Ernst Lohoff, Norbert Trenkle (Hrsg.): Shutdown Klima, Corona und der notwendige Ausstieg aus dem Kapitalismus Unrast-Verlag, Münster 2022 200 Seiten, 14 Euro ISBN 978-3-89771-292-8

Schluss mit dem Verzicht

Mit guten Argumenten wenden sich die Autoren auch gegen eine in großen Teilen der Umweltbewegung verbreitete abstrakte Konsumkritik und Verzichtsideologie. „Leider ist nicht nur im herrschenden Diskurs, sondern auch unter manchen, die auf der Suche nach Wegen aus dem Kapitalismus sind, die Auffassung verbreitet, ‚wir alle‘ lebten ‚über unsere Verhältnisse‘“, beklagen Lothar Galow-Bergemann und Ernst Lohoff im letzten Aufsatz. „Doch wer Verzicht predigt, sieht die Wirklichkeit schon durch die Brille der spezifisch kapitalistischen, abstrakten Reichtumsform.“ Die Mehrheit der Menschen lebe nicht über ihre Verhältnisse, sondern unter ihren Möglichkeiten. Es gehe nicht um Verzicht, sondern vielmehr darum, endlich mit dem Verzichten auf ein gutes Leben aufzuhören, so die beiden Autoren.

Erinnert sich noch jemand an die Tage im Frühjahr und Sommer 2020, als im Zuge des Corona-Lockdowns alle Flugzeuge am Boden bleiben mussten und die Autobahnen fast leer waren? Damals machten sich einige…

… KlimaschützerInnen Hoffnungen, dass daraus eine gesellschaftliche Kraft für die Transformation zu einer umweltfreundlichen Gesellschaft entstehen könnte.

Corona war kein Anstoß zum Wandel 

Drei Jahre später ist davon kaum noch die Rede. Die Staus auf den Autobahnen sind wieder so groß wie vorher und sorgen nur dann für populistische Aufregung, wenn sie durch Klimaprotestaktionen verlängert werden. Auch die Zahl der Flugreisen hat längst einen Stand wie vor der Pandemie erreicht.

Trotzdem ist es sehr anregend, ein Buch zu lesen, das gerade diese Hoffnungen von vor drei Jahren zum Ausgangspunkt genommen hat. Schon der Titel „Shutdown“ erinnert daran. In der Einleitung weist Herausgeber Norbert Trenkle darauf hin, dass der Corona-Shutdown tatsächlich eine messbare Reduzierung der CO₂-Emissionen gebracht hat. „Allerdings gibt es keinerlei Anlass zur Hoffnung, diese Entwicklung könnte von Dauer sein“, dämpft Trenkle alle Hoffnungen auf einen gesellschaftlichen Wandel durch Corona – und liefert dafür eine stichhaltige Begründung: „Denn der vorübergehende Stopp der wirtschaftlichen Aktivitäten in großen Teilen der Welt hat ja rein gar nichts an der Grundlogik der kapitalistischen Produktionsweise geändert, die von dem Selbstzweck zur endlosen Vermehrung des Geldes, dem Repräsentanten abstrakten Reichtums, angetrieben wird.“ Hier wird ein zentrales Argument angeführt, das die fünf Buchautoren in sechs gut strukturierten Beiträgen ausführlich begründen. Sämtliche Autoren sind Anhänger der Krisis-Gruppe und betrachten die Theorie von Karl Marx durch die Brille der sogenannten Wertkritik.

Warum grüner Kapitalismus nicht funktioniert

Im längsten Beitrag begründet Ernst Lohoff prägnant, warum das gegenwärtige Wirtschaftssystem zwar in der Rhetorik, nicht aber in der Realität grün sein kann. „Ohne eine schnelle und dramatische Reduktion des CO₂-Ausstoßes lässt sich der Klima-Gau mit seinen unabsehbaren Folgen nicht mehr abwenden. Und wenn auch die Befürworter eines Green New Deal das stur ignorieren, ist eine solche Reduktion auf dem Boden der kapitalistischen Produktionsweise unmöglich, sie ist an einen Systembruch gebunden“, schreibt Lohoff. Das ist natürlich erst mal nur eine These, die Lohoff und seine Mitautoren allerdings auf den 200 Seiten gut begründen. „Im warenproduzierenden Weltsystem geht es immer nur um die Anhäufung von abstraktem Reichtum, nicht um die Herstellung der zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse benötigten Güter.“ Es geht also – in der Terminologie von Marx – um den Unterschied zwischen Tauschwert und Gebrauchswert. Am Markt treten sämtliche Güter nur als Waren mit einem Tauschwert, dem Preis, auf. Das ist auch der Grund, warum in vielen Städten gut erhaltene Häuser leer stehen, während Menschen wohnungs- und obdachlos sind. Gleichzeitig steigt durch den Leerstand der Wert des Grundstücks, was im Interesse der Immobilienwirtschaft ist, nicht aber der Menschen, die eine Wohnung suchen.

Hier liegt ein Grund, warum 2021 in Berlin so viele Wahlberechtigte das Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ unterstützt haben, was im Buch als ermutigtes Zeichen gewertet wird. Dass das Volksbegehren in Berlin aber bis heute nicht umgesetzt wird, zeigt, dass die kapitalistische Profitwirtschaft nicht mal durch eine so erfolgreiche Abstimmung an einer Stelle zurückgedrängt werden kann.

Kritik an fragwürdigen Öko-Thesen

Es ist ein Verdienst der fünf Autoren, dass sie diese Zusammenhänge im Buch prägnant und in einer Sprache erklären, die auch LeserInnen ohne Marx-Kenntnisse verstehen. Andererseits verfallen die Autoren auch nicht in den anderen Fehler, komplexe Sachverhältnisse populistisch allzu sehr zu vereinfachen. Empfehlenswert ist Lohoffs Aufsatz „Wie Sand am Meer“, eine kleine Ökonomie des Wachstumszwangs. Dort setzt sich der Autor auch mit manchen Ideen der Umweltbewegung, wie dem „qualitativen Wachstum“, kritisch auseinander.

Daran schließt Karl-Heinz Simon mit seinem Text an, in dem er den Begriff „Klimaschutz“ hinterfragt. Nicht „das Klima“, sondern höchstens die Lebensgrundlagen müssten geschützt werden. Ein gutes Leben für die Mehrheit der Menschen müsse das Ziel sein. Julian Bierwirth befasst sich mit der reaktionären These, dass eine angebliche Übervölkerung das Hauptproblem für Umwelt und Klima sei. Solche Vorstellungen wurden von rechten Ökologen wie Herbert Gruhl schon in den 1980er Jahren propagiert und werden heute in Kreisen der AfD verbreitet.

„Wir leben nicht über unsere Verhältnisse“ 

Mit guten Argumenten wenden sich die Autoren auch gegen eine in großen Teilen der Umweltbewegung verbreitete abstrakte Konsumkritik und Verzichtsideologie. „Leider ist nicht nur im herrschenden Diskurs, sondern auch unter manchen, die auf der Suche nach Wegen aus dem Kapitalismus sind, die Auffassung verbreitet, ‚wir alle‘ lebten ‚über unsere Verhältnisse‘“, beklagen Lothar Galow-Bergemann und Ernst Lohoff im letzten Aufsatz. „Doch wer Verzicht predigt, sieht die Wirklichkeit schon durch die Brille der spezifisch kapitalistischen, abstrakten Reichtumsform.“ Die Mehrheit der Menschen lebe nicht über ihre Verhältnisse, sondern unter ihren Möglichkeiten. Es gehe nicht um Verzicht, sondern vielmehr darum, endlich mit dem Verzichten auf ein gutes Leben aufzuhören, so die beiden Autoren.

So sehen Lohoff und Galow-Bergemann in immer längeren Arbeitszeiten einen Verzicht auf ein schönes Leben. Sie fordern eine grundlegende Arbeitszeitverkürzung, damit die Zeit der Nichtarbeit, bei Marx auch „Reich der Freiheit“ genannt, verlängert wird. Nur kurz tippen beide Autoren allerdings ein wichtiges Problem an, wenn sie erklären, dass diese Arbeitszeitverkürzung nicht mit vollem Lohnausgleich zu haben sein wird, wenn es darum gehen soll, den kapitalistischen Wachstumszwang zu beenden. Stattdessen fordern sie, dass wichtige menschliche Grundbedürfnisse wie Wohnen und öffentlicher Nahverkehr nicht mehr dem Profitzwang unterworfen werden sollen.

Care-Revolution?

Auch Pflege und Schutz im Alter sollen nach den Vorstellungen der Autoren nicht mehr vom Einkommen der betroffenen Menschen abhängen. Vielmehr müsse Care-Arbeit, wie diese Pflege und Sorge für Hilfebedürftige genannt wird, ein Menschenrecht für alle sein. Hier knüpfen die Autoren an die Thesen der feministisch inspirierten „Care-Revolution“ an, ohne sie direkt zu erwähnen. Eine Exponentin dieser Bewegung, Gabriele Winker, hat 2021 in ihrem Buch „Solidarische Care-Ökonomie“ (Rabe Ralf August 2021, S. 27) für eine radikale Reformpolitik „zwischen Care und Klima“ plädiert, die den Vorstellungen der „Shutdown“-Autoren sehr ähnlich ist. Wenn es im Buch schon keinen Bezug auf diese feministische Debatte gibt, so wäre eine gemeinsame Diskussion im Nachhinein wünschenswert, wie eine Gesellschaft jenseits von Profitlogik und Patriarchat aussehen kann und wie sie zu erreichen ist.

Peter Nowak