Der Prozess über die rechte Anschlagsserie in Berlin-Neukölln ist in die entscheidende Phase gegangen. Während Ermittler einen der Hauptangeklagten belasten, haben zwei Hauptbelastungszeugen ihre Aussagen relativiert.

Neukölln-Prozess: Relativierende Zeugenaussage

Auf die Frage, ob die Zeugin Maryam K. nach ihrer Aussage Anfeindungen der rechten Szene ausgesetzt sei, antwortete sie, dass sie Angst um sich und ihre Tochter habe. Das macht deutlich, dass die Gefahr von Rechts auch in Neukölln trotz des Prozesses weiter besteht. Dazu gehört auch die Kleinstpartei Dritter Weg, in der der Angeklagte Sebastian T. zuletzt aktiv war.

Seit Ende August wird vor dem Schöffengericht des Berliner Amtsgerichts gegen zwei Neonazis verhandelt, die beschuldigt werden, für eine rechte Terrorserie verantwortlich zu sein. Dabei geht es um mehr als 70 Straftaten. In der ersten Phase des Prozesses hatten Polizist*innen ausgesagt, die an den Hausdurchsuchungen bei den Angeklagten Sebastian T. und Tilo P. sowie den folgenden Ermittlungen beteiligt waren. Dabei wurde auch deren Whatsapp-Kommunikation ausgewertet. Dabei wurde festgestellt, …

… dass Tilo P. mehrmals nach dem Aufenthaltsort von Ferat Kocak fragte.

Kocak ist seit Jahren als engagierter Antirassist in Neukölln bekannt und war deshalb schon lange im Visier der Rechten. Ende Oktober sagten Kocak und der Buchhändler Heinz Ostermann im Prozess aus. Die Schaufenster von Ostermanns Laden waren eingeworfen worden, 2017 und 2018 wurde sein Auto angezündet. Auch auf den Wagen von Kocak wurde vor dem Haus, das er mit seinen Eltern bewohnt, ein Brandanschlag verübt. Die persönlichen Konsequenzen der Anschläge kamen im Prozess ebenso zur Sprache. So wechselt Kocak seit dem Anschlag regelmäßig seinen Schlafplatz und befindet sich weiterhin in psychologischer Behandlung.

Hat sich Angeklagter selbst belastet?

Am 14. November sagte mit Maurice P. ein Mann aus, der laut Tagesspiegel von den Berliner Behörden als einer gefährlichsten Berliner Neonazis eingeschätzt wird. P. beteiligte sich 2018 am von der NPD organisierten Gedenkmarsch für Rudolf Heß und war einer der Köpfe hinter der sogenannten „Schutzzonen“-PR-Kampagne der Berliner NPD im Sommer 2018. Auf sozialen Netzwerken gerierten sich NPD-Mitglieder als Hilfssheriff, die für Ordnung in den Stadtteilen sorgten würden.

Nach einem rassistisch motivierten Messerangriff musste Maurice P. im Juli 2021 in Untersuchungshaft. Dort traf er Tilo P, der ihn aus der aus der rechten Szene Neuköllns bekannt war. Schließlich hatte sich der NPD-Kreisverband Neukölln Ende Oktober 2018 aufgelöst und suchte Kontakt zur AfD. Mehrere ehemalige NPD-Kader, darunter Maurice P., hatten am 24. November 2020 eine AfD-Veranstaltung besucht, die von Tilo P. mitorganisiert wurde.

„Schwerer Fehler“

Er war damals Mitglied des AfD-Kreisvorstands und Koordinator des rechtsextremen Flügels in Neukölln. Maurice P. soll in einem abgehörten Telefonat aus dem Gefängnis berichtet haben, Tilo P. habe ihm gegenüber erklärt, bei den ihm vorgeworfenen Taten „Schmiere“ gestanden zu. Bei der Zeugenaussage am 14. November wollte sich P. nur noch erinnern, dass es um das Malen eines Graffiti gegangen sei.

Auch Maryam K. relativierte bei der Vernehmung ihre belastenden Aussagen. Die Freundin des Bruders von Tilo P. hatte in der polizeilichen Vernehmung angegeben, dass der nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis in einem Gespräch in der Familie erklärt habe, im Gefängnis einen „schweren Fehler“ begangen zu haben, als er einem alten Bekannten „die eine oder andere Sache“ erzählt habe.

Frage nach Drohungen

In der Polizeivernehmung hatte sie noch erklärt, dass P. damit die ihm zur Last gelegten Brandanschläge auf die Autos von Kocak und Ostermann meinte. Vor Gericht erklärte Maryam K., sie selbst habe Tilo P. auf diese Vorwürfe angesprochen. Der habe sich dazu nicht geäußert, sondern nur gegrinst. Bei der Polizeivernehmung hatte die Zeugin auch erklärt, Tilo P. habe die gegen ihn ermittelnde Oberstaatsanwältin ermorden wollen. Vor Gericht relativierte sie die Aussage. P. habe zwar gesagt, er wolle die Staatsanwältin platt machen, dies sei aber „seine Art“. Auf die Frage, ob Maryam K. nach ihrer Aussage Anfeindungen der rechten Szene ausgesetzt sei, antwortete sie, dass sie Angst um sich und ihre Tochter habe.

Das macht deutlich, dass die Gefahr von Rechts auch in Neukölln trotz des Prozesses weiter besteht. Dazu gehört auch die Kleinstpartei Dritter Weg, in der der Angeklagte Sebastian T. zuletzt aktiv war. Peter Nowak