Welchen Anteil hat der Corona-Lockdown am Aufstieg der Rechten? - Eine Frage, die zuselten gestellt wird

5 Jahre Corona-Notstand und der Aufstieg der Rechten

Zu dem Band „Corona und die Demokratie. Eine linke Kritik“ hatte Matthias Coers ein Foto beigesteuert, auf dem die Parole „Stay at Home“ als leuchtendes Laufband auf einem Luxusneubau am Berliner Spreeufer zu sehen ist. Ein Großteil der Etagen steht leer. Da wäre es auch die naheliegende Frage, warum nicht die Wohnungslosen, die unter einer nahegelegenen Brücke nächtigen mussten, nicht dort einziehen sollen.

„Denn bei der aktuellen Corona-Massenpanik machen (fast) alle mit, gerade auch die ‚Linken‘.  Das wiederum bereitet den extremen Rechten derzeit enormen Zulauf, einer Pegida und AFD-Rechten, die schon immer ‚Merkel muss weg‘ schrie, rassistisch hetzte und mordete und jetzt die Chance sieht, ganz neue und breitere Kreise zu mobilisieren.“ Das ist eine Passage aus dem Vorwort des  Buches …

 …  „Corona und die Demokratie. Eine linke Kritik“, das im Mai 2020 von Clemens Heni, Gerald Grüneklee und mir  veröffentlicht wurde. Man beachte das Datum. Diese Sätze wurden verfasst, als das öffentliche Leben in Deutschland stillstand, als Menschen vertrieben wurden, wenn sie im Park saßen, als Demonstrationen und Veranstaltungen in streng limitierter, nur unter strengster staatlicher Überwachung erlaubt, in der Regel aber verboten waren.

 Gesundheit im Spätkapitalismus

Offiziell ging es um den Schutz vor einen Virus, dessen Gefährlichkeit niemand von uns bestritten hat. Doch wenige hinterfragten, warum in einer  spätkapitalistischen Gesellschaft, deren vornehmstes Ziel die Durchsetzung des kapitalistischen Gesamtinteresses ist, plötzlich der Eindruck erweckt wird, die Gesundheit der Bevölkerung wäre ihre oberste Maxime, dem selbst Linke nicht widersprechen.

Dabei haben Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen dort keine Priorität. Schließlich leben wir in einer Gesellschaft, in der  Autobahnen und -straßen noch immer im Wortsinne Vorfahrt haben, obwohl die  gesundheitlichen Schäden durch den Autoverkehr wissenschaftlich bestens belegt sind. Wir konnten erfahren, dass, wenn es den Profitinteressen dient, gesundheitsgefährdende Chemikalien auf Äcker versprüht (Glyphosat etc.) oder verbaut (Asbest etc.) werden. Und nicht zu vergessen, die tägliche gesundheitsgefährdende Plackerei in den verschiedenen Lohnarbeitsverhältnissen, in denen die Menschen im Kapitalismus gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Während wir heute im globalen Norden die Berg- und Hüttenwerke, die unzählige Opfer kostete, (wer nicht verschüttet wurde, starb früh an Staublunge), oft nur noch in den Museumsparks betrachten können, krepieren im globalen Süden viele Menschen weiterhin wegen der erbärmlichen Arbeitsbedingungen, bei denen Waren hergestellt, die auch in den globalen Norden exportiert werden. Doch auch hier sind die Arbeitsbedingungen heute keineswegs weniger toxisch geworden.

Der Mentor der Arbeitergesundheitsbewegung Wolfgang Hien hat in mehreren Büchern darauf hingewiesen, dass heute im globalen Norden Menschen kaum mehr an Staublunge sterben, doch die Zahl der Menschen wächst, die an den Folgen des gesundheitsschädlichen Feinstaubs krank werden, auch eine Folge der Automobilgesellschaft.  Zudem sind Burnout, Depressionen, Herz-Kreis-Erkrankungen, Diabetes etc. die Folge der modernen kapitalistischen Arbeitsbedingungen. Die Reklame von der ach so schönen gesunden digitalen Arbeitswelt ist für die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten nur Propaganda.

Das sind nur einige Überlegungen zum Stichwort Gesundheit im Spätkapitalismus, die von der gesellschaftlichen Linken hätten in die Diskussion gebracht werden müssen. Dann hätte sich schnell die Frage gestellt, warum ab März 2020 im Namen der Gesundheit von den ideologischen und repressiven Staatsapparaten ein gesellschaftlicher Notstand auf allen Ebenen durchgesetzt wurde, wo wir doch wissen, dass genau diese Staatsapparate für die Aufrechterhaltung der auf allen Ebenen krankmachenden kapitalistischen Verhältnisse verantwortlich ist.

Eigentlich hätte man erwarten können, dass die gesellschaftliche Linke mit diesem historischen Wissen, die staatliche Corona-Politik kritisch hinterfragt und die benannten Widersprüche politisiert. Doch diese Erwartung wurde schnell enttäuscht.  Die kritisch Fragenden blieben in der Minderheit. Die gesellschaftliche Linke hat sie in der großen Mehrheit nicht nur nicht unterstützt. Sie haben die kritisch Fragenden oft sogar bekämpft und selbst in die rechte Ecke gestellt.

Wenn die Linke staatstreu wird, gewinnt die Rechte

So trat das ein, was die Autoren des oben erwähnten Buches im Mai 2020 befürchteten.  Die extreme Rechte bekam enormen Zulauf. Das zeigte sich schon bei den ersten Protesten gegen den Corona-Notstand. Als Ende März 2020 einige Menschen aus dem Kulturmilieu zu Spaziergängen mit Zollstock und Grundgesetz vor dem Theater Volksbühne  auf dem Rosa Luxemburg Platz in Berlin aufgerufen haben, war die Situation noch offen. Wenn die gesellschaftliche Linke mit staats- und kapitalismuskritischen Inhalten den Raum gefüllt hätte, wäre das womöglich ein Beitrag zu einer Rekonstruktion der gesellschaftlichen Linken gewesen. Das Adjektiv zeigt, dass es dabei nicht um eine Partei geht. Doch diese gesellschaftliche Linke war zunächst in Schockstarre verfallen. Als dann 2021 einige unter Antifafahnen mit der Parole „Wir impfen Euch alle“ auf die Straße gingen, wurden sie zum Sargnagel für eine gesellschaftliche Linke. Damit soll ausdrücklich nicht gesagt werden, „die Antifa“ hätte diese übergriffige Parole gerufen. Nein, „die Antifa“ gibt es nicht und es gab damals viele Antifagruppen, die sich von dieser Parole distanziert haben. Aber darüber wurde wenig berichtet.

Linke Positionen gegen Staatsautoritarismus vergessen

Überhaupt ist heute weitgehend vergessen, dass es in Teilen der gesellschaftlichen Linken zumindest Ansätze einer kritischen Position zum Staatsautoritarismus gab. Ich erinnere nur exemplarisch an eine Demonstration in Berlin im Sommer 2021, auf der dagegen protestiert wurde, dass Parks im Corona-Notstand nicht betreten werden durften, während die Menschen weiterhin ihrer Lohnarbeit nachgehen mussten. Zudem gab es vor allen in den ersten Wochen des Corona-Notstands einen Aufschwung an nachbarschaftlichen Solidaritätsnetzwerken, die unter der Parole „Lasst niemand allein zurück“ ausdrücklich alle Menschen einschloss, unabhängig vom Pass und von der Herkunft. Für kurze Zeit standen Menschen im Mittelpunkt, die wenig Geld, die obdach- oder wohnungslos waren.

Es war richtig zu fragen, was in Zeiten, in denen Stay at Home die Devise war, die Menschen machen sollten, deren zu Hause die Straße ist, weil sie keine Wohnung haben. Zu dem Band „Corona und die Demokratie. Eine  linke Kritik“ hatte  Matthias Coers ein Foto beigesteuert, auf dem die Parole „Stay at Home“ als leuchtendes Laufband auf einem Luxusneubau am  Berliner Spreeufer zu sehen ist. Ein Großteil der Etagen steht leer. Da wäre es auch die naheliegende Frage, warum nicht die Wohnungslosen, die unter einer nahegelegenen Brücke nächtigen mussten, nicht dort einziehen sollen.

Diese Frage bleibt auch heute weiterhin aktuell. Denn die Armen, die Obdach- und Wohnungslosen sind längst wieder vergessen.  Statt mit Solidarität sind sie mit Ausgrenzung und Stigmatisierung konfrontiert.  Dabei hätte genau hier der Ansatzpunkt für eine Praxis gelegen, die die gesellschaftliche Linke auch über die Zeiten der Pandemie hinaus gestärkt hätte. Stattdessen wurde die gesellschaftliche Linke in jener Zeit oft als eine Stimme wahrgenommen, die die Staatsapparate noch an Rigorismus übertraf, was die Durchsetzung der autoritären Maßnahmen betraf. Ihre sozialen Forderungen wurden dann oft gar nicht mehr registriert. So fiel die gesellschaftliche Linke als Kraft der Opposition weitgehend aus. Aber auch die Bereitschaft, andere Positionen überhaupt nur zu diskutieren, war bei großen Teilen der gesellschaftlichen Linken kaum vorhanden.  Etiketten wie Coronaleugner wurden freigiebig vergeben. Auch linke Kritiker*innen der Corona-Maßnahmen waren davon nicht ausgenommen.

Irrationalismus statt linke Kritik

Statt mit linken kapitalismus- und nationalismuskritischen Themen wurden ab Frühjahr 2020 die Plätze mit irrationalistischen und zunehmend offen rechten und antisemitischen Inhalten geflutet. Davon profitierten nicht nur die außerparlamentarischen, sondern auch die parteipolitischen Rechten. Die AfD bekam dadurch ihren  Auftrieb und in den letzten Monaten das neugegründete BSW, eine migrationsfeindliche Abspaltung der LINKEN, deren Namensgeberin sich kritisch zu den Impfungen äußerte. Das zeigt, dass die Etikettierung aller Kritiker*innen des Coronanotstands als Coronaleugner*innen ein großer Sargnagel für die gesellschaftliche Linke war, der parlamentarischen wie der außerparlamentarischen.

Kapitalismus ist das Problem

Wenn wir über die deutschen Grenzen sehen, können wir feststellen, dass nicht überall die gesellschaftliche Linke diese Fehler gemacht hat. In Italien und Frankreich gab es in den Jahren 2020-2022 Kämpfe und Streiks gegen die Versuche, die Impfpflicht einzuführen. Auch dabei ging es nie darum, die Gefährlichkeit des Virus zu leugnen. Es wäre natürlich absurd, eine Krankheit leugnen zu wollen. Gerade Arbeiterinnen und Arbeiter wissen sehr gut, dass sie um ihre Gesundheit gegen die Profitinteressen des Kapitals kämpfen müssen. Dazu hat der schon erwähnte Wolfgang Hien in seinen Rückblick auf die Arbeitergesundheitsbewegung wichtiges historisches Wissen geliefert.

Eine linke Positionierung aber wäre es gewesen, Krankheit und Gesundheit im Kapitalismus in den Fokus zu rücken. Dazu hätte natürlich auch gehört, schlechte Arbeitsbedingungen, Stress am Arbeitsplatz als wichtige Ursache von Krankheiten klar zu benennen. Dann wäre deutlich geworden, Leben und Überleben im Kapitalismus macht immer krank und es ist dieser Normalzustand, der zu bekämpfen ist.

Dazu hätte auch eine dialektische Positionierung zu Impfungen gehört. Natürlich gibt es viele Beispiele in der Geschichte, wo Impfkampagnen dazu beigetragen haben, dass die Menschen nicht mehr an gefährlichen Krankheiten sterben müssen. Diese Impfkampagnen waren oft mit gesellschaftlichen Aufbrüchen in den jeweiligen Ländern begleitet und kombiniert mit grundlegenden Sozialreformen. Das geschah in der frühen Sowjetunion oder nach der Revolution in Kuba und Nicaragua, um nur einige Beispiele zu nennen. Diese Impfkampagnen wurden von einer großen Mehrheit der armen Bevölkerung aktiv unterstützt und von Rechten und Klerikalen bekämpft.

Daher wäre es in der Tat reaktionär, generell gegen Impfungen zu sein. Doch die Impfskepsis großer Teile der Bevölkerung im Corona-Notstand rührte auch daher, weil die Impfungen eben nicht Teil eines  gesellschaftlichen  Aufbruchs, sondern Teil autoritärer Staatspolitik waren. Auch die Impfung gegen Corona ist nicht generell abzulehnen. Abzulehnen ist aber die autoritäre Politik ihrer Durchsetzung. Der bekannte Soziologe Joachim Hirsch hat es auf den Punkt gebracht: Die Linke hatte ihre eigenen Instrumente vergessen und das sind Staats- und Kapitalismuskritik, aber auch dialektisches Denken. Damit wurde Rechten und Irrationalisten das Feld überlassen. Das war ein bis heute kaum diskutierter Beitrag zum Aufstieg der AfD. Peter Nowak