Immobilienmonopoly im Chamisso-Kiez

Gegen Vertreibung aus dem Kiez regt sich Protest
 
In der Kreuzberger Willibald-Alexis-Straße fühlen sich die Mieter vom Eigentümer bedrängt.
»Kreuzberg – nur noch für Reiche?« Diese provokante Frage lockte viele Anwohner aus dem Chamissokiez im Stadtteil Kreuzberg am Dienstagabend zum Stadtteilgespräch in das Kulturzentrum Wasserturm. Die Sitzgelegenheiten reichten bei weitem nicht für alle Interessierten aus. Eine der Moderatorinnen des Abends fasste in ihrem Eingangsstatement in Worte, was viele der Anwesenden bewegt. »Werde ich mir in zehn Jahren in dem Kiez die Miete noch leisten können?« »Was wird aus den Plänen, auch im Alter in den beschaulichen Chamissokiez wohnen zu können, wenn dort immer mehr Mietwohnungen in Eigentums- und Ferienquartiere umgewandelt werden?«

Die Immobilienfirmen, die Interesse an den oft über 100 Jahre alten Gründerzeithäusern im Kiez zeigen, haben unterschiedliche Namen, doch ihre Methoden ähneln sich stark: In der Arndstraße 38 beispielsweise hat die AWL-Immobilien GmbH aus dem baden-württembergischen Baden-Baden das Haus vor einigen Jahren gekauft. Schon bald danach wurden ersten Kündigungen gegen Mieter ausgesprochen. Die waren zwar ungültig, trotzdem sind mittlerweile nur noch fünf Wohnungen vermietet. Das berichtete Hausbewohnerin Jutta, über deren Kündigung im März entschieden wird. Sie ist jedoch entschlossen, sich nicht vertreiben zu lassen.

Darin ist sich die Bewohnerin mit den Mietern der Willibald-Alexis-Straße 34 (WAX 34) einig. Diese haben extra einen eigenen Verein gegründet. In Briefen an Bezirkspolitiker von Friedrichshain-Kreuzberg und den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), formulierten die Bewohner ihr Ziel: »Wir wollen das Haus dem Spekulationsmarkt entziehen, gemeinsames Wohnen organisieren und darüber hinaus ökologisch und sozial sanieren und somit auch im Sinne der oben zitierten Milieuschutzsatzung ›kieznah‹ erhalten«.

Seit September 2010 gehört das Haus der Willibald Alexis Str. 34 GmbH und Co.KG. »Wir machen kein Geheimnis daraus, dass wir Geschäftsleute sind«, erklärt eine Sprecherin gegenüber ND und betont aber: »Wir haben nie einen Mieter vertrieben oder ohne Grund gekündigt.« Den Mietern der WAX 34 wirft sie vor, dass es ihnen nur darum gehe, »für wenig Miete in einem gefragten Kiez zu leben«.

Günstig zu wohnen wird jedoch nicht nur im Chamissokiez immer schwieriger, sondern auch im nahegelegenen Kreuzberger Gräfekiez, wie Martin Breger erzählt. Mit der dortigen Mietenentwicklung beschäftigt sich der Stadtteilaktivist seit Jahren. Selbst viele Einzimmerwohnungen in den Seitenflügeln und Hinterhäusern seien dort für Hartz-IV-Empfänger nicht mehr zu bezahlen, erläutert Breger. Mit konkreten Zahlen untermauert er seine These, dass das Immobilienmonopoly zunimmt. Während im Zeitraum zwischen 1996 und 2004 im Gräfekiez 90 Etagenwohnungen in Eigentum umgewandelt worden sind, waren es zwischen 2005 und 2010 schon über 150 Wohnungen.

Bei einer bloßen Bestandsaufnahme wollen es die Kiezbewohner indes nicht belassen. An einem Folgetreffen in der übernächsten Woche sollen Aktionen beschlossen werden. Eine Demonstration durch mehrere Kieze ist ebenso im Gespräch wie eine Diskussionsveranstaltung mit Politikern von verschiedenen Parteien. Einige Forderungen an die Politiker wurden am Dienstagabend schon zusammengetragen, darunter ein besserer Mieterschutz, die Wiedereinführung einer Fehlbelegungsabgabe und eine Renaissance des sozialen Wohnungsbaus.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/190710.immobilienmonopoly-im-chamisso-kiez.html

Peter Nowak


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