Die Kampagne gegen selbstbewusste Arme zeigt die Funktionsweise des Sozialchauvinismus in Deutschland.

Solidarität mit Arno Dübel

Für viele Erwerbslosenaktivist*innen sind Arno Dübel, Henrico Frank, Florida-Rolf oder Michael Fielsch Menschen mit Zivilcourage. Deutschlands frechster Arbeitsloser ist für sie ein Lob und keine Beleidigung. Es ist ein Angriff gegen einen reaktionären deutschen Arbeitsethos, der seinen schlechtesten Ausdruck in der Deutschen Arbeitsfront hatte. In diesem Sinne sollten wir Arno Dübel als eines Menschen gedenken, der deutlich machte, dass man nicht nur mit Lohnarbeit, sondern auch ohne leben können muss.

„Ich krich vom Amt“. Diese ungewöhnliche Aufschrift auf einem T-Shirt regte vor über 20 Jahren viele Menschen auf. Denn der Träger des Kleidungsstücks Arno Dübel gehörte nicht zum akademischen Prekariat. Dort hätten solche ironischen Slogans auf Kleidungsstücken kein besonderes Aufsehen erregt. Dübel hatte eine Malerlehre abgebrochen und auch später immer wieder deutlich gemacht, dass für ihn Lohnarbeit um jeden Preis kein erstrebenswertes Ziel für sein Leben war. Das äußerte er sogar in …

… Talk-Shows und schaffte es so zu großer medialer Berühmtheit. Denn er war durchaus schlagfertig und traf bei vielen Menschen, die in einer ähnlichen Lage waren, einen Nerv. „Ich will niemandem den Job wegnehmen. Ich stell mich hinten an“, war einer seiner Sprüche, mit denen er gerade auch Erwerbslose in Wut versetzte.

Arno Dübel und der Sozialchauvinismus in Deutschland

Die Hassbriefe und Mails, die Dübel erhalten hat, wurden in dem in der Edition Assemblage erschienenen Buch „Faul, frech, dreist“ von Britta Steinwachs und Christian Baron analysiert.

Es handelt sich um ein Dokument des deutschen Sozialchauvinismus, der von der BILD-Zeitung massiv befördert wurde. Es gehört zur Vorgeschichte der Einführung von Hartz IV. Indem Dübel betont, dass Lohnarbeit um jeden Preis nicht sein Lebensziel ist, sorgte er für Hass bei BILD und deren Leser*innen.

Wenn man ihre Hassbotschaften liest, bekommt man einen ungefilterten Eindruck von »Volkes Stimme«, die von BILD orchestriert wird. Denn die Internetpostings drücken deutlicher als die gedruckten Leser*innen-Zuschriften aus, was relevante Teile der Bevölkerung über Menschen denken, die dem Arbeitsmarkt aus welchen Gründen auch immer nicht zur Verfügung stehen. Den Online-Kommentator*innen galt es geradezu als Unverschämtheit, nicht jede Arbeit anzunehmen. Selbst Krankheit und Alter sind dabei kein Milderungsgrund.

Mindestens zur »Pappe aufheben im Park« oder »Einkaufswägen zusammenstellen« müsse man Dübel verurteilen. Nur ganz wenige erinnern an internationale Bestimmungen, die es verbieten, einen offensichtlich kranken Mittfünfziger einfach dahinvegetieren zu lassen. Andere wünschten, er solle im Winter unter Brücken schlafen oder »ganz weggesperrt« werden. »Auf die Straße mit dem Arbeitsverweigerer, der hat nichts anderes verdient«, urteilte eine Person. Schon in der Wortwahl wird deutlich, dass es den meisten User*innen um Sanktionierung und Repression ging. Doch Bild-Leser haben auch ein Herz. »Der arme Hund. Der kann doch nichts dafür«, litt ein Schreiber beispielsweise mit Dübels Haustier. Diese Analyse von Steinwachs und Baron wirft auch ein Bild auf die Funktionsweise des Sozialchauvinismus bei Menschen, die selber gesellschaftlich benachteiligt sind. Einige der Briefeschreiber*innen sahen sich veranlasst, besonders zu erwähnten, dass sie auch erwerbslos sind und sich trotzdem jeden Tag um Arbeit bemühen und dafür viele Opfer aufnehmen. Sie fühlten sich daher von Dübel persönlich angegriffen. Die Zumutungen des Kapitalismus werden von diesen Menschen nicht infrage gestellt, sondern an Schwächere weitergegeben. Man kann davon ausgehen, dass nicht wenige dieser konformistischen Rebell*innen heute zum Wähler*innenkreis der AfD gehören, die schließlich auch gegen “leistungsloses Einkommen“ mobil macht und gegen Erwerbslose hetzt, deren Ziel nicht Lohnarbeit um jeden Preis ist.

Bei der gesamten Kampagne wurde kaum erwähnt, dass Dübel seit langem eine Lungenkrankheit hatte, an der er kürzlich auch in einem Hamburger Pflegeheim gestorben ist. Der Sozialchauvinismus und die Abwertung von armen Menschen begleiteten Dübel bis an sein Lebensende. Selbst in einigen Nachrufen wird noch daran erinnert, dass er „auf Kosten des Staats“ gelebt habe. Das wurde wohl von einem Wikipedia-Eintrag abgeschrieben, auf dem diese stigmatisierende Formel ebenfalls zu finden ist. Ansonsten werden jetzt häufig die wenig glücklich verlaufenden Auftritte von Dübel bei verschiedenen TV-Shows und sein mißglückter Versuch, als Sänger zu reüssieren, mit Häme erwähnt.


Von Florida-Rolf über Henrico Frank bis zu Michael Fielsch

Damit ereilte Dübel das Schicksal vieler Erwerbsloser, die sich an die Öffentlichkeit trauen, ohne immer zu beteuern, dass ihr höchstes Ziel Lohnarbeit um jeden Preis ist. Dies erinnert an die Kampagne gegen einen Erwerbslosen, der als Florida-Rolf durch die Medien gezerrt wurde. Er hatte in den Augen von der BILD und ihrem Klientel die Frechheit besessen, sein Leben als Erwerbsloser im sonnigen Florida statt im oft nasskalten Deutschland zu verbringen. Damit hatte er sich in den Augen von konservativen Medien und ihren Leser*innen schon zum Drückeberger an der deutschen Arbeitsfront gemacht. Nach der Kampagne wurde sogar das Gesetz geändert, damit ein Bezug von Arbeitslosengeld im Nicht-EU-Ausland gar nicht mehr möglich ist. Manche erinnern sich vielleicht noch an Henrico Frank, der vor 17 Jahren dem Kurzzeit-SPD-Hoffnungsträger Kurt Beck über den Weg lief und dafür den unerbetenen Rat erhielt, sich zu rasieren, dann würde er Arbeit bekommen. Auch Frank war nicht der demütige Protagonist für Arbeit um jeden Preis und wurde dafür öffentlich angegriffen. Auch der „leidenschaftliche Hartz IV-Empfänger“ Michael Fielsch (wurde Ziel einer Kampagne von BILD und ihrem Klientel, weil er in einer Talkshow offensiv die Position vertrat, dass ein Mensch auch ohne Lohnarbeit leben können muss und Rechte hat. Das störte auch manche aktive Erwerbslose, denen Menschen wie Dübel, Frank oder Fielsch zu frech und selbstbewusst waren und deswegen, so ihre Befürchtung „ein schlechtes Licht auf die Arbeitslosen“ werfen könnten. So hatten am 7. Januar 2007 einige Erwerbslosengruppen zum damaligen Amtssitz von Kurt Beck, er war Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, zum Rasieren und Einseifen eingeladen. Mit der Performance wurde gegen Becks Ausfälle gegen Henrico Frank protestiert. Aber der war dazu nicht eingeladen worden. Dass Frank nicht schon vor Weihnachten bei Landesvater Beck im Büro stand und dessen Jobangebote huldvoll entgegengenommen hat, war diesen Erwerbslosensprecher*innen sauer aufgestoßen.

„Für die Bewegungssimulatoren galt das als unentschuldigtes Fernbleiben und musste deshalb sanktioniert werden. Hoffentlich kommen die nicht auf die Idee, sich beim Jobcenter als Fallmanager zu bewerben. Dann ging es den Erwerbslosen noch mehr an den Kragen“, lautete damals eine treffende Polemik.


Mit Lohnarbeit soll man leben können, ohne auch

Denn es gab auch viele Erwerbslosenaktivist*innen für die Menschen wie Arno Dübel, Henrico Frank, Florida-Rolf oder Michael Fielsch, hingegen als Menschen mit Zivilcourage.

Deutschlands frechster Arbeitsloser ist für sie ein Lob und keine Beleidigung. Es ist ein Angriff gegen einen reaktionären deutschen Arbeitsethos, der seinen schlechtesten Ausdruck in der Deutschen Arbeitsfront hatte. In diesem Sinne sollten wir Arno Dübel als eines Menschen gedenken, der deutlich machte, dass man nicht nur mit Lohnarbeit, sondern auch ohne leben können muss.

Peter Nowak