Nur wenn die Mietrebellen grundlegendere Forderungen stellen, könnten sie einen Mietendeckel bekommen, der nicht ganz löchrig ist - Ein Kommentar

Mietendeckel in Berlin – eine Reform, die die Einkommensschwachen nicht benachteiligt

Wenn heute das Kapital und seine Medien schon in Wallung kommen wegen eines Reformgesetzes wie den Mietendeckel, dann vor allem deshalb, weil sie in den letzten Jahrzehnten gewohnt sind, dass es nur noch Reformen in ihrem Interesse gibt. Es ging alles nur noch darum, dass die Aktienkurse steigen, auch wenn viele Mieter sich in Berlin keine Wohnungen mehr leisten können.

Revolution auf dem Mietenmarkt“ [1] titelte die Taz, nachdem die Berliner Landesregierung den monatelang diskutierten Mietendeckel [2] verabschiedet hat. Danach sollen die Mieten in Berlin rückwirkend zum 18. Juni für fünf Jahre eingefroren werden. Davon könnten knapp ….

…. 1,5 Millionen Haushalte in der Hauptstadt profitieren. Wer auf Wohnungssuche ist, darf zudem künftig nicht mehr als der Vormieter zahlen. Liegt dessen Miete über einer in einer Tabellenmiete festgelegten Obergrenze, darf sie auf diese verkürzt werden. Über das Onlineprojekt Mietenwatch [3] kann man beobachten, wie und wo in Berlin die Mieten besonders heftig gestiegen sind.

Käme der Mietendeckel so durch, wäre das nicht die von vielen Medien herbeigeredete Revolution. Allerdings würde es sich um eine Reform handeln, die den Menschen mit wenig Geld und Macht konkrete Verbesserungen bringt. Es wäre damit eine Reform in dem Sinne, wie der Begriff bis Ende der 1970er Jahre verstanden wurde. Reformen brachten den Menschen, die wenig Macht und Geld haben, konkrete Verbesserungen und mussten den Kapitalkräften abgerungen werden. Es war das Geschäft der Sozialdemokratie, mit solchen Reformversprechen die organisierte Arbeiterbewegung davon abzuhalten, das System grundlegend infrage zu stellen.

Doch seit den 1980er Jahren wurde der Begriff „Reform“ zum Schreckenswort für Menschen mit wenig Geld. Bedeutete er doch, noch mehr den Gürtel enger schnallen zu müssen, Kürzungen von Sozialleistungen, Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, Schleifung der erkämpften Arbeiterrechte. Der Publizist Rainer Balcerowiak hat in seinem Buch „Die Heuchelei von der Reform“ [4] diesen Wandel des Begriffes gut dargelegt. Plötzlich waren es die Wirtschaftsliberalen aller Parteien, die ständig von Reformen sprachen, wenn sie die sozialen und politischen Verhältnisse noch passgenauer für die Kapitalinteressen machen wollen. Reformgegner sind dann die Menschen, die an erkämpften Arbeiterrechten festhalten wollen.

Aktienkurs von Deutsche Wohnen stürzte ab

Der Mietendeckel ist daher tatsächlich bemerkenswert, weil er wieder mal eine Reform ist, die die Gesellschaft nicht noch mehr den Kapitalinteressen anpasst. Das zeigte sich bereits daran, dass der Aktienkurs des Immobilienkonzerns Deutsche Wohnen abstürzte [5], nachdem bekannt wurde, worauf sich die Landesregierung geeinigt hat.

Das sollte für die Mieterbündnisse Anlass für öffentliche Sektpartys sein. Sie sollten damit deutlich machen, dass sie sich nicht vom Steigen und Fallen des Aktienkurses und des Dax irre machen lassen. Jahrzehntelang haben neoliberale Medien und Politiker die Propaganda verbreitet, dass steigende Aktienwerte darüber entscheiden, wie gut die Menschen leben. Doch umgekehrt wird ein Schuh draus. Wenn der Dax und der Aktienkurs der Berliner Immobilienunternehmen sinken, wenn diese Unternehmen um Berlin einen Bogen machen, wäre das für viele Mieter eine gute Nachricht. Dann könnte es in Berlin wieder Wohnungen geben, die auch für Menschen mit geringen Einkommen bezahlbar sind.

Viele Mieter haben das begriffen. Daher ist eine Berliner Mieterbewegung entstanden, ohne die es die Diskussion über den Mietendeckel gar nicht geben würde. Der ist kein Geschenk linksreformerischer Politiker, die noch vor 10 Jahren selber aktiv an der Privatisierung von kommunalen Wohneigentum beteiligt waren. Es waren die berühmten Berliner Mietrebellen [6], die es möglich machten, dass die Berliner Landesregierung eine Reform beschließt, die tatsächlich das Kapital und nicht die Subalternen ärgert.

Klassenkampf von oben gegen kleine Reform

Wenn jetzt CDU- und FDP-Politiker im Zusammenhang mit dem Mietendeckel vom schwarzen Tag von Berlin reden, dann wird wieder einmal deutlich, dass wir in einer Klassengesellschaft leben und die Politiker ein wichtiger Teil davon sind. Für Millionen betroffene Mieter wäre es ein kleiner Grund zum Feiern, wenn der Mietendeckel nicht noch löchriger gemacht wird.

Dennoch bleiben viele Fragen. Was passiert nach den fünf Jahren, die der Mietendeckel jetzt gelten soll? In welchen Umfang werden Mieterhöhungen dank der vorgesehenen „Inflationsausgleiches“ oder „moderater Modernisierung“ weiter möglich sein? Werden die Ausnahmen erweitert und droht dann der Mietendeckel so stumpf wie die Mietpreisbremse zu werden?

Es ist immer noch möglich, dass Gerichte aus verschiedenen Gründen den Mietendeckel stoppen. Es gibt unterschiedliche Gutachten dazu. Manche sprechen den Landesregierungen auch generell ab, einen Mietendeckel beschließen zu können. Egal, ob der Mietendeckel nun kommt oder nicht, die Mieter müssen rebellisch bleiben und dürfen sich nicht auf die Politiker verlassen. Die Demonstration unter dem Motto „Deckeln aber richtig“ [7] am 3. Oktober in Berlin war da ein gutes Beispiel.

Rechte Gegenkampagne

Zudem würde es sich lohnen, Politiker, Unternehmerverbände und Lobbyorganisationen der Wirtschaft in den Fokus der Kritik zu rücken, die in den letzten Monaten eine Hetzkampagne gegen die kleine Reform zugunsten der Mieter gestartet haben. Sie haben zudem den Eindruck erweckt, es drohe eine DDR light bzw. ein Venezuela an der Spree, wenn der Mietendeckel kommt.

In der Rubrik Medientagebuch der linksliberalen Wochenzeitung Freitag hat Benjamin Knödler einige Beispiele für diese antilinke und wirtschaftsliberale Hetze über die „irre Mietenkillerin“ [8] zusammengetragen. So wurde die Berliner Bausenatorin Lompscher von dem in rechtspopulistischen Kreisen sehr angesehenen Blogger Don Alphonso als linke Irre“ [9] tituliert, weil sie sich für diese Reform stark machte.

Hier wird auch die soziale Demagogie der extremen Rechten deutlich. Wenn es gegen Migranten geht, spielen sie auf der sozialen Klaviatur, aber in der Realität sind sie die Stützen des Kapitals. Natürlich durften auch Verschwörungstheorien über eine kleine linksradikale Organisation, die angeblich im Hintergrund alles lenkt [10], bei dieser Hetze nicht fehlen.

Wie sich Geschichte wiederholt. Vor knapp 100 Jahren riefen vom Kapital finanzierte Verbände wie die Antibolschewistische Liga [11] offen zum Mord an Linken auf. Es blieb nicht bei Worten. Sie waren mit ihren Antisemitismus und ihren Antibolschewismus die Vorläufer des Nationalsozialismus. Damals ging es darum, die revolutionären Arbeiter, die sich für ein Rätesystem einsetzten, mit allen Mitteln zu stoppen. Wenn heute das Kapital und seine Medien schon in Wallung kommen wegen eines Reformgesetzes wie den Mietendeckel, dann vor allem deshalb, weil sie in den letzten Jahrzehnten gewohnt sind, dass es nur noch Reformen in ihrem Interesse gibt. Es ging alles nur noch darum, dass die Aktienkurse steigen, auch wenn viele Mieter sich in Berlin keine Wohnungen mehr leisten können.

Wenn die Politiker einknicken und die Mietrebellen sich zurücknehmen, haben die Wirtschaftsliberalen aller Parteien gewonnen. Vielmehr sollte die Mieterbewegung Forderungen stellen, die über den Mietendeckel hinaus geben. Die Kampagne Deutsche Wohnen enteignen [12], aber noch mehr die Initiative Neuer Kommunaler Wohnungsbau [13] wären dafür einige Beispiele. Denn nur, wenn es eine starke Massenbewegung gibt, die mehr als den Mietendeckel will, ist der Staat des Kapitals bereit, einige Reformen zu akzeptieren. Auch das ist eine der Erfahrungen der Novemberrevolution vor fast 101 Jahren.

Peter Nowak