Nowak

Zweiklassen-System am Gymnasium

Ein Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat den Gegnern der verkürzten Gymnasialausbildung neue Argumente geliefert. Die Richter wiesen die Klage eines 16-jährigen G8-Gymnasiasten aus Frankfurt am Main ab, der mit einem Hauptschulabschluss entlassen wurde und gerichtlich einen Realschulabschluss durchsetzen wollte. Die Richter stellten in der Urteilsbegründung dem Gesetzgeber frei, G8- und G9-Schüler unterschiedlich zu behandeln.

Die stellvertretende Landesvorsitzende der hessischen GEW, Birgit Koch, sieht sich durch das Urteil, das faktisch ein Zweiklassensystem im Gymnasium rechtfertigt, in ihrer ablehnenden Haltung gegen das Abitur nach 12 Schuljahren bestätigt. Ihr Argument »Gute Bildung braucht Zeit« teilen auch die Initiatoren des von Lehrern, Schülern und Bildungsexperten unterzeichneten »Marburger Bildungsaufrufs«. Schüler bräuchten Zeit für ihre persönliche Entwicklung, anstatt durch die Schule gehetzt zu werden, wird darin der verkürzten Gymnasialausbildung eine Absage erteilt. Das G8-Projekt, für das sich die schwarz-gelbe Landesregierung in Wiesbaden seit Jahren einsetzt, wird in den Kontext einer weiteren Ökonomisierung des Bildungswesens gestellt. Diese sieht in Schulen primär Wirtschaftsunternehmen und in Schülern Humankapital. Der Aufruf aus Marburg spricht sich dagegen für eine demokratische Bildung unter Beteiligung aus.

Das Dilemma für die Verteidiger einer anderen Bildungspolitik besteht allerdings darin, dass der derzeitige Schulstress schon ohne das G8 wenig Zeit für Bildungsstreiks und -proteste lässt. Es sei denn, die Situation wird für die Betroffenen so unerträglich, dass sie nicht mehr bereit sind, diese Zustände hinzunehmen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/830411.zweiklassen-system-am-gymnasium.html

Peter Nowak

„Die kamen, haben zugeschlagen und sind wieder heimgefahren.“

Die Kritik am Verhalten der Polizei bei der Verhinderung der Blockupy-Demonstration am 1.6. wird lauter. Doch wer hat die politische Verantwortung?

Nach der Verletzung des Demonstrationsrechtes für tausende Menschen kommt das Land nicht zu Ruhe. Täglich gibt es Proteste in allen Teilen des Landes, bei denen der Sturz der Regierung gefordert wird. Dabei handelt es sich um Szenen aus der Türkei. In Deutschland blieben die Reaktionen auf die ebenfalls am vergangenen Samstag von der Polizei verhinderte Blockupy-Demonstration sehr zurückhaltend. Obwohl fast alle Medien das Vorgehen der Polizei kritisieren und bestreiten, dass vonseiten der Demonstranten Gewalt ausgeübt wurde, gab es keine große gesellschaftliche Diskussion über das Geschehen. Schon am Dienstag spielten die Ereignisse von Frankfurt nur noch eine kleine Rolle in der Medienberichterstattung.


„Der Schwarze Block war bunt“

Dabei mangelte es nicht an aktuellen Meldungen, die als Grundlage für die Berichterstattung hätten diesen können. Täglich werden Augenzeugenberichte aus unterschiedlichen Teilen der gewerkschaftlichen, bürgerrechtlichen und zivilgesellschaftlichen Bewegung veröffentlicht. Die inhaltliche Stoßrichtung gleicht sich.

So heißt es in einem von Wissenschaftlern, Ärzten und Gewerkschaftern unterzeichneten offenen Brief gegen die Ausgrenzung gesellschaftlicher Opposition durch Polizei und Teile der Medien:

„Der ’schwarze‘ Block war bunt. Die ‚Vermummung‘ bestand vor allem aus Sonnenbrillen und Regenschirmen. Der unmittelbare Vorwand der Einkesselung von über 1.000 Personen über insgesamt 9 Stunden war das Abbrennen von 3 bengalischen Feuern.“

Auch über das Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten äußern sich die Verfasser des Offenen Briefes kritisch:

„Vor unseren Augen ist Menschen ohne Vorwarnung, ohne Beteiligung an einer Rangelei o.ä. und ohne, dass eine Gefahrensituation vorgelegen hätte, Pfefferspray aus unmittelbarer Nähe direkt ins Gesicht gesprüht worden (über die Erblindungsrate der Pfefferspray Wirkung wird derzeit diskutiert, Anm. d. A.). Vor unseren Augen sind wehrlose Demonstranten misshandelt worden, indem ihnen bspw. der Kopf nach hinten gezogen und Mund und Nase zugehalten worden ist. Einige brachen daraufhin zusammen. Sie sind nur Dank der Initiative von Teilnehmer der Demonstration versorgt worden. Vor unseren Augen ist Menschen, die an Armen und Beinen zur Personalienfeststellung davon getragen wurden, von den sie tragenden Polizisten in die Seite und in den Unterleib getreten worden.“

Aus dem Kreis der Unterzeichner des Offenen Briefes, die die die Geschehnisse um die Blockupy-Demonstration stundenlang beobachtet und dokumentiert haben, kommt auch die Initiative für eine Onlinepetition.

Die im dem Brief formulierten Beobachtungen decken sich auch mit dem Bericht der Demosanitäter, die von über 100 Verletzten während der Räumung des Kessels sprechen. Auch der Geschäftsführer der zivilgesellschaftlichen Stiftung Ethecon hat in einem persönlichen Bericht über die Ereignisse auf der Demonstration von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei gesprochen. Das Komitee für Grundrechte, das mit zahlreichen Demobeobachtern vor Ort war, kommt zu einem ernüchternden Resultat:
„Auch dieses Jahr kein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in der Stadt Frankfurt.“

Gewerkschaftlicher Protest

Harald Fiedler, der Vorsitzende des DGB-Rhein-Main, der nicht zur Blockupy-Demonstration aufgerufen hat, äußert sich ebenfalls kritisch zur Polizeistrategie und deutet am Ende der kurzen Erklärung sogar an, dass de DGB eine Teilnahme bei der nächsten Blockupy-Aktion in Erwägung zieht.

Wer das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit, so wie am Wochenende geschehen, einenge, der dürfe sich nicht wundern, dass immer mehr Menschen gegen die Willkür von Banken und Herrschenden und deren Politik aufstehen und bei der nächsten Blockupy Demonstration dabei sind. Der DGB, so Fiedler, werde dies in seinen eigenen Reihen bewerten.

In einer Erklärung von verdi-Hessen wird vor allem die Einschränkung von Presseleuten bei der Demonstration moniert. Der Vorsitzende der hessischen GEW Jochen Nagel berichtet in einem Brief, wie er selber Opfer einer Polizeiattacke wurde und kommt zu dem Fazit.

„Die Polizeiführung wollte damit eine Eskalation provozieren, um diese dann nachträglich als Legitimation für ihre Verhinderung einer legalen Demonstration auf der gerichtlich bestätigten Route benutzen zu können.“

Nach Informationen der Frankfurter Rundschau gibt es selbst bei der Polizei Kritik am Vorgehen gegen die Demonstration. Danach habe ein Mitglied einer Spezialeinheit das Vorgehen seiner Kollegen mit den Worten kommentiert: „Die kamen, haben zugeschlagen und sind wieder heimgefahren.“

In einem Brief an den hessischen Innenminister Boris Rein spricht der Arzt Joachim Dlugosch von einem vorher geplanten Angriff der Polizei. Mittlerweile mehren sich die Stimmen, die die Verantwortung für den Einsatz im hessischen Innenministerium sehen. Dort sei die Polizeistrategie festgelegt und auch jeder Kompromiss mit den Demonstranten verhindert worden. Rücktrittsforderungen kommen bisher nur von den Jusos und der Linkspartei. Die fordert Meinungsfreiheit in Istanbul und Frankfurt/Main.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154400
Peter Nowak

Schockstrategie in Griechenland

In Berlin berichtete die Schulleiterin Alexandra Ioannidou, wie sich die Krise auf das Bildungssystem auswirkt
Auf Einladung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) berichtet eine Athener Schulleiterin in Berlin, wie in der Krise das Bildungssystem in Griechenland zerstört wird.
Nur knapp ein Dutzend Zuhörerkamen am Montagabend ins Büro der Berliner GEW zum Vortrag der Athener Pädagogin Alexandra Ioannidou. Er hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Denn Ioannidou beschrieb sehr anschaulich die Folgen der Troika-Programme für das griechische Bildungssystem.
„Was sich in den letzten Monaten abspielt, könnte durchaus ‚die Chronik eines angekündigten Todes‘ genannt werden“, erklärte die Referentin. Der Anteil der Bildungsausgaben sei in Griechenland in den letzten 3 Jahren von 3 auf 2, 3 % des Bruttosozialprodukts zurückgefallen. Die Folgen sind vor allem für Kinder aus einkommensschwachen Familien erschreckend. Klassenräume, die für maximal 30 Kinder ausgestattet sind, werden mittlerweile von bis zu 40 Schülern belegt. Viele Fächer fallen ganz aus, weil die Lehrer fehlen. In einer besonders armen Gegend im Norden Griechenland mussten während der Wintermonate die Schulen sogar bei Temperaturen unter Null Grad schließen. Weil kein Geld für Heizöl vorhanden war, blieben die Klassenräume ungeheizt. Schüler aus abgelegenen Dörfern haben oft keine Möglichkeit mehr die Schule zu besuchen. Aus Geldmangel haben die Kommunen die Bustransporte abgeschafft. Selbst der Hunger hat wieder in griechischen Schulen Einzug gehalten. Betroffen sind dabei vor allem Bildungseinrichtungen in ärmeren Stadtteilen der griechischen Großstädte.
Die ersten Meldungen über Schüler, die ohne Frühstück zum Unterricht kommen und sogar ohnmächtig werden, hätte die Regierung noch mit dem Kommentar reagiert, dass sei linke Propaganda, erklärt Ioannidou. Doch nachdem sich diese Vorfälle häuften, habe die Regierung einräumen müssen, dass die Angaben den Tatsachen entsprechen. Mittlerweile werde an bestimmten Problemschulen Essen ausgegeben, damit die Schüler den Unterricht folgen können. Vorteile hätten die Menschen, die auf dem Land wohnen. Weil dort Nahrung angebaut wird, sei zumindest der Hunger dort noch unbekannt. Nicht wenige Menschen, die in den Städten ihre Arbeit verloren, sind deshalb mittlerweile wieder auf das Land gezogen. Für die Kinder der Binnenflüchtlinge bedeutet das oft den Schulabbruch. Der habe in den letzten Jahren stark zugenommen. Die hingen meist mit den Auswirkungen der Krise zusammen. Junge Leute ohne Geld und Perspektive verlassen die Schule ohne Abschluss, um als Kellner oder Taxifahrer wenigstens etwas Geld zu verdienen. Andere sehen ihre Zukunft nicht mehr in Griechenland. Viele hoffen in den EU-Ländern, vor allem in Deutschland, auf eine besser bezahlte Arbeit.
Neben der desolaten sozialen Situation macht Ioannidou der rasante Aufstieg der faschistischen Goldenen Morgenröte besonders große Sorgen. Selbst in den Schülerverwaltungen hätten die Neofaschisten, die aus ihrer Begeisterung für Hitler keinen Hehl machen, ihren Einfluss ausgebaut. Viele Lehrer seien verunsichert, wie sie mit der ansteigenden faschistischen Welle unter den Jugendlichen umgehen sollen, betont Ioannidou. Für zusätzliche Unruhe unter den Lehrern sorgt ein Gesetz der Regierung, nachdem alle Beamten suspendiert werden, wenn gegen sie juristische ermittelt wird. Sollte keine Anklage erhoben werden, können sie wieder in ihren Beruf zurück. Doch das kann Jahre dauern. So wurde eine Lehrerin vom Dienst suspendiert, die von einem Mitglied der Neofaschisten angezeigt wurde, weil albanische Kinder Flaggen ihres Heimatlandes im Malunterricht zeichneten.
Ioannidou spricht in Bezug auf die Zerstörung des griechischen Bildungswesens von einem Schockstrategie, mit der die Etablierung von Privatschulen vorangetrieben wird, auf die die wohlhabenden Eltern ihre Kinder schicken würden. Schockstrategie hieß es auch der Bestseller der globalisierungskritischen Publizistin Noami Klein. Dort beschrieb sie am Beispiel von Chile und anderen Ländern, wie ein Katastrophen-Kapitalismus ganze Länder reif für die neoliberale Unterwerfung geschossen hat. Wenn man Ioannidou zuhört, könnte man denken, dass sich dieses Szenario in Griechenland dieser Tage wiederholt, nicht nur im Bildungswesen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/817125.schockstrategie-in-griechenland.html
Peter Nowak

Bafögantragstau – oder wie die Krise in Deutschland ankommt

Mit der Agenda 2020 soll der Sozialstaat auf allen Gebieten weiter abgebaut werden

Ende Dezember 2012 hat die Berliner GEW-Vorsitzende Sigrid Baumgardt in einer Pressemitteilung Alarm geschlagen. Weil die Bafög-Anträge von Tausenden Schülern und Studierenden trotz rechtzeitiger Abgabe noch nicht bearbeitet worden sind, sei die Situation der Betroffenen dramatisch. Viele wissen nicht, wie sie die nächste Miete bezahlen sollen. Zudem haben sich viele Betroffene verschuldet. Denn von den Abschlagszahlungen, die nur 80 Prozent des Bafög betragen, kann kaum jemand über die Runden kommen. Die Berliner GEW forderte, dass zumindest diese Abschläge unbürokratisch weiter gewährt werden muss, ohne dass die Betroffenen weitere Anträge steellen müssen.

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