In Berlin-Kreuzberg gibt es neue Proteste gegen die Verdrängung von Gewerbetreibenden und Mietern, ausgelöst von der Kündigung des Buchladens »Kisch & Co«. Die »Jungle World« hat darüber mit Philipp Vergin von der Stadtteilinitiative »Bizim Kiez« gesprochen.

»Kaufsumme durch Mietsteigerungen reinholen«

"Wir wollen helfen, diesem renditegetriebenen Dax-Konzern seine Shoppingtour zu vermasseln. Ich bin begeistert davon, wie schnell sich die Hausgemeinschaften selbst organisieren und was sie bereits auf die Beine gestellt haben."

Warum gibt es eine Kampagne für den Erhalt des Buchladens »Kisch & Co« und wer will ihn verdrängen?….

…. »Kisch & Co« ist seit 20 Jahren eine Institution in der Oranienstraße. Der Laden und die anderen bedrohten Kultureinrichtungen im Haus prägen das Gesicht der Straße entscheidend. Seit dem 1. Juni ist die Buchhandlung ohne Mietvertrag. Der Luxemburger Immobilienfonds Victoria Immo Properties V Sàrl hatte zuletzt nur einen inakzeptablen Knebelvertrag bis zum Ende des Jahres angeboten. Hinter dem Fonds steckt Medienberichten zufolge wahrscheinlich der milliardenschwere Familienclan Rausing, der mit der Herstellung von Tetra-Pak-Getränkekartons reich geworden ist. Die Familie soll das Haus für 35,5 Millionen Euro vom Milliardär Berggruen gekauft haben und versucht jetzt, einen Teil der Kaufsumme durch Mietsteigerungen um bis zu 280 Prozent reinzuholen.

Orientieren Sie sich an der Kampagne für den Verbleib des Gemüseladens im Jahr 2015, durch die »Bizim Kiez« bekannt geworden ist?

Wir organisieren den Protest zusammen mit den Gewerbetreibenden von »OraNostra« und »GloReicheNachbarschaft«. Was ihn bis heute ausmacht, ist die besondere Mischung aus Politik und Kultur, die die Nachbarschaft eingebracht hat. Da passt es gut, dass wir in den nächsten Wochen Protestlesungen vor dem Buchladen veranstalten. Und dass wir unter dem Titel »Volle Breitseite gegen Verdrängung« ein Riesenbuch zusammenstellen wollen, als Zeugnis der breiten Solidarität im Kiez.

Zur gleichen Zeit wurde bekannt, dass sich Mieter von 23 an das Unternehmen »Deutsche Wohnen« verkauften Häusern in Kreuzberg organisieren. Gelingt die Kooperation zwischen beiden Gruppen?

Wir wollen helfen, diesem renditegetriebenen Dax-Konzern seine Shoppingtour zu vermasseln. Ich bin begeistert davon, wie schnell sich die Hausgemeinschaften selbst organisieren und was sie bereits auf die Beine gestellt haben. Geholfen hat, dass es mittlerweile Strukturen wie die Starthilfe-AG der Kampagne »Deutsche Wohnen & Co enteignen« gibt, die mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Trotz »Mietendeckel« geht die Verdrängung weiter. Führt das auch zu Enttäuschung bei aktiven Mietern?

Der »Mietendeckel« ist wichtig, weil er Hunderttausende Mieter um schätzungsweise 2,5 Milliarden Euro entlastet und vor Verdrängung schützt. Er ist ein Riesenerfolg der Mieterbewegung. Aber dass er hinten und vorne nicht reicht, war uns wohl allen klar. Derzeit müssen wir dringend dafür sorgen, dass die Profitstrategie nicht aufgeht, Miet- in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Es müsste zudem eine Verpflichtung geben, nur noch bezahlbare Sozialwohnungen zu bauen.

»Kreuzberg. Das andere Berlin« heißt ein kürzlich erschienener Bildband von Jürgen Enkemann. Ist der Stadtteil ein Modell für Berliner Mietrebellen?

In Kreuzberg gibt es eine lange Tradition von Selbstorganisation, widerständiger Praxis und alternativen Bewegungen. Das hatte oft Laborcharakter, ist dann aber meist an den anderswo herrschenden Mehrheits- und Kräfteverhältnissen oder den eigenen Widersprüchen gescheitert. Anderes aber ist nach wie vor präsent oder als Erfahrungsschatz reaktivierbar. Davon zehren auch wir als Initiative. Kreuzberg ist bestimmt nicht der Sehnsuchtsort für alle, die sich eine solidarische Stadt wünschen. Aber es zeigt, dass auch in der Lokalpolitik mehr gewagt werden kann und muss, etwa beim aktiven Einsatz der bezirklichen Vorkaufsrechte. Interview: Peter Nowak

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