Manchmal ist Satire die beste Analyse: »Grüne im Glück: Mehrheit ihrer Wähler zu jung, um sich an Regierungsbeteili- gung 1998-2005 zu erinnern« schlagzeilte jüngst »Der Postillon« mit Blick auf Umfra- gen und die Europawahl. Dabei »zitierte« man junge Grünenfans, die sich gar nicht vorstellen können, dass die Partei ihrer Erstwahl jemals mitregiert habe, weil es ja dann der Umwelt besser gehen müsste – und nicht glauben wollen, dass die Grünen….
….an Hartz IV beteiligt waren sowie in sieben Regierungsjahren zwei Kriege mittrugen: Afghanistan und Kosovo.
Nun lässt sich die umweltpolitische Bilanz jener Regierung, der bei aller Kritik zuzugestehen ist, gegen erhebliche Widerstände den »Einstieg in den Ausstieg« aus der Kernenergie bewerkstelligt zuhaben, auch freundlicher darstellen. Merkwürdig aber bleibt, dass die SPD bis heute dafür gestraft wird, damals mit den Hartz-Reformen ihre sozialpolitische Identität verraten zu haben – während es für die Grünen nie zu Problem wurde, dass sie mit ihren Kriegsentschei- dungen Grundsätze über Bord warfen, die einst kaum weniger zu ihrem Markenkern zählten als die Umwelt. Schließlich ging die Partei aus der Friedensbewegung der 1980- er Jahre hervor und beerbte den Mobilisie- rungszyklus von 1968, der sich – Stichwort Vietnam – ja auch an Fragen der Außenpo- litik entzündet hatte.Deswegen erwarteten nach der Kriegs- entscheidung im Frühjahr 1999 viele, die nun als »olivgrün« verspottete Partei werde zu- mindest abgestraft. Dass es anders kommen würde, bemerkte mit als erste die Berliner Anarchistin Samira Fansa. Nachdem sie am 13. Mai 1999 den grünen Außenminister Joschka Fischer vor seiner Kriegsrede auf dem entscheidenden Son- derparteitag in Bielefeld mit einem Farbbeutel getroffen hatte, merkte sie rasch, dass es »viel weniger Solidarität« gebe, als sie angenom- men habe, berichtete Fansa jüngst auf einer Veranstaltung des Linkspartei-Bildungswerks »Helle Panke«. Tatsächlich erzielten die Grünen bei der folgenden Bundestagswahl mit8,6 Prozent ihr bis heute nach 2009 (10,7 Prozent) und 2017 (8,9) drittbestes Ergebnis – während die PDS, die sich pointiert gegen den Krieg gewendet hatte,die Fünfprozenthürde riss. Dafür gab es spezifische Gründe: Die Kampagne 2002 war um den Kandidaten Edmund Stoiber (CSU) polarisiert, den zu stoppen viele zu einer Stim- me mit zugehaltener Nase motiviert haben mag. Auch konnte Rot-Grün das »Ja« zu den Kriegen um Kosovo und Afghanistan im Wahlkampf hinter dem »Nein« zur sich ab- zeichnenden Invasion Iraks – und zum US-Präsidenten George W. Bush – verstecken.
Andererseits aber provoziert die Frage, wie die Grünen so glatt über diesen Dammbruch hinweggehen konnten, einen genaueren Blick auf deren friedenspolitisches »Erbe« provozieren. Denn Fansas Aktion mag, woran auf jener Veranstaltung Gregor Gysi erinnerte, auf dem chaotischen Grünenparteitag die Entscheidung in Fischers Sinn beeinflusst haben, doch mittelfristig war dieser Mitleidseffekt kaum entscheidend.
Von der Friedensbewegung zum liberalen Interventionismus
Wie konnte das »alternative« Milieu der Grünen in nur einer Dekade von einem friedensbewegten Mainstream mehr oder minder guten Gewissens zu einem liberalen Militärinterventionismus gelangen? Damit sollten sich Historiker befassen. Vorläufig lässt sich ein mentalitätsgeschichtlicher Komplex ausmachen, der sich um den im Alternativmilieu gängigen Faschismusdiskurs, um den für diese Kreise typischen Pazifismus und verbreitete Vorstellungen und Praktiken »Internationaler Solidarität« rankt.
Erstens ist zwar die – damals wie heute von sogenannten Antideutschen vorgebrachte – These überspitzt, es habe nach 1968 ganz im Gegensatz zur allgemeinen Erzählung keine tief greifende Befassung mit dem Nazismus gegeben. Üblich war aber ein recht freihändiger »Export« der Faschismusdiagnose in vieler Herren Länder. Dieser verschobene Antifaschismus mag dann empfänglich gemacht haben für die nach 1990 im medialen Dauerfeuer erzeugte Gleichsetzung Serbiens mit dem Nazireich, die in Fischers Parole mündete, gerade »wegen Auschwitz« sei zum dritten Mal im 20. Jahrhundert Belgrad anzugreifen.
Zweitens wäre der seinerzeit allgegen- wärtige Pazifismus zu befragen: War dieser tatsächlich eine gefestigte, universelle Hal- tung? Oder ein »Betroffenheitspazifismus«, vor allem darauf gegründet, dass Deutsch- land selbst Schauplatz des »Dritten Weltkriegs« zu werden drohte – und dann nach 1989/90 emotional quasi substanzlos?
Drittens war das Milieu ohnehin nur in Teilen pazifistisch. Zumindest symbolisch war stets auch kriegerische Solidarität mit Befreiungsbewegungen weit verbreitet, etwa durch Spendenaufrufe für Waffenkäufe. Waren nun die Kosovo-Guerillas der UCK einmal als die neuen Sandinisten akzeptiert, konnte sich der bis heute spürbare Effekt ein- stellen, dass einstige »Ökopaxe« mitunter bellizistischer reden als Konservative.
Politologisch gesprochen verschob sich in dieser Gemengelage des Friedensforschers Johan Galtung in den 1980ern viel zitierter Begriff »positiven« Friedens – womit nicht nur das Fehlen bewaffneter Konflikte zwischen, sondern auch Gerechtigkeit inner- halb von Staaten gemeint war – von der Ebe ne transnationaler Basis-zu-Basis-Solidarität auf eine Ebene internationaler, »notfalls« auch bewaffneter Regierungspolitik: Als wären Bundeswehr und NATO jener robuste Arm, den man sich einst gewünscht hatte.
Nun ist all das weder dem organisierten Rest der Friedensbewegung vorzuwerfen noch der nach 1990 marginalen Bewegungslinken. Beide versuchten, zu mobilisierten, nur ohne breite Resonanz.
Das Scheitern von 1999
Was aber 1999 und da- nach vermasselt wurde, ist eine politische Kritik dieser Wanderung des Alternativmilieus zu einem konsensliberalen Bellizismus. Dabei hätte sich der Kosovokrieg hierfür angeboten, weil im Widerstand zum bisher letzten Mal alle lin- ken Lager vereint waren: Von der alten Frie- densbewegung und dem mehr oder minder traditionellen Antiimperialismus – für den noch mehr als heute die »Junge Welt« stand – über die Antifa-, Hausbesetzer- und Autonomenszenen bis hin zu jenem Spektrum von »Jungle World« und »Konkret« bis zur der Zeitschrift »Bahamas«, für das sich zeitweise die irreführende Eigenbezeichnung »anti-deutsch« einbürgere.
Die Hauptverantwortung für dieses Scheitern trifft das letztgenannte Spekt- rum. Erstens hätten diese Kreise in ihrer akademischen Prägung am ehesten die Ressourcen für solche Kritik gehabt.
Zweitens hatte hier nach 1990 tatsächlich die instinktive Auseinandersetzung mit den Be- ständen des alten Alternativmilieus und der Friedensbewegung begonnen. Diese wurde aber vorschnell abgebrochen. Statt zu fra- gen, wie genau gerade diese Milieus zu Stüt- zen des auftrumpfenden Neudeutschlands wurden, begnügte man sich mit der Pole- mik, dass dem so war. Dabei schrieb man ge- rade erkannte Problematiken wie jene in der Tat auffällige Inflationierung des Faschis- musbegriffs selbst fort: So hatte der Publi- zist Wolfgang Pohrt für die Friedensbewe- gung nur »Hass« und »Verachtung« – und entdeckte man in seinem Gefolge deren »völ- kischen« Charakter.
So trug eine Kultur innerlinker Maximal- beschimpfung zum Scheitern der Antikriegs- mobilisierung bei. Als, wie Fansa bei jener Diskussion berichtete, die Demoleitung beim größten, in der Bewegungslinken bundes- weit beachteten Mobilisierungsversuch im April 1999 in ihrer Bemühung um eine an- timilitaristische Geste serbische Flaggen un- tersagte – und 300 mit ebensolchen Er- schienene dann einen eigenen Zug bildeten –, wüteten in heute unvorstellbarem Gleich- klang der »Bahamas«-Chefideologe Justus Wertmüller und der verstorbene »Junge Welt«-Kommentator Werner Pirker über die »ethnische Säuberung in Kreuzberg«.
Damit war die Chance vertan, die Koso- vo-Situation strömungsübergreifend zu kri- tisieren und Folgerungen zu ziehen – etwa eine Tabuisierung des außenpolitischen Fa- schismusvorwurfs zu bewerkstelligen, des- sen sich 1999 die Regierung bemächtigt hat- te, oder gegen den »Betroffenheits-« einen »Verantwortungspazifismus« aufzurichten, der sich in der bis heute eher uni- als multi- polaren Welt auch Galtungs »positivem Frie- den« skeptischer hätte nähern können.
Fantasievolle Theorien vom Vierten Reich
Stattdessen überholte der bis heute einfluss- reiche »antideutsche« Diskurs den liberalen Bellizismus noch. Schon gegen den Kosovo- krieg war man nur aufgrund der vom Publizisten Matthias Küntzel gebastelten Theorie, Berlin habe Washington »am Nasenring« in einen »deutschen Krieg« gezerrt. Gemäß dieser fantasievollen Erklärung deutete man 2002 auch die deutsche Zurückhaltung gegenüber der Irak-Invasion als revanchisti- sche Taktik eines »Vierten Reiches« gegen- über der – einem angeblich dominanten »antiamerikanischen« Bewusstsein verhassten – Führungsmacht. Die Massenkundgebungen gegen diesen absehbar katastrophalen Krieg, die sich tatsächlich darauf gründeten, dass sich Regierung und Leitmedien an deren Spitze stellten, wurden schrill verdammt: So deutete man teils die Skepsis gegenüber der durchsichtigen Lüge von »Saddams Massenvernichtungswaffen« als sublimen antisemitischen Vernichtungswunsch, bedrohten die angeblichen Waffen doch Israel.
Statt den grünen Bellizismus zu kritisieren, wirft heute ein erheblicher Teil des Spektrums, das sich links nennt (und innenpolitisch manchmal auch ist) den Grünen »Appeasement« vor. Inflationär redet man vom »Islamofaschismus« und dichtet der US-Außenpolitik einen »universalistischen« Wertehorizont an, worüber die dem sog nannten »Realismus« reiner Machtpolitik zuneigende US-Politologie nur lachen könnte, wären diese Idioten nicht so nützlich. Horizont dieser »geschichtspolitisch« begründeten Weltsicht, die über die Leichen anderer geht, sind die »Interessen Israels« – oder besser: die Agenda der regierenden israelischen Rechten. Die Agenda Russlands hingegen, das neben dem Judentum die Hauptlast der Nazibarbarei trug, wird bekämpft.
So hat hierzulande heute die Bewegungslinke zur Frage von Krieg und Frieden nichts zu sagen. Schlimmer noch: Man vermeidet das Thema besser, will man die Party nicht platzen lassen. Eine Linke, die eher gegen den Publizisten Jürgen Todenhöfer mobilisiert als gegen die fortgesetzten spätkolonialen Weltordnungskriege und deren Verwerfungen, gibt ihr klassischstes Thema teils tatsächlich einer rechtsdrehenden Mystik preis.
Bleibt zu hoffen, dass die nun einsetzende Historisierung dieses Abschnitts der Bewegungsgeschichte dazu führt, dass sich all diese olivgrünen Paradoxien bald im befreienden Lachen der Jüngeren auflöse. Peter Nowak und Selten Schäfer
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1121415.die-gruenen-olivgruenes-paradoxon.html