Das Problem für die SPD ist, dass sie als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus nicht mehr gebracht wird

SPD in den Abgrund mit Andrea Nahles

Dass bereits gescheiterte Politiker überlegen, ob sie noch mal antreten und es dann doch nicht wagen, sagt viel über den Verfallszustand der SPD - Ein Kommentar

Nun hat sich auch noch der einmal recht bekannte ostdeutsche Theologe und Sozialdemokrat Wolfgang Thierse für Andrea Nahles ausgesprochen. Seit den für die SPD desaströsen Wahlergebnisse auf allen Ebenen streitet die Partei. Doch niemand weiß so recht worüber. Denn es hat sich bisher immer noch niemand gemeldet, der oder die …

….Nahles herausfordern will. Das sagt mehr zum Zustand der SPD, als wenn es viele Herausforderer gäbe.

Alle wissen, egal, wer an der Spitze steht, für die SPD wird nichts besser, schon gar nicht bei den nächsten Wahlen. Warum dann nicht mit der schon angeschlagenen Nahles untergehen, als sich selber zu verschleißen, denken sich die Sozialdemokraten, die noch nicht auf den vorderen Plätzen waren. Daher konnten wir in den letzten Monaten das seltsame Schauspiel sehen, dass in den Medien schon gescheiterte SPD-Spitzenpolitiker den Eindruck erwecken, sie wollten Nahles herausfordern und dann doch nur antäuschten.

Da war Sigmar Gabriel, dem man nachsagte, er wollte sich für dafür rächen, dass er von Nahles und ihren Leuten aus dem Ministeramt gekegelt wurde. Gabriel könnte man auch am ehesten zutrauen, dass er wie 1995 Oskar Lafontaine gegen den ungeliebten Rudolf Scharping überraschend zum Parteivorsitzenden kandidierte und gewann, gegen Nahles antreten könnte. Und er hätte wahrscheinlich Erfolg, nicht weil er beliebt ist, sondern weil es der Einzige wäre, der vortritt. Doch es ist unwahrscheinlich. Gabriel hat sich schon einen besser dotierten Posten bei der Atlantikbrücke gesichert. Da tut er es sich nicht mehr an, eine schrumpfende Partei anzuführen. Denn wohin mit den Machtgelüsten, wenn die Partei wegbricht?

Das war 1995 noch anders. Damit konnte die SPD noch mit Wahlergebnissen über 30 % aufwarten. Doch auch damit konnte Lafontaine bekanntlich mittelfristig wenig anfragen. Wenn dann doch noch jemand ohne sozialdemokratischen Stallgeruch in die Partei eintritt, wie der ehemalige Berliner Piratenpolitiker Christopher Lauer [1]gibt er schnell wieder enttäuscht auf [2].

Schulz imitiert Nahles

Auch der gescheiterte Kanzlerkandidat Martin Schulz ist ein weiterer potentieller Nahles-Herausforderer ohne wirkliche Ambitionen. Warum sich aber eine erneute Niederlage nach seiner Pleite bei den Wahlen antun? Wie konzeptlos sie alle sind, zeigte Schulz in einem Interview [3] in der aktuellen Ausgabe der Zeit. Da übt er sich in einem als Kapitalismuskritik missverstandenen Populismus:

Zeit: Wir leben in kapitalismuskritischen Zeiten, aber die Sozialdemokratie profitiert davon nicht. Braucht die SPD mehr Kapitalismuskritik? 

Schulz: Unbedingt! Uns fehlt die Bereitschaft, uns die Kapitalisten einmal richtig vorzuknöpfen – meinetwegen auch mal populistisch zu sein. Denken Sie an die Finanzkrise. Spekulanten machen Milliardengewinne und zahlen keine Steuern…. 

Zeit: Sie hören sich ja an wie Kevin Kühnert. 

Schulz: Kevin Kühnert und der linke Flügel der Partei haben den richtigen Ansatz. Aber man muss die Debatte europäisieren… Der Klassenkampf, der Kampf um Gerechtigkeit, ist immer noch da, aber er wird nicht mehr national, er muss jetzt international geführt werden …

Donnerwetter, da redet ein SPD-Politiker wie ein linker Gewerkschafter. Nun könnte man denken, der SPD-Politiker würde dann die Vision einer linken Europapolitik vorstellen, aber da wäre man ja in der falschen Partei. Von seinen angeblich linken Erkenntnissen biegt Schulz scharf rechts ab und landet beim aktuellen französischen Präsidenten.

Der Einzige, der den Mut hat, ist der französische Präsident Emmanuel Macron. Er sagt, französische Souveränität muss stark sein. Sie ist auch stark. Frankreich ist eine starke Nation. Aber wir werden nur stark bleiben, wenn unsere Souveränität durch eine europäische Stärke ergänzt wird. Marcon wirbt mit Pathos für Europa – andere Spitzenpolitiker trauen sich das nicht. Auch nicht aus meiner Partei.

Aus dem Zeit-Interview mit Martin Schulz

Den Interviewern fiel scheinbar nicht mal auf, dass Schulz als linker Klassenkämpfer gestartet und als Verehrer von Macron gelandet ist, der als Wirtschaftsliberaler Klassenkampf im In- und Ausland bekämpft. Kürzlich hat der Publizist Sébastien de Beauvoir in einem Vortrag [4] eine treffende linke Analyse des Macronismus geliefert. Dort zeigte er auch, dass der sich als das Gegenteil der Orbans, Trumps und Co. inszeniert und im Detail eine ähnliche Politik macht.

Als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus nicht mehr gebraucht

Wenn Schulz vom vermeintlichen Klassenkämpfer wenige Sätze später zum Macon-Verehrer wird, steht er ganz in der Tradition der aktuellen SPD-Vorsitzenden. Nahles wollte der Union kräftig in die Fresse geben, um dann brav mit ihr eine Koalition einzugehen.

Doch ob Schulz, Nahles oder auch ein Kühnert, sie können die Krise der Sozialdemokratie nicht lösen, vielleicht zeitweise etwas mindern. Denn sie wird in ihrer Rolle als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus nicht mehr gebraucht. Das war vor 100 Jahren noch anders, als nur Sozialdemokraten die Kräfte bewaffnen konnten, die die Räte und alle jene bekämpften [5], die einen Sozialismus nicht nur im Parteinamen tragen wollten. Damals starben [6] tausende Arbeiter, die sich eigentlich noch als Sozialdemokraten begriffen. Ihre Mörder wurden von Ebert, Noske und Co bewaffnet.

Damals hätten sich viele ein baldiges Ende der Sozialdemokratie gewünscht. Es stand als emanzipatorische Alternative ein Rätesystem bereit. Heute ist links von der Sozialdemokratie ebenfalls Ratlosigkeit vorherrschend, nicht nur auf der Ebene von Wahlen, sondern auch bei sozialen Kämpfen. In das Vakuum versuchen rechte Kräfte vorzudringen. Das führt dazu, dass auch manche Linke, die eigentlich der SPD keine Träne nachweinen, heute die Krise der SPD als Menetekel sehen. Peter Nowak