Lieferdienstkuriere agieren mittlerweile gewerkschaftlich. Die Folgen der Foodora-Übernahme sind noch offen

Gemeinsam für bessere Arbeit

Dem Rückzug von Deliveroo kann der Gewerkschafter durchaus auch positive Seiten abgewinnen, obwohl der Verlust von rund 1100 Arbeitsplätzen für die Betroffenen schmerzlich ist. «Unserer Meinung nach hängt der Rückzug damit zusammen, dass das Modell der Scheinselbstständigkeit der Fahrer*innen nicht funktioniert hat.»

Im Hof des Aquino-Hotels in Berlin-Mitte haben sich Donnerstagmittag viele Essensdienstlieferanten versammelt: Kurier*innen mit weiß-violetten T-Shirts von Foodora und Fahrer*innen in orangefarbenen Hemden mit dem Logo des österreichischen Lieferservices Lieferando. Sie waren allerdings nicht im Dienst, sondern hatten sich auf Einladung der….

…..Gewerkschaft, Nahrung, Genussmittel, Gaststätten (NGG) zum Riders Day getroffen. Dieser dient dem Austausch und der Koordination der gewerkschaftlich organisierten Kurierfahrer*innen.

Längst ist die Branche der Essenskuriere keine gewerkschaftsfreie Zone mehr. Nachdem sich vor drei Jahren in Kooperation mit der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) die Deliverunion gründete, haben auch die DGB-Gewerkschaften das Organisierungspotenzial erkannt.

Das war nicht immer so, und selbst die Zuständigkeiten innerhalb der Einzelgewerkschaften blieben lange unklar. 2016 hatten sich Kurierfahrer*innen bereits an die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gewandt. Der damals zuständige Gewerkschaftssekretär Detlef Conrad hatte sich den Unmut der Fahrer*innen zugezogen, als er auf einer Veranstaltung sein Unverständnis darüber bekundete, dass so viele Menschen Essen nach Hause bestellen und so diese schlecht bezahlten Jobs erst schaffen würden.

Seit die Zuständigkeiten bei der NGG gelandet sind, hat sich das Bild gewandelt, wie auf dem Riders Day deutlich wurde. Dort wurden die Kolleg*innen von jungen Gewerkschafter*innen begrüßt, die teilweise selber beim Lieferservice gearbeitet haben. Dazu gehört der 23-jährige Keno Böhme. Bevor er als Hauptamtlicher bei der NGG anfing, initiierte er bei dem am vergangenem Freitag beinahe über Nacht aus Deutschland verschwundenen Dienst Deliveroo die Kampagne «Liefern am Limit». Sie setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen und eine gewerkschaftliche Vertretung ein.

Nach der Betriebsratsgründung wurde Böhme entlassen. Er kann daher dem Rückzug von Deliveroo durchaus auch positive Seiten abgewinnen, obwohl der Verlust von rund 1100 Arbeitsplätzen für die Betroffenen schmerzlich ist. «Unserer Meinung nach hängt der Rückzug damit zusammen, dass das Modell der Scheinselbstständigkeit der Fahrer*innen nicht funktioniert hat.»

Die sogenannten Riders waren bei Deliveroo solo-selbstständig tätig. «Sollte es Überlegungen beim deutlich größeren Konkurrenten Lieferando gegeben haben, dieses Modell auszuprobieren, dürfte sich das hiermit erledigt haben. Das bedeutet mehr Sicherheit in Zukunft für deutlich mehr Beschäftigte als jetzt ihren Job verlieren – und das feiern wir», erklärte Böhme. Lieferando biete auf niedrigem Niveau in der Branche die besten Arbeitsbedingungen, erklärte der Referatsleiter Gaststätten bei der NGG Christoph Schink gegenüber «nd».

Ein wichtiges Diskussionsthema auf dem Riders Day war die Übernahme von Foodora durch Lieferando Ende 2018. «Die Übernahme könnte auch auf gewerkschaftliche Sicht ein Erfolg sein, wenn die Betriebsratsstruktur erhalten wird und wenn die bei Foodora bestehenden Arbeitsverträge angerechnet werden», benennt Schink Forderungen der NGG. Aktuell ist das Prozedere noch völlig offen. Die Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft und der Geschäftsleitung von Lieferando sind im Gange. Daher müsse der Druck aufrechterhalten werden, betont Schink. «Die Frage der Anrechnung ist für die Beschäftigten zentral, denn davon hängt es ab, ob sie befristete Arbeitsverträge bekommen. Erst nach zwei Jahren hätten sie Anspruch auf eine Festanstellung. Eine weitere Forderung der Rider ist die Bezahlung der Arbeitsmittel durch den Lieferdienst. Bisher sind sie selber für die Reparaturen am Rad verantwortlich.

Der Riders Day endete am Abend mit einer Kundgebung vor der Zentrale von Lieferando, die erst nach Redaktionsschluss begann. Dort wollten die Fahrer ihre Forderungen stellen. »Wir wollen deutlich machen, dass für die NGG prekäre und flexible Arbeitsverhältnisse wie im Lieferservice kein Hinderungsgrund für eine gewerkschaftliche Organisierung sind«, so Schink.