Die Diskussion um Intrigen und Führungsstil im gespaltenen Schriftstellerverband ist nicht neu. Dabei werden die politischen Konflikte ausgeblendet. Genau die wären aber interessant.

PEN in der Zeitschleife: Streit um Personen statt um Inhalte

Ist tatsächlich keiner und keine der auf der PEN-Tagung vertretenen Gäste ins Nachdenken gekommen, wenn betont wird, dass es deutsche Rüstwagen sind, die in den Osten der Ukraine sollen? Wenn nicht, dann ist das eingetreten, was deutschlandkritische Linke nach 1989 verhindern wollten. Auf der deutschen Geschichte ist ein Deckel drauf, der Schlussstrich ist gezogen.

Eigentlich war der Streit um den gespaltenen Schriftstellerverband PEN schon längst abgearbeitet. Jetzt hat die Süddeutsche Zeitung, die bereits vor Monaten verbreitete Kritik wieder aufgewärmt. Bereits vor der Trennung im PEN-Zentrum Deutschland war Kritik am angeblich autoritären Führungsstil von Deniz Yücel bekannt geworden. Bereits vor einem halben Jahr, als die Auseinandersetzung um den PEN hochgekocht war, erläuterte Gerrit Bartels, Literaturredakteur beim Berliner Tagesspiegel, gegenüber dem SWR, es gehe bei dem Streit …

… nicht nur um Yücels Äußerungen zum Ukraine-Krieg:

Der Streit im PEN drehe sich um die Person und den Führungsstil und das Kommunikationsverhalten von Deniz Yücel. Yücel soll gegenüber anderen PEN-Mitgliedern kräftig ausgeteilt haben, so dass ihm unter anderem Mobbing vorgeworfen wurde.

Schon damals war interessant, dass am Anfang des SWR-Berichts ganz beiläufig erwähnt wurde, dass die Kritik an Yücel im PEN ihren Anfang nahm, als er unabgesprochen eine Flugverbotszone über der Ukraine gefordert hätte. Einige Kritiker monierten, dass Yücel eine solche Forderung als Privatperson, aber nicht in seiner Funktion als PEN-Präsident hätte erheben dürfen.

Andere kritisierten unabhängig von der Person Yücel, dass die Forderung einer Flugverbotszone eine Ausweitung des Krieges wahrscheinlich mache. Damals befürchten noch viel mehr Menschen eine mögliche Ausweitung des Krieges. Heute betrachten manche Russland als so geschwächt, dass sie vielleicht weniger Probleme hätten, eine Flugverbotszone zu fordern.

Doch diese Diskussion verebbte schnell, dafür wurde über die Führungsqualitäten von Yücel gesprochen. Daran hat sich wenig verändert. Dabei ist es gerade das Positive an Yücel, dass er einen verschnarchten PEN, den er selbst nicht ohne Grund mal als Bratwurstbude bezeichnete, wieder in die öffentliche Diskussion geholt hat.

Genau das ist auch der Grund, warum jetzt in der Zeitschleife die Kritik an Yücel und den Berliner PEN wieder aufgewärmt werden. Der erste Kongress des PEN Berlin erregte viel Aufmerksamkeit.

Diskurs voller Verbote?

Es gab dabei durchaus Kritik an organisatorischen Mängeln, manche Diskussionen erschienen den Rezensenten chaotisch. Aber insgesamt können sich der PEN Berlin und namentlich auch Deniz Yücel als Erfolg anrechnen lassen, dass sie mit dem Kongress etwas geschafft haben: Der PEN wird wieder als politischer Akteur wahrgenommen.

Nur fällt eben auf, dass über die dort vertretenden Thesen kaum gestritten wird. Dabei wurden tatsächlich diskussionswürdige Thesen vertreten, beispielsweise von der Gastrednerin Ayad Akhtar vom PEN USA. Sie stellte die These in den Raum, dass die gegenwärtig in den Vereinigten Staaten zu beobachtende Krise der Demokratie zu wesentlichen Teilen eine Krise der Rede- und Meinungsfreiheit sei:

Natürlich hat es noch nie soviel Rede, soviel frei und ohne jede Hemmungen zum Ausdruck gebrachte Meinung gegeben wie heute. Die Technologie des 21. Jahrhunderts hat die Macht der Medien, der Presse und selbst vieler Regierungen geschwächt und Stimmen gestärkt, die früher gar keine Chance hatten, gehört zu werden. Diese außergewöhnliche neue Freiheit ist meines Erachtens ein zentrales Faktum innerhalb eines großen Paradoxons. 

Denn obwohl öffentliche Rede in gewisser Hinsicht eindeutig freier geworden ist, befinden wir uns heute in den USA mitten in einem kulturellen Wandel hin zu einem Diskurs voller strafbewehrter Verbote. Die gegenwärtige Identitätspolitik zwingt uns widersprüchliche moralische Landkarten auf, die bestimmen, welche Rede für welche Gruppe akzeptabel ist und welche nicht. 

Zunehmend macht sich ein Klima digitaler Einschüchterung breit, und mit ihm die Angst, frei zu sprechen oder auch nur frei zu denken. Im Aufstieg begriffen ist zudem eine tiefe, weitverbreitete Intoleranz gegenüber Ansichten, die für inakzeptabel oder sogar „unmoralisch“ gehalten werden.


Ayad Akhtar / Rede auf der 1. Tagung des PEN Berlin

Hier hat Ayad Akhtar eine Diskussion aufgegriffen, die auch in Deutschland geführt wird und auch hier vermintes Gelände ist. Da sei nur an das Stichwort „Cancel Culture“ erinnert. Manche wollen den Begriff nicht in den Mund nehmen, weil sie befürchten, einen rechten Spin zu bedienen. Andere hingegen meinen, es sei gerade wichtig, die Diskussion nicht den Rechten zu überlassen.

Was bleibt von der Meinungsfreiheit übrig, wenn Betroffenengruppen entscheiden, was akzeptabel ist und was nicht? Heißt eine universalistische Lesart von Meinungsfreiheit nicht auch, dass beispielsweise Gläubige aller Couleur es aushalten müssen, dass ihre Religion kritisiert und sogar verspottet wird?

Solche und viele anderen Fragen ergäben sich allein aus der Rede von Akhtar. Aber merkwürdigerweise wurde selbst in den Feuilletons diese Möglichkeit einer Diskussion nicht wahrgenommen.

Rüstwagen der deutschen Feuerwehr im Osten der Ukraine

Ein anderer Diskussionsgegenstand hätte der Videobeitrag des ukrainischen Schriftstellers Serhij Zhadan sein können. Der stand schließlich erst vor wenigen Wochen wegen seiner ultranationalistischen Positionen in der Kritik. So hatte er die Russen als Unrat und als Schweine, die in der Hölle brennen sollten, bezeichnet. Auch viele Linksliberale verteidigten damals Zhadan, mit dem Argument, dass er als Angehöriger einer angegriffenen Nation das Recht habe, sich so auszudrücken.

Das sind aber letztlich nur die Argumente, mit denen Kriege immer wieder am Laufen gehalten werden und mit denen jeder Nationalismus begründet werden kann. In seiner Grußbotschaft beim PEN Berlin warb Zhadan dafür, Feuerwehrautos in das vor einigen Wochen von den Russen geräumte Charkiw zu bringen. Wohl für die Stromerzeugung. Das ist auf jeden Fall sinnvoller, als Geld für Waffen zu sammeln.

Was aber auffällt, ist die Diktion in der Erklärung von Zhadan: „Mit Ihrer Spende helfen Sie, Rüstwagen von deutschen Feuerwehren in den Osten der Ukraine zu bringen“, erklärte er. Nun sind das auch die Regionen, in denen vor mehr als 80 Jahren die deutsche Wehrmacht und deutsche Einsatzkräfte blutig wüteten und mit Unterstützung lokaler Hilfswilliger die Juden der Region dort ermordeten.

Einzelne Überlebende gibt es dort noch. Was würden sie zu der Betonung sagen, dass es deutsche Rüstfahrzeuge sind, die in den Osten der Ukraine gebracht werden sollen? Nun ließe sich ja sagen: Bei dem humanitären Zweck kommt es auf die Formulierung nicht so sehr an. Aber sollte nicht gerade eine Instanz wie der PEN, bei dem es in der Tat um Formulierungen ankommt, da ins Nachdenken kommen?

Ist tatsächlich keiner und keine der auf der PEN-Tagung vertretenen Gäste ins Nachdenken gekommen, wenn betont wird, dass es deutsche Rüstwagen sind, die in den Osten der Ukraine sollen? Wenn nicht, dann ist das eingetreten, was deutschlandkritische Linke nach 1989 verhindern wollten. Auf der deutschen Geschichte ist ein Deckel drauf, der Schlussstrich ist gezogen.

Das wären die Fragen, über die es sich zu streiten lohnen würde und nicht über die Führungsqualitäten eines Deniz Yücel.(Peter Nowak)