Polizeirazzia bei Radio Dreyeckland wegen Berichterstattung

›Indymedia-linksunten hätte verteidigt werden müssen‹

Die Bloggerin Detlef Georgia Schulze sieht sich durch die Polizeimaßnahmen in ihrer Forderung bestätigt, dass Indymedia-Linksunten als pluralistisches linkes Medienprojekt hätte verteidigt werden müssen, auch wenn viele der Inhalte dort auch in linken Kreisen umstritten waren. Die Razzia bei Radio Dreyeckland zeigt, dass mit dem Verweis auf das Verbot von Indymedia-Linksunten auch noch mehr als fünf Jahre später die Pressefreiheit einschränkt wird.

Der 17.Januar 2023 wird den Mitarbeiter:innen des linken Freiburger Senders Radio Dreyeckland (RDL) wohl noch länger im Gedächtnis bleiben. Denn an diesem Tag mussten sie aus aktuellen Anlass eine spontane Livesendung in eigener Sache moderieren. Um 6.30 Uhr stand die Polizei …

… mit einem Staatsanwalt vor den Wohnungstüren der zwei RDL-Redakteure Andreas Reimann und Fabian Kienert. Sie präsentierten einen Durchsuchungsbefehl und beschlagnahmten Computer, Handy und andere Datenträgern. Wenig später standen Polizei und Staatsanwaltschaft dann auch in den Räumen des Senders. Dort verzichteten sie allerdings auf die Beschlagnahme von Computern und Datenträgern, nachdem Kienert sich als Autor eines inkriminierten Artikels vom 30.Juli 2022 zu erkennen gab*, der Anlass für die Durchsuchung war.
Dort wurde über die Einstellung des Verfahrens gegen die linke Internetplattform Indymedia-Linksunten berichtet. Sie war im August 2017 wenige Wochen nach den teilweise militanten Protesten gegen das G8-Treffen in Hamburg vom Bundesinnenministerium verboten worden. Im Sommer letzten Jahres wurden alle Ermittlungsverfahren gegen die Menschen eingestellt, die von der Justiz beschuldigt worden waren, Indymedia-Linksunten betrieben zu haben. Doch die linke Plattform selbst blieb verboten. Dafür hatten Unbekannte unter der Domain https://linksunten.indymedia.org ein Archiv eingerichtet, auf dem einige Texte der inkriminierten Webseite dokumentiert waren.
Der Link auf dieses Archiv bei Radio Dreyeckland war der Anlass für den Durchsuchungsbeschluss, er wurde Mitte Dezember 2022 vom Amtsgericht Karlsruhe ausgestellt. Nach der Lesart der Staatsanwaltschaft hatte sich der Autor des Artikels zum Sprachrohr der »verbotenen Vereinigung Indymedia-Linksunten« schuldig gemacht und damit gegen das Vereinsverbots verstoßen. Fabian Kienert erklärte, er habe im letzten Jahr eine Vorladung von der Polizei erhalten, bei der er zum Vorwurf des Verstosses gegen das Vereinsgesetz Stellung nehmen sollte. Er habe den Termin nach Rücksprache mit Juris­t:innen nicht wahrgenommen. »Wir verspürten wenig Bedürfnis, uns über unsere redaktionelle Arbeit mit dem Staatsschutz auszutauschen«, erklärte der RDL-Mitarbeiter.

RDL – eine Geschichte von linkem Medienaktivismus
Weder Kienert noch sein Kollege Andreas Reimann haben in ihrer langjährigen Arbeit für den Sender eine solche Polizeimaßnahme erlebt, versichern sie. In Erinnerung geblieben ist beiden Journalisten ein 129a-Verfahren gegen den Sender Mitte der 1990er Jahre, weil dort damals der in der linken Szene sehr beliebte Song »Hey, Rote Zora« gespielt wurde. Der Name erinnerte aber nicht nur an eine beliebte weibliche Märchenfigur sondern auch an eine damals noch aktive militante feministische Gruppe. Das Verfahren wurde allerdings bald eingestellt, ohne dass es damals zu einer Durchsuchung gekommen wäre.
Geht man allerdings weiter in die Geschichte des Senders zurück, stößt man auf zwei polizeiliche Razzien in den 1980er Jahren. Damals war Radio Dreyeckland noch ein Piratensender ohne offizielle Frequenz und nannte sich Radio Fessenheim. Der rechtskonservative Ministerpräsident mit NS-Vergangenheit Hans Filbinger wollte bei Freiburg das Atomkraftwerk Wyhl errichten lassen. Es bildete sich eine Opposition aus Winze­rin­nen und Landwirten aus der Region und der linksalternativen Szene Freiburgs. Der Sender wurde zu ihrem Sprachrohr. Bald gab es in Freiburg auch zahlreiche Hausbesetzungen, über die der Sender berichtete. Ab 1988 sendete Radio Dreyeckland mit einer legalen Frequenz und wurde so zum Pionier der Bewegung der Freien Radios.
Innerlinke Konflikte wurden in den letzten Jahrzehnten auch schon mal mit Besetzungen der Senderäume ausgetragen, so während des Golfkriegs 1991, als israelsolidarische Linke gegen Interviews protestierten, die mit antisemitischen Stereotypen argumentierten. Doch bis heute hat der Sender in Freiburg und Umgebung eine stabile Unterstützung. Das zeigte sich Mitte Januar nach den überraschenden Polizeibesuchen. Es kam zu zahlreichen Solidaritätserklärungen, andere kamen direkt beim Sender vorbei, um die Mitarbeiter:innen zu unterstützen, und in Freiburg wurden gegen die Polizeimaßnahme mit einer Kundgebung protestiert.

Suche nach den IP-Adressen
Die RDL-Redakteure haben mittlerweile ihre beschlagnahmten Gegenstände, die auch ihre Arbeitsmittel als Journalisten sind, zurückbekommen. Allerdings wurde der Inhalt der Geräte gespiegelt. Gegen eine Auswertung durch die Ermittlungsbehörden wehren sich die beiden Journalisten mit einer Klage. Sie verweisen darauf, dass es hier um besonders geschützte Daten von Medienschaffenden geht. Darüberhinaus habe die Staatsanwaltschaft versucht, beim Webhoster des Senders alle IP-Adressen herauszubekommen, die den Artikel mit dem Link zu den Indymedia-Archiv besucht haben. »Nach dem ersten Blick in die Akten wird klar, dass die Staatsanwaltschaft bei unserem Hoster sogar alle IP-Adressen erfragt hat, die in letzter Zeit auf rdl.de zugegriffen haben«, so der RDL-Techniker Franz Heinzmann in einer Pressemitteilung. Das hätte alle Hörer:innen und Nutzer:innen von Radio Dreyeckland betroffen, die über die Webseite auf Programminhalte zugreifen.

Nachwirkung des Verbots von Indymedia-Linksunten
Die Bloggerin Detlef Georgia Schulze sieht sich durch die Polizeimaßnahmen in ihrer Forderung bestätigt, dass Indymedia-Linksunten als pluralistisches linkes Medienprojekt hätte verteidigt werden müssen, auch wenn viele der Inhalte dort auch in linken Kreisen umstritten waren. Die Razzia bei Radio Dreyeckland zeigt, dass mit dem Verweis auf das Verbot von Indymedia-Linksunten auch noch mehr als fünf Jahre später die Pressefreiheit einschränkt wird. Es reicht den repressiven Staatsorganen nicht, dass sie faktisch das Verbot der linken Plattform durchgesetzt haben. Selbst der Verweis auf ein Archiv, das die Texte dokumentiert, soll kriminalisiert werden.

*https://rdl.de/beitrag/ermittlungsverfahren-nach-indymedia-linksunten-verbot-wegen-bildung-krimineller/