Interview mit den bekanntesten Pazifisten der Ukraine

«Krieg ist ein Verbrechen»

Ruslan Kotsaba wurde 1966 geboren. Er ist Mitbegründer der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung. Wegen seiner Weigerung, eine Waffe in die Hand zu nehmen, wurde er in der Ukraine mehrmals verurteilt, inhaftiert und von Ultrarechten angegriffen. Der vorwärts sprach mit ihm.

Wie wurden Sie zum Pazifisten?


… 2014 wurde ich als Journalist in den Donbas entsandt und interviewte Menschen auf beiden Seiten der Front. Ich habe ihnen in die Augen gesehen. Viele von ihnen wurden wenig später in den Krieg geschickt und starben. Da habe ich erkannt, dass der Krieg ein Verbrechen ist, an dem ich mich nicht beteiligen werde. Anfang 2015 habe ich mich auf Youtube gegen die Kriegführung im Osten des Landes gewandt. Zudem habe ich den damaligen ukrainischen Präsident Petro Poroschenko erklärt, dass ich die Einberufung verweigern werde. Und ich habe meine ukrainischen Landsleute aufgerufen, sich ebenfalls dem Kriegsdienst und der Einberufung zur Armee zu widersetzen.

Halten Sie auch nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine an Ihrer pazifistischen Einstellung fest?
Ich bleibe Kriegsgegner bis zum letzten Tag meines Lebens. Selbst wenn ich nur noch einen Finger habe, werde ich schreiben, dass der Krieg ein Verbrechen ist. Ich bin Mitglied der griechisch-orthodoxen Kirche. Die Tötung von Menschen steht im Widerspruch zu meinen Glauben. Für mich ist klar, dass jeder Mensch, der die Tötung eines anderen Menschen akzeptiert, damit rechnen muss, selber getötet zu werden. Ich setzte mich besonders dafür ein, dass die zivile Bevölkerung nicht von den Folgen des Krieges betroffen ist. Wie notwendig das ist, zeigt sich besonders jetzt, w0 die zivile Bevölkerung in der Ukraine leidet, weil Russland die Infrastruktur zerstört.

Welche Reaktionen gab es auf Ihren Aufruf?
Die Zahl der Unterstützer*innen des Pazifismus ist in der Ukraine sehr klein. Die Ukrainische Pazifistische Bewegung, die ich mitbegründet habe, hatte nie mehr als 110 Mitglieder. Die staatlichen Behörden reagieren sofort mit Repression. Am 7.Februar 2015, wenige Tage nach meinem Aufruf, wurde ich verhaftet und wegen Landesverrat und Behinderung der Streitkräfte angeklagt. Am 12.Mai 2016 verurteilte mich ein Gericht in Iwano-Frankiwsk zu einer Haftstrafe von 42 Monaten wegen Behinderung der Streitkräfte. Die Anklage wegen Landesverrat wurde fallen gelassen. Mitte Juli 2016 hob ein Berufungsprozess das Urteil und den Haftbefehl auf. Nach 16 Monaten wurde ich freigelassen. Doch der Freispruch wurde wieder aufgehoben. Das Verfahren wurde im Jahr 2020 erneut aufgenommen. Neben der staatlichen Repression gab es auch mehrere Angriffe von Neonazis auf mich. Bei einer Attacke wurde ich an einem Auge verletzt. Bis heute ist meine Sehfähigkeit eingeschränkt.

Ist nach dem russischen Einmarsch pazifistische Arbeit in der Ukraine noch möglich?
Sie war schon vorher massiv eingeschränkt Doch nach dem 24.Februar ist pazifistische Arbeit illegal und kann nur konspirativ stattfinden. Zudem sind die Neonazis eine noch grössere Gefahr für Pazifist*innen und Oppositionellen geworden. Bis zum russischen Einmarsch wurden die ultrarechten Gruppen noch vom ukrainischen Geheimdienst kontrolliert. Das ist mittlerweile nicht mehr der Fall, was eine grosse Gefahr für uns Pazifist*innen und alle ist, die in Opposition zur aktuellen Regierung stehen.

Können Sie sich einen Einstieg in die ukrainische Politik vorstellen?
Das ist unmöglich, für die grosse Politik muss man einen Oligarchen und seine Massenmedien im Rücken haben. Der kleinen Gruppe von Pazifist*innen bleiben nur bescheidene Mittel, die Menschen aufzuklären, die auf beiden Seiten mit verhetzenden Parolen konfrontiert sind.

Wie stellen Sie sich ein Ende des Krieges mit Russland vor?
Man muss verstehen, dass es sich um einen geopolitischen Konflikt zwischen Russland und den USA handelt, der auf dem Territorium der Ukraine ausgetragen wird. Daher liegt bei Biden und Putin der Schlüssel für das Ende des Krieges. Deshalb müsste es schnell zu Verhandlungen zwischen ihnen kommen, bei denen der Status der Neutralität der Ukraine festgeschrieben wird.

Wäre das nicht ein Deal auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung?
Nein, die Neutralität der Ukraine war ein zentrales Prinzip nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Es war ein grosser politischer Fehler, dass nach 2014 die Neutralität von einem Teil unserer Politiker*innen infrage gestellt wurde. Interview Peter Nowak