Kommentar zur Auseinandersetzung mit dem rassistischen Amokläufer und die Morde in Hanau: Nicht in die Falle einer umgekehrten Sympathisantenjagd gehen

Wenn Amok und Faschismus zusammenfallen

Wahnsinn und Faschismus sind eben keine Gegensätze, sondern können sich gegenseitig bestärken. Ich würde auch diverse islamistische Bluttaten der letzten Jahre als "faschistische Morde" klassifizieren. Sie haben sich gegen die gleichen Gruppen gerichtet, die auch andere Rechte zum Feindbild erkoren haben, Juden, Liberale, Feministinnen, Vertreter moderner Kultur und eine Presse, die keinen besonderen Respekt vor irgendwelchen religiösen Praktiken hegte.

Knapp 7 Monate ist es her, da sorgte ein rassistischer Mord in Wächtersbach eine kurze Zeit lang für mediales Interesse. Am 20. Juli 2019 hatte Roland K. auf einen Mann aus Eritrea geschossen. Das Opfer konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. Wenige Stunden später wurde Roland K. tot in seinem Auto gefunden. Er hatte Selbstmord verübt. Schnell stellte sich heraus, dass es sich um einen rassistischen Mordversuch handelt. Das Opfer wurde nur wegen seiner Hautfarbe ausgesucht. Hinweise für eine rechte Gesinnung des Täters wollen die Ermittlungsbehörden aber zunächst nicht erkennen. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung korrigierte sogar einen Artikel und entschuldigte sich, dass sie Roland K. in der rechten Szene verortete. Dabei war zu diesem Zeitpunkt schon längst bekannt, dass es …..

…..in Wächtersbach und Umgebung ein rechtes Umfeld gab, in dem der Täter mit seinen Ansichten nicht besonders auffiel. Er erzählte sogar in seiner Stammkneipe, dass er jetzt einen Ausländer ermorden will und nach seiner Tat trank er dort noch ein Bier. Von Wächtersbach nach Hanau sind es knapp 35 Kilometer. In beiden Orten fanden in kurzer Zeit Amoktaten mit faschistischem Hintergrund statt.

Im Unterschied zu Hanau überlebte das schwerverletzte Opfer in Wächtersbach die Tat, zu weiteren Opfern kam es wohl auch deshalb nicht, weil der Täter in dem kleinen Ort keine weiteren Menschen angetroffen hat, die er als Ausländer markieren wollte. Weniger bekannt ist der rechte Mord an der Fuldaer Geschäftsfrau Dorit Botts. Sie verblutete nach mehreren Messerstichen 2001 in ihrem Bekleidungsladen.

Erst viele Jahre später stellte sich heraus, dass der Täter ein Neonazi war, der mit dem Mord seinen Eintritt in die Deutsche Heidenfront, eine Neonaziorganisation, erreichen wollte. „Fahr nach Fulda und mach die Alte kalt“, lautete sein Auftrag. Der Mord an Dorit Botts wird von der Amadeu-Antonio-Stiftung, nicht aber von der Polizei als Tat mit Neonazihintergrund anerkannt.

Amok und rechter Terror – kein Widerspruch

In beiden Orten waren Deutsche Täter, die Amok mit faschistischer Gesinnung verbanden. Das war und ist kein Widerspruch. Es wäre auch interessant, die bekannten Amokmorde in Schulen in den USA, aber auch in Erfurt unter dem Gesichtspunkt zu untersuchen.

Es handelt sich bei den Tätern immer um junge Männer, die ihren Abgang mit einer zur Schau gestellten Männlichkeit und der Einteilung in Menschen, die leben bleiben können und andere, die sterben müssen, inszenieren. Bei einigen dieser Schulmassaker stilisieren sich die Amokläufer regelrecht als die Herren, die über Leben und Tod von Menschen entscheiden. Hier finden sich also in der Regel auch dann faschistische Motivationen, selbst wenn die Täter nie in der rechten Szene aktiv waren.

Das gilt auch für den Amokläufer David Sonboly, der am 22. Juli 2016 in München 9 Menschen, alle hatten einen Migrationshintergrund, ermordete. Erst mit einiger Verzögerung stufte die Staatsanwaltschaft die Taten als rassistisch motiviert ein.

Dagegen fällt nach der Bluttat von Hanau auf, dass die Justiz und ein großer Teil der Öffentlichkeit sofort anerkannten, dass es sich um eine rassistisch motivierte Tat handelte. Lediglich das rechte Spektrum wollte keine politische Motivation erkennen und klassifizierte die Tat als Bluttat eines psychisch kranken Menschen. Das ist aus Sicht der Rechten auch klar. Sie wollen einen möglichst großen, auch ideologischen Abstand zwischen sich und dem Täter herstellen.

Doch Wahnsinn und Faschismus sind eben keine Gegensätze, sondern können sich gegenseitig bestärken. Ich würde auch diverse islamistische Bluttaten der letzten Jahre als „faschistische Morde“ klassifizieren. Sie haben sich gegen die gleichen Gruppen gerichtet, die auch andere Rechte zum Feindbild erkoren haben, Juden, Liberale, Feministinnen, Vertreter moderner Kultur und eine Presse, die keinen besonderen Respekt vor irgendwelchen religiösen Praktiken hegte. Die Islamisten reklamieren ihre Taten mit einer speziellen Lesart des Islam, andere faschistische Amokläufer haben andere historische Texte zur Rechtfertigung herangezogen.

Wahnsinn und Normalität

Der Täter von Hanau vermischt seine faschistische Gesinnung mit Verschwörungstheorien über Aliens und geheime Mächte, die ihn und andere bestimmen. Da offenbart sich tatsächlich ein Gedankengebräu, das man schnell mit dem Prädikat „Irrsinn und Wahn“ von der sogenannten Welt der Normalen abgrenzt.

Nur gehörte diese Mischung aus Wahnsinn und Nazismus schon immer zu einer, in der rechten Szene eher randständigen, Gruppe von Verschwörungstheoretikern, die ernsthaft der Meinung ist, Hitler hätte sich mit anderen NS-Größen in eine Festung in der Antarktis zurückgezogen und wolle von dort den Kampf um die Weltherrschaft aufnehmen.

Auch Aliens mit Flugscheiben gehören zum Standard rechter Verschwörungstheorien. Sie wurden auch unter Rechten eher belächtet und wurden nicht besonders wahrgenommen, weil sie in der Regel nicht zu Amoktaten schritten. Der Diskurs über Wahnsinn war lange Zeit genau von dieser Abgrenzung von der sogenannten Normalgesellschaft geprägt. Seit den 1970er Jahren wurden, auch unter den Einfluss von Philosophen wie Foucault, die Grenzen durchlässiger.

Es wurde erkannt, dass Wahnsinn und Normalität selbst Ergebnisse von Diskursen und keine feststehenden Begriffe und Zustände sind. Daran sollten wir uns erinnern, wenn der Täter von Hanau jetzt lediglich als pathologischer Fall behandelt werden soll. Es ist gerade dieses Sample aus Wahnsinn und Faschismus, das diese Täter so gefährlich wie unberechenbar macht. Sie haben auch keine taktischen Überlegungen, schonen ihr eigenes Leben nicht und werden so zu potentiell tödlichen Zeitbomben, die plötzlich zuschlagen.

Dabei brauchen sie nie im Leben vorher in rechten Kreisen auffällig geworden sein, wie es bei dem Täter von Hanau und wie auch bei denen von Wächtersbach und München wohl der Fall war. Hier ist es dann auch auf jeden Fall angebracht, die Verantwortung der legalen Rechten anzusprechen. Denn solche Täter fühlen sich in ihren Wahn eben auch durch solche Amoktaten animiert, wenn es einen relevanten gesellschaftlichen Diskurs gibt, in dem ähnliche Thesen verbreitet werden.

Sie fühlen sich als Vollstrecker einer schweigenden Mehrheit, die nicht in der Lage oder fähig dazu ist, das zu tun, was sie selbst dann ausführen. Daher ist es wichtig, dass es, anders als im Fall von München oder Wächtersbach, im Fall von Hanau weitgehender gesellschaftlicher Konsens ist, dass die Tat rassistisch motiviert war.

Keine umgekehrte Sympathisantenjagd!

Vor allem für Menschen mit Migrationshintergrund ist es wichtig, dass sie mit ihren Ängsten nicht allein gelassen werden. Gerade die Verwandten der Opfer der NSU-Mörder mussten Jahre lang mit dem Stigma leben, dass sie selber am Tod ihrer Angehörigen Schuld sind. Das hat Aysum Bademsoy in dem Film Spuren – die Opfer des NSUnoch mal gut dargestellt. Eine klare Benennung des rassistischen Charakters der Mordtat ist daher sehr zu begrüßen.

Doch besonders außerparlamentarische Gruppen sollten nicht in die Falle einer umgekehrten Sympathisantenjagd gehen. In den 1977er Jahren gerieten alle linken Gruppen, die den Kapitalismus kritisierten, und selbst liberale Schriftsteller wie Heinrich Böll, die Kritik an den deutschen Verhältnissen übten, in den Verdacht, der Rote-Armee-Fraktion zuzuarbeiten. Noch bis in die 1990er Jahre wurden von Konservativen die Grünen als parlamentarischer Arm von militanten Linken bezeichnet.

Das mag man sich heute kaum mehr vorstellen, wo die Grünen doch die ideellen bürgerlichen Demokraten spielen. Doch wenn nun Cem Özdemir die AfD als parlamentarischen Arm der bewaffneten Neonazis bezeichnet, wird das zumindest im Fall von Hanau schwer nachzuweisen sein. Es gilt auch bei der rechten Szene zwischen unterschiedlichen Spektren zu differenzieren, wie es vor 40 Jahren von linker Seite auch berechtigterweise eingefordert wurde.

Um Rechte adäquat kritisieren zu können, sollte eben auch analysiert und differenziert werden. So wie nicht alle Wege des Sozialismus nach Moskau führten, wie die CDU in den 1950er Jahren gegen die SPD gerichtet plakatieren ließ, so führen nicht alle Wege von Gruppen, die sich rechts der Union tummeln, in ein neues 1933 und nach Auschwitz.

Das macht ihre Gesellschaftsvisionen nicht sympathisch, nur sollte man sie eben analysieren und einordnen, bevor man sie bekämpft. Wenn man nun nach den faschistischen Amokmorden gleich alles, was sich rechts der Mitte tummelt, in einen Sack steckt, bedient man nur den Mitte-Mythos.

Was haben die rechten Amok-Morde mit der kapitalistischen Verfasstheit der Welt zu tun?

Eine unabhängige linke Kritik hätte vielmehr zu fragen, was die rechten Amokmorde in aller Welt auch mit dem Wahnsinn der kapitalistischen Verhältnisse zu tun haben. Was bedeutet es in einer Gesellschaft zu leben, in der wir tagtäglich radikal individualisiert werden und uns gleichzeitig beigebracht wird, nur durch maximale Anpassung an das Bestehende eine Überlebenschance zu haben?

Wie gehen wir mit den Schäden um, den die kapitalistische Gesellschaft täglich den Menschen und der Natur beibringt? Und vor allem, wie gehen wir damit um, dass kollektives solidarisches Handeln oft gar nicht mehr bekannt ist und so die Unabänderlichkeit der Verhältnisse als Naturgesetz gilt?

Diese Fragen muss man sich stellen, wenn es um die Ursachenforschung der rechten Amokmorde geht, die über ein Beschwören des Mitte Mythos und dem Bekenntnis dem „Hass keine Chance“ hinausgeht. Peter Nowak