»Post bitte beim Knüllermarkt abgeben«, steht auf einem kleinen Schild an der Wand eines Gebäudes in der Duisburger Innenstadt. Es ist im Architekturstil der 70er Jahre gebaut und ähnelt einem Bunker. »Willkommen im Archiv für Alternatives Schrifttum«, sagt Bernd Drücke zum Empfang im zweiten Stock. Dort sehen die Besucher*innen erst einmal zahlreiche Kartons mit Plastikblumen, Perücken und anderem Inventar des Billigmarktes, bis sie in einen Flur mit Plakaten aus der feministischen und ökologischen Bewegung der letzten Jahrzehnte kommen. Auf den Tischen liegen …
… linke Flugblätter und Broschüren. Drücke, der mehrere Jahre beim Archiv für Alternatives Schrifttum (Afas) arbeitete, ist die Verwirrung der Besucher*innen durch die ersten Eindrücke vom Archiv bereits gewohnt. »Wir hatten das Glück, mitten im Zentrum von Duisburg günstige Räume vom Knüllermarkt anmieten zu können und mussten uns mehrmals vergrößern«, erzählt der Münsteraner Soziologe. Der gemeinnützige Trägerverein des Afas wurde 1985 in Duisburg gegründet und zog im Sommer 1986 in Räumlichkeiten des Kultur- und Freizeitzentrums in Duisburg-Rheinhausen. Zu dieser Zeit hatten sich Gruppen der außerparlamentarischen Linken in Nordrhein-Westfalen vernetzt. Im Archiv sollten ursprünglich ihre Flugblätter und Broschüren gesammelt werden. Bald fanden auch überregionale Broschüren, die die Debatte in der außerparlamentarischen Linken prägten, Eingang ins Archiv. Doch dabei blieb es nicht. Schließlich wurden die alten Räume für die Menge an gesammeltem Materialien zu klein, sodass sich das Archiv im Sommer 2017 beim Duisburger Knüllermarkt einmietete. Zudem wurden einige bezahlte Stellen für das Archiv geschaffen, was in der außerparlamentarischen Linken für Diskussionen sorgte. Doch allen ist klar: Ehrenamtlich könnte die Arbeit nicht geleistet werden. Denn wo einst das umfangreiche Warensortiment eines Discounters stand, findet man jetzt gut sortierte Ordner mit den Zeugnissen der linken Bewegungsgeschichte. Es sind Flyer, Plakate, Buttons, aber auch Schilder und Umhänge, die die Aktivist*innen für ihre Proteste selbst gestaltet hatten. »Hier befindet sich das Archiv von Fasia Jansen«, sagt Drücke und zeigt auf Kartons in einem Regal. Die schwarze Sängerin und Aktivistin war nicht nur aktiv bei Ostermärschen, Streiks und antifaschistischen Demonstrationen. Gemeinsam mit ihrer Freundin und Genossin Ellen Diederich reiste sie mit einem Bus um die ganze Welt und nahm an Veranstaltungen der Frauenfriedensbewegung teil. Diese Zeugnisse eines ereignisreichen Aktivistinnenlebens haben Platz im Afas gefunden. Dass es sich zum größten Archiv für Materialien der Neuen Sozialen Bewegungen entwickelte, hat unterschiedliche Gründe. Viele Initiativen der außerparlamentarischen Linken haben irgendwann keinen Platz mehr für ihre Flugblätter- und Broschürensammlungen. Auch Privatpersonen wollen sich vom Inventar ihrer linken Vergangenheit trennen. Manchmal sind es auch die Erb*innen, die mit dem »Papierkram« nichts anfangen können und die Materialien ans Afas spenden. »Da müssen wir manchmal schnell reagieren«, erzählt Drücke.
Um den Nachlass des bekannten Anarchisten Augustin Souchy, der als Syndikalist 1920 am Treffen der Kommunistischen Internationalen teilgenommen und mit Lenin diskutiert hatte, zu retten, trampten 1984 mehrere Aktivist*innen des CIRA-Archivs aus Lausanne nach München und bewahrten die Materialien in Rucksäcken vor der Zerstörung. Um den Nachlass des bekannten Anarchisten Augustin Souchy, der als Syndikalist 1920 am Treffen der Kommunistischen Internationalen teilgenommen und mit Lenin diskutiert hatte, zu retten, trampten 1984 mehrere Afas-Aktivist*innen nach München und bewahrten die Materialien in Rucksäcken vor der Zerstörung. Heute werden tonnenschwere Zeugnisse schon mal in großen LKW angefahren, wie kürzlich das Archiv des Informationszentrums 3. Welt (IZ3W) aus Freiburg. Mittlerweile sitzen im Lesesaal des Afas öfter Studierende oder Schüler*innen, die sich über die Geschichte der außerparlamentarischen Linken informieren wollen. Schließlich finden sie dort Materialien, die es sonst nirgends gibt. Das Archiv werde auch durch die Digitalisierung nicht überflüssig, ist Drücke überzeugt. Schließlich beobachte er, dass auch junge Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen seien, stundenlang begeistert in den Materialien stöberten. Zudem werden ausgewählte Fundstücke der linken Bewegungsgeschichte digitalisiert und auf der Afas-Homepage veröffentlicht. »Werft Eure Geschichte nicht weg«, lautet das Motto des Afas. Und das bleibt weiter aktuell.