Kommentar zum "bundesweiten Signal" für eine Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei

Bremen: Der Mythos von den Mehrheiten links von der Union

Mal nannte man es Crossover, mal Mosaiklinke, der Mythos von der angeblichen parlamentarischen Mehrheit links von Union und FDP ist nicht totzukriegen. Dabei schafft es nur einige Pöstchen für linke Funktionäre

Der Stadtstaat Bremen ist das kleinste Bundesland und traditionell eher linksreformistisch ausgerichtet. Trotzdem wird jetzt von manchem Reformpolitiker der Linken von dort ein Signal für eine Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei gesehen. Dabei haben die Bremer Grünen nur die Empfehlung gegeben, in Bremen Koalitionsverhandlungen mit SPD und Linken aufzunehmen.Rechnerisch wäre auch ein Bündnis mit CDU und FDP möglich, zumal die CDU erstmals in Bremen die SPD stimmenmäßig überholt hat und einen Spitzenkandidaten mit einer Hippievergangenheit aufgeboten hat. Doch Kommentatoren erwarteten schon nach der Wahl, dass es in Bremen eher…

….auf eine linke Reformkoalition hinausläuft, zumal die geschwächte SPD viele Zugeständnisse machen wird und die Linke mit ihrer vor mehr als 2 Jahrzehnten noch in autonomen Kreisen verkehrenden Spitzenkandidatin Kristina Vogt besonders pragmatisch auftritt.

Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass ehemalige autonome Linke, wenn sie denn Regierungspolitik machen wollen, eher am rechten Flügel des Reformismus landen. Und Kristina Vogt, wenn sie denn Ministerin wird, wäre nicht die erst Autonome in dieser Position. Josef Fischer war schließlich als Sponti-Straßenkämpfer ein Vorläufer der Autonomen und hat es bekanntlich bis zum Außenminister gebracht.

Da dürften für Kristina Vogt, möglicherweise auftauchende Bilder aus ihrer autonomen Vergangenheit, auf die ehemalige Weggefährten hindeuten, keinen Karriereknick bedeuten. Doch noch stehen die Verhandlungen an und da kann es noch immer Überraschungen geben. Zumal die Beziehungen zwischen SPD und Grünen auch in Bremen nicht die besten waren.

Da könnte es noch Streit zwischen Grünen, die sich auf Erfolgskurs wähnen und einer SPD, die nicht weiß, wie sie sich zumindest stabilisieren kann, geben. Dass die Freude bei der SPD groß ist, womöglich in Bremen doch weiter den Bürgermeister stellen zu können, zeigt eben, dass es hier hauptsächlich um Posten geht. Sonst hätte sie doch die nun stärkste Partei, die CDU, auffordern sollen, eine Regierung zu bilden. Die SPD hätte damit gezeigt, dass sie auch was anderes kann, als die Stadt zu verwalten.

Wenn nun Grüne und Linke einen unpopulären abgewählten Bürgermeister im Amt halten, können sie dafür bei den nächsten Wahlen auch abgestraft werden. Doch vor allem beim Führungspersonal der Linken scheint es keine relevante Stimme zu geben, die davor warnt, sich für Regierungsoptionen zu Verfügung zu stellen.

Das Verstummen der schon immer minoritären Positionen der Kritik am linken Mitregieren, zeigt, dass die Partei mehr denn je bereit ist, Teil der Staatspolitik zu werden. Dass ist auch eine bundesweite Tendenz. Ein mögliches Bündnis links der Union wird an den Linken zumindest nicht scheitern.

Der plötzliche Hype und Rosa-Rot-Grün

Und schon wird die alte Platte von der Mehrheit jenseits der CDU wieder aufgelegt. Vor wenigen Tagen feierte die SPD-Denkfabrik auf einem Sommerfest ihr 15-jähriges Bestehen. Solange werkeln bereits Politiker der SPD, der Grünen und der Linken (vorher PDS) an ihrem Reformbündnis herum – nur das Label wechselte öfter mal. Vor Jahren wurde das Ganze als „Crossover“, dann als „Mosaiklinke“ bezeichnet.

Immer ging es darum, nun auch die Linkspartei endgültig zum austauschbaren Teil des kapitalistischen Spiels zu machen. Die Taz schrieb dann auch über die Stimmung auf dem diesjährigen Sommerfest der Reform-Netzwerker.

Es ist historisch: Zum ersten Mal waren die Vorsitzenden aller Bundestagsfraktionen von SPD, Linken und Grünen der Einladung zum Sommerfest der SPD­Denkfabrik nach Berlin gefolgt. Der Thinktank eher linker SPD­Politiker bereitet seit 15 Jahren rot­rot­grüne Bündnisse auf Bundesebene vor. Als dort am Mittwochabend die Nachricht aufploppte, dass der Vorstand der Bremer Grünen sich dafür ausspricht, Koalitionsverhandlungen mit SPD und Linken aufzunehmen, prosteten sich Rolf Mützenich, Interimschef der SPD­Fraktion, Dietmar Bartsch von der Linken und Anton Hofreiter, Grüne, zu.

Taz

Es gibt sogar eine Umfrage, die plötzlich diese Konstellation als Favoriten unter den Befragten ausgemacht haben will. Der Fraktionsvorsitzende der Linken Dietmar Bartsch vom Reformerflügel erklärt gar: „Die Bremer Linke kann stolz sein, weil das ein bundespolitisches Signal ist.“

Er sieht es als besonderes Signal, dass die Linke jetzt auch in einem Bundesland der BRD regierungsfähig wird. Dabei wäre ja an der Linken noch nirgends eine Regierungsbildung gescheitert, in Hessen nicht und auch nicht in NRW. Viel bedenklicher ist, dass es in der Linken kaum noch relevanten Widerspruch zur Regierungsoption zu geben scheint. Das aber heißt auch Akzeptanz von Nato und Bundeswehr.

Sahra Wagenknecht, die sich auch schon länger für Regierungsbeteiligungen ausgesprochen hat, nannte auch immer noch den Preis, den das eine Linke dafür zahlen müsste Und sie war nicht bereit, sich schon im Vorfeld von Verhandlungen von SPD und Grünen domestizieren zu lassen. Da wurde sie für manche linke „Koalos“ wohl als Störfaktor bei der angestrebten Regierungsbeteiligung gesehen, der sie real gar nicht war.

„Regieren ist keine reale Machtoption“

Nachdem Wagenknecht ihren Rückzug aus dem Fraktionsvorsitz angekündigt hat, scheinen sich bei der Linkspartei diejenigen durchzusetzen, die Mitregieren wollen um jeden Preis. Da wird jetzt gerne der Kampf gegen rechts als Begründung angeführt, dass man jetzt nicht abseits stehen könnte. 

So hat die Parteivorsitzende der Linken Katja Kipping das schlechte Wahlergebnis ihrer Partei bei den EU-Wahlen nicht etwa zum Anlass genommen, für eine Profilierung des eigenen Profils, sondern für enges Bündnis mit der ominösen Mitte zu werben:

Die Wahlen am 26. Mai sind für uns ein Warnsignal, das wir ernst nehmen müssen. Bei einem Wahlergebnis von 5,5 Prozent müssen wir unsere Strategie und Haltung überprüfen. Wenn unsere Wählerinnen und Wähler glauben, dass ihre Stimme für uns vielleicht richtig, aber irrelevant ist, weil die LINKE nichts verändern kann, dann stagnieren oder wir verlieren. Das ist bei den Europawahlen geschehen. Die Wahl zur Bremer Bürgerschaft hingegen hat gezeigt, wie wir zulegen können. In Bremen war eine Stimme für die LINKE eine Stimme der aktiven Veränderung. In Bremen hat die LINKE von Anfang an klargemacht, dass sie bereit ist, ihr gutes Programm auch in einer Regierung umzusetzen.

Katja Kipping, Die Linke

Dabei ist es ja gerade das Fehlen einer konsequenten linken Opposition, die den Rechten erst die Möglichkeit gibt, sich als Alternative zum Establishment aufzuplustern. Dabei müsste eine linke Kraft zeigen, dass die AfD nur radikalere Teil der kapitalistischen Einheitspartei sind. Allerdings gibt es bei der Linken an der Basis und auch vereinzelt im Vorstand noch Kräfte, die vor der Regierungsbeteiligung warnen.

So hat das Mitglied des Parteivorstands Raul Zelik in einem Beitrag für die Tageszeitung Neues Deutschland noch mal daran erinnert, dass es ein Unterschied ist, an der Regierung zu sein und Macht zu haben.

Seit den 1980er Jahren haben wir immer wieder erlebt, wie linke Regierungen rechte Reformen umgesetzt haben. New Labour zementierte den Sieg des Neoliberalismus in Großbritannien und schwächte die Gewerkschaften weiter. Die rot-grüne Koalition in Deutschland machte das, was sich die Union nicht getraut hatte: Hartz IV, Teilprivatisierung der Rentenkasse, Beteiligung an NATO-Angriffskriegen … Und auch die von uns allen mit so großer Hoffnung begleitete Syriza-Regierung in Griechenland beweist doch vor allem die Ohnmacht linken Regierens. Syriza hat die Sparmaßnahmen der Troika umgesetzt, Gemeineigentum privatisiert und die sozialen Bewegungen demobilisiert. Der Weg in die Regierung war das genaue Gegenteil einer „Machtoption“.

Raul Zelik, Neues Deutschland

Die innerlinke Strömung Bewegungslinke dürfte so eine der wenigen Strömungen sein, die sich der rosa-rot-grünen Besoffenheit noch etwas entgegenstellen. Bei allen anderen wird eine Wahlkonstellation in Bremen gleich zu bundesweiter Bedeutung hochgejazzt.

Dabei wird großzügig übersehen, dass bald die Situation eintreten kann, dass der Stadtstaat Bremen das einzige Bundesland mit Beteiligung der Linkspartei ist. In Brandenburg und Thüringen könnte eine solche Konstellation nach den nächsten Wahlen bald nicht mehr möglich sein. In Thüringen wäre das sogar mit dem Verlust des bisher einzigen der Linken angehörenden Ministerpräsidentenpostens verbunden.

Dieser absehbare Verlust von Regierungsposten, nicht von realer Macht, soll mit dem lauten Getöse über eine Koalitionsbeteiligung in Bremen übertönt werden.