Das flächendeckende Wahldesaster betraf bei der EU-Wahl unterschiedliche Spektren der Linken

Die Linke in den „Zeiten der Monster“

Die auch und vor allem von der deutschen Regierung verantwortete Niederlage des griechischen Frühlings 2015 hat die Linke in Europa bis heute nicht überwunden. Und das war auch das Kalkül von Schäuble und Co.

Viele Medien waren es nicht, die überhaupt wahrgenommen haben, dass die Ökolinx, eine kleine linke Partei, die sich seit 2 Jahrzehnten einer linken Ökologiekritik widmet, nur mal 0,1 Prozent der Stimmen bei den Europawahlen erhalten hat. Die Spitzenkandidatin Jutta Ditfurth kritisiert, dass auch langjährige Bündnispartner dieses Mal auf etablierte Parteien setzen. Im Kampf werden plötzlich Grüne und SPD wieder als linke proeuropäische Parteien akzeptiert und die neue Jugendumweltbewegung scheint plötzlich…

…in den Grünen ihren parlamentarischen Arm zu sehen, als gäbe es nicht mittlerweile eine dreißigjährige Geschichte mit den Grünen.

Da scheint auch der antikapitalistische Flügel der Jugendumweltbewegung Change for Future mit ihrer Warnung vor der einer neuen grünen Besoffenheit nicht durchgedrungen zu sein. Sie hatten in ihrer Pressemitteilung zu den EU-Wahlen noch mal aufgelistet, welche Erfahrungen linke Basisbewegungen mit den Grünen nicht nur um Umweltbereich gemacht hatten. Da könnte man auch als aktuelles Beispiel ein Taz-Interviewmit der grünen Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop anführen, in dem sie nach dem Inhalt ihrer Statements gut auch in der FDP verortet werden könnte.

Vor 20 Jahren hätten die Grünen kein Partner einer außerparlamentarischen Bewegung werden können

Sie klammerte die Rolle Fischers in seiner Zeit als Bundesaußenminister beim Krieg gegen Jugoslawien aus. Erfreulicherweise lud der linke Bildungsverein Helle Panke vor wenigen Tagen mit Samira Fansa noch einmal eine Frau ein, die vor 20 Jahren auf dem Parteitag der Grünen, bei dem die Mehrheit dem Kriegseinsatz zustimmte, mit einem Farbei auf Fischer weltweit Schlagzeilen machte.

Fansa verteidigte die Aktion auch zwei Jahrzehnte später weiter politisch, sprach aber auch von dem hohen Preis, den sie dafür zahlen musste. Es ging dabei nicht nur um staatliche Repression, sondern auch um mangelnde Solidarität in der Linken und um gesellschaftliche Ausgrenzung. Politisch begründete Fansa ihre Aktion so: Fischer sei immer als der Macho aufgetreten, der keine Niederlagen kennt. Das sei in seiner Spontizeit so gewesen, wie als Turnschuhminister in Hessen und als staatstragender geläuterter Ex-Sponti im Kabinett Schröder. Durch das Farbei habe er erstmals eine öffentliche Niederlage erfahren, so Fansas Einschätzung.

Ihr Gesprächspartner, der langjährige Politiker der Linken Gregor Gysi, versuchte vor 20 Jahren mit diplomatischen Mitteln eine Eskalation des Krieges zu verhindern und reiste nach Jugoslawien. Dafür wurde er von einen Großteil der Politiker und Medien ebenso angegriffen wie Fansa für den Wurf des Farbeis. Doch auch Gysi erklärte, dass er die Wut auf die Politiker der SPD und der Grünen, die mit Falschbehauptungen einen Krieg führten, damals geteilt habe. So wird auch klar, dass vor 20 Jahren kaum jemand für möglich hielt, dass die Grünen noch einmal Hoffnungsträger einer außerparlamentarischen Bewegung hätten werden können.

Doch 20 Jahre später zeigt sich auch, wie kurzlebig hier gemachte Erfahrungen sind. Dass es Gruppierungen wie die Ökolinx oder auch die Bewegung Diem 25 mit ihrem bekannten Spitzenkandidaten Varoufakis nicht ins EU-Parlament schafften, ist eine Niederlage der Linken und nicht das weitere Abrutschen der SPD. Sie ist nicht Teil der Linken und sollte gesondert behandelt werden. Die italienischen DIEM 25-Mitglieder haben sich in einer Onlineabstimmung mit einer knappen Mehrheit gegen eine Beteiligung an den EU-Wahlen gemeinsam mit anderen kleinen linken Gruppierungen entschlossen. Das linke Wahlbündnis verfehlte ebenfalls den Einzug ins Europaparlament, ob DIEM 25 die zusätzlichen Stimmen etwas gebracht hätten, ist fraglich.

Das Desaster der Linken begann mit der Niederlage des griechischen Frühlings

Kennzeichnend für die Europawahlen war, dass die unterschiedlichen Strömungen der Linken verloren haben. Der Referent bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Florian Wilde hat das „Wahldesaster der Linken“ in einem Artikel ohne Beschönigung zusammengestellt:

Noch bei der Wahl 2014 war das Bild ein ganz anderes: Die Massenproteste nach Ausbruch der Krise, Generalstreiks und Platzbesetzungen hatten zu einem starken Aufschwung der Linkskräfte geführt, die mit dem Europa-Spitzenkandidaten Alexis Tsipras um 14 auf 52 Sitze in Brüssel zulegten. Damals schienen linke Parteien in mehreren Ländern kurz vor der Regierungsübernahme zu stehen und in Griechenland stellte bald darauf erstmals seit Jahrzehnten tatsächlich eine Linkspartei in Europa die Regierung. Doch mit der Niederlage und Kapitulation von SYRIZA zerbrach das Momentum der Linken in Europa, ein neuer Niedergang setzte ein, der mit nun nur noch 38 Sitzen in Brüssel für die GUE/NGL seinen vorläufigen Tiefpunkt erreicht.

Florian Wilde, Neues Deutschland

Die Liste der Niederlagen ist lang: „Die italienische La Sinistra ist mit 1,7 Prozent (nach vier Prozent und drei Sitzen 2014) rausgeflogen, ebenso die sozialistische Partei der Niederlande, die erstmals keinen Sitz mehr erhält, ebenso wenig wie die französischen Kommunisten von der PCF. Auch die slowenische Linkspartei Levica kam zwar mit 6,3 Prozent auf ein solides Ergebnis, erhielt aber wieder keinen Sitz und Violeta Tomic, die Spitzenkandidatin von Levica und der Europäischen Linkspartei, wird nicht ins Parlament einziehen“, schreibt Wilde.

Unterschiedliche Strömungen der Linken von der Niederlage betroffen

So konnten radikale Linke von der Krise des Reformismus kaum profitierten. In Griechenland verlor sowohl die Regierungspartei Syriza als auch die linke Kritikerin Antarsya. Die deutsche Linkspartei hat Stimmen verloren und die Frage, ob die Niederlage mit den Rückzug von Sahra Wagenknecht zusammenhängt, wird bereits von Mitgliedern der Linken diskutiert.

Ihre Kritiker sagen, dass wegen des Flügels um Sahra Wagenknecht ein Bündnis mit Varoufakis nicht zustande gekommen ist. Anderseits haben sich Varoufakis und der erklärte Anhänger von Wagenkecht, Fabio de Masi, im „Freitag“ auf einen solidarischen Disput eingelassen, bei dem man die Differenzen schon mit der Lupe suchen muss. In Frankreich blieb die Bewegung „Widerständiges Frankreich“ ebenfalls weit hinter ihren Erwartungen zurück.

Regionale Besonderheiten dürften zur Niederlage der Labour Party unter Corbyn ebenso beigetragen haben wie bei den Stimmenverlusten von Podemos und den Bürgerbündnissen in Barcelona und Madrid. Im britischen Fall geht es um die Folgen des Brexit und in Barcelona haben sich die katalanischen Nationalisten gegen eine Linke gestellt, die sich nicht über nationale Zuschreibungen definiert. Hier zeigte also auch wieder die objektiv reaktionäre Rolle von Nationalismen.

Doch jenseits dieser Besonderheiten hat das Wahldesaster der so unterschiedlichen Strömungen den Linken auch objektive Gründe, die nicht einfach durch noch mehr Organisationsarbeit und noch Rödelei überbrückt werden kann. Götz Eisenberg stellt die Widerstandskraft des Subjekts im digitalen Zeitalter generell in Frage:

Das alte Paradigma von der Arbeiterklasse als Subjekt der Revolution und der Fabrik als zentralem Ort der Auseinandersetzung ist hinfällig. Ein neues ist noch nicht in Sicht. Antonio Gramsci hat Zeiten wie die unseren als „Interregnum“ gefasst. „Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren; es ist die Zeit der Monster.“

Götz Eisenberg

Doch ganz pessimistisch endet sein Beitrag nicht:

Als Theoretiker bin ich pessimistisch, aber als Mensch kann ich nicht aufhören zu hoffen, dass es irgendwann anders wird. So wird aus einem Text, recht eindimensional pessimistisch begonnen, doch noch ein dialektischer, der meine eigene Zerrissenheit spiegelt. Dialektik bedeutet, etwas salopp ausgedrückt: Nichts ist ohne sein Gegenteil wahr! Solange wir es mit lebenden Menschen und nicht mit Cyborgs zu tun haben, ist ein glücklicher Ausgang des geschichtlichen Prozesses und eine grundlegende Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht ausgeschlossen. Geschichtlich möglich ist diese längst, es hängt vom Bewusstsein und Willen der Menschen ab, ob aus der Möglichkeit Wirklichkeit wird. Noch ist alles in der Schwebe.

Götz Eisenberg

Tatsächlich ist seine Hoffnung eher abstrakt begründet. Denn das Beispiel der Gelb-Westen in Frankreich zeigt, dass eine Bewegung nicht automatisch eine Linksentwicklung garantiert. Wenn auch der Titel des Faz-Beitrags „Gelbe Westen für Le Pen“ irreführend und in seiner Allgemeinheit nicht verifizierbar ist, so kann doch festgehalten werden, dass die Linken der unterschiedlichen Richtungen von den monatelangen sozialen Unruhen in Frankreich nicht profitiert haben. Man kann Wildes vorläufigen Fazit aus dem linken Wahldesaster zustimmen.

Ein nachhaltiger Neuaufschwung der europäischen Linken hat wohl ein ganz anderes Politikmodell zur Voraussetzung: Eines, das auf nachhaltige Verankerung in Alltagskämpfen, Stadtteilen, Betrieben und Gewerkschaften abzielt und die Macht der arbeitenden Klasse langfristig und geduldig von Grund auf neu aufbaut. Eines, das auf Organisierung und nicht und mehr so stark auf Repräsentation setzt.

Florian Wilde

Dieses Politikmodell dürfte eher in Richtung von Rätekonzepten wie den Kiezkommunen gehen. Es braucht aber neben einer sozialen Bewegung auch die Vorstellung, wie es anders gehen kann. Da war der kurze griechische Frühling des Jahres 2015 für beide Richtungen ein anschauliches Zeichen. Zunächst hatte der Wahlsieg von Syriza und der Versuch, dem Austeritätsprogramm der EU-Troika zu entkommen, Linke in allen Ländern mobilisiert. Die Niederlage von Syriza hat die Linke in eine Krise gestürzt, aus der sie bis heute nicht rauskommt. (Peter Nowak)