Die Historikerin Ulrike Becker ist Sprecherin des zivilgesellschaftlichen Bündnisses Stop The Bomb, das seit Jahren die Opposition im Regime unterstützt. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Proteste in dem Land und der Gewalt gegen die Demokratiebewegung Peter Nowak sprach mit ihr über die deutsche Iran-Politik und die Haltung der Linken gegenüber Teheran

Antisemitismus ist eine ideologische Stütze des Regimes

Es müsste eine viel breitere Solidaritätsbewegung geben, von antifaschistischen über feministische und akademische bis zu gewerkschaftlichen Kreisen. Es müsste eine viel ernsthaftere Auseinandersetzung in der Linken damit geben, wie der Kampf der iranischen Opposition unterstützt werden kann. Zwar fordert Bartsch Sanktionen gegen die Revolutionsgarden, aber das ist zu wenig und ich sehe in der Linken noch keinen klaren Bruch mit dem Regime.

Sie haben lange vor neuen Verhandlungen über die Verlängerung des Atomabkommens mit dem iranischen Regime gewarnt. Mittlerweile lehnen auch viele iranische Oppositionelle dies ab. Fühlen Sie sich in Ihrer Kritik bestätigt?

… Wir fordern seit der Gründung unserer Kampagne von der Bundesregierung und anderen westlichen Regierungen, die säkularen und demokratischen Kräfte im Iran zu unterstützen. Insbesondere die Bundesregierung war jedoch auf eine enge Zusammenarbeit mit dem terroristischen Regime fixiert. Damit ist Deutschland der iranischen Zivilgesellschaft schon immer in den Rücken gefallen. Die Idee eines Atomabkommens war, die Zusammenarbeit mit dem Regime immer weiter auszubauen und zu stärken, auf allen Ebenen – wirtschaftlich, politisch, kulturell. Die Freiheitsbewegung im Iran weist zu Recht darauf hin, dass diese Politik die Herrschaft des Regimes politisch und wirtschaftlich von außen stabilisiert und zementiert. Damit muss jetzt Schluss sein. Das ist auch deshalb kein Problem, da die Verhandlungen mit dem Regime über das Atomprogramm sowieso gescheitert sind.

Sehen Sie auch in der gesellschaftlichen Linken in Deutschland einen Wandel in Bezug auf die Haltung zum Atomabkommen mit dem Iran?

Vor dem Beginn der Freiheitsbewegung wurden in großen Teilen der traditionellen Linken die Sanktionen gegen den Iran vor allem aus einer antiamerikanischen Perspektive betrachtet. So forderte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch deutsche Firmen auf, sich nicht an den »amerikanischen« Sanktionen gegen das Regime zu beteiligen, obwohl vom Handel deutscher Firmen mit dem Iran schon immer vor allem der autoritäre Staat und das Firmenkonsortium der Revolutionsgarden profitiert haben. Das hat bei diesen Linken niemanden interessiert, im Rest der Gesellschaft allerdings auch nicht. Nun sehen wir in einigen Teilen der Linken Solidarität mit der Freiheitsbewegung, aber insgesamt immer noch sehr viel Desinteresse.

Was sind Ihre Forderungen?

Es müsste eine viel breitere Solidaritätsbewegung geben, von antifaschistischen über feministische und akademische bis zu gewerkschaftlichen Kreisen. Es müsste eine viel ernsthaftere Auseinandersetzung in der Linken damit geben, wie der Kampf der iranischen Opposition unterstützt werden kann. Zwar fordert Bartsch Sanktionen gegen die Revolutionsgarden, aber das ist zu wenig und ich sehe in der Linken noch keinen klaren Bruch mit dem Regime. Auch sehe ich in der Linken kaum eine Auseinandersetzung mit der Frage, was es bedeuten würde, wenn das Terror-Regime in Teheran über Atomwaffen verfügen würde.

Was befürchten Sie dann?

Die antisemitische Ideologie und das Ziel, Israel zu vernichten in Kombination mit dem Streben nach Atomwaffen und der Bereitschaft, gegen innere und äußere Feinde mit Terror vorzugehen, machen das Regime gefährlich. Deshalb ist es essenziell, dass die atomare Bewaffnung verhindert wird. Das sollte auch die Solidaritätsbewegung mit der iranischen Opposition zur Kenntnis nehmen. Jetzt muss sich überall die Erkenntnis durchsetzen, dass dieses Regime nicht reformiert werden kann und gestürzt werden muss. 

Welche Rolle spielt der Antisemitismus?

Der Antisemitismus und der Hass auf Israel sind ideologische Stützen. Ein freier Iran wäre die beste Abwehr der Bedrohung Israels und der übrigen Region. Umfragen zufolge ist der Antisemitismus in der iranischen Bevölkerung viel weniger verbreitet als in anderen Ländern des Mittleren Ostens. Unter den Oppositionellen vernimmt man keine Hassparolen gegen Israel oder die USA.

Welche Bedeutung haben die Proteste im Iran für die Nachbarländer?

Nicht nur in Israel, sondern in der gesamten Nachbarschaft hat die Umsturzbewegung große Hoffnungen und Sympathien unter den Gegnern von Despotie und Islamismus geweckt. Sie sehen die Befreiung der Menschen im Iran als Grundlage für ihre eigene Befreiung von Regimes oder Milizen, die unmittelbar oder mittelbar mit dem Teheraner Gewaltapparat verbunden sind.

Interview: Peter Nowak

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