
Am 25. Juni war es wieder einmal so weit. Im Rahmen des 12. Aktionstages gegen Hass im Netz wurden nach Angaben des Bundeskriminalamtes „180 polizeiliche Maßnahmen in mehr als 140 Ermittlungsverfahren umgesetzt“. Hinter dieser bürokratischen Sprache verbergen sich 180 Durchsuchungen von Wohnungen, Arbeitsstätten, Gartenlauben, Garagen, von Personen, gegen die wegen Äußerungen im Internet ermittelt wird. Das BKA schlüsselte die Gruppe der Betroffenen dann noch weiter auf: …
… „Die Ermittlungsverfahren erstrecken sich über alle Phänomenbereiche der Politisch motivierten Kriminalität (PMK). Circa zwei Drittel der strafbaren Hasspostings sind dem Bereich der PMK -rechts- zuzuordnen. Hinzu kommen Fälle aus dem Bereich PMK -sonstige Zuordnung- sowie vereinzelte Fälle aus den Bereichen PMK -religiöse Ideologie-, PMK -links- und PMK -ausländische Ideologie-.“
Doch eigentlich müssten sich doch da weitere Fragen ergeben. Was genau wird den von den Durchsuchungen Betroffenen vorgeworfen? Aus welchen gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen kommen sie? Doch um da Antworten zu finden, muss man lange suchen.
Welche Kennzeichen – welche Organisation?
So informiert ein Anwalt, dass im Rahmen des BKA-Aktionstages am 25. Juni im Kreis Alzey-Worms ein Jugendlicher wegen des Verbreitens von Kennzeichen mutmaßlich verfassungsfeindlicher Organisationen vernommen wurde. Auch hier ergeben sich sofort neue Fragen. Welche Organisation ist damit gemeint und wie klar ist die Klassifizierung als verfassungsfeindlich?
Diese Frage ist schon deshalb relevant, weil in den letzten Jahren auf Demonstrationen häufig Kennzeichen vermeintlich verfassungsfeindlicher Organisationen beschlagnahmt wurden. Doch das gerichtliche Nachspiel zeigte nicht selten, dass es da längst keine juristische Klarheit gibt. Das zeigte sich bei Gerichtsentscheidungen über propalästinensische Zeichen und Parolen ebenso wie bei Kennzeichen kurdischer Organisationen. So wurde in Berlin vor einigen Tagen ein Demonstrant freigesprochen, der sich dazu bekannte, auf einer Demonstration die Parole „From the River to the Sea“ gerufen zu haben. Durch die Vorstellung einer ausführlichen historisch-wissenschaftlichen Analyse der Parole durch eine LKA-Sachverständige kam die Richterin aus mehreren Gründen zu der Überzeugung, dass es sich nicht um ein Hamas-Kennzeichen handele.
Das bedeutet nun keinesfalls, dass man mit der Parole politisch übereinstimmen muss. Doch es ist ein Unterschied, etwas politisch falsch zu finden oder zu fordern, dass die staatlichen Repressionsorgane da eingreifen und für Ordnung sorgen. Dieser Grundsatz wird zunehmend auch von linksliberalen Medien vergessen. So heißt Gareth Joswig in der Taz das BKA im Internet ausdrücklich willkommen. Dabei gab es vor noch nicht so langer Zeit die sicherlich utopische Vorstellung, dass das Internet ein Raum werden sollte, in dem Staatsorgane möglichst wenig Eingriffsmöglichkeiten haben. Auch damals war schon klar, dass das Internet kein Raum ist, in dem sich alle liebhaben. Aber es wurde darauf gesetzt, dass es genug Menschen gibt, die auf beleidigende Texte reagieren, dass also die Community da genügend Selbstregulierungskräfte hat.
Vom Posting zum Mord – eine falsche Analogie
Doch Joswig interessiert sich gar nicht genauer dafür, was den Personen konkret vorgeworfen wird, und geht auch nicht darauf ein, dass sie aus durchaus unterschiedlichen Spektren stammen. Stattdessen kommt er zu einem Fall, der beweisen soll, dass Postings mit Mord enden können:
„Aber Kommentarspalten sind kein luftleerer Raum, Worte nicht folgenlos. Aus der rassistischen Entmenschlichung durch Wutbürger*innen in Kommentarspalten und Online-Hetze von AfD-Politiker*innen erfolgen konkrete Straftaten – siehe Walter Lübcke.“
Doch der Fall des hessischen CDU-Politikers, der wegen seines Plädoyers für eine Willkommenskultur für Geflüchtete von einen Neonazi erschossen wurde, taugt kaum dazu, Joswigs These zu bestätigen. Der Rechtsterrorist Stephan Ernst, der wegen des Mordes an Walter Lübcke zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde, hat sich keineswegs im Internet radikalisiert. Er hatte vielmehr eine lupenreine Neonazi-Laufbahn seit Ende der 1980er Jahre. Er hat sich auch vor dem Mord an Lübcke an rechten flüchtlingsfeindlichen Aktionen beteiligt.
Joswig versucht auch gar nicht erst zu begründen, wo bei dem von ihm gewählten Beispiel ein Argument für Maßnahmen gegen Postings im Internet liegt. Dabei wählt er aber eine Methode, die konservative Kräfte in den 1970er Jahren benutzen, um die damals starke gesellschaftliche Linke zu diskreditieren. Sie warfen linken und linksliberalen Kräften vor, mit ihrer Kritik an den deutschen Verhältnissen und am Kapitalismus für die Taten der RAF und anderer bewaffneter Gruppen verantwortlich zu sein. So versuchten manche Konservative den linksliberalen Schriftsteller Heinrich Böll oder die Theoretiker der Frankfurter der Schule in die Verantwortung für Attentate zu nehmen, zu denen sie sich nie positiv geäußert haben. Die Logik war sehr einfach: Böll oder Adorno kritisierten die kapitalistischen Verhältnisse, die RAF auch, also sind die Kritiker auch für die Aktionen verantwortlich, die sie nicht gebilligt haben.
Damals haben sich Linksliberale und Linke gegen eine solche Verdachtslogik gewandt. Heute wird oft selbst in linksliberalen Kreisen die Mühe dieser Differenzierung nicht mehr gemacht. Nein, auch ein konservativer Kommentator der deutschen Flüchtlingspolitik, ob in der Presse oder im Internet, ist nicht für den Lübcke-Mord verantwortlich. Das sollte man konstatieren, auch wenn man die Positionen der konservativen Kommentatoren total ablehnt. Nur so ist eine gesellschaftliche Auseinandersetzung überhaupt möglich.
Diskussion statt Denunziation
In den 1970er Jahren haben Linke und Linksliberale den Konservativen mit Recht vorgeworfen, dass sie ein Klima der Denunziation schaffen, wenn sie kapitalismuskritische Positionen in die RAF-Nähe rückten.
Das Verdikt hat auch heute Gültigkeit. Wer gegen Positionen, die sich nicht im wohltemperierten Rahmen der FDGO bewegen, das BKA einschalten will, nimmt ein Klima der Denunziation in Kauf.
Das wird besonders deutlich bei dem Statement von Lena von Hodenberg, der Leiterin der Beratungsstelle HateAid. Es ist ein besonders prägnantes Beispiel für den autoritären Liberalismus. Denn dort wird hinter wohlklingenden Floskeln wie Menschenrechte im Netz ein Diskurs von Verboten und Strafen aufgebaut, der genau diese Menschenrechte einschränkt. Da wird kein Augenblick darüber nachgedacht, dass es sehr unterschiedliche Gründe und Objekte für Hass gibt. Es wird auch kein Unterschied zwischen Hass beispielsweise auf jedes Militär, jeden Staat, den Kapitalismus, den Faschismus oder den Hass auf vulnerable Menschen wie Geflüchtete, oder Obdachlose gemacht.
Genügend Gründe, um Hass zu empfinden
Heute ist manchen gar nicht mehr bekannt, dass eine der ersten westdeutschen Punkbands sich 1978 den Namen Hass gab. Noch 2014 standen die Musiker in einem Interview mit einen Fanzine zum Namen und Konzept:
„Gibt es nicht genug Hass auf der Welt? Warum also braucht jemand 2014 noch mehr HASS?
Tommy: Ich hasse immer noch den ganzen Scheiß auf dieser Welt und brülle ihn in unseren Texten heraus. Das ist mein Blitzableiter. Ich denke, den Bedarf habe nicht nur ich.“
Genau dieses Gefühl, das viele Menschen haben, kann auch mit BKA-Aktionstagen gegen Hass im Netz und Organisationen wie Hate Aid und anderen Symbolen des autoritären Liberalismus nicht zum Verschwinden gebracht werden – und das ist auch gut so. Schließlich bietet die spätkapitalistische Gesellschaft immer wieder genügend Gründe, um Hass zu empfinden.

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