»Was geschah mit Matiullah?« Unter diesem Motto steht ein Aufruf, mit dem das »Afghan Refugees Movement« an den 19jährigen Afghanen Matiullah J. erinnert, der vor zwei Jahren im osthessischen Fulda …
…. von einem Polizisten erschossen wurde. Zuvor hatte der Getötete am frühen Morgen jenes 13. April 2018 den Auslieferungsfahrer einer Bäckereifiliale und anschließend eine zum Tatort entsandte Polizeistreife mit einem Stein angegriffen und dabei den Auslieferungsfahrer und einen der Beamten verletzt. Er hatte sich vom Tatort mit einem Teleskopstock in der Hand entfernt, den er zuvor einem Polizisten entwendet hatte. Das Verfahren gegen den Schützen stellte die Fuldaer Staatsanwaltschaft im Mai vergangenen Jahres mit der Begründung ein, der Polizist habe in Notwehr gehandelt (Jungle World 7/2019).
Polizei und Justiz ermitteln weiterhin – gegen Kritiker des Polizeieinsatzes. So erhielt der an der Fuldaer Fachhochschule lehrende Sozialwissenschaftler Philipp Weidemann eine Vorladung, da gegen ihn wegen Verleumdung ermittelt wird. Er soll während einer Gedenkdemonstration zum ersten Jahrestag der tödlichen Schüsse in Fulda einem Minderjährigen ein Flugblatt mit den Worten gegeben haben: »Damit du weißt, um was es geht: Ein Polizist hat einen Menschen ermordet, und er war unschuldig.« Weidemann bestreitet die Wortwahl.
Die Mutter des Jugendlichen soll sich auf Facebook darüber empört haben, dass ihrem Sohn ein Flugblatt mit dem schockierenden Inhalt überreicht worden sei. Daraufhin sei der Minderjährige von der Polizei zur Vernehmung vorgeladen worden. Auf seine Aussagen stützen sich die Ermittlungen gegen Weidemann. Ein für vergangenen November anberaumter Prozesstermin wurde bis auf weiteres vertagt. »Ich halte die gestellten Forderungen nach unabhängigen Ermittlungen im Fall Matiullah für wichtig und richtig«, sagte Weidemann der Jungle World. »Die Anzeigen der Polizei und die ausgestellten Strafbefehle erwecken den Eindruck, es ginge darum, diese Kritik zu verhindern«, so der Dozent.
Die Beschlagnahmung von Timo Schadts Computer und Mobiltelefon hätte den Journalisten in seiner beruflichen Existenz bedroht.
Auch gegen Darius Reinhardt und Leila Robel, zwei Gastautoren des Portals Belltower News, die sich in einem Artikel mit dem tödlichen Polizeieinsatz und den vor allem von Geflüchteten getragenen Protesten in Fulda befasst hatten, wird wegen Verdachts der Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung ermittelt, nachdem der Fuldaer Polizeipräsident Günther Voss Anzeige erstattet hat. Den beiden Autoren wird eine ungenaue Formulierung vorgeworfen, in ihrem ursprünglichen Text schrieben sie von »zwölf tödlichen Schüssen«. Von den insgesamt zwölf abgegebenen Schüssen trafen allerdings nur vier Matiullah und zwei waren tödlich.
Aus Sicht der Polizei in Osthessen sei die von Reinhardt und Robel benutzte Formulierung geeignet, die betroffenen Polizeibeamten verächtlich zu machen, sagte ein Sprecher der Polizei Osthessen dem Portal. Wenn von »zwölf tödlichen Kugeln« die Rede sei, werde gewissermaßen der Eindruck einer Hinrichtung vermittelt. »Es ging uns nie darum, einzelne Beamte zu beschuldigen. Vielmehr zielte unser Beitrag darauf ab, die rassistischen Zuschreibungen und Diffamierungen durch Politiker und Journalisten nach dem Gedenken letztes Jahr zu kritisieren und den institutionellen Rassismus in deutschen Behörden und die Verstrickungen auch der Fuldaer Polizei in den hessischen Polizeiskandal zu benennen«, sagten die beiden Autoren Belltower News. Eine Richtigstellung der inkriminierten Passage des Artikels hatte die Polizei nach Angaben von Belltower News nicht verlangt.
Auch Timo Schadt wurde nicht schriftlich zur Korrektur aufgefordert. Er soll den Artikel von Belltower News auf der von ihm verwalteten Facebook-Seite »Netzwerk Fulda aktiv gegen Rassismus« verlinkt haben. Das Fuldaer Amtsgericht erwirkte einen Durchsuchungsbefehl für seine Wohn- und Geschäftsräume wegen des Verdachts auf Beleidigung, Verleumdung und übler Nachrede, der am 17. Oktober 2019 vollstreckt wurde.
In dem Durchsuchungsbeschluss, der der Jungle World vorliegt, wird besonders moniert, dass in der Überschrift von »zwölf tödlichen Schüssen« die Rede sei. Die Polizei drohte bei der Razzia, Schadts Computer und Mobiltelefon zu beschlagnahmen. Das hätte den Journalisten, der sich seit Jahren mit der extrem rechten Szene in Osthessen beschäftigt, in seiner beruflichen Existenz bedroht.
Die Beschlagnahmung konnte Schadt nur abwenden, indem er einem Polizisten sein Facebook-Passwort aushändigte. »Dieser meldet sich mit Schadts Daten an und entfernt den Artikel eigenhändig von der Facebook-Seite des Netzwerks. Danach ziehen die Beamten wieder ab. Zweieinhalb Wochen später wird das Ermittlungsverfahren gegen Schadt eingestellt«, heißt es in einem Bericht auf Hessenschau.de.
Der Jungle World bestätigte Schadt die Darstellung. Zunächst habe er nur Freunde informiert, aber nicht die Öffentlichkeit. »In den ersten Wochen nach der Polizeimaßnahme war ich regelrecht traumatisiert. Von rechtlichen Schritten habe ich Abstand genommen, um nicht weitere wertvolle Zeit und Energie daran zu verschwenden und daraus entstehende Kosten zu vermeiden«, sagte er. Erst mit zeitlichem Abstand habe er die Fassung wiedergefunden.
Mittlerweile drängt Schadt auf eine Aufarbeitung des Vorgehens der Polizei, auch um Gerüchten in seiner Nachbarschaft entgegenzuwirken. Der innenpolitische Sprecher der Fraktion der Linkspartei im hessischen Landtag, Hermann Schaus, will in der nächsten Sitzung des hessischen Innenausschusses Mitte Mai die Ermittlungen gegen Kritiker der Polizeiarbeit in Osthessen zur Sprache bringen.
Im Gespräch mit der Jungle World bezeichnete es Schaus als unglücklich, dass die Polizei in Fulda gegen Kritiker eines von ihr verantworteten Einsatzes auf Anzeige ihres eigenen Präsidenten ermittelt habe. Er wünsche sich einen solchen Ermittlungseifer gegen Verdachtsfälle von Rechtsextremismus, die es auch bei der osthessischen Polizei gegeben habe. Peter Nowak
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