In Berlin und in anderen EU-Ländern tun Politiker angesichts Trumps rassistischer Äußerungen jetzt so, als wären sie die US-Oppositionsbewegung

Heuchelei in der europäischen Flüchtlingsdiskussion

"Mittlerweile jagen ehemalige Fluchthelfer Migranten im Auftrag der EU; ähnlich wie in Libyen, wo Europa kriminelle Milizen mit der Bewachung der Küste betraut. So wird die Verfolgung illegalisierter Flüchtlinge zu einer Einkommensquelle für diejenigen, die ihnen früher halfen."

In Berlin sind sich bis auf die AfD scheinbar alle Parteien einig, dass der Rassismus eines Donald Trump nicht tragbar ist. Auch Bundeskanzlerin Merkel hat sich in ihrer Sommerpressekonferenz auf Nachfragen ausdrücklich von seinen Tweets distanziert, in denen er vier Politikerinnen vom linken Flügel der Demokratischen Partei dazu aufforderte, in „ihre Herkunftsländer“ zurückzukehren. Nur sind drei von ihnen in den USA geboren, eine kam als Migrantin aus Somalia in die USA.Die Äußerungen von Trump sind zweifellos ein Beispiel, wie Rassismus als Strategie im beginnenden US-Wahlkampf benutzt wird (Trumps Rassismus kommt bei seiner Wählerschaft an [1]). Es gibt für Oppositionelle in den USA allen Grund, dagegen zu mobilisieren. Wenn aber in Berlin und auch in anderen EU-Ländern Politiker jetzt alle so tun, als wären sie die US-Oppositionsbewegung, dann ist das pure Heuchelei. Warum fragt keiner, wo denn….

…..in Deutschland analoge politische Biographien zu finden sind? Wo sind in der Bundespolitik die Frauen, deren Eltern aus arabischen und afrikanischen Ländern nach Deutschland migrierten und die jetzt eine wichtige Rolle bei den Grünen oder bei der Linken spielten und die Regierungskoalition von links angreifen?

Würde eine Frau, die als Kind aus Somalia migrierte, nicht auch von Politikern der Union angegriffen und auf ihr Heimatland verwiesen? Erinnert sich noch jemand an den Wahlkampf in Hessen, in denen mehrere nicht biodeutsch klingende Namen als Abwehr nebenaneinander gereiht waren? Auf einem CDU-Plakat heißt es unter Anspielung auf die Spitzenkandidaten von SPD und Grünen, Andrea Ypsilanti und Tarek Al-Wazir, sowie die Partei Die Linke: „Links-Block verhindern! Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen“ [2]. Und wurde und wird Cem Özdemir, obwohl vollständig in Deutschland integriert, auf die Migrationsgeschichte seiner Eltern verwiesen, wenn er sich mal kontrovers politisch äußert, was kaum vorkommt.

Auch einige Politikerinnen von SPD und Grünen aus Baden-Württemberg und Berlin, deren Namen die Migrationsgeschichte ihrer Eltern dokumentiert, werden immer wieder damit konfrontiert. Dabei achten sie sehr darauf, in ihren Parteien nicht als linkslastig zu gelten. Und wie sähe es mit der Solidarität aus, wenn man die vier Frauen nicht einfach als von Trump angegriffene Migrantinnen sieht, sondern sie politisch ernst nimmt. Wären sie wegen ihrer Nähe zu antizionistischen Positionen in einer der Parlamentsparteien in Deutschland tragbar?

Salvini – der europäische Trump

Doch nicht nur die fast parteiübergreifende Heuchelei bei der Trump-Äußerung findet seine Fortsetzung in der aktuellen Diskussion über die Flüchtlingsverteilung in Europa. Der italienische Rechtsaußen Salvini spielt dort die Rolle des europäischen Trump. Er wird jetzt als der Politiker hingestellt, der mit seiner Politik der geschlossenen Häfen angeblich die europäischen Werte verrate. Selbst ein Horst Seehofer, der als Hartliner gegen Migranten seit Jahren bekannt, entdeckt dann auf einmal seine vermeintlich humanitäre Ader und ruft Salvini auf, die italienischen Häfen wieder zu öffnen.

Dabei ist Salvini mit seiner Politik der Flüchtlingsverhinderung ganz auf EU-Länder. Der Grund, warum er Politiker aus Deutschland gegen sich aufbringt, ist nicht seine harte Haltung gegen Migranten, sondern dass er fordert, Deutschland soll sie aufnehmen. Dass hat man Berlusconi schon vor mehr als 10 Jahren übel genommen. Damals hat die italienische Regierung Migranten sogar durchgewunken und ihnen die Möglichkeit gegeben, in die Länder zu kommen, in die sie meistens hinwollten.

Hier liegt auch der Grund, warum der ungarische Ministerpräsident Orban, der in der Flüchtlingsabwehr einen ähnlichen Kurs wie Salvini fährt, in Deutschland von den Politikern kaum angegriffen wird. Denn Orban sorgt für eine Grenzabschottung, von der Deutschland profitiert und fordert anders als Italien nicht, dass das Land mehr Migranten aufnehmen soll.

Es ist also nicht die Flüchtlingsabwehr, sondern die Bereitschaft, sie auch nach Deutschland zu lassen, was viele an Salvini stört. Der Migrationsforscher Bernd Kasparek [3] hat kürzlich im Verlag Bertz + Fischer unter dem Titel „Europas Grenze: Flucht, Migration, Asyl und Migration“ [4] ein kleines Buch herausgegeben, in dem er kurz und knapp aufzeigt, wie die EU alles unternimmt, um die Migration möglichst zu unterbinden.

Kasparek zeigt auch auf, wie der Sturm von Migranten auf die spanischen Kolonien Ceuta und Melilla auf dem afrikanischen Kontinent im Herbst 2005 den Glauben an die Stabilität der Festung, Europas erstmals in Wanken brachte. Nachdem dann verschiedene nordafrikanische Staaten, vor allem Libyen, in die Migrationsabwehr eingebunden wurden, waren es die Ereignisse des Arabischen Frühlings, die erneut die Festung ins Wanken brachten. Doch Kasparek zeigt auch auf, wie die Migrationsabwehr immer weiter auf den afrikanischen Kontinent vorverlagert wird.

Wie die EU in Niger die Migration bekämpft

Welche Folgen das für einen Staat wie Niger hat, zeigt eine Reportage [5] in der Zeitschrift Le Monde Diplomatique sehr gut auf. Geschildert wird, wie von einem auf den anderen Tag das bisher florierende Geschäft der Migration auf Druck der EU-Behörden illegalisiert wurde.

Das Gesetz vom 26. Mai 2015 gegen „Menschenschmuggel“ erklärte von einem Tag auf den anderen für illegal, was bis dahin ein Gewerbe wie jedes andere gewesen war. Dutzende junge Nigrer wanderten ins Gefängnis. 2015 war das Jahr, in dem die EU beschloss, eine unsichtbare Mauer zu errichten, um die Migration aus dem Süden zu stoppen. Bei einem Gipfeltreffen in der maltesischen Hauptstadt La Valetta berieten die 28 Staats- und Regierungschefs über eine europäische Migrationsagenda und wie sie ihren Kampf gegen die Zuwanderung an ausgewählte afrikanische Staaten outsourcen könnten.

Remi Carayol, Le Monde Diplomatique 

Die Devise, die von der EU an die afrikanischen Regierungen weitergeleitet wurde, lautete, die Migration mit allen Mitteln stoppen, wenn nötig mit Gewalt. Eine UN-Delegation berichtete [6] über die Folgen der Umsetzung für die Migranten. „Tatsächlich hat die Umsetzung des Gesetzes de facto zum Verbot jeder Reise nördlich von Agadez geführt“, sagt Felipe González Morales. In der Reportage wird auch geschildert, wie die Menschen in Niger, die an der Migration verdient haben, jetzt, nachdem sie verboten ist, sich an der Verfolgung der Migranten beteiligen.

Früher als Einnahmequelle mit offenen Armen empfangen, sind die Migranten zu einer Quelle der Zwietracht geworden. Es ist ein Teufelskreis: Das Gesetz hindert die Migranten daran, nach Libyen weiterzuziehen, gleichzeitig sind die Möglichkeiten begrenzt, in der Gegend um Agadez zu bleiben, weil die örtliche Bevölkerung den Vorwurf des Menschenschmuggels fürchtet, wenn sie ihnen hilft. 

Mittlerweile jagen ehemalige Fluchthelfer Migranten im Auftrag der EU; ähnlich wie in Libyen, wo Europa kriminelle Milizen mit der Bewachung der Küste betraut. So wird die Verfolgung illegalisierter Flüchtlinge zu einer Einkommensquelle für diejenigen, die ihnen früher halfen.

Remi Carayol, Le Monde Diplomatique

Wenn also die Migranten nicht mehr im Mittelmeer, sondern in afrikanischen Wüsten sterben, regt das in Europa auch nicht mehr so viele auf, ist das Kalkül der EU-Flüchtlingspolitik. Daher ist Kasparek zuzustimmen, wenn er sichere Transitwege für Migranten nach Europa fordert. Es kann nicht sein, dass Menschen sich erst in große Gefahr begeben müssen, um dann noch auf Rettung zu hoffen. Wobei auch ein Großteil derer, die sich vehement dafür einsetzen, dass Menschen aus Seenot gerettet werden, gleichzeitig auch betonen, dass die Menschen damit keineswegs auch im EU-Raum leben dürfen.

Europa ist nicht das Eldorado

Daher ist es auch begrüßenswert, dass es unter der afrikanischen Jugend eine Bewegung entsteht, die die Massenmigration nach Europa kritisch sieht. Sie rufen die jungen Leute in Afrika auf, ihre Kräfte und Potentiale in ihren Ländern zu entfalten und nicht mehr auf Europa zu hoffen. „Europa ist nicht das Eldorado“, sagt der senegalesische Rapper Negga Dou Tamba [7] in dem von dem Künstler Mario Pfeifer [8] erstellen Video „Backways“, das zur Zeit in der Ausstellung „Seeds for Future Memoires“ [9] zu sehen ist und das sich dem Thema Migration künstlerisch nähert.

Das ist eine migrationskritische Sicht auf afrikanischer Perspektive, die nichts mit dem rassistischen Diskurs in Deutschland und anderen EU-Staaten zu tun hat. Es wäre zu wünschen, dass auch diese Perspektive „Europa den Rücken kehren“ in die Debatte zur Migration mit einbezogen wird. Denn dahinter steht, dass jeder das Recht hat, dort leben, wo er will – und das kann auch sein Herkunftsland sein.