Die Phrase von der Unterstützung der Ukraine und der deutsche Imperialismus

In unguter Gesellschaft

Anders als noch in den 1990er Jahren beim Fall Kroatien gibt es im Fall der Ukraine keine relevante deutschlandkritische Strömung mehr, die über die Interessen des deutschen Imperialismus aufklärt und klar erkennt, dass dieser seit 2014 einen immensen Erfolg erzielt hat. Heute wird auch in einst deutschlandkritischen Zeitungen begriffslos von der „Solidarität mit der Ukraine“ geschwafelt. Dabei geht es um die Verteidigung des deutschlandfreundlichen Flügels des ukrainischen Nationalismus, der nur nicht mehr benannt werden darf.

Es war 1983, kaum war die SPD in der BRD aus der Regierung geflogen, da biederte sich der damalige SPD-Bundesvorsitzende Willy Brandt bei der Friedensbewegung an. Er sollte in Bonn auf einer zentralen Abschlusskundgebung sprechen. Doch seine Rede ging in einem Pfeifkonzert unter. Zigtausende Menschen riefen „Heuchler“ und skandierten die Parole „Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten“. Nur die DKP und ihr Umfeld verteidigten die Rede des SPD-Vorsitzenden, wobei sie ihr Bündnis mit den
Reformisten gegen alle linken Strömungen damals manchmal auch mit der Faust verteidigten. Für fast alle Linke jenseits von Sozialdemokratie und Stalinismus war aber klar, dass der Vorsitzende einer Partei, die seit 1914 dafür sorgt, dass die Arbeiter in den Krieg ziehen, kein Rederecht auf einer Demonstration haben sollte, die genau diesen Militarismus bekämpft. Dazu brauchen sie gar nicht so weit in die Geschichte zurückgehen. Schließlich hatte
der SPD-Bundeskanzler und Ex-Wehrmachtsoffizier Helmut Schmidt immer stolz erklärt, dass er mit dafür gesorgt hat, dass in der BRD Mittelstreckenraketen aufgestellt werden, natürlich nur zum Schutz vor dem „Russen“, wie auch damals die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Pakts bezeichnet wurden. Am 3. Oktober 2024 gingen wieder ca. 25.000 Menschen in Berlin „für den Frieden“ auf die Straße. Viele der Organisatoren
waren auch Anfang der 1980er Jahre schon dabei, und sie gehörten auch damals schon zu denen, die unbedingt einen SPD-Funktionär auf der Abschlusskundgebung dabei haben wollten. Dieses Mal war es der …

… sogenannte SPD-Linke Ralf Stegner, also einer jener Politiker, die noch jeden Schwenk der SPD-Politik mittragen, aber immer noch als Bedenkenträger auftreten, um noch bei manchen Kritikern Gehör zu finden. Eigentlich erfreulich, dass
Stegner am 3. Oktober das erlebte, was Willy Brandt vor 40 Jahren zu hören bekam. Ein Pfeilkonzert und viele Zwischenrufe. Warum sollte man Ralf Stegner nicht daran erinnern, dass seine SPD den Bundeskanzler und den „Verteidigungsminister“ stellt, die beide als Ziel angeben, Deutschland kriegsfähig machen zu wollen? Ralf Stegner ist kein Karl Liebknecht, der gegen diesen Kurs der Vaterlandsvereidigung Widerstand leistet, sondern höchstens mal einige Bedenken anmeldet. Da ist es doch nur hoffnungsvoll, wenn es auch 2024 noch einige Menschen gibt, die sich nicht von SPD-Funktionären einwickeln lassen. Es gab gewiss viel zu kritisieren an der Demonstration am 3. Oktober. Die Buhrufe gegen SPD-Stegner gehören definitiv nicht dazu.

Auf der Lesebühne Anarchist,
im Nebenberuf Sprachrohr der Investoren

Dass es der auch als Lesebühnenautor nicht unbekannte Markus Liske anders sieht, ist nicht so verwunderlich. Schon 2016 zeigte sich die Autorin Elisabeth Voss in einem Beitrag für das Mieterecho (www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/markus-liske), der Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft, über die Wendigkeit von Liske irritiert, der auf der Bühne durchaus mit Anarchisten sympathisiert und dann im Nebenerwerb für die Groth-Gruppe, einen bekannten Berliner Investor arbeitete. Damit die kapitalgerechte Umgestaltung des Berliner Mauerparks ohne großen Widerstand über die Bühne geht, hat die Groth-Gruppe die PR-Agentur Stöbe. Kommunikation beauftragt. Der Leiter der Abteilung Text & Strategie der Firma Stöbe war eben jener Markus Liske, welcher in der Ausgabe 8/2015 der Zeitschrift Immobilienmanager erläuterte, dass „Partizipation den Menschen die Möglichkeit (bietet), ihre Wünsche und Ideen auf eine für Bauherren und Politik nicht verpflichtende Weise in die Planung einzubringen.“ Nicht genug damit, Liske nimmt dann auch noch die linken Kritiker der Gentrifizierung ins Visier. Konkret ging es um all die Menschen, die den Mauerpark möglichst frei von Konzerninteressen nutzen wollten. Vielleicht erinnern sich noch manche: Es gab damals mehrere größere Demonstrationen gegen Groth und Co. Selbst ein Volksbegehren wurde diskutiert. Da fand Liske klare Worte: „Immer neue Netzwerke schüren im Internet die Furcht vor ‚raffgierigen Investoren‘ und ‚korrupten Politikern‘, und Bürgerinitiativen verzögern Bauprojekte.“ Man kann Elisabeth Voss nur zustimmen, wenn sie Liskes Verhalten so zusammenfasst: „In linken Zusammenhängen kritisiert er Volksgemeinschaftsideologien, im Immobilienmanager ignoriert er
selbst mögliche Interessengegensätze und behauptet: ‚Dennoch bedeutet gelungene Partizipation letztlich einen Gewinn für alle.‘“ Angesichts dieser Vorgeschichte ist es nicht verwunderlich, wenn Liske sich darüber echauffiert, dass „die Linkspartei unverdrossen immer wieder in dieselbe Falle tappt und sich am 3. Oktober an einer großen Friedensdemonstration in Berlin“ beteiligt.
Denn schon seit Monaten ruft Liske in seinen Texten nach mehr Waffen für die Ukraine, und wer daran zweifelt und darauf hinweist, dass damit nur noch mehr Tod und Zerstörung in der Ukraine angerichtet werde, ist sofort ein Putinist.

Jungle World von Antideutsch zu Ultradeutsch

Nur kann Liske diese Texte jetzt statt im Immobilienmanager in der Wochenzeitung Jungle World unterbringen, die 1997 mal als Zeitung der antideutschen Linken gegründet wurde. Noch beim Jugoslawienkonflikt gab es in der Redaktion und unter den freien Mitarbeitern der Jungle World einen Konsens: Man wollte mit aller publizistischen Kraft dagegen Widerstand leisten, dass deutsches Militär wieder dort bombardiert, wo bis 1945 bereits die Wehrmacht Tod und Vernichtung brachte. Und man wollte über die Kontinuität des deutschen Imperialismus aufklären. Dazu gehörte beispielsweise die Benennung der kroatischen Nationalisten, die bis 1945 mit Nazi-Deutschland kooperierten, sich im eliminatorischen Antisemitismus mit diesen einig waren. Im Kalten Krieg gerierten sie sich als Verteidiger des Abendlandes gegen den Bolschewismus, wozu sie auch den Titoismus zählten, den sie mit allen Mitteln, auch mit Bombenanschlägen bekämpften. Nach dem von Deutschland mit vorangetriebenen Zerfall Jugoslawiens bekam dieser kroatische Nationalismus wieder Einfluss im nun unabhängigen Kroatien. Die Jungle World und die antideutsche Linke waren es, die damals diese Fakten benannten und nicht mit einstimmten in die Rufe, jetzt müsse Kroatien mit allen Mitteln unterstützt werden.

Die Phrase von der Unterstützung der Ukraine
Heute ist von dieser Position, die sich frontal gegen die Interessen des deutschen Imperialismus stellt, zumindest bei der Jungle World nichts mehr zu lesen. Im Gegenteil: manche ihrer Autoren schreien besonders laut, wenn es um Waffen für die Ukraine geht. Liske ist da in unguter Gesellschaft. Dabei ist in der Ukraine das Szenario sehr ähnlich wie in den 1990er Jahren in Kroatien. Es gibt zwei Fraktionen des ukrainischen Nationalismus: eine prodeutsche, die in wechselvollen Beziehungen mit dem NS-Regime stand, fanatisch antisemitisch war und die mit dem Vorrücken der Roten Armee Schutz im deutschen Reich suchte. Konkret gesagt, während die Rote Armee, in der eigenständige ukrainische Bataillone kämpften, den Machtbereich der Nazis immer mehr
einschränkte und die letzten Überlebenden im Vernichtungslager Auschwitz befreite, flohen die deutschfreundlichen ukrainischen Nationalisten mit der Wehrmacht und der SS ins Deutsche Reich. Auch ihnen gelang es, sich im Kalten Krieg als Verteidiger des Abendlandes gegen den Bolschewismus aufzuspielen. Viele lebten in München, wo Stepan Bandera, eine der Führungsfiguren
des ukrainischen Faschismus, 1959 bei einem Anschlag starb, den wahrscheinlich der KGB eingefädelt hatte. Banderas Grab in München wurde im Laufe der Jahre zur Pilgerstätte alter und junger ukrainischer Nationalisten. Sie propagierten dort immer den Kampf gegen das System von Jalta – gemeint war die europäische Nachkriegsordnung, die von den Alliierten der Anti-Hitler-Koalition geschrieben worden war. Das besiegte NS-Deutschland und seine Verbündeten hatten dort nichts zu sagen.

Keine Stimme mehr gegen Deutschland
und seine Verbündeten

Das war gut, fanden zumindest deutschlandkritische Linke noch Ende der 1990er Jahre. 2024 ist alles vergessen. Niemand informiert mehr darüber, dass 2014 bei den Maidan-Unruhen die deutschfreundliche Fraktion des ukrainische Nationalismus in Kiew die Macht übernommen hat. Damals waren deutsche Politiker von SPD, FDP, Union und Grünen am Maidan, sprachen vom großen Freiheitskampf und wollten partout nicht die Fahnen und Abzeichen der alten ukrainischen Rechten sehen, die am Maidan eine ideologische Hegemonie ausübten, auch wenn sie zahlenmäßig nicht die Mehrheit bildeten. Es gab 2014 auch viele Menschen, die aus berechtigtem Zorn über die Politik der vorherigen Regierung auf die Straße gegangen waren. Diese war bürgerlich-demokratisch gewählt und hatte durchaus keine linke Agenda. Außenpolitisch wollte sie sich allerdings nicht zwischen der EU und der russischen Welt auf eine Seite schlagen, sondern eine neutrale Position einnehmen. Das war aber der zentrale
Grund, warum sie von Deutschland und ihren Verbündeten in der EU bekämpft wurden. Die ukrainischen Faschisten wurden dabei mindestens als Hilfstruppen akzeptiert.

Maidan und Anti-Maidan
Bald wurden in vielen Städten Straßen nach Bandera und anderen Figuren des deutschfreundlichen ukrainischen Nationalismus benannt und Statuen von ihnen aufgestellt. Alle Straßennamen und Gedenkorte, die an die Sowjetunion und die mit ihr verbündeten ukrainischen Organisationen erinnerte, wurden entfernt. Dagegen richtete sich 2014 der Anti-Maidan, eine Basisbewegung, die von Organisationen und Einzelpersonen ausging, die im Bündnis mit Russland oder neutral bleiben wollten. Sie wendeten sich dagegen, dass mit dem Machtantritt des deutschfreundlichen ukrainischen Nationalismus auch Antisemiten und NS-Verbündete rehabilitiert wurden. Besonders im Osten der Ukraine war die Bewegung des Anti-Maidan stark. Sie wurde aber von den neuen Machthabern in Kiew mit massiver Repression überzogen. Ein trauriges Beispiel ist der Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014. Die Vorgeschichte: Zuvor hatten Vertreter des Anti-Maidan vor dem Gewerkschaftshaus Zelte aufgebaut und ihren Protest artikuliert. Am 2. Mai fuhren Angehörige von ultrarechten Gruppen nach Odessa, um mit den Gegnern der neuen Macht in Kiew aufzuräumen, die ins Gewerkschaftshaus flüchteten, das dann von den Rechten in Brand gesteckt wurde. Menschen, die sich durch einen Sprung aus dem Fenster vor den Flammen retten wollten, wurden von den Rechten noch geschlagen. Die Bilanz sind 44 Tote und über 200 Verletzte, überwiegend Gegner der neuen deutschfreundlichen Macht in Kiew. Gut dokumentiert ist der Brand im Gewerkschaftshaus und seine Vorgeschichte in dem Film Lauffeuer (www.leftvision.de/lauffeuer). Dort wird auch gezeigt, dass das Verbrechen bis heute nicht aufgearbeitet ist. Die Angehörigen der Toten müssen weiter Angst haben vor der neuen Macht. Es gab aber schon vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine auch in Deutschland wenig Solidarität mit den Opfern der ukrainischen Rechten.

Die Amnesie hat sich durchgesetzt
Anders als noch in den 1990er Jahren beim Fall Kroatien gibt es im Fall der Ukraine keine relevante deutschlandkritische Strömung mehr, die über die Interessen des deutschen Imperialismus aufklärt und klar erkennt, dass dieser seit 2014 einen immensen Erfolg erzielt hat. Heute wird auch in einst deutschlandkritischen Zeitungen begriffslos von der „Solidarität mit der Ukraine“ geschwafelt. Dabei geht es um die Verteidigung des deutschlandfreundlichen Flügels des ukrainischen Nationalismus, der nur
nicht mehr benannt werden darf. Übrigens auch nicht von den
Kritikern der aktuellen Ukraine-Politik. So kritisiert das Bündnis Sahra Wagenknecht vor allem die USA und die NATO, die angeblich Russland provoziert haben. Über die Interessen des deutschen Imperialismus wollen auch sie nicht reden. Und so wird in Deutschland wieder die Kriegsfähigkeit propagiert und deutsche Panzer stehen nach dem Einmarsch der Ukraine bei Kursk wieder auf russischem Gebiet. Nur wenige erinnern sich, dass dort 1944 von der Roten Armee, in der viele deutsche Antifaschisten mitkämpften, entscheidende Schlachten gegen die NS-Truppen geschlagen wurden. Die geistigen Ahnherren des aktuellen Regimes in Kiew standen damals auf der anderen Seite. Das will heute in Deutschland kaum jemand wissen, weil sie alle mitmachen bei der Durchsetzung der Ziele des deutschen Imperialismus. Manche der ehemaligen deutschlandkritischen Linken sind an vorderster
Front mit dabei.

Peter Nowak
Der Autor ist freier Journalist (peter-nowak-journalist.de) und hat mit Gerald
Grüneklee und Clemens Heni im Verlag Edition Critic das Buch Nie wieder Krieg
ohne uns – Deutschland und die Ukraine herausgegeben.