„EU-Ratspräsidentschaft für besseren Schutz der europäischen Urwälder nutzen“, lautet eine aktuelle Forderung der Umweltschutzorganisation Robin Wood. Die NGO hat anschaulich beschrieben, wie eine Protestaktion für mehr Staatseingriffe aussieht: ….
…. Am 1. Juli hat Deutschland für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. In dieser Zeit wird auf EU-Ebene an einer europäischen Waldstrategie gearbeitet. Die ROBIN WOOD-Petition verlangt von Julia Klöckner eine klare Positionierung zu einer starken Waldstrategie, die den Schutz der Natur- und Urwälder Europas über forstwirtschaftliche Interessen stellt. Es gilt, Natur- und Urwälder zu kartieren und verbindlich schützen, illegalen Holzeinschlag zu stoppen und Verstöße gegen Gesetze des Waldnaturschutzes konsequent zu verfolgen.
Begleitet wurde die Übergabe am Morgen von einer Protestaktion. An Fahnenmasten vor dem Ministerium spannten zwei Kletteraktivist*innen ein acht Meter langes Banner. Darauf abgebildet ist eine Kettensäge mit 12 goldenen Sternen statt der Sägezacken, die einen Baum fällt sowie die Forderung: „Save the European Primary Forests! – Rettet die europäischen Urwälder!“ Unter dem Banner schützten Aktivist*innen szenisch Bäume vor drohenden Holzfällarbeiten.
Robin Wood
Es gab eine Zeit, da waren Kletteraktionen in der Umweltbewegung darauf gerichtet, staatliche Maßnahmen, beispielsweise Atomtransporte oder Waldabholzungen wie im Hambacher Forst zu verhindern oder möglichst lange aufzuhalten. In dieser Tradition stehen auch heute noch die Kletteraktionen der gewaltfreien Anarchistin Cecile Lecomte. Doch Kletteraktionen für mehr Staatseingriffe, wie die von Robin Wood, haben schon einen längeren Vorlauf.
Schon vor mehr als 20 Jahren hat Jörg Bergstedt in seiner noch erhältliche Studie Agenda, Expo, Sponsering den Weg aufgezeichnet, der einige NGOs dazu führte, einen Klimanotstand zu fordern. Ein bei Linken lange negativ besetzte Begriff wie der Notstand taucht damit plötzlich in dem Forderungskatalog von Protestbewegungen wieder auf.
Und wie Deutschland ist auch die EU zum Objektiv von Reformhoffnungen von NGOs geworden. Linke Kritik an der real existierenden EU ist dann meistens Fehlanzeige. Im Gegenteil wird die EU sogar als Antipode der Nationalstaaten ins Feld geführt. Eine prononcierte EU-Freundlichkeit ist daher in linksliberalen Kreisen ein fester Bestandteil. Kritik an der EU wird dann oft schnell in die rechte Ecke gestellt. Nachdem die deutsche Regierung scheinbar von ihrer strikten Austeritätspolitik abweicht, mit der 2015 die griechischen Sozialdemokraten von Syriza in die Knie gezwungen wurden, schwärmt der DGB-Vorstand schon von einem Quantensprung in der europäischen Fiskalpolitik. Da wird schlicht vergessen, dass das deutsche Kapital in der EU Absatzmärkte braucht und sich deren Fiskalpolitik genau dran orientiert.
Krisengewinnler Deutschland
Der langjährige Attac-Aktivist Peter Wahl hat diese Zusammenhänge in einen Kommentar für die Tageszeitung Neues Deutschland so zusammengefasst:
Bezogen auf die interne Machtarchitektur der EU wird Deutschland zum Krisengewinnler und kann seine Dominanz ausbauen. Daran ändert auch das geplante Recovery-Programm nichts, das manche für einen Wendepunkt in der deutschen Europapolitik halten. Der DGB schwärmt sogar von einem „Quantensprung“. Hier brechen wieder mal die Illusionen durch, die seit dreißig Jahren regelmäßig das „soziale Europa“ beschwören – real kommt dann immer das Gegenteil heraus. Für Italien sind 82 Milliarden Euro an Zuschüssen vorgesehen. Das ist natürlich besser als nichts. Aber allein der Anstieg der italienischen Schulden bedeutet in absoluten Zahlen 560 Mrd. Euro. Da trifft doch eher die Einschätzung des offiziösen Brüsseler Thinktanks Bruegel zu, dass die Maßnahmen „unter dem bleiben, was die katastrophale Lage erfordern würde“.
Peter Wahl
Wahl ist auch einiger der wenigen, der einige Fragen stellt, die erkennen lassen, dass er sich noch an eine Zeit erinnert, als es eine linke EU-Kritik auch in Deutschland und eine Alternative zum Status Quo der real existierenden EU und einem Zurück zum Nationalstaaat gegeben hat.
Aber vielleicht bietet die Krise auch Anlass für eine grundsätzlichere Debatte über die Zukunft der EU, incl. der sog. Finalitätsfrage. Sind die „Vereinigten Staaten von Europa“ ein emanzipatorisches Projekt, oder, wie u.a. Rosa Luxemburg meinte, eine reaktionäre Idee? Für die gesellschaftliche Linke böte sich dabei die Gelegenheit, darüber aufzuklären, dass unter den gegebenen Kräfteverhältnissen „Mehr Europa“ nicht nur, wie seit Maastricht, mehr Neoliberalismus, mehr Privatisierungen, mehr Austerität bedeutet, sondern inzwischen auch mehr Großmachtgehabe, mehr Militär und mehr internationale Konfrontation. Schließlich gibt es kaum noch ein Statement, in dem Brüssel nicht nach Großmachtstatus giert.
Peter Wahl
Der Begriff der Souveränität und das Glitzern im Vagen
Allerdings zeigt Wahl auch, wie schmal der Grat zwischen einer emanzipatorischen EU-Kritik und einem Abdriften in souveränistische Gefilde ist. Er benennt einige Fehler in der aktuellen linken EU-Debatte:
Angefangen mit der Verwechslung der EU mit Europa, über die Verwechslung von Internationalismus mit den supranationalen Mechanismen der EU, bis hin zur Verwechslung von demokratischer Souveränität mit Nationalismus.
Peter Wahl
Doch was soll die vom Nationalismus abgesetzte demokratische Souveränität sein? Dass lässt Wahl im Unklaren. Dabei beschreibt der Publizist Rudolf Walther unter der Überschrift „Glitzern im Vagen, wie sich in Frankreich unter dem Begriff der Souveränität Politiker von links und rechts sammeln. Allerdings ist Walther wiederum dafür zu kritisieren, dass er wie viele EU-Befürworter jegliche linke EU-Kritik unter Rechtsverdacht stellt. So endet sein Essay mit der schwer begründbaren Warnung:
Wird da ein Sprengsatz in die EU geworfen? Ebenso unklar wie die Absichten der Souveränisten aller Lager sind ihre politischen Aussichten. Vieles spricht dafür, dass sich alle Akteure des makabren Spiels bald in den Kulissen und Kostümen des erbaulichen Nationaltheaters aus dem 19. Jahrhundert als Zauberlehrlinge wiederfinden, die nur das Geschäft eines anderen beleben – des nationalistischen, antieuropäischen Frankreichs von Marine Le Pen.
Rudolf Walther
So zeigen die beiden Beiträge von Walther und Wahl auch das Dilemma der gegenwärtigen linken EU-Debatte gut auf. Wahl stellt einige richtige Fragen zur linken EU-Politik und landet dann bei dem vagen Begriff der demokratischen Souveränität. Walther kritisiert die Vagheit des Begriffes und kann sich keine Alternative zur realexistierenden EU vorstellen.
EU oder jeder stirbt für sich allein
Dabei hat die Publizistin Nelli Tügel in einen Kommentar in der linken Monatszeitung „analyse und kritik“ unter der Überschrift „EU – Jeder stirbt für sich allein“ eine linke EU-Kritik auf der Höhe der Zeit geleistet. Tügel bezog sich in ihren Kommentar auf die nationalistische Abschottungspolitik in allen EU-Staaten zu Beginn der Corona-Krise. Schon am 22. März postete Tügel auf Twitter:
Ich glaube eher, die EU ist Geschichte. In den EU-Flüchtlingslagern in Griechenland wird der moralische Bankrott des Staatenbundes gerade endgültig besiegelt. Staaten klauen sich gegenseitig die Ausrüstung weg. Bis auf wenige Ausnahmen stirbt jeder für sich allein.
In ihren ak-Kommentar führte sie ihre Kritik weiter aus:
Zumindest böte sich hier die Gelegenheit, eine alte, in den vergangenen Jahren etwas verkümmerte, radikale EU-Kritik zu erneuern und sich nicht mehr selber in die Tasche zu lügen – jetzt da die Karten so klar auf dem Tisch liegen, weil Katastrophen und Krisen eben das Gute, das Schlechte, die Prioritäten – und den eigentlichen Charakter so mancher Gebilde zutage treten lassen.
Nelli Tügel
Diese Aufforderung sollten linke Gruppen beherzigen, die nicht beim Klettern für mehr Staatlichkeit landen wollen und sich auch nicht dem Lager der Souveränisten anschließen wollen. (Peter Nowak)
https://www.heise.de/tp/features/Suche-nach-einer-linken-EU-Kritik-4836338.html