In Bezug auf den konservativ-nationalen Widerstand des 20. Juli 1944 sind sich Bundesregierung und Neue Rechte einig. Und daran gibt es kaum noch Kritik

Kein Generalverdacht gegen die Bundeswehr

Ein Teil der linken Kritiker verteidigt mittlerweile die Bundeswehr und unterstützt angebliche Kriege für die Durchsetzung der Menschenrechte. Daher stößt Kramp-Karrenbauers Erklärung, sie wolle die Bundeswehr nicht unter Generalverdacht stellen, kaum mehr auf Kritik. Wer die Generäle des 20.Juli 1944 nicht kritisieren will, stellt natürlich auch die Bundeswehr nicht unter Generalverdacht.

Es war Zufall, dass Annegret Kramp-Karrenbauer ihren neuen Job im Verteidigungsministerium kurz vor einem historischen Gedenktag übernommen hat. Es handelt sich um den 20. Juli. In diesem Jahr wurde dem 75 Jahrestag jener Offiziersrevolte am 20. Juli 1944 gedacht, als…

….Graf Stauffenberg und seine Mitverschwörer Hitler beseitigen wollten.Salbungsvolle Worte wurden auch an diesem Tag verloren. Interessanter sind die politischen Akzente, die die neue Ministerin setzte. Da ist einmal die Ankündigung, mehr Geld für das Militär auszugeben. Dafür wurde sie von SPD und Linken als Trumps Pudel beschimpft. Hier funktioniert noch der lange geübte Reflex der deutschen Friedensbewegung.

Wenn ein Politiker in Deutschland für mehr Aufrüstung und mehr Militär eintritt, wird er sofort als zu US-hörig kritisiert. Dabei wird ausgeblendet, dass Deutschland in der EU längst eine Hegemonialmacht ist und eine eigene politischen Agenda hat, die sie mal zusammen mit der USA, immer öfter aber auch gegen sie durchsetzt.

Statt dass eine antimilitaristische Opposition in Deutschland Kramp-Karrenbauer dafür kritisiert, dass sie das Militär in Deutschland stärken will, was sinnvoll wäre, wird die USA verantwortlich gemacht. „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“, wusste der vor 100 Jahren ermordete Sozialist Karl Liebknecht. Dass die SPD an diesen Spruch nicht erinnert werden will, muss nicht verwundern.

Die Freikorps, die ihn und Rosa Luxemburg töteten, wurden von SPD-Ministern mit aufgebaut. Doch auch die Linke, die sich gerne in die Tradition von Liebknecht stellt, kritisiert im Zweifel Trump, wenn eine deutsche Verteidigungsministerin den Militäretat erhöhen will.

Kein Haltungsproblem in der Bundeswehr

Der zweite politische Akzent der neuen Ministerin wurde hingegen kaum wahrgenommen. Vielleicht, weil man dafür nun wirklich nicht die USA verantwortlich machen kann? Anders als seine Vorgängerin sieht Kramp-Karrenbauer kein Haltungsproblem in der Bundeswehr. Von der Leyen hatte 2017 nach der Entdeckung mutmaßlich rechtsextremistischer Terrorpläne eines Soldaten der Bundeswehr genau dieses Haltungsproblem kritisiert und war massiv in die Kritik von rechts geraten.

Nun haben Journalisten in den letzten Monaten weitere Beispiele für rechte Netzwerkein der Bundeswehr ausgemacht. Für Kramp-Karrenbauer sind es, wenn überhaupt, Probleme einzelner Bundeswehrangehöriger, aber nicht der Bundeswehr als Institution, die sie keineswegs unter Generalverdacht stellen wolle. Das ist ein Signal nach rechts, aber es zielt weniger auf die rechte Opposition, sondern auf die Bundeswehr.

Dort gab es schließlich viele, die es von der Leyen übelgenommen haben, dass sie überhaupt von Haltungsproblemen gesprochen hat. Doch Kramp-Karrenbauers Weigerung, die Bundeswehr unter Generalverdacht zu stellen, ist bei dem historischen Datum besonders konsequent. Denn sonst könnte man sich nicht so uneingeschränkt und emphatisch auf die konservativ-nationalistischen Militärs stützen, die am 20.Juli 1944 Hitler stürzen wollen.

Denn ihnen ging es nicht um den Kampf um Demokratie, sie waren schlau genug, im Sommer 1944 erkannt zu haben, dass die Wehrmacht den Krieg verliert und wollten Hitler und seinen engsten Zirkel entfernen, um Deutschland die bedingungslose Kapitulation zu ersparen.

Reaktionäre Neuordnungspläne der Männer des 20. Juli

Die konservativ-nationalistische Opposition, die am 20. Juli 1944 Hitler beseitigen wollte, war sehr heterogen. Es gab den Kreisauer Kreis, der sich auch mit Oppositionellen aus der Arbeiterbewegung an einen Tisch setzte. Es gab die Gruppe um den deutschnationalen Politiker Carl-Heinz Goerdeler, der sehr konkrete Vorstellungen für ein Deutschland nach Hitler hatte. Der Historiker Karl-Heinz Roth hat klar erkannt, dass in diesen Plänen im Grund eine Art „Faschismus light“ zum Vorschein kommt:

Im Verlauf des Jahres 1941 erarbeitete Goerdeler eine voluminöse Programmschrift, der er den Titel „Das Ziel“ gab. In ihr war von der vehementen Kritik am kriegswirtschaftlichen Raubbau in den besetzten Ländern fast nichts mehr zu lesen. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, Goerdeler habe geglaubt, er könne von den durch die Expansionspolitik inzwischen geschaffenen Fakten ausgehen und mit den Kriegsgegnern als Gegenleistung für die Entmachtung Hitlers und die Einstellung der Kampfhandlungen die Anerkennung der inzwischen erreichten Weltmachtstellung aushandeln. Er war also keineswegs in der Lage oder bereit, aus der Analyse der radikalisierten Expansionspolitik seine eigenen Vorstellungswelten kritisch zu hinterfragen.

Karl-Heinz Roth, Junge Welt

Die Protagonisten des 20. Juli wollten Hitler in einer Zeit beseitigen, in der die Alliierten noch nicht auf deutschen Boden standen. Ihnen ging es darum, möglichst viel vom Programm eines Großdeutschlands zu retten.

Selbst über deutsche Kolonien sollte nach Goerdelers Vorstellungen mit den Alliierten verhandelt werden. Die überlebenden Juden sollten als Fremdbürger ohne bürgerliche Rechte in Deutschland bleiben können, bis sie in noch zu gründende jüdische Staaten übersiedeln sollten. Bemerkenswert ist schon, wie der Kreis um Goerdeler eine Art deutschdominierte EU skizzierte:

Goerdeler schrieb einleitend, die Entwicklung von Wirtschaft und Technik verlange die Entwicklung von „Großräumen“, und deshalb stelle sich die Aufgabe, „den Gedanken der Nationalstaaten mit der Notwendigkeit des Großraumes zu vereinen“. Da das im Zentrum Europas gelegene Deutschland von der Natur „die besten Eigenschaften zur Sicherung und Fortentwicklung des Lebens“ mit auf den Weg bekommen habe, verbürge ihm seine „hochgespannte Leistungsfähigkeit (…) die Führung des europäischen Blocks, wenn es sie sich nicht durch Unmäßigkeit oder durch Machtstaatsmanieren“ verderbe und die kleineren Völker vor den Kopf stoße. 

Deshalb sei das um Österreich, das Elsass, die Sudetengebiete und die alte polnische Grenze arrondierte „Großdeutschland“ dazu berufen, auf der Grundlage einer Zoll- und Währungsunion sowie eines von seiner unverändert starken Wehrmacht getragenen Militärbündnisses einen „Europäischen Staatenbund“ zu gründen. Entsprechend werde man den besetzten Gebieten eine „mit den deutschen Sicherheitsinteressen vereinbare“ Selbstverwaltung zurückgeben.

Karl-Heinz Roth, Junge Welt

Was sich von diesem deutschreaktionären Programm hätte umsetzen lassen, wenn die Aktion des 20. Juli geglückt wäre, muss Spekulation bleiben. Es hätte ja viel davon abgehängt, wie weit Teile der Alliierten bereit gewesen wären, darauf einzugehen. Das fragile Bündnis zwischen den USA, Großbritannien und der Sowjetunion war brüchig. Ziel des 20. Juli war es, diese Widersprüche zu vertiefen.

Nach dem Scheitern des 20. Juli sprach man in Großbritannien von einer Palastrevolte innerhalb des NS-Deutschland. Schon 1947, als der Kalte Krieg die Spaltung der Alliierten vertiefte, bezeichnete der US-Geheimdienstchef Allen W. Dulles in dem Buch „Germanys Underground“ den 20. Juli als einzigen relevanten Widerstand in Deutschland.

Die Konservativen in Großbritannien und in den USA waren mit den Konservativen in Deutschland einig, dass man die linke Arbeiterbewegung aus einer Nachkriegsordnung möglichst ausschalten wollte. Dafür hätte man dann auch darüber hinweggesehen, dass viele der Protagonisten des 20. Juli 1944 lange Karriere im NS gemacht haben und an den Massenverbrechen an Juden und Sowjetbürgern beteiligt waren.

Den 20. Juli nicht den Rechten überlassen

Da war es nun nicht verwunderlich, dass die Rechte den 20. Juli und vor allem Stauffenberg zum Vorbild erklärten. So sollen seine letzten Worte vor der Hinrichtung „Es lebe das geheime Deutschland“ gewesen sein. Damit soll er seine Verbindung mit den George-Kreis manifestiert haben, der in der Weimarer Zeit zur Faschisierung eines Teils der intellektuellen Bewegung beigetragen hat.

So ist die politische Biographie Stauffenbergs für Protagonisten der Rechten heute natürlich ein besonderes Vorbild. Die gesamte Bewegung des 20. Juli 1944 ist ihnen schon deshalb sympathisch, weil es ihnen um den Erhalt eines starken Deutschlands ging. Und doch ist es ein neueres Phänomen, dass weite Teile der Rechten sich positiv auf den 20. Juli 1944 berufen.

Lange Zeit galten die Männer nicht nur in rechten Kreisen, sondern auch in großen Teilen der deutschen Bevölkerung als Verräter. Es war die Zeit, wo Willi Brandt vorgehalten wurde, dass er im Exil gegen Nazideutschland kämpfte und sich mit Fritz Bauer, einer der wenigen antifaschistischen Staatsanwälte der BRD, im Feindesland wähnte, wenn er sein Büro verließ. Zu dieser Zeit wurde auch in Bezug auf den 20. Juli die Diktion der Naziführung übernommen, die ihren Untergang als Remake einer Wagner-Oper inszenierte.

Kurz vor dem Schluss bescheinigte Hitler Deutschland, es wäre im Kampf um die Weltmacht unterlegen und hätte deshalb den Untergang auch verdient. Daher wird Hitler und seine Clique auch nur noch bei einigen NS-Nostalgikern gefeiert.

Der Großteil der Rechten kann sich mit dem 20. Juli 1944 schon deshalb anfreunden, weil auch die den Nazis in erster Linie übelgenommen haben, den Krieg verloren zu haben. Nun haben wir also die Situation, dass die Rechten um die Junge Freiheit und auch große Teile der AfD in der Frage des 20. Juli mit der offiziellen Geschichtsdarstellung einig sind.

Stauffenberg ging es um Deutschland und nicht um die Naziverbrechen

Selbst Thomas Karlauf, der mit seiner kritischen Stauffenberg-Biographie den Zorn der Jungen Freiheit und einiger Stauffenberg-Epigonen auf sich gezogen hat, plädiert dafür, Stauffenberg nicht den Rechten zu überlassen. Karlauf hatte in seiner Stauffenberg-Biographie noch mal den Mythos vom Aufstand für die Demokratie widerlegt.

Stauffenberg sei es nur darum gegangen, Deutschland als Nation und als Staat zu retten, nachdem klar wurde, dass der Krieg verloren sei. Die Verbrechen der Nazis, besonders die Ermordung der Juden, habe für ihn und seine Tat keine Rolle gespielt, fasst MDR-Kultur die Thesen des Biografen zusammen.

Auch in dem FAZ-Interview listet Karlauf noch einmal genügend Argumente für die Annahme auf, dass Stauffenberg gut zu den Rechten um die Junge Freiheit und AfD passt:

FAZ: Bis August 1942 finden Sie keine Belege dafür, dass Stauffenberg ein Komplott gegen Hitler in Erwägung gezogen hätte. War Claus von Stauffenberg ein Nationalsozialist? 

Thomas Karlauf: Wenn man das gerecht beantworten will, muss man eine andere Frage vorwegschicken: Was war eigentlich sein Beruf? Ein 18-Jähriger, der 1926 in die Reichswehr eintritt, drei Jahre später die Offiziersprüfung ablegt und im Mai 1933 Oberleutnant wird, hat die politische Entwicklung der zweiten Hälfte der Weimarer Republik aus einem spezifisch militärischen Blickwinkel erlebt. Den interessiert die Frage: Wie werden wir die Beschränkungen des Versailler Vertrages los? Wie kriegen wir eine anständige Aufrüstung hin? Wie ist das Verhältnis von Armee und Politik im Staat? Vor diesem Hintergrund hielt die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 für Stauffenberg ungeheure Versprechen bereit.

FAZ: In Ihrem Buch findet man aber sehr viel mehr als das: Als die SA am Abend des 30. Januar zur Feier der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler einen Fackelzug durch Bamberg organisierte, reiht Stauffenberg sich ein, um seine spontane Freude über die politische Wende zum Ausdruck zu bringen.

Thomas Karlauf: Innenpolitisch war Stauffenberg von vielen Forderungen des Nationalsozialismus begeistert, etwa von einer Sozialpolitik nach dem Grundsatz „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“. Eine erste zaghafte Kritik an Hitler findet man 1938, beim Einmarsch in das Sudetenland. Stauffenberg beklagt sich darüber, dass die Wehrmacht in Hitlers Pläne nicht genügend eingebunden wird. Das findet er unerhört, denn für ihn trägt der Soldat auch politische Verantwortung.


FAZ: Was wusste er über die Verbrechen der Wehrmacht? 

Thomas Karlauf: Er war hervorragend vernetzt, sowohl innerhalb des Generalstabs als auch unter den Frontoffizieren, die oft ehemalige Kameraden waren. Da wurde sehr früh und sehr offen über die Massenerschießungen im Osten gesprochen. Anfangs hieß es, es handele sich um Erschießungen von sowjetischen Kommissaren, von Partisanen und sogenannten gefährlichen Elementen, aber spätestens im September, Oktober 1941 war klar, dass es um einen Genozid an den Juden ging. Es waren einfach zu viele Frauen und Kinder dabei.

FAZ-Interview mit Thomas Karlauf 

Dabei sind Stauffenberg und die führenden Männer des 20. Juli 1944 nur Exponenten der deutschen Eliten in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur jener Jahre. Als sich die Folterkeller mit Gefangenen füllten, feierten sie auf Deutschlands Straßen die neue Zeit, die sie scheinbar von Sieg zu Sieg führte. Die Rassegesetze waren für sie ebenso wenig ein Grund zum Nachdenken wie die Reichspogromnacht.

Die ersten deutschen Niederlagen führten zu ersten kritischen Fragen, aber noch glaubte man dem deutschen Führer. Erst als die Alliierten die Lufthoheit über Deutschlands Städte hatten und an Deutschlands Grenzen standen, kam der Aufstand des Gewissens, das nun immer am 20. Juli im Bendlerblock gefeiert wird. Hier sind sich eben die heutigen Eliten und die Kräfte rechts davon sehr einig und an dieser Frage würde eine Kooperation nicht scheitern.

Wo bleibt die linke Kritik an der Traditionspflege des 20. Juli?

Was aber seit Jahren auffällt, ist das fast völlige Fehlen einer linken Kritik am 20. Juli. Lange Zeit gab es parallel zu den Feierlichkeiten im Bendlerblock antimilitaristische Demonstrationen, klein waren, aber die Traditionspflege rund um das Gedenken zum 20.Juli 1944 in den Fokus rückten.

Zentraler Anknüpfungspunkt der Proteste war das öffentliche Gelöbnis außerhalb des Bendlerblocks. Nachdem die Zeremonie in das Gebäude verlegt wurde, ließ das Interesse an den Protesten nach. Seit einigen Jahren gibt es keine Demonstrationen mehr und auch kritische Veranstaltungen zur Tradition rund um den 20. Juli 1944 sind selten geworden.

Selbst die weiter vorne zitierten Texte von Karl-Heinz Roth sind ein Nachdruck aus einem 2004 erschienenen Buch. Nun könnte man sagen, es ist alles über die Traditionslinien des 20. Juli 1944 gesagt worden. Das stimmt aber nicht, wie die Stauffenberg-Biographie von Karlauf zeigt.

Es gibt kaum noch kritische Veranstaltungen, die eben zeigen, wie sich diese kritisierte Traditionslinie durchgesetzt hat und die Gedächtnispolitik des heutigen Deutschlands bestimmt. Das liegt auch daran, dass das in den 1990er Jahren noch umkämpfte Projekt „Deutschland-EU“ heute durchgesetzt ist. Daher scheint jede Kritik daran als vergeblich und wird daher unterlassen.

Ein Teil der linken Kritiker verteidigt mittlerweile die Bundeswehr und unterstützt angebliche Kriege für die Durchsetzung der Menschenrechte. Daher stößt Kramp-Karrenbauers Erklärung, sie wolle die Bundeswehr nicht unter Generalverdacht stellen, kaum mehr auf Kritik. Wer die Generäle des 20.Juli 1944 nicht kritisieren will, stellt natürlich auch die Bundeswehr nicht unter Generalverdacht.